Die ersten beiden Begegnungen mit Bonn waren
verkorkst, misslungen beziehungsweise geistesabwesend.
Verglichen mit anderen Dichtern und Denkern, kann
man mit Fug und Recht behaupten, dass der Rhein nicht zu den erstrangigen
Reisezielen Goethes gehörte. Von einer Romantik des breiten Stroms mit seinen
Burgen findet sich ungefähr nichts in seinen Werken. Andere Ziele trieben
Goethe an. Zwei Jahre lang tingelte er durch Italien, er sog die Antike, das
Mittelalter und die Renaissance in sich hinein wie kein anderer. Italien
bezeichnete Goethe als seine eigene Wiedergeburt, und danach war er so randvoll
mit Ideen und Inspirationen, dass Romane und Dramen nur so aus ihm heraus
purzelten.
Mit dem Rhein hatte Goethe auch deswegen wenig zu
tun, weil er sozusagen in seinem Zweitjob Dichter und Denker war. Er übte einen ordentlichen Beruf aus, also einen Beruf zum Geldverdienen, auf dem er sein Leben als Künstler aufsetzen konnte. Goethe hatte ab 1765 in Leipzig Jura studiert, danach war er ab
1771 in Frankfurt in einer Anwaltskanzlei tätig, ab 1775 wurde er im Herzogtum
Eisenach-Sachsen-Weimar zum Minister ernannt. Dort war er für Bergbau und
Wegebau zuständig, später wurde er sogar Finanzminister.
Goethes Reisen an den Rhein hatten ihn ins
Rhein-Main-Gebiet geführt, als er in seiner Frankfurter Anwalts-Kanzlei tätig
war, und an den Oberrhein, als er eine Zeitlang in Straßburg studierte. Der
Rhein war somit für ihn eine Begleiterscheinung, kein zwingendes Muß, aber
dennoch lernte er das Rheinland schätzen.
Wenn man Goethes Rheinreisen zusammenzählt, kommt
man auf insgesamt acht längere Rheinreisen. "Ich
sah den herrlichen Rhein", so schrieb Goethe in sein Tagebuch, und er war überwältigt
von "der großartigen Landschaft, von Landesgröße und Wasserfülle".
Es war weder Köln, noch Bonn, noch die rheinische Burgenromantik, die Goethe in
einer gewissen Regelmäßigkeit ins Rheinland führte, sondern Düsseldorf. Fritz Jacobi war Philosoph,
Jurist, Kaufmann und Schriftsteller, er bewohnte ein Landgut bei Düsseldorf und
seine Freundschaft mit Goethe pflegte er über mehrere Jahrzehnte. Auf einer
Reise nach Genf hatte er Jean Jacques Rousseau mit seinen Ideen der Aufklärung
kennen gelernt. Um Jacobi bildete sich ein Kreis von Dichter und Denkern, die
zu Denkern der Aufklärung wurden, das waren unter anderem Basedow und Lavater.
Sie schrieben eigene Schriften zur Aufklärung und trafen sich in Düsseldorf in
regelmäßigen Zyklen, um ihre Gedanken auszutauschen. Goethe war in diesem Kreis
herzlich willkommen.
Geistesabwesend war Goethes erste Begegnung mit Bonn.
Im Juli 1774 fuhr er mit eben diesen beiden Aufklärern Basedow und Lavater auf
einem Schiff nach Düsseldorf. Das Schiff legte am Rheinufer an, und die beiden
wollten dem 25-jährigen, der mit „Götz von Berlichingen“ einen ersten Ruhm erlangt hatte, die Stadt am Rhein zeigen. Aber Goethe war, bedeckt
mit Mantel, Hut und einem Tuch, in der schwerfälligen Mittagshitze
eingeschlafen. Als die beiden das Tuch anhoben, um ihn zu wecken, lautete sein
einziger Kommentar: „Mach wieder zu“. Die träge Mittagssonne hatte somit Goethe
vollends umnebelt.
18 Jahre später, war die zweite Begegnung mit Bonn
nicht viel versprechender. Diesmal ruderte er auf einem Boot mit Fährmann und Diener
rheinabwärts, um wieder einmal die Gebrüder Jacobi in Düsseldorf zu besuchen.
Es geschah Ende Oktober 1792, als die drei einen weiteren Ruderer aufnahmen.
Doch die beiden Ruderer stritten und zankten sich unablässig, bis der eine
Ruderer den anderen ins Wasser stieß. Nur mit Mühe fischten die drei den Ruderer
wieder heraus. Auf seinen Wunsch legten die drei in Bonn an, damit er sich bei
klammen Herbsttemperaturen trockene Anziehsachen besorgen konnte. Da das Boot heftig Schlagseite genommen hatte,
war Goethe ebenso klatschnass geworden. Er übernachtete einem Wirtshaus,
trocknete dort seine Habseligkeiten, und am folgenden Tag machte er sich so
schnell wie möglich aus dem Staub.
