Aussichtspunkt Garzweiler II |
Braunkohle, dieses Konglomerat
aus Wasser, Holz und Pflanzen war Jahrhunderte lang ein Mittelding zwischen
Torf und Steinkohle. Anfangs hieß dieses Mittelding Torf, es war mit einem
Wassergehalt von bis zu 60% zum Heizen ungeeignet und fristete ein
Schattendasein neben der Steinkohle. Erst 1816 bildeten die Preußischen
Bergbehörden die Wortschöpfung „Braunkohle“, um dieses Mittelding vom Torf
unterscheiden zu können. Torf, braune Farbe, Kohleflöze, die Preußen machten
daraus Braunkohle. Im 19. Jahrhundert grub man sich mit Spaten und Spitzhacken in riesige
Gruben hinein, man karrte mit Schubkarren oder Loren die Kohle an den
Grubenrand, der Transport in Kiepen über Leitern an die Erdoberfläche muss eine
Qual gewesen sein. Wasser wurde herausgepresst, eimergroße Klumpen wurden an
der Luft getrocknet. Das waren Klütten, Vorläufer der Briketts, die zum
Ladenhüter verdammt waren.
Kraftwerk Niederaußem |
Einen entscheidenden Impuls
erhielt die Braunkohle mit der Besetzung des Rheinlandes 1923, die auch das
Ruhrgebiet umfasste. Steinkohle musste als Reparationszahlungen an die
Alliierten Siegermächte des 1. Weltkriegs geliefert werden. Da die Steinkohle für den Eigenverbrauch wegfiel,
wurde sie durch Braunkohle ersetzt. Gleichzeitig wurden Spezialmaschinen
entwickelt, die sich individuell an die Grube anpassen konnten. Raupenbagger,
Eimerkettenbagger oder Portalbagger förderten höhere Kohlemengen und ersetzten die
menschliche Knochenarbeit.
Die ersten Tagebaue
entstanden dort, wo ungefähr die Römer auf Braunkohle gestoßen waren. So
berichtete Tacitus, dass beim Bau der römischen Wasserleitung vor der
Römerstadt Köln ein Kohlebrand entstand. Dem Verlauf der Wasserleitung nach zu
urteilen, muss dies ungefähr auf der Höhe der heutigen Stadt Frechen geschehen
sein.
Dass ganze Dörfer
weggebaggert wurden und dass Menschen umgesiedelt werden mussten, diese
Planspiele wurden erstmals 1926 gedacht. Der Höhenrücken der Ville zwischen
Brühl, Frechen, Hürth und Erftstadt war vorherbestimmt für den Abbau als
Tagebau, da die bis zu fünfzig Meter dicken Kohleflöze dicht unter der Erdoberfläche
lagen. 1926 beschloss der der rheinische Provinziallandtag einen Abbauplan,
dass Berrenrath, heute zu Hürth gehörend, dem Tagebau weichen sollte. Diese
Pläne sollten von der Geschichte überholt werden. Die Besetzung des Rheinlandes
wurde aufgehoben. Das Ruhrgebiet produzierte wieder Steinkohle im Überfluss.
Die Förderung der Braunkohle wurde gedrosselt.
Quelle: Angelika "Dies und Das" * |
Das Schicksal von Berrenrath
war aber nicht aufgehoben, sondern aufgeschoben. Rund dreißig Jahre später traf
es Berrenrath, das war in der Nachkriegszeit. In den 50er Jahren überholte die
Braunkohle die Steinkohle mit ihrem Kostenvorteil. Die Spezialbagger drangen in
neue Abbaudimensionen vor, die Braunkohle wurde direkt vom Abbaugebiet über
Eisenbahntrassen oder Förderbänder in die Kraftwerke transportiert, es wurden
neue Verfahren zur Entwässerung und Trocknung der Braunkohle entwickelt. Während
Zechen im Ruhrgebiet dicht machten, wurde der Braunkohletagebau ausgeweitet.
1952 wurde im Gesamtplan des
rheinischen Braunkohlegebiets die Umsiedlung von Berrenrath beschlossen. Dies
war erste größere umgesiedelte Ort. Weitere Orte folgten: Kerpen-Mödrath, Kerpen-Brüggen,
Frechen-Benzalrath, Frechen-Habbelrath, Frechen-Grefrath, das waren die
nächsten Orte in den 50er und 60er Jahren.
