Wilhelm-Marx-Haus in Düsseldorf |
Schräg und kurios, so klingt es, dass ein Gärtner
den Stahlbeton erfunden hat. Folglich haben Gärtner die Architektur
revolutioniert, indem sie die Grundlage für höhere Ingenieurskünste geschaffen
haben, Häuser noch höher in den Himmel bauen zu können. Dass Forschungszweck
und Erfindungen auseinanderklaffen, ist bei der Produktenwicklung gar keine Seltenheit.
Joseph Monier war Gärtner in den Pariser Tuilerien.
In den Gewächshäusern wuchsen die empfindlichen Pflanzen, so auch Orangenbäume,
die einen kräftigen Stamm entwickelten und auch eine gute Ernte brachten. Da
sich der Stab aus Holz, an den er den Stamm festband, sich bei vollem Wachstum
neigte, experimentierte er mit Beton. Er goß Pflanzkübel aus Beton, variierte
die Mischung aus Zement, Sand, Schlacke und Wasser und fügte ein Drahtgewebe
ein, damit der Beton an Festigkeit gewann. Den Stab in der Mitte formte er aus
derselben Mischung, außerdem fixierte ihn in seinem Inneren mit einem Eisenstab.
Dieser sackte weder ab, noch knickte er ein, wenn Massen von reifen Früchten an dem Orangenbaum hingen. Bei der Weltausstellung 1867 in Paris ließ er sich
diese Erfindung patentieren.
Durch die Hände eines Gärtners war der Stahlbeton
geboren. Die Erfindung aus Frankreich zog Kreise in die ganze Welt. In den USA wurden
in den Stahlbau Wände und Decken eingezogen, daraus wurde dann der
Stahlskelettbau. Die technischen Entwicklungen galoppierten davon, der
Entwicklungs- und Erfindergeist wurde zum Leitbild der amerikanischen Nation.
Neue Industrien scharten sich um die amerikanischen Städte, die mit ihren
Arbeitsplätzen wuchsen und explodierten.
Erst Chicago,
dann New York. In die Höhe bauen zu können, schuf
komplett neue Dimensionen. Das erste Hochhaus als Stahlskelettbau maß zehn
Stockwerke und wurde 1885 in Chicago gebaut. Innenstadtnahe Flächen waren
knapp, und dieselbe Fläche konnte mehr Wohn-
oder Büroraum unterbringen. Das revolutionierte die Bauwelt. „Wolkenkratzer“,
diese Wortschöpfung versinnbildlicht die ungeahnten Größenordnungen, in denen
die Hochhäuser an den Wolken zu kratzen schienen.
Hansahochhaus Köln, Quelle Wikipedia |
New York sprengte nach der 1900er-Jahrhundertwende
die Rekorde. 1909 wuchs der Metropolitan Tower 213 Meter in die Höhe, 241 Meter
erreichte das Woolworth Building 1913. Wer vermutete, dass in den Folgejahren
New York weitere Rekorde knacken würde, der irrte. Anstatt höher zu bauen,
widmeten die Architekten ihre Phantasie den Verzierungen. Die Hochhäuser erhielten
Klinkerfassaden aus Backstein, es wurde verschachtelt gebaut, die
Farbabstufungen der Klinker wechselten, Elemente des Art-Deko-Stils hoben an
prägnanten Stellen ihre Akzente hervor, man verschönerte durch Ornamente und Stuckarbeiten.
In den 1920er Jahren erreichte dieser Baustil das
Rheinland, wenngleich nicht in den Größenordnungen wie in New York. Das Maß der
Verstädterung ähnelte sich: wie in Amerika, waren Tüftler und Erfinder im
Rheinland aktiv, der Verbrennungsmotor wurde erfunden, der Wechselstrom,
Generatoren, Gleichrichter, Glühlampen, die Formgebung von Kristall in
Glashüttenöfen oder der Automobilbau. Mit Fabriken, Arbeitsplätzen und Arbeiterwohnsiedlungen wucherten
insbesondere Köln und Düsseldorf in die Außenbezirke.
Der Zeitgeist hatte sich in den Zwischenkriegsjahren
nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg radikal gewandelt. Die Normen und Werte
des „American Way of Live“ hatten sich in weiten Teilen Europas eingenistet.
Die Urbanisierung hatte in den Städten zugenommen, riesige Geldströme und
Kapital ergossen sich über die Metropolen, an der Schnittstelle zwischen
Börsen, Banken und Fabriken. In Bürowelten wurde das Kapital gesteuert, die
Masse wurde zum bestimmenden Faktor in Produktion und Konsum. In der
Stadtlandschaft pulsierte das Leben schneller, Leuchtreklamen vervielfachten
die visuellen Reize, mit den ersten Kinos entstand eine Art von
Vergnügungsindustrie.
