… hatte Monate zuvor der Landtag von Nordrhein-Westfalen heiß debattiert. Leidenschaftlich
wogten die Argumente hin und her, wie denn die Zukunft von Leverkusen, Porz und
Wesseling und vielen anderen Stadtteilen aussehen sollte. Unter der Drucksache 7/4190,
kurz „Köln-Gesetz“ genannt, bürokratisch in aufgeblähter Form „Gesetz zur Neugliederung der
Gemeinden und Kreise des Neugliederungsraums Köln“, hatte der Landtagsausschuss, der der
Verwaltung Flügel der Effizienz verleihen sollte, einen Vorschlag erarbeitet, welche
Dörfer, Orte, Städte, Gemeinden im Kölner Umland wo und wie verbleiben sollten.
Das war sehr viel Kleinvieh und Kleinmist, bei dem sich die Verantwortlichen zu
verzetteln drohten, aber auch große Brocken wie Leverkusen, Porz und Wesseling
sahen ihrem Schicksal entgegen. Die Landtagsabgeordneten mussten entscheiden
über Tausend-Seelenorte wie Auweiler, Esch, Pesch im Kölner Norden. Mancherorts
betrieben sie Haarspalterei: im Westen wurden 130 Seelen aus Marsdorf eingemeindet, im
Norden mussten sich die 180 Bewohner der Siedlung Blechhof nach Dormagen
umorientieren, 20 Einwohner traf es in Dünnwald, die von Leverkusen einkassiert
wurden. Es waren aber auch dicke Brocken dabei, die sich bedroht fühlten, als würden sie von der übermächtigen
Metropole Köln aufgefressen.
Ein bisschen war es ein Kampf auf Leben und Tod. In
Leverkusen hatten Bürgerinitiativen mobil gemacht. „LEV muss leben“, so trugen
Leverkusener Bürger ihre Proteste bis vor den Düsseldorfer Landtag. Leverkusen
durfte nicht untergehen. Leverkusen als Vorort von Köln, das war schlichtweg
unvorstellbar. So kramten die Befürworter von Leverkusen das Argument hervor,
dass Zentren in der Umlandregion gebildet werden sollten. Aus Bayer, jede Menge
Chemie, der Retortenstadt Leverkusen, Opladen und Bergisch Neunkirchen kneteten
die Verantwortlichen dann dieses Gebilde der kreisfreien Stadt Leverkusen am
grünen Tisch zusammen. Die Leverkusener Bürger sollten sich also durchsetzen.
Einig waren sich alle, dass nichts beim alten
bleiben konnte. In den 1970er Jahren reformiert, stammen die Grenzziehungen von
Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen zuvor noch aus der Preußischen
Zeit, also aus dem 19. Jahrhundert. Klein- und Kleinstgebilde verwalteten sich
mitunter selbst, so dass es unstrittig war, Luft aus dem aufgeblähten
Wasserkopf der öffentlichen Verwaltung heraus zu lassen. Überall wurden Kreise
zusammengelegt, so dass die kommunale Neuordnung auch Köln erfassen sollte. Es
ging um Kostensenkungen, die Stadtplaner konnten ihre Planungen durchgängig
gestalten, Abstimmungsbedarfe bei gemeindeübergreifenden Industriegebieten
fielen weg. Manche Städte fühlten sich benachteiligt, wenn diese für
Arbeitsplätze in den Innenstädten die Verkehrsinfrastruktur bezahlten mussten.
Viele Bürger wohnten aber im Umland und führten dort ihre Steuern ab.
Aber bis wie weit reichte der Ballungsraum Köln ?
Und wo begann das ländliche Umland ? Wie man auch vorging, im Prinzip waren
alle Ansätze gleichzeitig richtig und falsch, wobei die Verflechtungen durch
den Industriegürtel, der linksrheinisch Köln umklammert, diese Grenzziehung
verkomplizierte. Mit diesen industriellen Verflechtungen wurden rasch Stimmen
laut, eine Großstadt zu konzipieren, die sich auf Augenhöhe mit den
Großstadtmetropolen von Berlin, Hamburg und München bewegen sollte. Alle
Industriestandorte, im Süden Frechen, Hürth, Brühl, Wesseling, im Norden
Leverkusen, sollten Köln zugeschlagen werden. Aber die Verantwortlichen bissen
sich die Zähne am Widerstand in der Bevölkerung aus. Frechen, Hürth und Brühl ließen
sie fallen, Leverkusen und Wesseling wurden später Bestandteil des
Köln-Gesetzes.
Die Debatte am 25. September 1974 im Düsseldorfer
Landtag dauerte vier Stunden, sie war heiß und emotionsgeladen. Mit 28
Gegenstimmen und 10 Enthaltungen nahmen die Abgeordneten die Neuordnung des
Kölner Stadtgebietes an. Am Ende der Debatte waren sie sich einig, dass sie
eine Lösung gefunden hatten, in der sie die siedlungsmäßigen Verflechtungen des
Ballungsraums der Stadt Köln in einem stabilen Pendlerraum gefunden hatten. Eigenständige
Mittelzentren wurden beibehalten. Sie waren stolz, Köln ein Stück in die
Richtung der Metropolen München, Hamburg und Berlin geschoben zu haben. Und die
Abgeordneten konnten für sich verbuchen, dass Köln sogar größer als München
war, wenn man nicht auf die Einwohner schaute, sondern auf die 47.000 Hektar,
das war die Fläche des neuen Stadtgebietes.
