Bettler am Wegesrand (1568) |
In den Nachmittagsstunden des 22. März 1572 konnten
die Bewohner der Kölner Altstadt ein bizarres Schauspiel erleben. Acht
„nackedige bueben“, in kümmerlichen Lumpen gekleidet, die zusammen nicht einmal
einen Gulden Wert waren, wurden „bey paren gekoupelt“ als „muessig gengere unnd
muylenstoessere“ von der Polizei und den „clocken“ aus Wohnhäusern in der
Altstadt heraus gefischt, so steht es in den Ratsprotokollen der Stadt Köln.
Der Haufen dieser zwielichtigen und bunt
zusammengewürfelten Gestalten versammelte sich auf der Straße. Das war David
Roesen aus Tournai in Belgien, von Beruf eigentlich Krämer, der beim
Taschendieb erwischt worden war; der Leinenweber Rutger von Gymnich, der im
Fremdenhospital übernachtet und tagsüber gebettelt hatte; Johann von Hillesheim (aus der Eifel), ein
fauler frescher Bursche, war im Hospital aufgelesen und heraus geworfen worden;
Hans Jerguleman aus Ulm, ein gelernter Büchsenmacher, hatte vor allem in
Kirchen gebettelt; Peter Meyer aus Béthune in Nordfrankreich, der eigentlich
Tuchscherer war, hatte in Weinstuben Geld und Kleidung gestohlen; der Bäcker
Leonhart Wale aus Lüttich bettelte und hatte sich bei einer Frau namens Agnes
einquartiert; Leonhardt Junghblueth aus
St. Vith, ein Landsknecht, bettelte und hatte mit seiner Frau Unterschlupf in
einer Scheune gesucht; schließlich Daniell Metz von Weisenheim am Sand in der
Pfalz, ein Bettler und „muylenstoesser“.
Über den Rhein, den Warenaustausch und den Handel,
war Köln im Mittelalter reich geworden. Dabei hatte die Kirche ihre
Machtposition genutzt, um auch die Außenseiter und die Armen in die
Gesellschaft einzubeziehen. Die Kirche suchte danach, den Wohlhabenden
Gelegenheiten zu christlicher Mildtätigkeit zu geben. Dies bedeutete: die
Kirchen riefen die Reichen, Kaufleute, Fürsten, Grafen, Herzöge und
Patrizierfamilien zu Spenden auf, damit Arme und Reiche gleichermaßen den Segen
Gottes erhalten konnten. Im 15. Jahrhundert begann dieses System zu
funktionieren, um ein gewisses Existenzminimum zu gewährleisten. Jeder Mensch
sollte ein Dach über den Kopf haben, Arme sollten nicht verhungern, um Kranke
sollte sich gekümmert werden. Hospitäler und Armenhäuser wurden gebaut, die
dann die Grundversorgung der Armen übernahmen, wenn diese krank waren oder aus
anderen Gründen keiner geregelten Erwerbstätigkeit nachgehen konnten. Darüber
hinaus wurden Arme, deren Grundversorgung nicht sichergestellt war, auf ihrer
Kleidung als Arme gekennzeichnet. Diese Kennzeichnung wurde restriktiv
gehandhabt: die Armen mussten Bürger der Stadt Köln sein, und Nachbarn oder der
Pastor mussten ihr persönliches Schicksal bestätigen, welches zur Armut geführt
hatte. In diesem Fall war das Betteln eine anerkannte Lebensform, da die
Bettler ihren Lebensunterhalt nicht anderweitig aufbringen konnten.
verschiedene Arten der Kunst des Bettelns Zeichnung Hieronymus Bosch um 1500 |
Die Sozialstandards waren im mittelalterlichen Köln
hoch, und die Menschen verhielten sich vom Prinzip her genauso wie in der
heutigen Zeit. Die Menschen wanderten aus Gegenden mit niedrigem Sozialstandard
nach Köln, man könnte auch sagen, dass Köln von Armutsflüchtlingen heimgesucht
wurde. Im mittelalterlichen Sprachgebrauch bezeichnete man diese Armutsflüchtlinge
als „muylenstoesser“. Sie bettelten, waren keine Bürger der Stadt Köln, sie
waren arbeitsfähig, lungerten herum oder gingen keiner geregelten Tätigkeit
nach. Oder sie nutzten die Leistungen von Armenhäusern und Hospitalen, obschon
ihnen diese nicht zustanden, oder sie tauchten schlichtweg in Wohnungen unter.
Die meisten Bettler gingen von Tür zu Tür, sie
standen auf der Straße oder vor Kirchen. Bisweilen nahm das Betteln abstoßende,
aufdringliche Formen an, wenn Bettler in Gottesdienste eindrangen. So störte Greitgen
von Overraedt die Predigt, sie schlug auf einen Messdiener ein und die
Kirchengemeinde musste sie in tumultartigen Szenen wieder aus der Kirche hinaus
werfen.
So wie heute, versuchte man mit Bürokratie und
Vorschriften das Problem in den Griff zu bekommen. Das hatte aber nicht den durchgreifenden Erfolg, den die
Verantwortlichen sich erhofft hatten. So kam die Kölner Bettelordnung von 1473
zustande, die auf Hochdeutsch übertragen so lautet:
„Unsere
Herren vom Rat vernehmen, dass viele Leute, Männer und Frauen, hier in der
Stadt der Bettelei nachgehen., obwohl sie stark und gesund sind und ihr Brot
selbst gut verdienen können. Auch finden sich hier viele „muylenstoesser“.
