Samstag, 14. September 2013

Sebastian Haffner - Preußen ohne Legende

Mit einer früheren Chefin aus Berlin konnte ich es überhaupt nicht. Diskussionen mit ihr liefen beispielhaft wie folgt ab:

Ich: „Ich habe das Problem einmal aus einer neuen Sicht betrachtet. Ich komme da zu entgegengesetzten Ergebnissen.“
Sie: „X und Y haben ein Tool entwickelt und wir haben abgesprochen, dass wir dieses Tool nehmen.“
Ich: "Stimmen denn all die Eingangsgrößen und Rechenregeln ?"
Sie: „Dieses Tool ist von oben abgesegnet und darüber wird nicht mehr diskutiert.“
Ich: „Aber wenn ich zu dem Ergebnis komme, dass wir nach rechts gehen sollen und das Tool kommt zu dem Ergebnis, dass wir nach links gehen sollen ?“
Sie: „Quatsch. Da steckt jede Menge Sachverstand drin. Das Tool nehmen wir. Basta.“

Die Charaktereigenschaften dieser früheren Vorgesetzten umfassten genau das, was ich als preußisch empfand: korrekt, penibel, übergenau, gehorsam, obrigkeitshörig, diszipliniert, ausdauernd, machtbesessen, anordnend, herum kommandierend, durchgreifend, abkanzelnd, überheblich. Durchweg verstand ich dies als abwertend und nicht als tugendhaft. Da ich selbst so ziemlich das Gegenteil dieser Charaktereigenschaften verkörpere, habe ich mich mit Mitmenschen solchen Kalibers stets schwer getan.

Es ist Zeit, mit diesem Bild von Preußen aufzuräumen. Dabei hat mir das Buch „Preußen ohne Legende“ von Sebastian Haffner (1907-1999) geholfen. Er gilt als Koryphäe der deutschen Historiker, wobei sich seine Hauptwerke mit dem Nationalsozialismus befassen. In Berlin beheimatet, dringt er bis zu den Wurzeln des preußischen Ritterordens vor, der Urzelle Preußens. Das war im 12. Jahrhundert während der Ostkolonialisierung.

Ich muss zugeben, dass ich in meiner Sichtweise als Rheinländer gefangen bin. Preußen hat für mich erst 1815 angefangen, als Preußen nach dem Wiener Kongress das Rheinland zugesprochen bekam. Napoleon war besiegt, die Preußen hatten entscheidend zu seiner Niederlage beigetragen. Sie verhandelten eine Gebietserweiterung nach Osten, das sollten Polen und Sachsen sein. Doch die Großmächte Habsburg und Preußen, deren Gewicht stärker war als Preußen, blockierten. Preußen musste sich mit diesem Pufferstaat im Westen zufrieden geben, um im Gleichgewicht der europäischen Mächte Frankreich in Schach zu halten.

Ein englischer Historiker meinte dazu, die Großmächte hätten Schabernack mit den Preußen getrieben. Das Rheinland machte aus dem preußischen Staat einen Flickenteppich mit Schwerpunkten im Westen und im Osten und einem Loch in der Mitte. Solch ein unförmiges Gebilde war schwer zu führen, zu organisieren und zu verteidigen.

Haffner beschreibt Preußen als Mittelmacht, die aus reinem Selbsterhaltungstrieb zum Militärstaat wurde, um im Konzert der europäischen Großmächte England, Frankreich, Habsburg und Rußland mitspielen zu können. Dies gelang Preußen zweifellos exzellent. Mit deutlich kleinerer Bevölkerungszahl, war Preußens Armee im Verhältnis zu den Einwohnern überdimensioniert, um dieselbe Größenordnung wie die europäischen Großmächte zu erreichen und nicht von deren Armeen überrannt zu werden. Steuern und Abgaben waren horrend, um die Armee bezahlen zu können. Dafür subventionierte Preußen Handwerksbetriebe, Manufakturen und Großgrundbesitzer, die bestenfalls diese Gelder an die Bauern weiterreichten.

Nicht nur mit dem Zugewinn des Rheinlandes, auch in den Jahrhunderten vorher war Preußen ein Flickenteppich auf der Landkarte, der auseinandergerissen und teilweise löchrig wie ein Schweizer Käse war. Dieses Gebilde musste straff organisiert sein, die Finanzverwaltung musste den Überblick behalten, die Beamtenschaft musste zuverlässig sein. So erklären sich preußische Charaktereigenschaften, die durchaus positiv belegt sind.