Goethes dritte Begegnung mit Bonn verlief deutlich
entspannter. 1815, als das Rheinland beim Wiener Kongreß Preußen zugeschlagen wurde,
kam der Freiherr vom Stein am Hof von Eisenach-Sachsen-Weimar auf Goethe zu. Er
beauftragte eine „Begutachtung des rheinischen Kunst- und Bildungswesens und
der dortigen Altentümer“. Das war ein Auftrag, der ganz im Sinne des
mittlerweile 66-jährigen Goethe war. Er hatte den Drahtseilakt hingekriegt, gleichzeitig
Minister und Dichter und Denker zu sein, all seine Eindrücke aus seinen
Italien-Reisen hatte er ausgespeichert, in seiner Freundschaft mit Schiller war
er zum Sinnbild der Weimarer Klassik geworden.
Gemeinsam mit dem Freiherrn vom Stein erkundete er
das Rheinland. Am 24. Juli 1815 erreichte er Köln, den 27. und 28. Juli
widmeten die beiden gemeinsam mit dem Kölner Maler Heinrich Fuchs der Stadt
Bonn.
Als Goethe auf dem Alten Zoll spazierte, notierte er in
seinem Tagebuch: „Man muss gestehen, dass die Aussicht entzückend ist. Der
Rhein und das Siebengebirge links, eine reich bebaute und lustig bewohnte
Gegend rechts, man vergnügt sich so sehr
dieser Aussicht, dass man sich eines Versuches, sie mit Worten zu beschreiben,
kaum enthalten kann.“
Danach besichtigte Goethe die Kirchen, das war die
Münsterkirche und die Kirche St. Gangolf, die mit dem Abbruch von Kirchen in
der französischen Besatzungszeit nur noch eine Ruine gewesen sein dürfte. Er
besichtigte die Überreste aus der Römerzeit, und ausgiebig viel Zeit nahm er
sich, den Kunstsammler Kanonius Pick kennen zu lernen.
In seinen Tagebüchern nimmt Kanonius Pick einen
breiten Raum ein: „Dieser heitere und geistreiche Mann hat alles und jedes, was
ihm altertümlich in die Hände kam, gewissenhaft gesammelt, welches schon ein
großes Verdienst wäre. Ein größeres hat er sich aber erworben, dass er, mit
Ernst und Scherz, gefühlvoll und geistreich, heiter und witzig, ein Chaos von
Trümmern geordnet, belebt nützlich und genießbar gemacht hat.“ Goethe schreibt ausführlich
über Portraits, Landschaften, Kupferstiche, Münzen, Drucke, Manuskripte.
Kanonius Pick hat sogar eine eigene Hauskapelle mit alten Glasfenstern besessen.
Goethe äußerte sich wohlwollend, ob Bonn der
Standort einer Universität innerhalb des neuen Preußischen Staatsgebietes
werden könnte. Bonn wetteiferte mit Köln, Düsseldorf und Duisburg. Wie die
Geschichte lehren sollte, sollte Bonn die anderen Metropolen aus dem Rheinland
überholen, wobei nicht bewiesen werden kann, welchen Anteil Goethes Sichtweise
an der späteren Entscheidung hatte.
Ein Gedicht entstand als Bleistiftnotiz auf einem
Zettel während seines Bonner Aufenthaltes:
„Locken, haltet mich gefangen
In dem Kreise des Gesichts.
Euch geliebten braunen Schlangen
Zu erwidern hab’ ich nichts.
Nur dies Herz, es ist von Dauer,
schwillt in jugendlichem Flor.
Unter Schnee und Nebelschauern
Rast ein Ätna dir hervor.
Du beschämst wie Morgenröte
jener Gipfel ernste Wand,
und noch einmal fühlt Hatem
Frühlingshauch und Sommerbrand.
Schenke her ! Noch eine Flasche.
Diesen Becher bringe ihr.
Diesen Becher bringe ihr.
Findet sie ein Häufchen Asche,
sagt sie. „Der verbrannte mir.““
Es findet sich wieder in der Gedichtsammlung des
west-östlichen Divans.
Es gibt keinen Zweifel: das Rheinland hat Goethe
inspiriert. Nicht alles war verkorkst, misslungen, geistesabwesend. 1818, als
die Universität Bonn gegründet wurde, verschmolzen Dichtung und Wahrheit mit
der ersten Generation der Bonner Professoren. Bereits alternd, hielt Goethe
regen Kontakt. Viele Briefe mit den Professoren haben sich in der
Handschriftensammlung der Universität erhalten.
Sehr interessant, lieber Dieter!
AntwortenLöschenIch wußte zwar, dass Goethe ein sehr nahes und begeistgertes Verhältnis zu Italien hatte, aber icht, dass sein Verhältnis zum Rheinland zunächt eher verkorkst gewesen ist. Letztendlich war es aber Liebe auf den zweiten oder dritten Blick. und das ist ja auch schön! Manchmal braucht mal halt ein bisserl mehr Zeit, um eine Landschaft ganz und gar zu schätzen.
Herzliche rostrosige Lachfaltengrüße,
Traude
(¸.•´..¸.•´¸.•*´) ¸.•*¨) ¸.•´¸.•*´)
Eine schöne Recherche über Goethe und sein Verhältnis zum Rheinland. Er hat es halt etwas später zu schätzen gelernt. :-)
AntwortenLöschenLiebe Grüße und dir eine schöne neue Woche
Christa