Garzweiler, dieses
bedeutungsschwere Name des Tagebaus, der in höchste politischen Ebenen kursiert,
kenne ich aus meiner eigenen Kindheit. Otzenrath, Garzweiler, Elfgen: die
Autobahn A44 steckte noch nicht im Planungsstadium, da fuhren unsere Eltern auf
der alten Bundesstraße 1, die es längst nicht mehr gibt, von Jackerath über Otzenrath, Garzweiler, Elfgen und
Grevenbroich, das außerhalb des Braunkohletagebaus liegt, über die Bundesstraße
59 nach Köln in den Zoo. Westlich von Köln hatte der Braunkohletagebau seinen
Ursprung genommen, er fraß sich nach Nordwesten in die Niederrheinische Bucht
hinein, verschlang Dorf um Dorf und speiste Kraftwerke, dem Produktionsausstoß
aus der apokalyptischen Mondlandschaft des Tagebaus. Bagger fressen,
Kohlewaggons transportieren ihre Last, Kraftwerke verheizen. Dabei entsteht
sogar ein Stück Umweltfreundlichkeit, denn mit der Abwärme der Kraftwerke
werden Tausende von Haushalten in Köln und Umgebung beheizt. Otzenrath,
Garzweiler, Elfgen, diese Orte sind in den 2000er Jahren allesamt weggebaggert
worden.
Immerather Dom Quelle: Angelika "Dies und Das" * |
„Ja zur Heimat – Stopp
Rheinbraun“ diese Schilder sprießen überall dort, wo Menschen umgesiedelt
werden müssen. Das ist natürlich traurig. Solch einen Heimatverlust stelle ich
mir schrecklich vor. Zumal ich mit Dörfern wie Borschemich, Immerath, Kuckum
oder Keyenberg so manche Erinnerung verbinde. Wegziehen, ein Umzug mit all
seinen Beschwerlichkeiten, sich neu orientieren müssen, neue Nachbarn, nichts
aus der Vergangenheit gewachsenes, neu aufzubauendes Vereinsleben, ich teile
die Sorgen der Betroffenen in vollem Umfang. Der Immerather Dom, 1888 erbaut,
mit seiner kollossalen Größe zum Monument gewachsen, wird einfach mal
weggebaggert.
Barbarei ? Garzweiler II,
dieser Tagebau rund fünfzehn Kilometer südlich von Mönchengladbach, sprengt so
manche Größenordnung und so manches wird einfach mal weggebaggert. 1995 von der
rot-grünen Landesregierung NRW beschlossen, markierte der Ort Garzweiler mit
dem alten Trassenverlauf der Autobahn A44 die Grenze des Tagebaus. Bis
Garzweiler war der Tagebau beschlossen und genehmigt. Westlich von Garzweiler
musste das Genehmigungsverfahren durch das Bergamt Düren neu durchlaufen werden
– daher Garzweiler II.
Dieser Braunkohletagebau
stößt in neue Größenordnungen vor, da Sandschichten im geologischen Profil eingelagert
sind. In diesem unvorstellbar langen Zeitraum von zehn Millionen Jahren lag die
Nordsee näher, so dass sich genauso Schichten aus Muschelkalk dazu gesellen. Dies
führt dazu, dass sich das Verhältnis von Abraum zu Kohle verschlechtert. Während
bei Frechen oder Hürth noch zwei Einheiten Abraum auf eine Einheit Kohle kamen,
verschlechtert sich dieses Verhältnis in Garzweiler II auf 4,6 zu eins. Zudem
liegen die Kohleflöze tiefer, nämlich erst in rund 200 Metern Tiefe. Daher muss
breiter, tiefer, gigantischer gebaggert werden.
Technisch ist das kein
Problem. Schnell finden sich Ingenieure, die größere Bagger mit größerer
Abbauleistung bauen. Neben mehr Umsiedlungen führen größere Braunkohlelöcher
dazu, dass die Mengen an Grundwasser steigen, die abgepumpt werden müssen.
Wohlgemerkt: Trinkwasser stammt in dieser Gegend aus Grundwasser, das mit dem
Braunkohletagebau unwiederbringlich verloren geht. Mit dem Abpumpen wird es
einfach in Flüsse eingeleitet. Außerdem droht der Wasserhaushalt in den
Feuchtgebieten am Niederrhein zu kippen. So trocknen beispielsweise Feuchtgebiete
wie das Finkenberger Bruch am südlichen Stadrand von Mönchengladbach aus.
