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Aussichtspunkt Garzweiler II |
Die Zeitrechnung geschieht
nicht in Jahrzehnten oder Jahrhunderten, sondern liegt jenseits aller
Vorstellung. Vor zehn Millionen Jahren formte sich die Braunkohle. Die Dinosaurier waren längst ausgestorben. Bis der Mensch, der Homo sapiens, die Erde betrat, sollten noch weitere
neun Millionen Jahre vergehen. Vor diesen 10 Millionen Jahren war die
Niederrheinische Bucht purer Urwald, undurchdringlich. Sträucher, Farne,
Schling-, Moorpflanzen, Birken, Weiden, Lorbeerbäume, das waren die Rohstoffe,
aus denen sich Millionen Jahre später die Braunkohle bilden sollte.
Braunkohle, dieses Konglomerat
aus Wasser, Holz und Pflanzen war Jahrhunderte lang ein Mittelding zwischen
Torf und Steinkohle. Anfangs hieß dieses Mittelding Torf, es war mit einem
Wassergehalt von bis zu 60% zum Heizen ungeeignet und fristete ein
Schattendasein neben der Steinkohle. Erst 1816 bildeten die Preußischen
Bergbehörden die Wortschöpfung „Braunkohle“, um dieses Mittelding vom Torf
unterscheiden zu können. Torf, braune Farbe, Kohleflöze, die Preußen machten
daraus Braunkohle. Im 19. Jahrhundert grub man sich mit Spaten und Spitzhacken in riesige
Gruben hinein, man karrte mit Schubkarren oder Loren die Kohle an den
Grubenrand, der Transport in Kiepen über Leitern an die Erdoberfläche muss eine
Qual gewesen sein. Wasser wurde herausgepresst, eimergroße Klumpen wurden an
der Luft getrocknet. Das waren Klütten, Vorläufer der Briketts, die zum
Ladenhüter verdammt waren.
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Kraftwerk Niederaußem |
Einen entscheidenden Impuls
erhielt die Braunkohle mit der Besetzung des Rheinlandes 1923, die auch das
Ruhrgebiet umfasste. Steinkohle musste als Reparationszahlungen an die
Alliierten Siegermächte des 1. Weltkriegs geliefert werden. Da die Steinkohle für den Eigenverbrauch wegfiel,
wurde sie durch Braunkohle ersetzt. Gleichzeitig wurden Spezialmaschinen
entwickelt, die sich individuell an die Grube anpassen konnten. Raupenbagger,
Eimerkettenbagger oder Portalbagger förderten höhere Kohlemengen und ersetzten die
menschliche Knochenarbeit.
Die ersten Tagebaue
entstanden dort, wo ungefähr die Römer auf Braunkohle gestoßen waren. So
berichtete Tacitus, dass beim Bau der römischen Wasserleitung vor der
Römerstadt Köln ein Kohlebrand entstand. Dem Verlauf der Wasserleitung nach zu
urteilen, muss dies ungefähr auf der Höhe der heutigen Stadt Frechen geschehen
sein.
Dass ganze Dörfer
weggebaggert wurden und dass Menschen umgesiedelt werden mussten, diese
Planspiele wurden erstmals 1926 gedacht. Der Höhenrücken der Ville zwischen
Brühl, Frechen, Hürth und Erftstadt war vorherbestimmt für den Abbau als
Tagebau, da die bis zu fünfzig Meter dicken Kohleflöze dicht unter der Erdoberfläche
lagen. 1926 beschloss der der rheinische Provinziallandtag einen Abbauplan,
dass Berrenrath, heute zu Hürth gehörend, dem Tagebau weichen sollte. Diese
Pläne sollten von der Geschichte überholt werden. Die Besetzung des Rheinlandes
wurde aufgehoben. Das Ruhrgebiet produzierte wieder Steinkohle im Überfluss.
Die Förderung der Braunkohle wurde gedrosselt.
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Quelle: Angelika "Dies und Das" * |
Das Schicksal von Berrenrath
war aber nicht aufgehoben, sondern aufgeschoben. Rund dreißig Jahre später traf
es Berrenrath, das war in der Nachkriegszeit. In den 50er Jahren überholte die
Braunkohle die Steinkohle mit ihrem Kostenvorteil. Die Spezialbagger drangen in
neue Abbaudimensionen vor, die Braunkohle wurde direkt vom Abbaugebiet über
Eisenbahntrassen oder Förderbänder in die Kraftwerke transportiert, es wurden
neue Verfahren zur Entwässerung und Trocknung der Braunkohle entwickelt. Während
Zechen im Ruhrgebiet dicht machten, wurde der Braunkohletagebau ausgeweitet.