Wilhelm-Marx-Haus |
Seit Anfang der
1920er Jahre beschäftigte man sich in ganz Deutschland mit der Frage, ob
Hochhäuser in Deutschland benötigt wurden und ob man dem Trend der
US-amerikanischen Großstädte folgen sollte. Im Rheinland wollten die Stadtplaner
mit Hochhäusern ein Zeichen des Fortschritts setzen, nach Kriegsende wollte man
damit eine Grundlage für einen wirtschaftlichen Aufschwung legen, Unternehmen
sollten daran gehindert werden, in fremde Städte abzuwandern. 1921 wurde die „Düsseldorfer
Bürohausgesellschaft“ gegründet, die die Bürokratie bis zur Baugenehmigung
vereinfachen sollte. Die ersten Hochhäuser im Rheinland
ahmten den Baustil in New York nach,
insbesondere mit der rotbraunen Klinkerfassade. Die Formen von
Fenstern bezog man in die Fassadengestaltung ein, die Hochhäuser bestanden aus
mehreren Gebäudeflügeln, die vorweg standen oder in sich verschachtelt waren. Die
Spitze des Hochhauses schlossen Turmelemente mit einer Aussichtsplattform ab. Arkaden umgaben das Erdgeschoss. Dreizehn Etagen zählte das
Hochhaus, und ein Jahr lang war es das „höchste Eisenbetonwerk in Europa“. 1924
bezog die Börse die Büroräume.
Während der Bauzeit
hatte das Wettrennen mit der Nachbarstadt am Rhein, Köln, längst begonnen. Die
Kölner bauten das Hansahochhaus, das sie nach der Zugehörigkeit der Domstadt
zur mittelalterlichen Hanse benannt hatten. Der Kölner Oberbürgermeister Konrad
Adenauer war eitel und wollte seine Stadt auf Augenhöhe sehen mit anderen
Städten an Rhein und Ruhr. Er suchte Zeichen und Symbolen der Größe. Genau das
konnten Hochhäuser ausdrücken, den Himmel kratzend, zähl- und messbar mit der
Anzahl der Stockwerke und dazu noch schön. Das Hansahochhaus wuchs um weitere
vier Stockwerke in die Höhe, und für ein paar Monate, nach der Fertigstellung
1925, überholte es Düsseldorf. Es heimste den Titel des „höchsten
Eisenbetonwerks in Europa“ ein, es wurde danach von einem noch höheren
Wolkenkratzer in einer anderen europäischen
Metropole überflügelt, dessen Namen ich nicht recherchiert habe.
Wilhelm-Marx-Haus |
Den Stolz konnten
sich die Architekten des Hansahochhauses nicht verkneifen. Sie schwärmten 1926:
„Das mächtige Bauwerk, sowohl im Gesamtgebilde der Stadt wie aus nächster Nähe
betrachtet, hinterlässt einen schönen Eindruck. Seine wuchtige, schlichte Form
passt sich außerordentlich gut seiner Zweckbestimmung ab und verträgt sich
überraschend gut mit den in nächster Nähe aufragenden Türmen des Kölner Doms …“,
so beschrieben sie im Zentralblatt der Bauverwaltung des Deutschen Reiches, wie harmonisch sich der
Monumentalbau in die Umgebung einfügte.
Schräg und kurios, so
klingt es tatsächlich, was ein Gärtner aus Paris in der Architektur bewegt hat.
Es war nicht die Schönheit der Pflanzen oder der Gartengestaltung, sondern die
Schönheit des Betons, die, aus heutiger Sicht, paradoxerweise schöne Formen
gezeigt hatte. Glatt, unterschiedlos und voller emotionaler Kälte sind heute
die Formen von Bürotürmen, die sich in die viereckige Schachbrettform der
Düsseldorfer Innenstadt einfügen oder entlang der Kölner Rheinuferstraße. Die
Architektur hat sich überdreht und wuchert unsystematisch in die Höhe. In Hast
und Eile schieben sich die Menschenmassen durch die Häuserfluchten.
Augenblicke verflüchtigen sich so schnell, dass sie nicht mehr greifbar sind.
Ein wenig komme ich mir dort vor wie „der Tramp“ aus dem Film „Lichter der
Großstadt“ von Charlie Chaplin. Mit Bündeln von Geldscheinen in der Hand fühlte
er sich abgestoßen von den Menschenmassen, ziellos flüchtete er in die
Häuserschluchten hinein und aus den Häuserschluchten hinaus, er rang um
menschliche Zuneigung, bis er verhaftet wurde.
Er wurde
freigelassen, und ein blindes Mädchen, das Blumen verkaufte, verliebte sich in
ihn und schenkte ihm ihre menschliche Wärme.
Manchmal können sie schön aussehen, aber was ich absolut nicht mag sind Bettenburgen an der Playa ;-)
AntwortenLöschenWünsche dir einen schönen Wochenstart und sende herzliche Grüsse
N☼va
Ich mache mal den Banausen - mir schlägt das Herz seit Jahrzehnten höher, wenn ich den "Klosterfrau-Saturn"-Turm sehen, weil ich da früher jährlich zu meinen LP-Beutezug ausrückte. Zu CD/DVD-Zeiten ist es schwächer geworden, dennoch: Zweimal im Jahr ist "Pilgerreise" angesagt - damit Geld unter die Leute kommt - jeder hat so seine Kultstätten.
AntwortenLöschenIch wünsche eine gute Woche, hier momentan ganz große Winter-Rückkehr - war schon schippen!
Vom Gärtner aus den Tuilerien habe ich noch nie etwas gehört, wie befremdlich, von ihm hätte ich eher etwas im Jugendstil erwartet. Ich liebe ja Schnörkel und alles Florale, aber auch Hochhäuser haben manchmal etwas schönes an sich. Funktionalität und Schönheit ist schon seit dem 19. Jahrhundert ein wichtiges Thema für Künstler, Designer und Architekten.
AntwortenLöschenWobei im Ostblock wurden Plattenbausiedlungen auch als die Krone des Fortschritts und der Modernität verkauft. Die Wohnungen damals waren total begehrt - heut will sie keiner haben.
Wünsche Dir einen guten Start in die neue Woche!