Quelle: Angelika "Dies und Das" * |
„Ja zur Heimat - Stopp Rheinbraun“
– dies wird nun auch die Gerichte beschäftigen, denn ein einsamer Bewohner aus
Immerath will nicht weichen. Er hat vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt
und begründet dies mit dem Grundrecht nach Artikel 11 des Grundgesetzes auf
Freizügigkeit. Dies widerspreche dem Allgemeinen Bergrecht aus dem Jahr 1937,
wonach enteignet werden darf, wenn dies dem Allgemeinwohl dient. Vom Prinzip her
ist dies dieselbe Begründung wie beim Bau von Autobahnen, ICE-Trassen oder
Flughäfen. Also: wenn sich genügend Autofahrer, Bahnreisende, Fluggäste – oder
Stromverbraucher – finden, gehen die Aussichten gegen Null, gegen den
Stromriesen RWE anzukommen. Wobei es aber speziell in der Strombranche Überraschungssiege von Klein gegen Groß gegeben hat: so erklärten die Richter
das Kernkraftwerk in Mülheim-Kärlich für rechtswidrig, dasselbe
Überraschungsschicksal ereilte das Kohlekraftwerk in Datteln.
Nicht nur wegen des
Atomausstiegs steckt die Strombranche in einem Dilemma: woher soll unser Strom
kommen ? Spätestens nach dem Beinahe-Zusammenbruch unseres Stromnetzes in der
Eiseskälte des Winters 2012 sind die Stromeinkäufer zu dem Ergebnis gekommen,
dass wir über zu wenige Kraftwerke verfügen und dass Stromkapazitäten über
mittelfristige Zeiträume erhöhbar sein müssen. Der Bau von Offshore-Windparks
stockt, Gaskraftwerke sind keine in Sicht, der Ausbau von Solaranlagen soll zur
Senkung des Strompreises gedrosselt werden. Also Braunkohle. Da wir keinen
Atomstrom aus Frankreich oder Tschechien importieren wollen, können wir nicht
anders.
Es sieht so aus, als müssten die
Einwohner von insgesamt 14 Dörfern vor Erkelenz in den sauren Apfel beißen. Es
muss jemanden geben, der die Opferrolle spielt. Niemand will ein Kernkraftwerk,
einen Staudamm, eine Müllverbrennungsanlage oder einen Braunkohletagebau vor
seiner Nase haben. Zumal wir alle zu Strom verbrauchenden Bequemlichkeiten
neigen: Wäschetrockner anstelle Wäsche draußen aufhängen, Tiefkühlgerichte
anstelle frische Zutaten, Elektrorasierer anstelle Nassrasur, diese Reihe lässt
sich sehr lange fortführen.
Aussichtspunkt Garzweiler II |
Was kommt nach der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ? Entweder kann fleißig
weggebaggert werden und die Energieversorgung über den heimischen Rohstoff Braunkohle
ist bis Mitte des 21. Jahrhunderts gesichert. Oder ein einziger Bürger aus
Immerath schafft es, das gesamte Energiekonzept in Deutschland zu kippen. Bundesweit
ist die Braunkohle mit einem Anteil von 25% Spitzenreiter bei der
Stromproduktion (davon stammen wiederum 2/3 aus rheinischen Braunkohletagebauen).
Wodurch könnte die Braunkohle ersetzt werden ? Renaissance der Steinkohle ? Käme
der Bau von Offshore-Windparks voran ? Atomstrom aus Frankreich ?
Den Bewohnern von
Kerpen-Mödrath oder Hürth-Berrenrath würde solch ein Urteil jedenfalls nicht mehr
weiterhelfen. Bis heute sind den Kreisen Aachen, Düren, Bergheim, Euskirchen
und Neuss rund 70 Dörfer mit rund 35.000 Menschen umgesiedelt worden. Wer kann
die Braunkohlebagger stoppen ?
p.S.:
herzlichen Dank an Angelika http://angelikadiesunddas.blogspot.de, dass ich Bilder aus ihrem Blog in diesem Post zeigen durfte
p.S.:
herzlichen Dank an Angelika http://angelikadiesunddas.blogspot.de, dass ich Bilder aus ihrem Blog in diesem Post zeigen durfte
Ach ja mir läuft es eisekalt den Rücken runter, Dieter, wenn ich Deinen Beitrag lese. Wäre es keine gut Alternative die Stromnetze zu erweitern, damit der zuviel produzierte Strom auch aufgenommen werden kann? Wir haben Unmengen an Windräder, die oft still stehen müssen, weil keine Kapazitäten da sind.
AntwortenLöschenIch bin selber nicht betroffen aber diese Massnahme die Menschen umzusiedeln, ganze Dörfer, mit Kirchen, Friedhöfen zu zerstören, das kann nicht richtig sein.
