Nieuwkerke, eigenes Foto 1984 |
Flandern betrachte ich als eine persönliche Angelegenheit,
seitdem ich es einst von Nord nach Süd, von Ost nach West, aus allen
Himmelsrichtungen überquert hatte. Großeltern oder Urgroßeltern kenne ich
nicht, die auf den Schlachtfeldern Flanderns getötet wurden. So mancher Ort in
Flandern hat sich in mein Gedächtnis eingegraben, so Nieuwkerke. Ich hatte den
Grenzfluss nach Frankreich, die „Lys“ oder „Leie“, überquert, und das
Gelände stieg an, nach Nieuwkerke. Auf
den Hügeln spürte ich diese unermeßliche Ruhe, Ausgeglichenheit, Entspannung, Stille,
Idylle, Friede, Natur, Glück. Einige Kilometer weiter kam dann der Schock, als
ich den Gipfel des Kemmelbergs erreicht hatte. Das weiße Monument eines
Soldatenfriedhofs baute sich auf, weiße Kreuze reichten bis zum Horizont. Meinen
Blick auf so viele Kreuze gerichtet, erzeugten die Gefallenen des Ersten
Weltkrieges einen Abscheu dieser Urkatastrophe. Wieso niemand die Reißleine
gezogen hat und die ins blinde Verderben rennenden Soldaten aufgehalten hat, das konnte ich nicht verstehen. Selbst aus heutiger Sicht bin ich wütend, wieso Intellektuelle wie beispielsweise der Soziologe Max
Weber ins Schwärmen gerieten: „ … der Krieg verleiht dem Krieger eine konkrete
Sinnhaftigkeit und etwas Einzigartiges: In der Empfindung eines Sinnes und
einer Weihe des Todes, wie sie ihm nur eigen ist.“
Verbrüderung von Soldaten 1914, Quelle Michael Jürgs |
Und ich nehme es auch persönlich, wenn Textpassagen
von Schriftstellern wie Thomas Mann oder Alfred Döblin in eine ähnliche
Richtung gingen und den Krieg letztendlich befürworteten. Urteilen konnten sie
nur aus einer sehr hohen Flughöhe. Zweifellos finden sich auch nach 1914
gegenteilige Stellungnahmen. Sie hatten wohl damit gerechnet – wie alle
Soldaten – dass der Feldzug in wenigen Monaten entschieden sein würde. Nachdem
die deutschen Truppen im September 1914 sich bis auf 50 Kilometer an Paris
angenähert hatten, waren sie zurückgeschlagen worden. Im Dezember 1914 war nun die
Kriegsfront auf einer Länge von mehr als 400 Kilometern erstarrt, wobei die
Niederungen zum Meer hin von Kanälen durchzogen waren, um die Feuchtigkeit im
Boden über Entwässerungskanäle abzuleiten.
Entwässerungskanäle, Wasser im Erdreich und höher gelegene
Stellungen führten in diesem Abschnitt zu erbitterten Gefechten. Im Dezember
1914 hielten die deutschen Truppen Nieuwkerke und den Kemmelberg, während
Engländer und Franzosen vergeblich anrannten und sich durch Schlamm und Morast
in den vom Wasser durchtränkten Schützengräben
wälzen mussten. Leichen stapelten sich und konnten nicht geborgen werden. Weil
die Soldaten möglicherweise beim Versuch, sterbende Soldaten zu bergen,
umgekommen wären, mussten sie tage- und nächtelang das Röcheln, die Schreie und
den Todeskampf sterbender Soldaten auf dem Schlachtfeld aushalten.
Nieuwkerke auf dem Kemmelberg und Ploegsteert im Tal
der Leie liegen nur wenige Kilometer auseinander. In diesem Frontabschnitt kämpften im Dezember
1914 Deutsche gegen Engländer. Es mussten deutsche Soldaten gewesen sein, die
am Heiligabend begannen, Weihnachtslieder zu singen. Sie sangen: „Stille Nacht,
Heilige Nacht“ und „Oh Tannenbaum“. Von irgendwo her organisierten sie einen
Weihnachtsbaum, ließen Kerzen an ihm brennen und stellten ihn zwischen ihre
Schützengräben.
Soldatenfriedhof auf dem Kemmelberg, eigenes Foto 1984 |
Und an einigen Orten spielten sie Fußball – so in
Ploegsteert. Als Erinnerung enthüllte dort zuletzt der Präsident des
UEFA-Fußballverbandes – Michel Platini – ein Denkmal an dieses historische
Fußballspiel zwischen Deutschland und England im Dezember 1914.
In Diksmuide hatten die deutschen Soldaten bei ihren
Eroberungszügen die Monstranz aus der Kirche geklaut. Nun äußern sie den
Wunsch, die Weihnachtsmesse besuchen zu wollen. Sie gaben die Monstranz zurück
und fanden einen Pastor, der ihnen die Weihnachtsmesse las.
Doch all diese wundersamen Ereignisse waren eng an
das Weihnachtsfest 1914 gekoppelt. Nachdem der Zweite Weihnachtsfeiertag 1914
vorbei war, wurde an vielen Kriegsfronten wieder geschossen. Und auch in den
nächsten Kriegsjahren musste man solche Verbrüderungsszenen vergeblich suchen: sie
wurden nunmehr als Desertation betrachtet, aus Angst vor ihrem eigenen Leben hielten
sich die Soldaten daran, und bis 1918 hatte der Krieg keine Rücksicht mehr auf das
Weihnachtsfest genommen.
Die Situation spiegelt die größten Extreme menschlichen Seins wider. Einerseits ist der Mensch des Menschen Wolf andererseits hat er die Fähigkeit sich "über sich selbst hinauszuheben". Das ist hoffnungsvoll, denn es ist unsere einzige Chance unseren negativen Anteilen Absage zu erteilen, nicht nur in Kriegssituationen, sondern im Alltag.
AntwortenLöschenFrohes Fest für Dich und Deine Familie
aelva
Ich war in den letzten Tagen auch gedanklich bei den Männern in den Schützengräben und den Frauen und Kindern, die das Fest allein zu Hause verbringen mussten. So ein Krieg ist so ein Wahnsinn, dass es nicht zu beschreiben ist. Das sollte sich niemals wiederholen! LG Martina
AntwortenLöschenKrieg ist immer schlimm, aber zumindest ist Weihnachten ein kleines Zeichen der Hoffnung.
AntwortenLöschenEin besinnliches und friedliches Weihnachtsfest im Kreise deiner Lieben und alles Gute für das kommende Jahr wünscht Dir
Arti