Mittwoch, 11. Februar 2015

Holzweiler und Braunkohletagebau

Hinweisschild nach Holzweiler
Die Umgehungsstraße zerrann in der Unscheinbarkeit der Landschaft, die sich in der Müdigkeit des frühen Morgens bequemte. Die Felder, farblos, konturlos, ausgezehrt vom Winter und wie glatt gestrichen, harrten in der flachen Ebene aus. In der Ferne gelang es den Windrädern nicht, sich von der Allmacht des Einheitsgraus zu befreien. Der Sprühregen tastete auf die Windschutzscheibe wie ein unsichtbares Netz. Unsichtbar war auch die feuchte Schicht, die die Straße, den Grünstreifen, den Straßengraben und den Erdboden bedeckte.

Ich bog ab. Vor dem Autobahnkreuz Jackerath hatten meine Blicke in den Braunkohletagebau hinein gespäht, wo mich Vorstellungen und Ahnungen überfielen, welche Löcher sich in die mondartige Landschaft gefressen hatten. Nun war ich überrascht, wie schnell die Landschaft in eine Unberührtheit gewechselt hatte, die trügerisch war. Ich schaute auf Immerath, das, wenn die Planungen sich bewahrheiten sollten, 2017 von der Landkarte verschwinden sollte. Noch begehrten die grauen Türme der St. Lambertus-Kirche auf gegen den Tagebau, genauso wie die umliegenden Ortschaften Kuckum, Keyenberg, Berverich, Ober- und Unterwestrich, die noch standen, zum Abbruch frei gegeben waren, die sich zunehmend leerten und zu Geisterdörfern wurden.

Ich bog abermals ab, diesmal nach links in die alte Landstraße, die Immerath mit Holzweiler verbindet. Baumreihen, hastig dahin geschmissen am Straßenrand, scharten sich in Zweier- und Dreierreihen zusammen. Das nackte Geäst drückte gegen den bleiernen Himmel. Die Unebenheiten auf der Straße federte unser Auto locker ab, ohne dass es ruckelte und zuckelte, und dann stand dieser einstige Eintausendsechshundert-Seelen-Ort Holzweiler vor mir, der seinen Widerstand gegen den Braunkohletagebau bis vor das Bundesverfassungsgericht getragen hatte.

Für eine Weile tauchte ich hinein in einen Mythos, in Heldentum und Bereitschaft zum Kampf. Es war ein Kampf von David gegen Goliath, ein Zwerg gegen den Riesen, Umweltschützer gegen die RWE Power AG, vormals Rheinbraun. Dem Namen ihrer Tochtergesellschaft treu, strotzten die Braunkohlebagger vor Kraft, und diese Monster, so schwer wie 400 LKWs, fraßen sich in die Tiefen des Erdreichs hinein, verfrachteten Schichten und Flöze des schwarzen Goldes auf Förderbänder und Züge, damit Braunkohlekraftwerke vor sich her qualmen konnten und Geräte und  Steckdosen in unseren Häusern mit Strom versorgen konnten.




Ortsmitte Holzweiler
Dorfplatz (oben links), Kriegerdenkmal (oben rechts),
Kirche (Mitte), Haus zu verkaufen (unten)
Steinstraß, Kerpen-Mödrath oder Bedburg-Königshoven, das waren die größten Orte, die umgesiedelt wurden, insgesamt waren es rund fünfzig Dörfer, aber auch Kleinst-Ortschaften und Gehöfte. Kollatereralschäden von Umsiedlungen wurden bewusst in Kauf genommen, das war schon immer so, und bis in die Gegenwart gingen die Dinge ihren gewohnten Gang, indem sie über den Faktor Geld abgewickelt wurden. Also eine großzügige Entschädigung ausschütten, die Ortschaft räumen, dann wegbaggern, Neuansiedlung, Wiederaufbau. Was blieb den Einwohnern auch anderes übrig ?

1926, als erste Umsiedlungspläne für Hürth-Berrenrath gedacht wurden, tickte die Braunkohlewelt noch anders. Zur Enteignung kam es in Hürth-Berrenrath – vorläufig – nicht, da das aus der Preußenzeit stammende „Allgemeine Berggesetz“ das Privateigentum schützte und nicht antastete, was auch für den Braunkohletagebau galt. Das änderte sich 1937 unter den Nationalsozialisten. Sie hoben dieses Verbot auf, und auch in der Bundesrepublik blieb es dabei, dass bei "überwiegenden öffentlichen Interessen" auch Wohn- und Betriebsgrundstücke abzutreten waren. Seitdem predigte die Justiz gebetsmühlenartig, dass die Stromversorgung ein öffentliches Interesse darstellt, so dass es keinerlei Sinn macht, mit Umsiedlungen im Rahmen des Braunkohletagebaus Gerichte zu beschäftigen.

