So lernten wir Venlo aus
einer anderen Perspektive kennen. Auf dem Weg in die Fußgängerzone ging es
militärisch zu. Wir schritten über den Arsenaalplein. Im zweiten Weltkrieg
zerstört, stand auf diesem Fleck tatsächlich ein Munitionsdepot, in dem bis
1867 Waffen gelagert wurden. Das Parkhaus, das heute an der Stelle des
Munitionsdepots steht, lässt nichts mehr von der militärischen Vergangenheit
erahnen. Paradoxerweise hat aber die 1617 gebaute Minderbroederskerk etwas
damit zu tun. In der napoleonischen Zeit, als überall Kirchen und Klöster
säkularisiert wurden, nutzten die Franzosen diese wuchtige Kirche aus Backstein
ab 1796 als Kaserne. Erstaunlich, dass selbst nach dem Ende der napoleonischen
Ära bis 1913 die Nutzung als Kaserne andauerte. Kaserne, Munitionsdepot,
Hospital, Pferdeställe für die Kavallerie, in der Tat wir bewegten uns auf
einem umfangreichen früheren Militärgelände.
Die Minderbroederskerk wird
heute nicht mehr zweckentfremdet genutzt. Anders als in Deutschland, wird in
den Niederlanden, wo man keine Kirchensteuer kennt, das religiöse Leben durch
die Eigeninitiative von Christen aufrecht erhalten. Unabhängig von den
offiziellen Lehren des vatikanischen Konzils, gründete 1965 ein Pfarrer aus
Venlo eine Jugendbewegung (daher „Jongerenkerk“). Diese Jugendlichen, die heute
längst erwachsen geworden sind, bilden dort einen religiöse Gemeinschaft und
kümmern sich schwerpunktmäßig um Obdachlose und Flüchtlinge und managen
Projekte in der Dritten Welt.
Wie gewohnt, war der
Stoffmarkt an Auswahl kaum zu überbieten. Kissen, Applikationen, Kurzwaren,
Knöpfe, Aufnäher, Reißverschlüsse, Leinen, Wolle, Garn, Kissen, Gardinen,
Tischdecken, Schnittmuster, Bettfedern – es gab dort rundum alles zu kaufen,
was mit Nähen zu tun hatte. Diesmal hielten wir uns zurück. Meine Göttergattin
kaufte jede Menge zinnoberroten Stoff und Vliess zum Aufbügeln. Ich genoss das
bunte Treiben auf dem Stoffmarkt. Anstatt in Bändern, Knöpfen,
Reissverschlüssen oder Applikationen herum zu wühlen, schritten wir wieder in
die Fußgängerzone zurück.
Zeit fürs Mittagessen. Ich
musste mich der Mehrheit beugen, die im Restaurant „Prins Bernhard“ essen
wollte, wo wir vor einem Jahr schon einmal gespeist hatten. Ungemütlich und
rappelvoll war es. Aber der Pfannkuchen mit Zwiebeln, Speck, Champignons war
klasse gemacht. Und mit 47,50 € für vier Personen konnten wir über die Preise
nicht meckern.
Gemeinsam mit dem Stoffmarkt
war verkaufsoffener Sonntag. Auch hier musste ich mich der Mehrheit der Frauen
beugen. Zubehör und Accessoires bei Bijou Brigitte: die Damen betrachteten
ausgiebig Ohrringe, unser kleines Mädchen zog reihenweise Sonnenbrillen in
knalligen Farbtönen an, die Damen ergötzten sich an Armbändern und Broschen.
Sie bewunderten die Variationen von Haarspangen. Die Motive der Halsketten –
Kreuze, Eulen oder Skorpion – reizten sie besonders. An den Ringen konnten sie
sich nicht satt sehen. Das Stöbern nahm kein Ende. Als Mann war ich da schon
ein wenig genervt. Schließlich kauften wir unserem kleinen Mädchen eine
Halskette. Nach solch einem ausdauernden Herumstöbern ohne eine Kleinigkeit den
Laden zu verlassen: das wäre eine Provokation gewesen.
Idealer zum Bummeln war die
Klaasstraat. Sie hatte für jeden etwas zu bieten und wir konnten uns aufteilen.
Zuerst kam ein Bekleidungsladen – dort fühlte sich meine Göttergattin sauwohl.
Kurz darauf folgte der einzige Lego-Shop in den Niederlanden – unsere beiden
Mädels tauchten in die Steine ab, die die Welt bedeuteten. Ein paar Häuser
weiter kam eine Buchhandlung – wo ich mein eigenes Reich vorfand. Ich studierte
die niederländischen Bestsellerlisten und blätterte in den Büchern herum. Jan
Brokken, Thijs Slegers, Erik Valeur, in deren Büchern ging es um den zweiten
Weltkrieg, die Macht des Fußballs und um sieben Kinder, die nacheinander zur
Adoption frei gegeben wurden. Das eine oder andere Buch hätte mich sicherlich
interessiert, doch ich entschied mich komplett anders. Im Schaufenster hatte
ich eine Stadtwanderung durch Venlo gesehen.
