Dann der Aufreger: die Linke will die Revolution.
Endlich eine andere Gangart. Entsprechend der lateinischen Bedeutung „Umsturz“,
trifft die Linke mit ihrer Botschaft ins Schwarze. So blass wie mir die anderen
Parteien vorkommen, kann ich mich dieser Botschaft nicht entziehen. Ja,
flächendeckender Mindestlohn, Altersarmut, die Spaltung der Gesellschaft in
Reich und Arm, Energiewende, bezahlbare Mieten, das sind allesamt Themen, die
mich brennend interessieren und wo ich dringenden Handlungsbedarf sehe.
Gerne packe ich weitere Themen dazu, dass wir
Mobilität und Verkehr nicht in den Griff bekommen, dass ganze Urwälder
abgeholzt werden müssen, damit wir mit Bio-Sprit fahren können, dass die
Niederlande vielleicht irgendwann absaufen, weil wir die Erderwärmung nicht stoppen
können, dass ein Lebensmittelskandal den nächsten jagt, dass Atommüll in Nachbarländern um uns herum
unterirdisch in vielleicht sicheren Behältern fleißig vor sich herstrahlt, dass
wir es trotz steigender Nahrungsmittelproduktion nicht schaffen, die Erdbevölkerung
zu ernähren, dass wir mit unserem Einkaufsverhalten bei Bekleidung dazu
beitragen, dass es Tote in Textilfabriken in Bangla-Desh gibt.
Die Linken haben genau die richtige Wortwahl
getroffen. Einfach mal so weitermachen wie bisher, das geht nicht. In
Bewußtsein der Menschen muss sich vieles ändern. Politiker denken nur
kurzfristig, üblicherweise in Legislaturperioden bis zur nächsten Wahl. Außerdem
mahlen die Mühlen der Politik viel zu langsam. Um diese Problemfelder
abzuarbeiten, brauchen wir Quantensprünge. Und die sehe ich nicht.
Ich wünsche mir sogar ein bißchen 1789, als die
französische Revolution die Machtverhältnisse von unten nach oben umgedreht hatte.
Das Volk stürmte die Bastille, Menschenwürde und Menschenrechte fanden Eingang
in die Verfassung, der König dankte ab. In unserem Staat werden diese
Machtverhältnisse wieder zurückgedreht, wenn Lobbyisten bestimmen, welche Gesetze
der Staat beschließt, wenn Menschenwürde und angemessener Lohn nicht mehr
zusammenpassen oder wenn die Spaltung in Arm und Reich eine Ständestruktur wie
im damaligen Frankreich schaffen. Ich könnte diese Rückschritte auch mit Karl
Marx hinterlegen: der Mensch wird zur Ware, dessen Ertrag vom Verkauf seiner
Arbeitsleistung abhängig ist; Unternehmer sind die herrschende Klasse, die in
die Interessen der Gesellschaft hineinwirken; die Arbeitsleistung des Arbeiters
dient dazu, um die Profitrate des Unternehmers zu erzielen. Die ökonomischen
Rahmenbedingungen lassen solchen Rückschritten freien Lauf.
Obschon mir linke Ideologien schon immer sympathisch
waren, werde ich die Linken nicht wählen. Präsent ist mir die linke Ideologie
seit der 68er-Bewegung. Damals waren die Weltbilder einfach gestrickt: jenseits
des eisernen Vorhangs lag der Kommunismus, das war das Reich des Bösen,
diesseits lag der Kapitalismus, das war das Reich des Guten. Oder ja nach
Standort genau umgekehrt. Links bedeutete auch Kritik am Kapitalismus. Linke
glaubten nicht mehr an diese Wachstumsideologien, dass durch ein schier
endloses Wachstums ein schier endloser Wohlstand erzielt werden konnte.
So einen Rudi Dutschke könnten wir heute gut
gebrauchen. Er hatte die USA an den Pranger gestellt, die sich als
weltpolitische Ordnungsmacht aufspielte und einen unsinnigen Krieg gegen
Vietnam führte. Er rebellierte gegen die imperialistischen Strukturen, die die
Welt durchdrangen und die Dritte Welt ausbeuteten. Er lehnte sich auf gegen
autoritäre Strukturen, die Freiheit definiert er neu. Dutschke mischte die
Gesellschaft auf und sorgte dafür, dass der Kapitalismus in seiner ausbeutenden
Gestalt einen Gegenspieler mit Marx, Lenin und Engels fand. In der ganzen
westlichen Welt waren sie tabuisiert worden, da sie mit Kommunismus gleichgesetzt
wurden.
