Der Wetterbericht hatte zur
Vorsicht ermahnt. Der Schnee war dahin geschmolzen und hatte sich in eine
undefinierbare, pampige Masse verwandelt. Voller Dreck und unansehnlich am
Straßenrand, zeigten Klumpen einst weggeräumten Schnees ihre
Auflösungserscheinungen. Unter den Eisresten hatte sich Wasser gesammelt.
Während es tagsüber geregnet hatte, riß der Himmel am Abend auf. Vollmond und
Sterne funkelten in der Nacht, und der Frost der letzten Tage kehrte über Nacht
zurück.
Wenn es nach mir gegangen
wäre, hätte ich am Montag Morgen unser Auto in der Garage stehen lassen, denn die
nasse Straße war nun vom Frost überzogen. Eine gefährliche Kombination. Doch
ich konnte nicht anders: ich musste unseren Sohnemann zum rund zehn Kilometer
entfernten Bahnhof bringen.
Zunächst beruhigte mich der
Zustand der Straße. Wie von unsichtbarer Hand gezogen, sah die rechte Fahrbahn
unbedenklich ohne Frost aus, während sich auf der Gegenfahrbahn glitzernde
Eiskristalle von Rauhreif fest gekrallt hatten. Nach zwei Dritteln der
Fahrstrecke zum Bahnhof änderte sich dies: im Lichte des Vollmonds glitzerte
die rechte Fahrbahn fleißig vor sich hin, unterbrochen von unregelmäßigen
Abdrucken von Reifenspuren, die die Reifglätte aber nicht verdrängten. Noch
griffen die Reifen auf der Fahrbahn. Ich versuchte, dieses wackelige Gefühl zu verscheuchen,
dass einem der Boden unten den Füßen entschwinden könnte.
Reifglätte: manche Erlebnisse
können eine extreme Langzeitwirkung entfalten. Eines davon liegt rund dreißig
Jahre zurück. Bei ungefähr denselben Straßenverhältnissen wie an diesem Tag knickte
die Straße leicht nach rechts ab. Auf der Landstraße nahm ich nur den Fuß vom
Gas, um meine Geschwindigkeit von 50 km/h zu drosseln. In diesem Moment
rutschte der alte Opel Kadett weg, drehte sich um die eigene Achse und kam quer
stehend auf dem Grünstreifen und dem Fahrradweg zum Stehen. Ein Stück hinter
mir stand ein krüppelartiger Baum, ein Stück vor mir ein Vorfahrtstraßenschild.
Nichts war passiert, kein Gegenverkehr, es hätte aber deutlich schlimmer kommen
können. Ich konnte weiter fahren. Seit diesem Erlebnis hatte mir Reifglätte
Respekt eingeflößt.
Hände ringend suche ich bei
Reifglätte nach einem Kompromiss. Dabei fühle ich mich am wohlsten, wenn ich
erst gar nicht ins Auto steigen muss. Schneeglätte ist für mich gar kein
Problem. Da fahren alle Autofahrer langsam. Ich halte fleißig Abstand und wenn
ich bremsen muss, greift frisch gefallener Schnee immer noch besser als
Reifglätte.
Fahre ich hingegen bei
Reifglätte zu schnell, kann ein verheerender Unfall drohen. Fahre ich zu
langsam, ziehe ich den Zorn der im Schneckentempo hinter mir kriechenden
Autofahrer auf mich. Aber nun ? An der Böschung hatten sich die Schneereste zu
einem Gebirge aufgetürmt, die weißen Tupfer des Schnees zerbröselten auf den
Feldern, die sich platt und bedächtig in die Weite spannten. Im Schimmer der
Nacht wirkte das Dorf unwirklich und fern. Die Umgehungsstraße umkurvte es in
einem weiten Bogen, der so rund wie ein Viertelkreis war.
Mit unserem zähen und
robusten Auto, das fünfzehn Jahre auf dem Buckel hatte und noch wie ein Uhrwerk
lief, reihte ich mich in die Autoschlange ein. Ich war wohl nicht der einzige,
dem die Reifglätte Furcht einflößte. Nur oberflächlich angetastet durch die
Fahrspur, setzte sich diese hauchdünne weiße Schicht fort.