Bei unserem dritten
Stoffmarktbesuch in Venlo hatte ich ausgeblendet, dass siebzig Prozent der
Einkaufsbummler Deutsche waren. Ich schaute nicht nur auf das Rathaus und die
protestantischen, „Nederlands hervormeerde“ Kirchen, sondern auch auf das
übrige Stadtbild, dessen Aussehen durchaus niederländisch und nicht deutsch
war. Als ich zu Hause in die Stadtwanderung hineinsah, war ich erstaunt, wie
wenig wir bislang von Venlo gesehen hatten. Viele Sehenswürdigkeiten lagen am
Rande oder in Seitenstraßen des Zentrums. Vom Nolensplein am Rathaus vorbei
waren wir die Einkaufsmeile in Venlo entlang gebummelt. Jodenstraat,
Kwartelenmarkt oder Rosarium hatten wir nicht gesehen – in Venlo gab es also weitaus mehr zu erkunden.
Ich freue mich auf den
nächsten Stoffmarkt in Venlo. Schön, dass es solchen familiären Erlebnisse
gibt. Und schön ist, dass es solche Städte wie Venlo gibt, die für jeden etwas
zu bieten haben.
Es war mal wieder sehr interessant hier zu lesen. So finde ich es aber auch bemerkenswert wie geduldig du als Mann "mittaperst". Das würde lange nicht jeder Mann machen, gerade wenn es um solch ausdauerndes Bummeln durch diese Geschäfte geht^^ Allerdings wie du schon geschrieben hast ist es ein Tag mit der Familie und das ist immer wieder schön.
AntwortenLöschenKlasse auch dass du dich für den Reiseführer entschlossen hast. So gehe ich mal davon aus, dass du ihn "studieren" wirst und bei dem nächsten Ausflug dir einige Dinge mehr anschaust.
Liebe Nachtgrüssle
Nova
Ich bewundere Deine Geduld immer wieder Dieter, auf den Stoffmarkt und dann noch ein Einkaufsbummel, ein toller Familientag. Macht garantiert nicht jeder Mann mit. Ein schönes Posting hats Du daraus gemacht.
AntwortenLöschen♥ liche Grüße
Angelika
Habe heute mal endlich wieder deine letzten Einträge mit großem Interesse & Spaß gelesen, sowohl die Stoffmarkterlebnisse in Venlo & Godesberg, als auch die interessanten Berichte über die Wohnungsnot im Ballungsraum & das Aussterben des Bönnsch. Das sind zwar sehr verschiedene & unterschiedlich gewichtige Themen, aber beides finde ich sehr bedauerlich. Du hast übrigens Recht, der rheinische Singsang ist beim Bönnsch ausgeprägter - und ich würde sagen:viel schöner - und ich freue mich, wenn er bei meinem Mann manchmal durchkommt ( leider sehr selten ). Mein Mann ist übrigens auch ein sehr tapferer Begleiter auf Stoffmärkten. ( Am Sonntag ist einer am Kölner Mediapark, vielleicht interessiert es deine Frau).
AntwortenLöschenAuch von mir ein paar Gute-Nacht-Grüße!
Astrid
es freut mich das Du eine warme Famielie hast,und ihr unternimmt immer zusammen irgentwas!!!!
AntwortenLöschenSehr toll dieser Post,ist mal weider alles dabei
Lieben gruss Christa
Habt ein schönes Wochenende
Dieter, einen solchen Besuch macht nicht jeder Mann mit.
AntwortenLöschenAber es ist so schön, diese Geschichte zu lesen. Das
Mittagsessenn hätte mir auch gemundet.
Deine Familie daarf ganz, ganz stolz auf dich sein.
Einen schönen Abend wünscht
Irmi
Euer Mädel mit Sonnenbrille *lach* ... das Bild ist der Kracher :-)
AntwortenLöschenIch muss gestehen, dass ich noch nie in Venlo war, obwohl ich Schwiegereltern in Mönchengladbach hab und so oft in der Gegend bin. Aber als Frau werde ich immer magisch von Roermond angezogen, daher fahre ich zum Shoppen immer dorthin, nicht nur wegen dem Outlet (aber auch) sondern auch von der tollen Altstadt. Aber die Fotos von Venlo sehen auch nett aus, vielleicht geht der nächste Hollandtrip dorthin.
AntwortenLöschenDie Sonnenbrille steht Deiner Tochter grandios gut!