1952 wurde im Gesamtplan des
rheinischen Braunkohlegebiets die Umsiedlung von Berrenrath beschlossen. Dies
war erste größere umgesiedelte Ort. Weitere Orte folgten: Kerpen-Mödrath, Kerpen-Brüggen,
Frechen-Benzalrath, Frechen-Habbelrath, Frechen-Grefrath, das waren die
nächsten Orte in den 50er und 60er Jahren.
Garzweiler, dieses
bedeutungsschwere Name des Tagebaus, der in höchste politischen Ebenen kursiert,
kenne ich aus meiner eigenen Kindheit. Otzenrath, Garzweiler, Elfgen: die
Autobahn A44 steckte noch nicht im Planungsstadium, da fuhren unsere Eltern auf
der alten Bundesstraße 1, die es längst nicht mehr gibt, von Jackerath über Otzenrath, Garzweiler, Elfgen und
Grevenbroich, das außerhalb des Braunkohletagebaus liegt, über die Bundesstraße
59 nach Köln in den Zoo. Westlich von Köln hatte der Braunkohletagebau seinen
Ursprung genommen, er fraß sich nach Nordwesten in die Niederrheinische Bucht
hinein, verschlang Dorf um Dorf und speiste Kraftwerke, dem Produktionsausstoß
aus der apokalyptischen Mondlandschaft des Tagebaus. Bagger fressen,
Kohlewaggons transportieren ihre Last, Kraftwerke verheizen. Dabei entsteht
sogar ein Stück Umweltfreundlichkeit, denn mit der Abwärme der Kraftwerke
werden Tausende von Haushalten in Köln und Umgebung beheizt. Otzenrath,
Garzweiler, Elfgen, diese Orte sind in den 2000er Jahren allesamt weggebaggert
worden.
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Immerather Dom Quelle: Angelika "Dies und Das" * |
„Ja zur Heimat – Stopp
Rheinbraun“ diese Schilder sprießen überall dort, wo Menschen umgesiedelt
werden müssen. Das ist natürlich traurig. Solch einen Heimatverlust stelle ich
mir schrecklich vor. Zumal ich mit Dörfern wie Borschemich, Immerath, Kuckum
oder Keyenberg so manche Erinnerung verbinde. Wegziehen, ein Umzug mit all
seinen Beschwerlichkeiten, sich neu orientieren müssen, neue Nachbarn, nichts
aus der Vergangenheit gewachsenes, neu aufzubauendes Vereinsleben, ich teile
die Sorgen der Betroffenen in vollem Umfang. Der Immerather Dom, 1888 erbaut,
mit seiner kollossalen Größe zum Monument gewachsen, wird einfach mal
weggebaggert.
Barbarei ? Garzweiler II,
dieser Tagebau rund fünfzehn Kilometer südlich von Mönchengladbach, sprengt so
manche Größenordnung und so manches wird einfach mal weggebaggert. 1995 von der
rot-grünen Landesregierung NRW beschlossen, markierte der Ort Garzweiler mit
dem alten Trassenverlauf der Autobahn A44 die Grenze des Tagebaus. Bis
Garzweiler war der Tagebau beschlossen und genehmigt. Westlich von Garzweiler
musste das Genehmigungsverfahren durch das Bergamt Düren neu durchlaufen werden
– daher Garzweiler II.
Dieser Braunkohletagebau
stößt in neue Größenordnungen vor, da Sandschichten im geologischen Profil eingelagert
sind. In diesem unvorstellbar langen Zeitraum von zehn Millionen Jahren lag die
Nordsee näher, so dass sich genauso Schichten aus Muschelkalk dazu gesellen. Dies
führt dazu, dass sich das Verhältnis von Abraum zu Kohle verschlechtert. Während
bei Frechen oder Hürth noch zwei Einheiten Abraum auf eine Einheit Kohle kamen,
verschlechtert sich dieses Verhältnis in Garzweiler II auf 4,6 zu eins. Zudem
liegen die Kohleflöze tiefer, nämlich erst in rund 200 Metern Tiefe. Daher muss
breiter, tiefer, gigantischer gebaggert werden.
Technisch ist das kein
Problem. Schnell finden sich Ingenieure, die größere Bagger mit größerer
Abbauleistung bauen. Neben mehr Umsiedlungen führen größere Braunkohlelöcher
dazu, dass die Mengen an Grundwasser steigen, die abgepumpt werden müssen.
