Zur Herbstzeit war es eine nervende Qual, wenn ich in
den 80er Jahren nach Köln fuhr. Die Autobahn A61 war noch nicht fertiggebaut,
und ich musste über die Dörfer bis zur A4 Richtung Köln. Titz, Ameln, Rödingen,
Steinstraß (das heute weggebaggert ist), dann kam die Autobahnauffahrt.
Tückisch wurde es rund um das Kaff Ameln, das in den allgemeinen Schlaf der Dörfer in der Jülicher Gegend verfiel – abgesehen von
der Zuckerfabrik. Zur Herbstzeit tuckerten die Rübenfahrzeuge über die Straßen.
Traktoren verteilten sich gleichmäßig über die Landstraßen, sie schleppten
lange Anhänger hinter sich her, auf denen die frisch geernteten Zuckerrüben –
auch Knollen genannt – sich zu Bergen auftürmten. Magisch zog es sie nach Ameln.
Die Autofahrt wurde auf der schmalen Landstraße zu einem Hindernislauf. Ich
wußte nicht, ob ich abbremsen oder beschleunigen sollte. Wie aus dem Nichts tauchten die Rübenfahrzeuge auf, mit den kantigen Anhängern versperrten sie die Sicht und waren mit ihrer
Länge zum Überholen schlecht kalkulierbar.
Heimtückisch wurden die Rübenfahrzeuge in der
Dunkelheit. Schlecht beleuchtet, musste ich höllisch aufpassen, wenn ich diese
erst im letzten Moment erkannte. Es war überlebenswichtig, die Fahrt langsam
angehen zu lassen. Auf unerwartete Kurven und schlecht geflickte
Schlaglochpisten musste ich genauso aufpassen. Munter formierten sich die
Rübenfahrzeuge vor dem Fabriktor zu einem endlosen Stau.
Was wäre das Rheinland ohne Zuckerrüben ? In der
Jülicher Börde und der Zülpicher Börde erstrecken sich Lößböden, die mit ihrem
hohen Anteil an Mineralien besonders fruchtbar sind. Also ein ideales
Anbaugebiet für Zuckerrüben.
Ich war verblüfft über die Parallele zu den Aachener
Printen, denn auch an der Erfindung der Zuckerrübe war Napoleon mit seiner Kontinentalsperre Schuld gewesen.
Bei den Aachener Printen war es der Wildblütenhonig, hier war es der Zucker,
das aus Amerika importiert wurde.
Bis dahin war Zucker ein unerschwingliches Luxusgut
für Adlige und Reiche. Zucker wurde aus eingedicktem
Zuckerrohrsaft gewonnen und seit der Entdeckung Amerikas in den Kolonien auf
riesigen Plantagen erzeugt. Der Anbau von Zuckerrohr hatte den
transatlantischen Sklavenhandel in Gang gesetzt, da die Ernte und die
Siedehitze bei der Zuckergewinnung härteste Arbeitsbedingungen
darstellten. Ähnlich wie Gewürze war Zucker so wertvoll, dass sich die
Kolonialmächte um Kolonien mit Zuckerrohranbau stritten.
1806, als Napoleon mit seiner Kontinentalsperre gegen
England einen Wirtschaftskrieg anzettelte, kam die Einfuhr von Zuckerrohr zum
Erliegen. Englische Handelsschiffe stoppten die Belieferung Frankreichs mit
amerikanischem Zucker.
Es kam zu Versorgungsengpässen in Frankreich. Dort
wurde die Runkelrübe angebaut, dessen Zuckerhalt aber zu dürftig war, um daraus
Zucker zu gewinnen. 1811 spendierte Napoleons Wirtschaftsminister eine Million
Francs, um Zucker aus heimischen Rübenarten zu gewinnen. Fortab wurde geforscht
und gekreuzt, gezüchtet und veredelt. 1812 war es soweit: am westlichen
Stadtrand von Paris gelang es Benjamin Dellessert, den Zuckergehalt der
Runkelrübe bis auf 20% anzureichern, so dass daraus Zucker gewonnen werden
konnte. Daraus wurde die Zuckerrübe, die in den Jahren danach die Felder
Nordfrankreichs bis ins Rheinland und nach ganz Europa eroberte.
Zuckerfabrik Ameln 1950, Quelle Stadtarchiv Bedburg |
Mit dem technischen Fortschritt gelang es, Zucker
aus Zuckerrüben in Fabriken zu gewinnen. Wenn man den Zuckerrüben bei der
Destillation Knochen von Schweinen oder Rindern beimischte, erhöhte sich der
Reinheitsgehalt des Zuckers. Das technische Allroundgenie Eugen Langen – der auch
an der Entwicklung des Ottomotors und der Wuppertaler Schwebebahn beteiligt war
– erfand einen Knochenkohleofen. 1851 gründete Eugen Langen mit Emil Pfeiffer,
dem Gutsherren des Fronhofes, in Köln-Ossendorf die erste Zuckerfabrik im Rheinland.
Dieses gemeinsame Unternehmen Pfeiffer & Langen besteht bis heute und
beherrscht die Zuckerproduktion im Rheinland. Nachfolgend wurden weitere
Zuckerfabriken im Rheinland gebaut, so in Elsdorf, Bedburg, Wevelinghoven, Jülich, Düren, Euskirchen – und in
Ameln.