1987 nahm das Schicksal des Braunkohletagebaus Garzweiler II, westlich der Autobahn A44 von Aachen nach Düsseldorf gelegen, seinen Lauf. Zehn Jahre später, 1997, konkretisierten sich die Planungen, als das Bergamt Düren den "Rahmenbetriebsplan Garzweiler II" genehmigte und dieses Gebiet zum Kohletagebau freigab.

Die Opferbereitschaft, ihre Heimat für Strom und Braunkohle zu opfern, sank indes bei den 8.000 Einwohnern, die umsiedeln mussten, in den betroffenen vierzehn Dörfern. Sie klagten an, dass sie mit Geld ruhig gestellt wurden, während Heimat, gewachsene Dorfstrukturen, gewachsene Nachbarschaften, Vereinsleben, Natur und Harmonie unwiederbringlich zerstört wurden. „Ja zur Heimat – Stopp Rheinbraun“ – diese Protestschilder wurden zum Sinnbild ihres Widerstandes. Sie protestierten, demonstrierten auf Fahrrädern, bildeten eine Fackelkette entlang der Tagebaukante, sie belagerten den Düsseldorfer Landtag.

Mit den Gesetzen war es aber wie so oft, wenn sich der kleine Mann auf Recht und Gesetz berufen will: Gesetze scheinen nur für die Mächtigen der Republik gemacht, die mit der Regierung Hand in Hand zusammen arbeiten, und diese Zweisamkeit aufzubrechen, gleicht einem Versuch, einen Bunker aus Beton mit Hammer und Meißel aufstemmen zu wollen. So bissen sich selbst die Grünen, die siebzehn lange Jahre in Nordrhein-Westfalen mitregierten, die Zähne am Braunkohletagebau aus, ohne etwas zu bewegen. Den Braunkohletagebau kaputt zu reden, war ein Tabu, denn er ist der Wirtschaftsmotor in NRW und bedeutet an die 2.000 Arbeitsplätze.

Dass Holzweiler eine Erfolgsgeschichte des Widerstands geschrieben hat, sieht man dem Dorf nicht an. Noch nicht. Am Dorfplatz sind die Rolläden an manchen Häusern dicht. „Zu kaufen S-Immobilien“ belegt das weiße „S“ der Sparkasse auf rotem Untergrund, dass Immobilien nicht der Bestimmung des Untergangs entgegensehen, sondern wieder zu haben sind. Dass das Leben nicht ausgehaucht ist, sieht man dem Haus Krummen an. Bierreklame und Deutschlandadler in schwarz-rot-gold über dem Eingang, erwartet die Gaststätte Gäste. Im Frühjahr oder Sommer werden sie sicherlich zahlreicher sein, denn Tische und Stühle für den Biergarten warten im Hinterhof. Die Geste des Soldaten auf dem Kriegerdenkmal trifft die Symbolik des Widerstandes: vom Sockel richtet er einen Pfeil gegen einen Gegner, der Pfeil stößt ins Leere, aber der Soldat ist entschlossen zum Kampf, selbst wenn der Kampf gegen Windmühlen ausgetragen werden muss.



Immerather Dom (oben links), Abbruchkante bei Immerath (oben rechts),
Quelle: www.angelikadiesunddas.blogspot.de
Blick von der Aussichtsplattform Jackerath (Mitte),
Braunkohlekraftwerk Niederaußem (unten)
Holzweiler atmet auf, seitdem einsame Kämpfer ihren Kampf gegen übermächtige Gegner durchgehalten haben. Es war auch der Idealismus eines Einwohners von Immerath, der den Bund für Umwelt und Naturschutz dazu brachte, in den 1990er Jahren eine Wiese zu kaufen. Dort pflanzte er Obstbäume, aus dessen Früchten er in guten Jahren einen ausgezeichneten Obstler brannte, den er „Flächenbrand“ nannte. Obschon die Aussichten gegen das gerichtliche Räderwerk, das die Schwergewichte der Wirtschaft im Rücken hatte, gegen Null gingen, klagte dieser Einwohner aus Immerath, da er sein Grundrecht auf Freizügigkeit verletzt sah, und er berief sich auf Artikel 11 des Grundgesetzes.

Es war genau diese Obstwiese, die ein Umdenken in Recht und Gesetz bewirkte, gepaart mit der Energiewende, die zwar noch in den Kinderschuhen steckt, aber ihre Schatten voraus wirft. Der Artikel 11 des Grundgesetzes griff aus Sicht der Richter ins Leere, also war die Genehmigung von Garzweiler II durch das Bergamt Düren verfassungsgemäß. Aber bis zur Enteignung der Obstwiese klaffte ein rechtsfreier Raum, in dem es keine Chance gab, gegen die spätere Enteignung vorzugehen. Die Grundrechte seien zwar gewährleistet, die Richter bemängelten aber genau diese fehlende Rechtssicherheit.