Dabei ist der Grundcharakter Preußens ein rauher Vernunftsstaat. Dieser ist weit weg von den Idealen eines Humanismus, geschweige denn von demokratischen Strukturen. Preußen war stets offen gegenüber den Ideen der Aufklärung – die in Preußen (namentlich Königsberg) insbesondere Immanuel Kant verkörpert hat. Zum Zentrum des geistigen Lebens hatte sich ohnehin Berlin entwickelt. Tieck, Klopstock, von Kleist, Hegel, Fichte, Schelling und andere: Dichter und Denker fanden durchaus ihren Platz in diesem rauhen Vernunftsstaat.

Die Masse des Volkes behandelte der Staat in dieser rauhen Art und Weise. Der Staat definierte sich durch den Auftrag, de er jedem gab, sich in ihn einzuordnen und für ihn tätig zu sein. Er verhieß machtpolitischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Fortschritt auf Basis eines allgemeinen Leistungswillens. Er verlangte absolute Unterordnung und Dienstbereitschaft.  

Bei der feindlichen Übernahme des Rheinlandes 1815 kamen diese rauhen Umgangsformen nicht an. Die Gegensätze in der Mentalität waren so groß, dass sie unüberwindbar schienen. Die Rheinländer waren bürgerlich städtisch, katholisch und hatten lange Zeit unter französischer Herrschaft gelebt. Die Zugehörigkeit zu Preußen war ein Rückschritt, denn die Ideen von Freiheit und Gleichheit und Brüderlichkeit hatten Fuß gefaßt. Der Rheinländer war gewohnt zu diskutieren, Anordnungen von oben waren ihm fremd. Er stellte die Dinge in Frage, nahm nicht alles von Gott gegeben hin. Totalen Gehorsam bis zur Selbstaufgabe kannte er nicht.

Rheinische Intellektuelle wie Heinrich Heine lehnten sich rasch gegen die Preußen auf: „Ich traue diesem Preußen nicht, diesem langen, frömmelnden Kamaschenheld mit dem weiten Magen und dem großen Maule und mit dem Korporalstock, de er erst in Weihwasser taucht, ehe er zuschlägt. Mir mißfiel dieses philosophisch-christliche Soldatentum, dieses Gemengsel von Lüge und Sand. Widerwärtig, zutiefst widerwärtig war mir dieses Preußen, dieses steife, heuchlerische und scheinheilige Preußen, dieser Tartuffe unter den Staaten“.

Die Geburt von Rheinländern und Preußen war bis auf weiteres schwierig. Ab 1866, der Schlacht bei Königgrätz, waren die Karten in Mitteleuropa neu gemischt worden. Preußen hatte Habsburg auf dem Schlachtfeld besiegt, und die Preußen hatten sich die Vorherrschaft in Mitteleuropa gesichert. 1871 geht aus dieser Vorherrschaft das Deutsche Reich hervor. Haffner nennt diese Phase das langsame Sterben Preußens. In dieser Phase trennt Haffner sauber: Militarismus und Patriotimus und Obrigkeitsdenken halten im gesamten Deutschen Reich Einzug. Verantwortlich dafür ist das Kaiserreich, welches nicht deckungsgleich mit Preußen ist. Dabei ist der Preußische Landtag dem Kaiserreich untergeordnet. Preußen stirbt langsam.

Danach bricht eine neue Phase von nationalistischen Bewegungen in Europa an.

5 Kommentare:

  1. Ich fand schon damals, als das Buch von Haffner auf den Markt kam, dieses nicht so gut, wie es gemacht wurde. Preussen und das Rheinland hatten ein sehr spezielles Verhältnis. Dass Preussen langsam starb liegt auch daran, dass das Kaiserreich seine Machtbefugnisse erheblich ausweitete. Guter Beitrag.
    Eine gute Nacht wünscht
    Irmi

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  2. Ein interessanter Beitrag Dieter. Preussen und Rheinland, ein Fall für sich.

    Liebe Grüße
    Angelika

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  3. Hej Dieter,
    dass Teile Frankens ehemals preussisch waren, ist immer noch spürbar. Es blieb eine wenig beliebte Region in bayerischen Landen. Die Benachteiligung der Region rührt natürlich auch von der Grenznähe zur ehemaligen DDR, aber das trennende sitzt tiefer, weil geschichtlich älter.

    Gruß
    Beate

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  4. hallo Dieter
    Ich weiss nicht was ich schreiben soll....
    W[nsche Dir aber einen schönen Sonntagabend
    Liebe Grüsse
    Christa

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  5. Hallo!!
    Ein interessanter Text, zu einem anspruchsvollen Thema. Es gibt viele solcher Gebiete und Überschneidungen. In Berlin sind die Beeinflussungen/ Grenzverschiebungen zwischen Deutschland und Polen noch spürbar. Nach 45 kamen viele Deutsche aus Polen als Flüchtlinge nach Berlin und Umland. In jüngerer Vergangenheit kamen nochmals viele Polen mit deutschen Wurzeln...
    wieczoramatische Grüße, (◔‿◔) | Mein Fotoblog

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