Donnerstag, 13. Juni 2013

mit dem Rennrad nach Overath

Das war krass. Die Landstraße entlang, warnten Schilder ausdrücklich, nur auf ausgewiesenen Flächen zu parken und die Wege nicht zu verlassen. Die Straße hatte sich an sandigen Böden vorbei geschlängelt. Eine Lichtung mit Gestrüpp hatte sich geöffnet, auf der im Herbst die Besenheide wuchs und gedieh. Nun, im beginnenden Sommer, leuchtete eine Art von Ginster mit seiner gold-gelben Farbe. Gras wucherte über dem Randstreifen. Ich stieg ab, um einen Betonpoller zu betrachten. Blass und in die Jahre gekommen, war die gelbe Farbe abgeblättert. Das Wort „ECHO“ erinnerte an die militärische Vergangenheit als Truppenübungsplatz. Alpha, Bravo, Charlie, Delta, Echo, ich kramte die ersten Buchstaben des NATO-Alphabets aus meinem Gedächtnis heraus. Einen Augenblick später erschreckte mich das Warnschild „Extreme Munitionsbelastung ! Absolutes Betretungsverbot !“


Hier hatte ich nichts zu suchen und drehte zur Straße zurück. Krass war die Fahrbahn, denn sie war – entsprechend ihrem früheren Bestimmungszweck – als Panzerstrraße gebaut. Mehr schlecht als Recht fügte sich Betonplatte an Betonplatte. Ich ruckelte über diesen krassen Untergrund, mein Rennrad holperte und wurde einen Kilometer lang ordentlich durchgeschüttelt.

Ein paar Leiden musste ich in Kauf nehmen, um die schönen, ruhigen, verträumten und exklusiv für Fahrradfahrer konzipierten Abschnitte durch das 5.000 Hektar große Naturschutzgebiet vor den Toren Kölns zu genießen. Nachdem 2004 die letzten belgischen Truppenverbände abgezogen waren, konnten weite Teile der Wahner Heide der Öffentlichkeit geöffnet werden. Die Straße nach Rösrath war ein Paradies, denn sie war gesperrt und ausschließlich für Fahrradfahrer befahrbar.

In Rösrath stieß ich auf eine verkehrte Welt. Das historische Zentrum lag nicht in Rösrath, der heutigen – weitgehend gesichtslosen – Stadt, sondern im Stadtteil Hoffnungsthal. „Hoffnungsthal – Wohnen mit Lebensfreude“ dieses Motto auf einem Plakat konnte ich unterstreichen, denn im Ortskern befanden sich einige schöne Fachwerkhäuser, eine Kirche aus dem 12. Jahrhundert und sogar einige einladende Cafés. Biker waren sogar willkommen.


Hinter Hoffnungsthal nahm die Beschaulichkeit allerdings ein abruptes Ende, denn es ging hinauf auf die Höhen des Bergischen Landes. Nicht nur mit dem Baustil der verschieferten Häuser, auch mit dem Hinweisschild auf eine Bergische Kornbrennerei wurde ich mir bewusst, dass ich in der Gegend angekommen war, die einst zum Herzogtum Berg gehörte. Ich hatte Köln verlassen und war im Einflussbereich von Düsseldorf angekommen (obwohl Düsseldorf mehr als 60 Kilometer entfernt liegt). Nach der Schlacht von Worringen 1288 wurde der Kölner Erzbischof gefangen genommen, Düsseldorf erhielt die Stadtrechte und gleichzeitig das Herzogtum Berg. Dazu gehörte die Festung Bensberg östlich von Köln, dessen Einflussbereich wiederum bis Overath, Much und Engelskirchen reichte. Das war kurios, dass ich mich sozusagen auf früherem Düsseldorfer Territorium befand, was in meiner Kölner Seele ein allgemeines Unbehagen erzeugte.