Nach dieser Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichtes wurde der Obstler auf der inzwischen weggebaggerten Wiese seinem Namen gerecht: er entfesselte tatsächlich einen Flächenbrand in der Nordrhein-Westfälischen Landesregierung. Energiewende und Braunkohle passten nicht mehr zusammen, da die Braunkohle den CO2-Ausstoss in die Höhe trieb. Zudem sank mit Windrädern, Offshore-Windparks und Gaskraftwerken der Energiebedarf aus konventionellen Kraftwerken. Die Landesregierung ruderte zurück, indem sie Garzweiler II verkleinerte.

Protestschild "Stopp Rheinbraun"
Holzweiler ist ein Politikum erster Rangordnung. Den Einwohnern, die bleiben dürfen oder zurückkehren dürfen, ist dies vielleicht nicht ganz bewußt. Die Diskussionen werden weitergehen, ob der Tagebau weiter abgespeckt wird. Den Bewohnern aus Steinstraß, Kerpen-Mödrath oder Bedburg-Königshoven wird dies freilich wenig nutzen, denn dort ist alles aus, vorbei, untergegangen, weggebaggert. Energieversorgung ist ohnehin ein absolut heikles Thema. Sichere Energieversorgung ja, Strom aus der eigenen Steckdose ja, ökologisch sauber im Sinne der Energiewende ja, das meinen alle Bundesbürger. Aber bloß nicht vor der eigenen Haustüre. Am besten, man verlagert die komplette Stromgewinnung auf Offshore-Parks in die Nordsee, wo sie niemand sieht. Aber dann müssen Stromtrassen quer durch die Republik von Norden nach Süden gebaut werden. Und diese Hochspannungstrassen will auch niemand haben, also wird wieder protestiert, gestritten, geklagt.

Holzweiler wird weitergehen. Wenngleich der Erfolg gegen den Verlust der Heimat riesig ist. In der Müdigkeit der Landschaft verließ ich Holzweiler. In der Weite der Ebene sackten die Windräder in sich zusammen. Die Fabriktore der Seilerei versteckten sich vor den viereckigen Kästen, die unterschiedslos in die schwammigen Felder übergingen. Am Rande des Ortes überraschten die frühlingsgrünen Container einer Entsorgungsfirma, die dem Einheitsgrau widerstrebten.

Ich kehrte zu der Umgehungsstraße zurück. Der Nieselregen hatte seine erdrückende Variante fortgesetzt. Glücklicherweise erblickte ich die stationäre Geschwindigkeitskontrolle in der 70er-Zone rechtzeitig. Mit meinem Tempo wollte ich gegen die müde Stimmung dagegen halten.

6 Kommentare:

  1. Schon schlimm wenn man das mitbekommt, und ich habe von den Umsiedlungen auch schon einige Fotos und Posts bei Angelika (Dies und Das) gelesen/gesehen. Schon heftig wenn da alles dem Erdboden gleich gemacht wird, selbst so eine alte Kirche die Kriege überstanden hat....

    Glaube dir dass du da auch eine müde Stimmung bekommen hast.

    Viele Grüsse

    N☼va

    AntwortenLöschen
  2. Guten Morgen, habe die Geschichte dieser Dörfer stets verfolgt. Schön, dass du hier erinnerst und nochmals alles aufgreifst.
    Wie immer gut geschrieben.
    Gruß vonner Grete

    AntwortenLöschen
  3. Ein guter Bericht Dieter, Braunkohle und Energiewende passt nicht zusammen.
    Dabei ist am Hamburger Hafen ein neues Kohle Kraftwerk errichtet worden, die Kohle wird von Kolumbien angeschifft.
    Die Kohle wird da oberirdisch abgebaut und dadurch billiger.
    Der Mensch wird schon seine Lebensgrundlage Stück für Stück vernichten.

    Liebe Grüße
    Angelika

    AntwortenLöschen
  4. Hallo Dieter
    Braunkohle und Energiewende passt nicht zusammen? Warum nicht? Das wegbaggern von ganzen Orten ist wenn man betroffen ist natürlich nicht leicht zu verkraften bei uns in der Nähe wehrten sich Bewohner gegen das Aufstellen von Windkraftanlagen zusätzlich zu den schon vorhandenen Anlagen mit geringen Erfolg.
    Ein schön geschriebener Bericht.

    Gruß
    Noke

    AntwortenLöschen
  5. Mein Mann und ich, wir wohnten eine Zeit lang in der Nähe eines anderen Braunkohleabbaugebietes - nämlich in der Nähe der innerdeutschen Grenze. Ich weiß noch, wie erstaunt ich damals war, als ich dieses riesige Gebiet zum ersten Mal sah und von den Umsiedelungen erfuhr. Danke für deinen überaus interessanten und informativen Post! LG Martina

    AntwortenLöschen
  6. Hallo, guter Artikel. Bezüglich CO2-Ausstoß kann ich Humidity Sensors empfehlen. Damit hat man die Kontrolle über die Luftqualität zu Hause :D Lg

    AntwortenLöschen