1991 hatte der
herbstliche Spuk der Rübenfahrzeuge ein Ende: die Standorte der Zuckerproduktion
wurden konsolidiert und konzentriert, die Zuckerfabrik in Ameln wurde
geschlossen. Danach setzte sich der Trend der rückläufigen Zuckerproduktion
fort. Getrieben durch die Reform des europäischen Zuckersektors im Jahr 2005
schrumpften die Standorte weiter zusammen. Bei meiner Motivsuche,
Zuckerrübenfelder für diesen Post zu fotografieren, hatte ich massive Probleme.
In der Köln-Bonner Bucht gibt es keinen nennenswerten Zuckerrübenanbau.
Rübenfahrzeuge im Herbst sind daher die Ausnahme. Meist sind es auch keine
Traktoren mit Anhängern, sondern richtige LKW-Ladungen, die in die vierzig
Kilometer entfernte Zuckerfabrik nach Euskirchen fahren. Appeldorn, Euskirchen,
Jülich und Wevelinghoven sind die einzigen Fabriken, die im Rheinland übrig geblieben
sind.
Manche spekulieren,
dass es mit der Zuckerproduktion wieder aufwärts gehen könnte. Zucker kann zu
Alkohol vergärt werden, und Alkohol kann zu Bio-Sprit verarbeitet werden. Doch
davon sind wir angesichts der aktuellen E10-Diskussion weit entfernt.
Immer noch lebensgefährlich Dieter, jährlich passieren viele Unfälle mit Rübenfahrzeuge, macht mir immer Angst.
AntwortenLöschenGerade hier sind viele Felder und die Strecke nach Jülich ein Himmelsfahrtkomando. Angeblich sollen die Traktoren besser beleuchtet sein, doch weit gefehlt, in der Dunkelheit schlimm. Ein Trecker und zwei Anhänger hinten dran. Mitlerweile sind sie zumindestens abgedeckt, der größte Teil.
Dein Berich ist interessant geschrieben und erzählt sehr schön die Geschichte.
Liebe Grüße
Angelika
Lieber Dieter,
AntwortenLöschenwieder eine wunderschöne Aufklärung. Habe deinen Beitrag
mit Interesse gelesen. Was bei euch die Zuckerrüben, ist
bei und das Kraut - genau so gefählich.
Einen schönen Tag wünscht Dir
Irmi
Toller Beitrag und auch für mich wieder sehr interessant. So kenne ich diese Gefährlichkeit auch mit anderen Traktoren noch, aber ich kann mir sehr gut vorstellen wie es dann noch auf solch alten Straßen gewesen ist.
AntwortenLöschenWünsche dir noch einen schönen Abend und sende liebe Grüsse
Nova
Zuckerrüben werden bei uns noch angebaut auch eine Zuckerfabrik gibt es im
AntwortenLöschenLandkreis. Eine schöne Aufklärung zum Thema Zucker.
Gruß
Noke
Hej Dieter,
AntwortenLöschenund wieder eine Parallele: bei uns die Zuckerfabrik (Südzucker) in Rain am Lech, Schlangen von Traktoren mit rübenbeladenen Anhängern, die dampfende Fabrik, verschmutzte Straßen,- Herbstzeit!
Gruß
Beate
Lieber Dieter,
AntwortenLöschendas ist mal wieder ein interessanter Einblick! Wobei mich die Sache mit den Rinder- und Schweineknochen irgendwie erschüttert hat, selbst wenn die Beimischung angeblich den Reinheitsgehalt verbessert... so richtig appetitanregend klingt das ehrlich gesagt nicht...
Ganz liebe rostrosige Grüße, Traude
Ja, den Anblick der vielen Zuckerrüben-Trekker sind wir hier drüben zur Herbstzeit auch gewohnt. Hier fahren sie alle nach Euskirchen in die Fabrik :-)
AntwortenLöschenWehmütig brachte ich das Treiben immer ... bedeutet es doch das Ende des Sommers und je nach später Erntezeit sogar den Winter.
LG Frauke
Bald geht die Kampagne los, dann sind wir Euskirchener wieder hart im Nehmen, sowohl was verstopfte Straßen, als auch diesen ganz besonderen Duft angeht. Bei uns gibt es reichlich Rübenfelder. Hier noch der Link zu einem Zuckerrübenfeld mit der Euskirchener Zuckerfabrik
AntwortenLöschenhttp://www.peiter-family.de/Fotogalerie/details.php?image_id=443
Liebe Grüße
Arti
Zum Thema Zucker gibt es bei uns ein Museum, und ein paar Jahre lang wurde eine Kampagne zu diesem Thema und Zahnpflege auf den Straßenfesten durchgeführt. Rübenfelder gibt es in Berlin natürlich nicht, oder sind mir zumindest unbekannt. Nichtsdestotrotz oder gerade deshalb habe ich deinen interessanten Aufklärungs-Text gerne gelesen.
AntwortenLöschenBeste Grüße, Wieczora (◔‿◔) | Mein Fotoblog
Ein sehr interessanter Beitrag. Ich glaube fast, über 'den Zucker' könnte man ein Buch schreiben. Vielleicht gibt es das ja schon. Dein Beitrag zeigt, was alles am Zucker 'hängt' (Sklaven etc.) Im Grunde genommen ist der weiße raffinierte Zucker ja auch gar nicht gesund, weil ihm alle wertvollen Stoffe entzogen sind.
AntwortenLöschenLG, 'Franka'
Interesting and excellent lesson. Really very good!
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