Wohlgemerkt: Trinkwasser stammt in dieser Gegend aus Grundwasser, das mit dem
Braunkohletagebau unwiederbringlich verloren geht. Mit dem Abpumpen wird es
einfach in Flüsse eingeleitet. Außerdem droht der Wasserhaushalt in den
Feuchtgebieten am Niederrhein zu kippen. So trocknen beispielsweise Feuchtgebiete
wie das Finkenberger Bruch am südlichen Stadrand von Mönchengladbach aus.
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Quelle: Angelika "Dies und Das" * |
„Ja zur Heimat - Stopp Rheinbraun“
– dies wird nun auch die Gerichte beschäftigen, denn ein einsamer Bewohner aus
Immerath will nicht weichen. Er hat vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt
und begründet dies mit dem Grundrecht nach Artikel 11 des Grundgesetzes auf
Freizügigkeit. Dies widerspreche dem Allgemeinen Bergrecht aus dem Jahr 1937,
wonach enteignet werden darf, wenn dies dem Allgemeinwohl dient. Vom Prinzip her
ist dies dieselbe Begründung wie beim Bau von Autobahnen, ICE-Trassen oder
Flughäfen. Also: wenn sich genügend Autofahrer, Bahnreisende, Fluggäste – oder
Stromverbraucher – finden, gehen die Aussichten gegen Null, gegen den
Stromriesen RWE anzukommen. Wobei es aber speziell in der Strombranche Überraschungssiege von Klein gegen Groß gegeben hat: so erklärten die Richter
das Kernkraftwerk in Mülheim-Kärlich für rechtswidrig, dasselbe
Überraschungsschicksal ereilte das Kohlekraftwerk in Datteln.
Nicht nur wegen des
Atomausstiegs steckt die Strombranche in einem Dilemma: woher soll unser Strom
kommen ? Spätestens nach dem Beinahe-Zusammenbruch unseres Stromnetzes in der
Eiseskälte des Winters 2012 sind die Stromeinkäufer zu dem Ergebnis gekommen,
dass wir über zu wenige Kraftwerke verfügen und dass Stromkapazitäten über
mittelfristige Zeiträume erhöhbar sein müssen. Der Bau von Offshore-Windparks
stockt, Gaskraftwerke sind keine in Sicht, der Ausbau von Solaranlagen soll zur
Senkung des Strompreises gedrosselt werden. Also Braunkohle. Da wir keinen
Atomstrom aus Frankreich oder Tschechien importieren wollen, können wir nicht
anders.
Es sieht so aus, als müssten die
Einwohner von insgesamt 14 Dörfern vor Erkelenz in den sauren Apfel beißen. Es
muss jemanden geben, der die Opferrolle spielt. Niemand will ein Kernkraftwerk,
einen Staudamm, eine Müllverbrennungsanlage oder einen Braunkohletagebau vor
seiner Nase haben. Zumal wir alle zu Strom verbrauchenden Bequemlichkeiten
neigen: Wäschetrockner anstelle Wäsche draußen aufhängen, Tiefkühlgerichte
anstelle frische Zutaten, Elektrorasierer anstelle Nassrasur, diese Reihe lässt
sich sehr lange fortführen.
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Aussichtspunkt Garzweiler II |
Was kommt nach der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ? Entweder kann fleißig
weggebaggert werden und die Energieversorgung über den heimischen Rohstoff Braunkohle
ist bis Mitte des 21. Jahrhunderts gesichert. Oder ein einziger Bürger aus
Immerath schafft es, das gesamte Energiekonzept in Deutschland zu kippen. Bundesweit
ist die Braunkohle mit einem Anteil von 25% Spitzenreiter bei der
Stromproduktion (davon stammen wiederum 2/3 aus rheinischen Braunkohletagebauen).
Wodurch könnte die Braunkohle ersetzt werden ? Renaissance der Steinkohle ? Käme
der Bau von Offshore-Windparks voran ? Atomstrom aus Frankreich ?
Den Bewohnern von
Kerpen-Mödrath oder Hürth-Berrenrath würde solch ein Urteil jedenfalls nicht mehr
weiterhelfen. Bis heute sind den Kreisen Aachen, Düren, Bergheim, Euskirchen
und Neuss rund 70 Dörfer mit rund 35.000 Menschen umgesiedelt worden. Wer kann
die Braunkohlebagger stoppen ?
p.S.:
herzlichen Dank an Angelika
http://angelikadiesunddas.blogspot.de, dass ich Bilder aus ihrem Blog in diesem Post zeigen durfte