Laienschauspieler gesucht ? Auf der Höhe angekommen, war die Straße gesperrt. Filmaufnahmen. Um weiterradeln zu können, musste ein Helfer an der Absperrung mit dem Regisseur und dem Produzenten telefonieren. Das Telefonat dauerte, anscheinend war ich nicht willkommen, ich hätte aber auch nicht vorgehabt, in dem Film mitzuspielen. Da ein Radweg neben der Straße vorhanden war, gaben Regisseur und Produzent schließlich klein bei. Reihenweise war Scheinwerfer und Halogenleuchten positioniert, Kameraleute drückten ihre Filmkameras auf ihre Schultern. Eine Massenkarambolage mit zehn bis zwölf Autos sollte gefilmt werden. Wenn ich mitgespielt hätte, hätte ich mich zwischen dem Schrotthaufen von Autos sowieso unwohl gefühlt.

Ich erreichte Durbusch, die Straße buckelte sich auf dem Höhenzug. Heiligenhaus, Kreisverkehr, danach raste die Bundesstraße mit 7% Gefälle ins Tal der Agger hinab. Overath, der Zielort, war unspektakulär, blass, klar strkturiert und verbarg seine Geheimnisse. 


1065 erstmals erwähnt, hatte Overaths Geschichte seine Wurzeln im Mittelalter. Doch ich kannte Overath nur als Verkehrsknotenpunkt. Zwei große Bundesstraßen kreuzten sich in Overath. Hinter der Stadt konnte man auf die Autobahn A4 von Köln nach Olpe auffahren. Und die Aggertalbahn, die ich unterquerte, hielt auf dem Bahnhof. So wie die Bahnunterführung, war Overath eine Schittmenge der Verkehrsinfrastruktur, die nicht zum Verweilen einlud, sondern möglichst elegant aus der Stadt herausführen wollte.

Das war gut so, denn der Anstieg auf den nächsten Berg war rasant und atemberaubend. Vor lauter Ausblicken ins Tal hinab vergaß ich die Anstengung. Die Straße zog Schlangenlinien, der Autoverkehr schlief Sonntags Morgens noch in den Garagen. Ungestört, ruhig, vor mich her träumend strampelte ich zäh den nicht enden wollenden Berg hinauf. Auf der Höhe angekommen, konnte ich das nächste Tal hinunterschauen, das Naafbachtal, das ich mir diesmal nicht antun wollte. Zwei lange Anstiege reichten. Siebzig Fahrradkilometer wollte ich zurücklegen. Auf dem Höhenrücken genoss ich Kehren, Kurven, eine ständig wechselnde Aussicht, langgestreckte Felder und zu einem Haufen zusammen gewürfelte Häuser, die sich zu kleinen Dörfern zusammenfügten. Schöne, alte, heraus geputzte Fachwerkhäuser drängelten sich an den Straßenrand. So ein Tourverlauf hätte stundenlang weitergehen können, wenn nicht die abschüssige Straße ins Tal der Agger zurück gedreht hätte.


Sofort landete ich in Lohmar. Ich blickte zurück und passierte die Stadt, die ich vor einigen Wochen als gesichtslos wahrgenommen hatte. Lohmar versuchte, dieses matte Erscheinungsbild zu übertünchen. Die Stadt stieg als „Europäische Energie- und Klimaschutzkommune“ in eine höhere Liga auf. Ein weiteres Prädikat „E-Bike-Region Bergisch4“ versuchte der Stadt Schwung zu verleihen. Klima schonend, bewegte ich mich ohnehin auf meinem Drahtesel vorwärts. An einer Hausfassade faszinierte mich sogar die Häuserwand mit der fotografischen Bearbeitung von Bildern in und um Lohmar.


Am Ortsende warf ich einen Blick auf die romanische Kirche, dieses Kleinod inmitten der total verbauten Stadt. Zurück in die Wahner Heide. Nach Troisdorf rauschte ich den Berg durch das frühere Truppenübungsgelände hinab.

Kurzpause in einer Troisdorfer Bäckerei, dann zurück nach Hause. Vier Stunden mit Fotografieren und Kurzpase hatte ich auf die siebzig Kilometer gebraucht.

12 Kommentare:

  1. Wieder eine ganz schöne Wahnsinnstour..wow.

    Weisste denn was da gedreht wurde??

    Lieben Gruß


    Übrigens: http://casa-nova-tenerife.blogspot.com.es/2013/06/internetprobleme.html

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  2. Eine tolle Radtour lieber Dieter, Orte die mir bekannt sind, an der Aggertalsperre hatte meine Schwester einen Caravan stehen. Na da wärst Du bald ins Fernseh gekommen bei den Dreharbeiten.
    Danke für die tollen infos.

