Donnerstag, 7. März 2013

Stoffmarkt in Venlo (3)

Wir mussten umdisponieren, denn die Anzeige „VOL“ signalisierte uns mit der roten Digitalanzeige, dass das Parkhaus am Nolensplein besetzt war und uns nicht herein ließ. Wir kurvten einmal um den Kreisverkehr. Anstatt dessen fanden wir am Rande des Julianaparks einen Parkplatz. Ein Kirchturm im Zentrum, der uns bekannt vorkam, lag in Sichtweite. Folglich war die Fußgängerzone zum Greifen nahe.

So lernten wir Venlo aus einer anderen Perspektive kennen. Auf dem Weg in die Fußgängerzone ging es militärisch zu. Wir schritten über den Arsenaalplein. Im zweiten Weltkrieg zerstört, stand auf diesem Fleck tatsächlich ein Munitionsdepot, in dem bis 1867 Waffen gelagert wurden. Das Parkhaus, das heute an der Stelle des Munitionsdepots steht, lässt nichts mehr von der militärischen Vergangenheit erahnen. Paradoxerweise hat aber die 1617 gebaute Minderbroederskerk etwas damit zu tun. In der napoleonischen Zeit, als überall Kirchen und Klöster säkularisiert wurden, nutzten die Franzosen diese wuchtige Kirche aus Backstein ab 1796 als Kaserne. Erstaunlich, dass selbst nach dem Ende der napoleonischen Ära bis 1913 die Nutzung als Kaserne andauerte. Kaserne, Munitionsdepot, Hospital, Pferdeställe für die Kavallerie, in der Tat wir bewegten uns auf einem umfangreichen früheren Militärgelände.

Die Minderbroederskerk wird heute nicht mehr zweckentfremdet genutzt. Anders als in Deutschland, wird in den Niederlanden, wo man keine Kirchensteuer kennt, das religiöse Leben durch die Eigeninitiative von Christen aufrecht erhalten. Unabhängig von den offiziellen Lehren des vatikanischen Konzils, gründete 1965 ein Pfarrer aus Venlo eine Jugendbewegung (daher „Jongerenkerk“). Diese Jugendlichen, die heute längst erwachsen geworden sind, bilden dort einen religiöse Gemeinschaft und kümmern sich schwerpunktmäßig um Obdachlose und Flüchtlinge und managen Projekte in der Dritten Welt.

Wie gewohnt, war der Stoffmarkt an Auswahl kaum zu überbieten. Kissen, Applikationen, Kurzwaren, Knöpfe, Aufnäher, Reißverschlüsse, Leinen, Wolle, Garn, Kissen, Gardinen, Tischdecken, Schnittmuster, Bettfedern – es gab dort rundum alles zu kaufen, was mit Nähen zu tun hatte. Diesmal hielten wir uns zurück. Meine Göttergattin kaufte jede Menge zinnoberroten Stoff und Vliess zum Aufbügeln. Ich genoss das bunte Treiben auf dem Stoffmarkt. Anstatt in Bändern, Knöpfen, Reissverschlüssen oder Applikationen herum zu wühlen, schritten wir wieder in die Fußgängerzone zurück.

Zeit fürs Mittagessen. Ich musste mich der Mehrheit beugen, die im Restaurant „Prins Bernhard“ essen wollte, wo wir vor einem Jahr schon einmal gespeist hatten. Ungemütlich und rappelvoll war es. Aber der Pfannkuchen mit Zwiebeln, Speck, Champignons war klasse gemacht. Und mit 47,50 € für vier Personen konnten wir über die Preise nicht meckern.

Gemeinsam mit dem Stoffmarkt war verkaufsoffener Sonntag. Auch hier musste ich mich der Mehrheit der Frauen beugen. Zubehör und Accessoires bei Bijou Brigitte: die Damen betrachteten ausgiebig Ohrringe, unser kleines Mädchen zog reihenweise Sonnenbrillen in knalligen Farbtönen an, die Damen ergötzten sich an Armbändern und Broschen. Sie bewunderten die Variationen von Haarspangen. Die Motive der Halsketten – Kreuze, Eulen oder Skorpion – reizten sie besonders. An den Ringen konnten sie sich nicht satt sehen. Das Stöbern nahm kein Ende. Als Mann war ich da schon ein wenig genervt. Schließlich kauften wir unserem kleinen Mädchen eine Halskette. Nach solch einem ausdauernden Herumstöbern ohne eine Kleinigkeit den Laden zu verlassen: das wäre eine Provokation gewesen.