Am S-Bahnhof angekommen,
konzentrierte ich mich so sehr auf den Straßenzustand, dass ich die
eingefahrene S-Bahn gar nicht bemerkte. Als ich sie sah, ließ ich unseren
Sohnemann augenblicklich aussteigen. Wie in einem Panikzustand hielt ich an,
noch meilenweit vom Bahnsteig entfernt. Zwischen den Feldern ließ ich ihn herum
tappsen, und er versuchte erst gar nicht zu rennen, denn die S-Bahn fuhr wenige
Momente später ab. In zehn Minuten sollte die nächste S-Bahn einfahren.
Auf der Rückfahrt derselbe Straßenzustand,
der zur Vorsicht mahnte. Noch hatte ich kein Auto im Straßengraben gesehen. War
es überhaupt nicht glatt ? Konnte ich unbeschwert in normalem Tempo fahren ?
Das tat ich lieber nicht. Und prompt bildete sich zwischen Tempo 30, 40 oder 50
die unvermeidbare Autoschlange hinter mir, deren Geduld ich strapazierte. Ein
Meteorologe hätte wahrscheinlich gestaunt über die Vielfalt von Eiskristallen.
Dumpf hatten die Reifenspuren die Fahrspur platt gefahren. Und dumpf glitten
auch die Felder vorbei, die rechterhand von dem wirren Gestrüpp einer alten
Kiesgrube eingegrenzt wurden.
Schließlich kam Bewegung in
die Angelegenheit. Als ich mit 40 km/h daher schlich, überholte mich ein Kombi.
Tatsächlich, es wir nicht glatt, denn das Überholmanöver klappte ohne
Rutschpartie. Beschleunigen ? Nein, in der Viertelkreiskurve traute ich mich
nicht. Dahinter, als die Landstraße geradlinig wurde, beschleunigte ich auf
sagenhafte 60 km/h. Am Horizont zeigte sich ein erster Funke Helligkeit.
Zögernd, noch voller Schlaf, würde bald die Sonne aufstehen. Ohne Bäume und
ohne Sträucher am Straßenrand, verirrte sich das Band der Straße im Dunkeln im Niemandsland.
Ich fuhr ungefähr so
konzentriert wie ein Einhundertmeterläufer vor dem Startschuss. Mein Blick war
gefesselt auf die Fahrspur, die halbwegs frei war von dieser puderzuckerdünnen
Reifschicht. Tempo 60 blieb meine magische Obergrenze.
Egal, was die anderen
Autofahrer dachten. Hauptsache, ich kam Heil zu Hause an.
Ja das Wetter und die Strassenverhälnisse sind zur Zeit tückisch, lieber langsam, aber gesund ankommen.
AntwortenLöschenGute Nacht und liebe Grüße
Angelika
Straßenglätte fand ich immer furchtbar, so unberechenbar wie Glatteis ist :-(((( Noch an einer Stelle frei kann es ein paar Meter schon supergefährlich werden. Da war mir eine festgefahrene Schneedecke immer dreimal lieber. Allerdings kann man es sich ja nicht aussuchen^^
AntwortenLöschenHier auf der Insel kann man unsicheres Fahrverhalten bei Regen feststellen...und es passieren immer einige Unfälle. Die Tinerfeños können mit dem Nass von oben und dann Auto fahren nicht sehr gut umgehen.
Liebe Nachtgrüssle
Ja das Straßenglätte ist gefährlich. Da pass gut auf dich auf. Aber jetzt ist es bestimmt schon alles weggetaut. Mal sehen was als nächstes kommt. Das Thema Gentrifizierung ist wirklich interessant. Wäre doch schön, wenn du dich mit Mietern aus Köln oder Bonn solidarisieren würdest... Dich selbst wird es ja eher weniger betreffen, es sei denn sie wollen plötzlich eine Autobahn oder ein Flughafen auf dein Grundstück setzten.
AntwortenLöschenBeste Donnerstagsgrüße sendet Wieczorama (◔‿◔) | Mein Fotoblog
Ja, mit Reifglätte ist nicht zu spaßen.
AntwortenLöschenIch bin ja auch kein Freund davon, bei einer gesichteten Schneeflocke nur noch zu kriechen wie so manch anderer, aber manchmal tut es Not langsam zu fahren. Sollen doch alle überholen, die schneller fahren wollen.
Heute Morgen war es bei uns auch recht glatt auf den Straßen. Ich weiß nicht, wie es bei euch drüben war.