Die Menschen verlieren alles, was ihr Leben ausmacht.
Ich erinnere mich auch an die Alten Orte und Autobahn. Das Hin und Her bei Garzweiler 2, selbst Kückhove war ja im Gespräch, darauf sollte der Abraum gebracht werden.
Ich habe die Orte besucht und es hat mich schwer bedrückt was ich da gesehen habe.
Zumal jährlich viele hunderte Menschen an dieser Feinstaubbelastung des Abbaus und der Kohlekraftwerke sterben, über diese Berichte war ich entsetzt.
Selbst Kulturdenmäler sind von Rheinbraun betroffen, durch die Zitadelle in Jülich geht ein Versatz von 50 cm und mit Federn wird versucht dieses aufzuhalten.
Durch das Abziehen des Grundwassers haben nicht nur die Orte zu leiden, die weggebaggert werden sollen. Viele Kilometer weiter haben die Bäume kein Wasser mehr und ganze Baumalleen müssen gefällt werden, dadurch hat das Erdreich keinen Halt mehr und es kommt bei Starkregen zu Erdrutschen.
Ein für und wider in allen Richtungen. Welche Alternative die richtige ist, ich bin mir nicht sicher, denke aber, wenn die Millionen, die Rheinbraun jährlich bekommt in erneuerbare Energie und Ausbau gesteckt würde, wären wir auf den richtigen Weg.
Ich wünsche mir das der BUND und Immerather Bürger einen großen Stein ins Rollen gebracht hat, der gut endet und keine weiteren Orte mehr abgerissen wird.
Liebe Grüße
Angelika
Hallo (◠‿◠)
AntwortenLöschenAuch mir läuft es eiskalt den Rücken herunter. Angelika hatte ja auch schon mehrfach über diese Zerstörung ganzer Orte berichtet. Hoffen wir mal, dass es damit bald ein Ende hat.
Danke für deinen cmt.: Die Alltäglichkeit siehst du vermutl eher in dem Supermarktregal, das in diesem Fall mit Alk gefüllt ist, als in dem Thema Alkohol selbst, denn du schreibst ja es sei ein Thema für sich. Bilder mit Trinksprüchen kannst du sehr viele im Netz finden, wenn du nach Gästebuchbildern und Akohol oder saufen googlest. Oder nach Gästebuchbildern, bzw. GB-Pics und auf den Seiten mit solchen Bildern dann auf die Rubrik Alkohol oder Party gehst.
Ich wünsche Dir eine sonnige Woche, Wieczora (◔‿◔) | Mein Fotoblog
Wirklich eine gruselige Vorstellung, dass da ganze Dörfer umgesiedelt werden, wegen der Buddelei. Menschen um ihre Existenz gebracht, die Landschaft verschandelt, der Zweck heiligt heutzutage anscheinend immer noch die Mittel.
AntwortenLöschenLiebe Grüße,
N.
Heute war auch in einem interessanten Beitrag auf WDR 5 ( Neugier genügt ) zum Thema "Wüstenbildung in Europa" davon die Rede, wie der Braunkohleabbau in der Nachbarschaft dazu beiträgt, fruchtbaren Mutterboden zu vernichten, der auch nicht mehr durch die Renaturierungsmaßnahmen geschaffen werden kann. Noch so ein Negativaspekt dieser ganzen Energiepolitik durch Rheinbraun...
AntwortenLöschenIch wünsche dir viel Erfolg bei deiner speziellen Methode, die Hitze zu bekämpfen. Muss morgen unbedingt nach Bonn, einige unangenehme Dinge am Südfriedhof regeln. Da werde ich mal die Klimaanlage in meinem Auto nutzen ;-)
LG
Astrid
Hallo Astrid
LöschenEs muss erst der Grundwasserspiegel gesenkt werden, damit die Braunkohle abgebaut werden kann. Übeall stehen Pumpen, die das Wasser aus dem Boden ziehen, dadurch verlieren die Wurzeln ihren halt, die Bäume müssen gefällt werden und auch die Fruchtbarkeit der Äcker geht verloren. Was Rheinbraun hier macht, ich verstehen nicht, wie unsere Regierung das zulassen kann.
Liebe Grüße
Angelika
Schöner Bericht, aber dass einzelne Dinosaurier vor 10 mio. Jahren noch lebten, entspricht evtl. nicht den bekannten Fakten. Nach wikipedia ist es mindestens 64,5 mio. Jahre her.
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