    Liebe Grüße
    Angelika

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  3. Wieder einmal bewundere ich deine Ausdauer. 70 km ... Wahnsinn :-)
    Der Dieter im Fernsehen, das wärs doch *gg* Obwohl ... wer weiß, wie oft du schon im Zuschauerraum beim NRW-Duell zu sehen warst *ggg*

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  4. Wie immer meine Anerkennung für deine Ausdauer und Kondition! Bravo!
    Und so "nebenbei" auch noch tolle Fotos machen, die wir (bequem vom Sofa aus) ansehen können ... Klasse!
    LG Calendula

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  5. Hej Dieter,
    immer wieder trägst Du Puzzleteil für Puzzelteil zu meinem Bild der Landschaften um Köln bei. Für Nicht-Rheinländer ( Rheinländer im weitesten Sinn) mit dem Finger auf der Landkarte gut nachvollziehbar erschließt sich einem ein Stück West-Deutschland, geografisch, geschichtlich und naturnah. Danke für diese sehr interessanten Darstellungen.

    LG
    Beate

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  6. Ach ja, ich weiß schon, warum es uns nicht in diese Gegend zieht, obwohl ich doch im äußersten östlichen Köln geboren bin, obwohl ich doch schon ungeboren in Hoffnungsthal schwimmen war ;-), obwohl ich mal in Overath gearbeitet habe und etliches mehr. Die Wahner Heide interessiert mich eigentlich, aber andererseits frage ich mich, ob sie nicht kerosinbelastet ist. Da brettern ja ständig die Flugzeuge in Tieflage drüber ...
    Du hast jedenfalls eine interessante Tour gemacht, auch wenn nicht alles schön war.
    Herzliche Grüße,
    Franka

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  7. Wieder eine beeindruckende Fahrradtour und tolle Fotos.
    Deine Kondition ist schon bemerkenswert.
    Einen schönen Resttag wünscht dir
    Irmi

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  8. Eine tolle Leistung, Dieter, und schöne Tour.
    wieczoramatische Grüße zum Donnerstag, (◔‿◔) | Mein Fotoblog

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  9. Hello Liebe Dieter,
    It is a very nice ride, i see it was a sunday pleasant.
    Finally, do you appear on television? ;)
    Have a great day. "Live life with joy"

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  10. Hallo Dieter,

    Schoenen Dank fuer deinen Besuch bei mir.

    Eine wunderbare Strampelfahrt. Mir war gar nicht bewusst, dass das Bergische Land so schnell von Koeln aus zu erreichen ist.
    Alles ist so sauber und ordentlich, es ueberrascht mich immer wieder; die Strassen sind leer und die Schilder warnen trotzdem.
    Frueher habe ich auch solche Touren gemacht, allerdings nicht ganz so weit. Und immer nur am flachen Teil des Niederrheins. Ach diese herrlichen, weiten Landschaften. Hier wird der Blick sofort von Huegeln gestoppt.

    Seit ein paar Wochen arbeite ich fast an jedem trockenen Tag im Garten, daher meine Abwesenheit. Am naechsten Wochenende oeffnen wir 2 Tage die Gartentore fuer Besucher (das Geld geht an einen wohltaetigen Zweck), ich muss also ordentlich ran. Heute regnet es - der Garten dankt - also kann ich mich endlich mal wieder dem computer zuwenden. Drueck mir die Daumen, dass es naechstes Wochenende wenigstens trocken ist, wir erwarten an die 200 Besucher ueber die zwei Tage. Manche Jahre waren es noch mehr.

    Gruss, Friko

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  11. wow Dieter!!!
    Dein Touren sind echt wahnsinnig,und was Du alles immer erlebst!!!Ich beneide Dich -))))Hier bei uns geht es nur Berg auf...da schaffen wires nicht Fahrrad zu fahren,und so laufen wir-)
    Danke für's anschauen und für die Informationen.
    Hab ein schönen restlichen Freitag
    lieben gruss
    Christa

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  12. eine tolle Radtour hast du da gemacht!Ich bin froh keine Berge zu haben *zwinker*
    Lieben Gruss aus dem Norden
    Elke

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