Idealer zum Bummeln war die Klaasstraat. Sie hatte für jeden etwas zu bieten und wir konnten uns aufteilen. Zuerst kam ein Bekleidungsladen – dort fühlte sich meine Göttergattin sauwohl. Kurz darauf folgte der einzige Lego-Shop in den Niederlanden – unsere beiden Mädels tauchten in die Steine ab, die die Welt bedeuteten. Ein paar Häuser weiter kam eine Buchhandlung – wo ich mein eigenes Reich vorfand. Ich studierte die niederländischen Bestsellerlisten und blätterte in den Büchern herum. Jan Brokken, Thijs Slegers, Erik Valeur, in deren Büchern ging es um den zweiten Weltkrieg, die Macht des Fußballs und um sieben Kinder, die nacheinander zur Adoption frei gegeben wurden. Das eine oder andere Buch hätte mich sicherlich interessiert, doch ich entschied mich komplett anders. Im Schaufenster hatte ich eine Stadtwanderung durch Venlo gesehen.

Bei unserem dritten Stoffmarktbesuch in Venlo hatte ich ausgeblendet, dass siebzig Prozent der Einkaufsbummler Deutsche waren. Ich schaute nicht nur auf das Rathaus und die protestantischen, „Nederlands hervormeerde“ Kirchen, sondern auch auf das übrige Stadtbild, dessen Aussehen durchaus niederländisch und nicht deutsch war. Als ich zu Hause in die Stadtwanderung hineinsah, war ich erstaunt, wie wenig wir bislang von Venlo gesehen hatten. Viele Sehenswürdigkeiten lagen am Rande oder in Seitenstraßen des Zentrums. Vom Nolensplein am Rathaus vorbei waren wir die Einkaufsmeile in Venlo entlang gebummelt. Jodenstraat, Kwartelenmarkt oder Rosarium hatten wir nicht gesehen – in Venlo gab es also weitaus mehr zu erkunden.

Ich freue mich auf den nächsten Stoffmarkt in Venlo. Schön, dass es solchen familiären Erlebnisse gibt. Und schön ist, dass es solche Städte wie Venlo gibt, die für jeden etwas zu bieten haben.

7 Kommentare:

  1. Es war mal wieder sehr interessant hier zu lesen. So finde ich es aber auch bemerkenswert wie geduldig du als Mann "mittaperst". Das würde lange nicht jeder Mann machen, gerade wenn es um solch ausdauerndes Bummeln durch diese Geschäfte geht^^ Allerdings wie du schon geschrieben hast ist es ein Tag mit der Familie und das ist immer wieder schön.

    Klasse auch dass du dich für den Reiseführer entschlossen hast. So gehe ich mal davon aus, dass du ihn "studieren" wirst und bei dem nächsten Ausflug dir einige Dinge mehr anschaust.

    Liebe Nachtgrüssle
    Nova

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  2. Ich bewundere Deine Geduld immer wieder Dieter, auf den Stoffmarkt und dann noch ein Einkaufsbummel, ein toller Familientag. Macht garantiert nicht jeder Mann mit. Ein schönes Posting hats Du daraus gemacht.

    ♥ liche Grüße
    Angelika

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  3. Habe heute mal endlich wieder deine letzten Einträge mit großem Interesse & Spaß gelesen, sowohl die Stoffmarkterlebnisse in Venlo & Godesberg, als auch die interessanten Berichte über die Wohnungsnot im Ballungsraum & das Aussterben des Bönnsch. Das sind zwar sehr verschiedene & unterschiedlich gewichtige Themen, aber beides finde ich sehr bedauerlich. Du hast übrigens Recht, der rheinische Singsang ist beim Bönnsch ausgeprägter - und ich würde sagen:viel schöner - und ich freue mich, wenn er bei meinem Mann manchmal durchkommt ( leider sehr selten ). Mein Mann ist übrigens auch ein sehr tapferer Begleiter auf Stoffmärkten. ( Am Sonntag ist einer am Kölner Mediapark, vielleicht interessiert es deine Frau).
    Auch von mir ein paar Gute-Nacht-Grüße!
    Astrid

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  4. es freut mich das Du eine warme Famielie hast,und ihr unternimmt immer zusammen irgentwas!!!!
    Sehr toll dieser Post,ist mal weider alles dabei

    Lieben gruss Christa
    Habt ein schönes Wochenende

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  5. Dieter, einen solchen Besuch macht nicht jeder Mann mit.
    Aber es ist so schön, diese Geschichte zu lesen. Das
    Mittagsessenn hätte mir auch gemundet.
    Deine Familie daarf ganz, ganz stolz auf dich sein.
    Einen schönen Abend wünscht
    Irmi

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  6. Euer Mädel mit Sonnenbrille *lach* ... das Bild ist der Kracher :-)

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  7. Ich muss gestehen, dass ich noch nie in Venlo war, obwohl ich Schwiegereltern in Mönchengladbach hab und so oft in der Gegend bin. Aber als Frau werde ich immer magisch von Roermond angezogen, daher fahre ich zum Shoppen immer dorthin, nicht nur wegen dem Outlet (aber auch) sondern auch von der tollen Altstadt. Aber die Fotos von Venlo sehen auch nett aus, vielleicht geht der nächste Hollandtrip dorthin.
    Die Sonnenbrille steht Deiner Tochter grandios gut!

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