Den Zuwachs brachten Porz (83.000 Einwohner),
Rodenkirchen (45.000 Einwohner), Wesseling (27.000 Einwohner), Weiden (24.000
Einwohner) und diverse kleinere Stadtteile, die die Einwohnerzahl über die
Eine-Million-Marke hievten. Am 1.1.1975 schlug dann die historische Stunde der
neuen Millionenstadt Köln. Hatte Köln im Jahr 1974 noch 830.000 Einwohner, so
stieg die Zahl mit einem Mal auf 1,022 Millionen Einwohner. Ohne eigene
Aktionen, indem sich ein paar Grenzen auf der Landkarte verschoben, erreichte
Köln dieses Ziel, in den exklusiven Kreis der Millionenstädte Deutschlands
aufgenommen zu werden.
Für die Bürger änderte sich so manches. Neue
Ortseingangsschilder, neue Autokennzeichen. Bezirksverwaltungen, Polizeibezirke
und Gerichtsbezirke wurden durcheinander gewirbelt und neu organisiert. Die
Gebühren für Müllabfuhr, Abwasser und Straßenreinigung stiegen. Billiger wurden
hingegen Fahrten mit Bus und Straßenbahn, da sich die Preise für unterschiedliche
Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs nicht addierten. Billiger
wurde auch das Telefonieren, da zum Kölner Ortstarif abgerechnet wurde. Es
herrschten auch Irritationen. Als Kölner Feuerwehrleute auf der Wache in
Wesseling stationiert waren, fuhren sie Verletzte ins Krankenhaus nach
Rodenkirchen, weil sie nicht wussten, dass es in Wesseling ein eigenes
Krankenhaus gab.
Als alle Kölner die stolze Millionenzahl auf ihrer
Brust trugen und als sie sich auf den Karneval eingestimmt hatten, der
themengemäß das Motto hatte „Seid umschlungen, Millionen“, drohte Ungemach. Die
Stadtteile Porz und Wesseling hatten vor dem Landesverfassungsgericht geklagt.
Nun galt es, die Kriterien auseinanderzunehmen, wie die Grenzen des
Ballungsraum Köln gebildet worden waren. Das war nicht ganz einfach, weil
fallweise, Stadt für Stadt, entschieden worden war. Und in der Ganzheit dieses
Ballungsraums gab es Ansätze für Widersprüche.
Der Siedlungsraum von Porz geht nach Köln über, also
gehört Porz zu Köln, das entschied das Landesverfassungsgericht. Das war
bitter, denn Porz war erst 1951 selbst zur Stadt geworden. Die Porzer schimpfen
gerne über die Kölner, da Eil, Urbach und Grengel mit ihren Hochhaussiedlungen häßlich
geworden sind und in sich zerrissen sind, nachdem sie von Köln eingemeindet
worden waren. Viele Einwohner empfinden sich bis heute in ihrer Identität nicht
als Kölner, sondern als Porzer.
Wesseling hingegen wurde ein Erfolg vor dem
Landesverfassungsgericht beschert. Wesseling verwies auf den Norden Kölns, wo
die Industriestruktur ähnlich ist. Worringen gehört zu Köln, außerhalb der
Stadtgrenze erstrecken sich die Bayer-Werke, dann folgt die Stadt Dormagen, die
zum Kreis Neuss gehört. Die Abfolge der südlichen Stadtgrenze sieht genauso
aus: erst Godorf, das zu Köln gehört, dann die Ölraffinierien und mit
gebührendem Abstand Wesseling. Wesseling triumphierte.
Das Landesverfassungsgericht bestätigte im Dezember
1975 die Verfassungswidrigkeit, Wesseling nach Köln einzuverleiben. Bis zum Juni
1976 räumte das Verfassungsgericht dem Gesetzgeber eine Frist ein, den
vorherigen Zustand wiederherzustellen. So wurde Wesseling zu einem
anderthalbjährigen Zwischenspiel im Kölner Stadtgebiet. Und wer nachrechnet,
der wird zu dem Ergebnis kommen, dass Köln ab diesem Zeitpunkt den Status einer
Millionenstadt wieder verloren hatte.
Bis auf weiteres blieb dies auch so, weil die
Bevölkerung in ihrer demografischen Entwicklung sank. Das änderte sich erst vor
wenigen Jahren, nämlich 2010, als die Domstadt mit 1.007.119 Einwohnern die
magische Zahl von einer Million erneut überschritt. Die meisten Kölner werden
ohnehin mit Gelassenheit registriert haben, ob die Einwohnerzahl ihrer Stadt
diesseits oder jenseits der Millionengrenze gependelt hat. Das Motto des Karnevals
im Jahr 1975 hatte jedenfalls gepasst: es waren wirklich Millionen, die im
Kölner Stadtgebiet umschlungen werden konnten.
Ja, die Politik - manchmal müssen schwerwiegende Entscheidungen getroffen werden. Ich wohne in einem kleinen Ort mit unter 2.000 Gemeindegliedern. Bei uns geht es in den nächsten Tagen um den Standort unserer Grundschule. Wie es aussieht, wird sie wohl demnächst geschlossen und unsere Kinder/Enkel müssen ein paar Kilometer weiter die Schule besuchen. Die Eltern sind sehr aufgebracht. Mal sehen, wie die Sache ausgeht. Manche Entscheidungen sind halt schlecht nachvollziehbar, lassen sich aber wohl manchmal nicht vermeiden! LG Martina
AntwortenLöschenHallo Dieter,
AntwortenLöschenBielefeld ist auch hauptsächlich wegen der vielen Eingemeindungen eine Großstadt geworden.
Dank der Nostalgie-Autokennzeichen können sich jetzt eingemeindete Bürger ihr altes Kennzeichen wiederholen, aber das ist auch nur ein Luxusproblem. ;-)
VG
Elke