Die Linke Partei wird kapitulieren müssen, wieviel
Sozialstaat bezahlbar ist. Dennoch ist der Ruf nach einer Revolution nicht
allzu verkehrt, weil wir alles dem Markt überlassen. Politiker glauben an die
Selbstheilkräfte des Marktes so wie die Mediziner an einen gesunden Körper, der
von sich aus gegen alles immun ist und sich selbst regeneriert.
Klar, es gibt sie, die Manager, die ihr Unternehmen
professionell führen. Sie sorgen dafür, dass neue Märkte erschlossen werden,
dass die individuellen Stärken ihres Unternehmens ausbaut werden, dass alle die
Ressourcen ihrer Mitarbeiter wertschätzen und diese angemessen bezahlen. Dort
wirken sich die Selbstheilkräfte des Marktes aus, wenn sich bei klugem,
vorausschauenden Handeln Unternehmen am Markt behaupten können.
Am Beispiel der Mindestlohndebatte betrachtet, macht
es sich der Staat zu einfach, wenn er sich in die Rolle des Zuschauers begibt.
Dann zerbröckelt unser Sozialstaat beziehungsweise das, wofür die
Sozialdemokratie oder die Gewerkschaften jahrzehntelang gekämpft haben. Die
Linke oder einen Rudi Dutschke oder eine Revolution könnten wir gut gebrauchen,
wenn moralische Grenzen bei Scheinselbständigkeit, Leiharbeiter oder Outsourcing
überschritten werden.
Der Staat läßt allzu sehr Fehlkonstruktionen oder Ausbeutungsmechanismen
in unserer Marktwirtschaft zu, die fernab jeglicher Selbstheilungskräfte des
Marktes liegen. Das jüngste Beispiel dazu ist die Deutsche Bahn, das zum
geplanten Börsengang erfolgreiche Unternehmenszahlen sehen wollten. Dazu wurde
Personal abgebaut, wodurch Kosten eingespart wurden. Die Arbeitsmenge war aber
dieselbe geblieben. Dadurch entstanden Überstunden, schlechtere
Qualitätsstandards, Verspätungen, Zugausfälle, verärgerte Kunden, gestreßte
Mitarbeiter an allen Fronten. Unter Ausbeutung begreife ich, wenn
beispielsweise Paketzusteller als Scheinselbständige für umgerechnet 3 € pro
Stunde arbeiten.
Linke Ideologien halte ich durchaus für zeitgemäß,
denn Sozialdemokratie, Christdemokratie, die Liberalen und selbst die Grünen
unterscheiden sich in der Mitte kaum noch voneinander. Ich wage nur zu
bezweifeln, dass sich eine linke Partei so begreift wie ich eine linke Ideologie
begreife. Und die linke Partei wird historisch mit Kommunismus gleichgesetzt,
den ich wiederum auch nicht will.
Du beschreibst diesen schleichenden Prozess eindeutig. Leider stehen die Menschen diesen Mechanismen mit einer Art "Vogel-Strauß- Einstellung" gegenüber, obwohl "Wehret den Anfängen" NOT-wendig ist.
AntwortenLöscheneine verpasste Chance mehr?
Ja Dieter unsere Politik könnte wahrlich etwas frischen Wuind und umdenken vertragen, denn die Probleme sind nicht mehr zu übersehen. Und wie Vogel Strauss den Kopf in den Sand zu stecken hilft auch nicht weiter.
AntwortenLöschenEin interessantes Thema.
Liebe Sonntagsgrüße
Angelika
Dieter du schreibst mir und bestimmt vielen anderen aus der Seele. Treffender kann man es nicht auf den Punkt bringen ! Danke !
AntwortenLöschenEine Revolution - welcher Art auch immer - wird es hier in Deutschland so bald nicht geben. Da müsste es erst vielen Leuten richtig schlecht gehen. Ich setze auch mehr auf friedliche Umwälzungen, vor allem auf Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen in Bezug auf das Konsumverhalten. So lange alles Mögliche gedankenlos verbraucht und benutzt wird, wird sich nichts ändern. Die Regierung soll's machen, die da oben. Jein, auch, aber wenn viele, viele Einzelne ;-) keine Bereitschaft zum Umdenken zeigen, sehen 'die da oben' keine Veranlassung, etwas zu machen.
AntwortenLöschenDiese ganzen Gedanken und Überlegungen helfen mir jedoch bei der Wahlentscheidung auch nicht weiter *ratlos seufz*
LG, 'Franka'