Unterführung mit Wandmalerei |
Gäbe es nicht die Stadtwerke, dann würde
die Stadtlandschaft an manchen Stellen in einer heillosen Wüste aus Beton,
Blech und Plastik versinken. Unscheinbare Kästen, rechteckig, platt,
emotionslos, vollgespickt mit der Technik von Stromverteilungen, werden zum
echten Hingucker, wenn sie bemalt sind und die Schönheiten der Stadt zeigen.
Auch an Bushaltestellen hübschen die Wandmalereien die Warterei auf – und
vertreiben die Tristesse. Eine Unterführung wird zum wahren Erlebnis der
Malerei - so in der Fußgängerzone. Und sie erzählt eine Geschichte vom
doppelten Leid und von einer doppelten Zerstörung.
Stiftskirche St. Gertrud in Nivelles; Quelle Wikipedia |
Nach einer Legende machte sie Schluß mit
einer Ratten- und Mäuseplage. Überall krochen Ratten und Mäuse aus Löchern und
Ritzen hervor, sie drangen in Häuser ein, und selbst Scharen von Katzen konnten
die Plage nicht eindämmen. Ratten und Mäuse machten sich über die Felder her,
sie fraßen das Korn, und sie fraßen die Vorräte in den Kellern. In dieser Not
betete Gertrud von Nivelles: mit einem Male verschwanden Mäuse und Ratten
- und sie wurden nie mehr gesehen. Viele Heilige haben ihr Spezialgebiet –
Laurentius schützt vor Feuer, Hubertus schützt die Förster, Rochus schützt vor
der Pest. Und die Heilige Gertrud schützt neben Ratten und Mäusen auch vor
Ungeziefer. Also können diejenigen Haushalte aufatmen, in denen eine Gertrud
wohnt, denn dann haben sie keinen Ärger mit Wespen, Motten, Küchenschaben,
Kakerlaken, Wanzen und all diesen Insektenschwärmen, auf die jeder gut
verzichten kann.
Die Verehrung der Heiligen Gertrud hat
sich von Brabant auch in das Rheinland verbreitet, so in das Kölner
Agnesviertel, nach Düsseldorf-Eller oder nach Essen. Ein Gertrudis-Verein in
Wattenscheid kümmert sich um die Tradition der Heiligen Gertrudis in den Weiten
unserer Republik.
Doppeltes Leid und doppelte Zerstörung
im Zweiten Weltkrieg. 1940 überrollte Hitler die Benelux-Staaten, um sich im
Westfeldzug beim Erzfeind Frankreich zu revanchieren für die Schlappe der
1918er-Niederlage. Belgien geriet dabei zur Spielwiese des Krieges, um im
Aufmarschgebiet Belgiens die Angriffslinien des Heeres frei zu bekommen. Im Mai
1940 wurde die Lage prekär, da es in Nivelles einen Flughafen der belgischen
Luftwaffe gab, wo die Deutschen auch französische Flugzeuge vermuteten. Eine
Aufforderung zur Kapitulation am 10. Mai 1940 ignorierten die Bürger aus
Nivelles. Daraufhin bombardierte die Luftwaffe am 14. Mai 1940 die komplette
Altstadt Nivelles samt der Stiftskirche St. Gertrud aus dem Jahr 1046, die
andere Bauformen hatte als Maria Laach, aber mit ihrem ausladenden Westwerk im
romanisch-ottonischen Stil genauso gigantisch aussah. In diesem Bombardement
ging gleichzeitig der vergoldete Reliquienschrein aus dem Jahr 1298 unter, der
erst 1982 durch einen neuen Schrein aus Silber ersetzt wurde.
Wandmalerei Gertrudiskapelle (1) |
Freude, Joy, Joie – so optimistisch
geleitet die Wandmalerei durch die Unterführung in der Bonner Fußgängerzone.
Das frische Grün des Siebengebirges haftet auf sprödem Beton, das Motto „weil
Flair unbezahlbar ist“ wehrt sich gegen die Ausdruckslosigkeit. Beethoven und
der Rhein tun ihr bestes, die Optik dieser düsteren Stelle aufzuwerten. Es ist
die Kraft der Farben, die den wild daher gekraxelten Buchstaben „Z“ „U“ „M“
Flügel verleiht, so als hätte der blaue Geist aus der Sprühdose ganze Arbeit
geleistet.
Doppeltes Leid und doppelte Zerstörung.