Deshalb gebieten unsere Herren, dass all diese Gesunden für ihren
Lebensunterhalt arbeiten und dienen sollen, und wer das nicht will, soll sich
schnellstens zur Stadt hinaus machen. Wer sich nicht nach diesem Befehl
richtet, in Köln bleibt und bettelt, den sollen die Gewaltrichter gefangen nehmen
und ein Jahr lang in einen der Stadttürme legen, wo er nur Wasser und Brot
bekommen soll, und danach soll man ihn aus der Stadt jagen.“
Um dies zu überwachen, wurde eigens eine
Ordnungspolizei eingerichtet, das waren die „clocken“. Die Ordnungshüter trugen
ein glockenförmiges Gewand, woraus dann die Bezeichnung „clocken“ wurde. Diese
hatten auch die Befugnis, die Häuser zu betreten und dort nach „muylenstoessern“
zu suchen.
Unterstützt wurde das System von Ordnungsstrafen
durch den Bau von Zuchthäusern. Diese Strafvollzugsform wurde aus Amsterdam
übernommen und wurde auf jugendliche Kriminelle angewandt, indem diese ihre
Strafe in Form von Arbeit abbüßten.
Heutzutage fürchten Ladeninhaber um den Ruf ihrer
Einkaufsmeilen, wenn sich dort zu sehr Bettler niederlassen. Dann werden sie
aus bestimmten Zonen entfernt, lassen sich anderer Stelle nieder und breiten
sich in einer Art von Ameisen-Strategie wieder aus: einzeln schwärmen sie irgendwann
an ihre alten Plätze zurück, und das Problem der Bettelei wird nur zwischen
Orten hin- und hergeschoben, aber nie bereinigt.
Bettlerzeichen um 1500 |
So war der Abschreckungseffekt der Kölner Bettelordnung
von 1437 begrenzt. Gegenüber den Bettlern befanden sich die Ordnungshüter in
hilfloser Unterzahl, so wie heute etwa Zollbeamte an den Grenzen innerhalb der
EU gegenüber Drogenschmugglern. Köln war reich und Handwerker waren stark
nachgefragt, aber Arbeit in einer solchen Größenordnung, dass alle Bettler
hätten beschäftigt werden können, gab es in den Handwerksbetrieben nicht. So
fiel es den Bettlern nicht schwer, bei ihrer Anzahl ihre Art von
Ameisen-Strategie zu praktizieren. Sie tauchten unter in Häusern, dazu war das
System aus verwinkelten Gassen, Hinterhöfen, Gärten, Schuppen und Bretterverhauen zu unübersichtlich.
Da manche Hausbesitzer nicht viel besser gestellt waren, machten sie gemeinsame
Sache mit den Bettlern. Sie konnten bei ihnen wohnen und sie ließen sie betteln,
wobei sie einen bestimmten Anteil des erbettelten Geldes – oftmals den zehnten
Teil – als Miete bezahlen mussten. Wenn die Bettler in Wirtshäusern
übernachteten, war es üblich, dass auf das Übernachtungsgeld ein – oder mehrere
– „helffgen“ Bier, das sie trinken mussten, angerechnet wurde. So artete so
manche Übernachtung eines Bettlers in einem Zechgelage aus.
Mancher Bettler stellte sich krank – und wurde von
einem Hospitälern aufgenommen. Warf man die Bettler an einem Stadttor hinaus,
versuchten sie es so lange an einem der übrigen Stadttore, bis sie von dort aus
wieder in die Stadt hinein gelangten. Ähnlich dreist waren Bettler, die sich
als Pilger ausgaben. Pilger genossen im Mittelalter Sonderrechte, denn sie
brauchten beispielsweise keinen Wegezoll zu zahlen und oftmals durften sie
kostenlos übernachten. Pilger gaben fälschlicherweise vor, sie wären Pilger –
und sie durften betteln.
Die acht zwielichtigen Gestalten, die in den
Nachmittagsstunden des 22. März 1572 aus der Stadt geworfen wurden, dürften die
Kölner Bürger früher oder später wieder gesehen haben. So wechselte so mancher
Bettler ins Umland von Köln. Zum Beispiel Mery Pontier, aus Paris kommend. Eine
Zeitlang bettelte er in Lüttich, dann kam er nach Köln. Er wurde in einem
Hospital aufgenommen, wo ihn ein „klocken“ aufspürte und aus der Stadt hinaus
warf. Er wanderte nach Bonn. Den Bonnern fiel erst nach rund einem Jahr auf,
dass er mit Betteln seinen Lebensunterhalt bestritt. Kurz darauf flog er aus
Bonn heraus. Dort tat er sich mit zwei Italienern zusammen und kehrte nach Köln
zurück. Dort wurde er im Gefängnis des Stadtturms inhaftiert und als „Wiederholungs“-Bettler
heraus geschmissen. Danach reißen die Quellen ab. Was nicht bedeuten muss, dass
er in Köln niemals mehr gesichtet wurde.
Quelle: Franz Irsigler/Arnold Lassotta: Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker
Quelle: Franz Irsigler/Arnold Lassotta: Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker
So gaaanz gaaanz weit hinten meine ich mich an einen Teil davon zu erinnern. Von daher ein liebes Dankeschön dafür und den wirklich ausführlichen Post über die Bettelordnung. Kann man doch auch wieder mal sehen das sich soviel im Laufe der Jahrzehnte nicht geändert hat ;-)
AntwortenLöschenHab einen schönen Tag und herzliche Grüsse
N☼va
Manches hat Bestand, da gebe ich Nova recht! Vielen Dank für deine Recherche und den ausführlichen Post.
AntwortenLöschenIch habe heute viel Neues bei dir erfahren! LG Martina