Am 14. Juni 1940 eroberte die deutsche Wehrmacht Paris, mit der französischen
Kapitulation am 17. Juni 1940 dehnte Hitler deutsches Territorium bis zum
Atlantik aus. Mit der Landung in der Normandie schlugen die Alliierten vier
Jahre später zurück. Ohnehin hatte längst der Bombenkrieg auf deutsche Städte
eingesetzt, der auch die Bonner Altstadt nicht verschonte. An eben diesem schicksalshaften
Datum 18. Oktober 1944 ging neben der Bonner Altstadt, in der bis dahin
einfache Bürger, Handwerker, Fischer, Kaufleute und Gewerbetreibende lebten, ebenso
in Schutt und Asche unter wie die Gertrudiskapelle oder auch das originale
Beethovenhaus.
Die Getrudiskapelle hätte mit ihren
Überresten wieder aufgebaut werden können, doch die Verantwortlichen
entschieden anders. Das Gelände wurde aufgeschüttet, um Hochwasserschutz zu
schaffen und mit Wohnhäusern bebaut. Dabei spielte auch das Erzbistum Köln mit,
das um 1950 Gelder zum Wiederaufbau der Gertrudiskapelle bereitstellte. Jahre
danach wusste das Erzbistum Köln nichts mehr von diesen Geldern, die dann
offensichtlich in dunklen Kanälen verschwunden waren. Im Jahr 2010 ist es der
hartnäckigen Initiative des Travestie-Künstlers Curt Delander, dessen familiäre
Wurzeln in die Bonner Altstadt zurückführen, zu verdanken, dass mickrige Reste der Kapelle
noch gerettet werden konnten.
Wandmalerei Gertrudiskapelle (2) |
In diesem Jahr wurde die Wohnbebauung
aus den 1950er Jahren abgerissen und in den Folgejahren durch einen
postmodernen Wohnkomplex, den Rhein-Logen, ersetzt, der ein wenig wie die
Kranhäuser im Kölner Rheinauhafen aussehen sollte, aber neben dem historischen
Ambiente des Alten Zolls vollkommen missraten aussah.
Dazu musste all das, was in den 1950er
Jahren als Hochwasserschutz aufgeschüttet wurde, wieder ausgehoben werden. Das
waren Trümmer und der Schutt aus dem Zweiten Weltkrieg, und Curt Delander
gelang es, Archäologen von der Stiftung Denkmalschutz zu mobilisieren, so dass gebuddelt
werden konnte und die Steinreste seziert wurden. Die Ergebnisse zeigen, wie
wenig sensibel Baubehörden und Architekten hierzulande mit historischem
Kulturgut umgehen. Gesichert werden konnten Steine und Fundamente aus der Zeit
von Römern, Franken und Karolingern, ebenso Überreste, aus denen ein Bildstock
rekonstruiert werden konnte. Um all dies zu sichten, dazu hatten die
Archäologen gerade einen Tag Zeit, nachdem die Ausgrabungen freigelegt worden
waren.
Immerhin: die Suche nach dem gemeinsamen
erlittenen Leid verband die beiden Städte. Curt Delander ging auf die Stadt
Nivelles zu, und als Zeichen der Versöhnung erhielt er eine Kreuzrose, die
zusammen mit Fragmenten aus der Gertrudiskapelle in einen Bildstock auf der
Bonner Vogtsgasse integriert wurde. Und jährlich Anfang Oktober nimmt
das Bonner Frauenmuseum an der Prozession der Heiligen Gertrud in Nivelles.
Dann wird der Schrein der Heiligen Gertrud fünfzehn Kilometer lang auf einem
historischen Wagen, der mit Pferden gezogen wird, rund um die Stadt in Brabant
gefahren.
Ich konnte so schnell keine e-mail-adi von Dir ausfindig machen, daher auf diesem Weg alles Gute für 2015 - mit der fürsorglichen Meldung - heute, ZDF, 12.40 h - DREI MANN IN EINEM BOOT (nur für alle Fälle wollte ich es erwähnt haben) - mach's gut - und bleibe gesund und schreibe weiterhin so interessant.
AntwortenLöschenSpannende Gesichten! Von St. Gertrudis habe ich schon gehört, gewusst habe ich aber nicht viel über sie, und von ihrer Rolle als "Rattenfängerin" erst recht nicht. Gerade Legenden mag ich sehr gerne. Sehr interessant fand ich, das ein Travestie-Künstler sich so für den Erhalt der Kapellen-Reste eingesetzt hat, er scheint irgendeinen Bezug dazu zu haben.
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