Donnerstag, 15. Januar 2015

"Je suis Charlie" und Innenansichten nach Tunesien und Saudi-Arabien

Ja, auch ich bin Charlie, „je suis Charlie“. Ich finde es richtig, wie die ganze Welt auf die Straße geht, sich verbrüdert, durch diese grausamen Verbrechen zusammen geschweißt wird und Arm in Arm in Paris islamischen Extremisten die Stirn bietet, mitsamt der Staatsoberhäupter von arabischen Staaten wie Jordanien, Ägypten, Algerien, Bahrein, der Vereinigten Arabischen Emirate oder Saudi-Arabien. Dass unsere Pressefreiheit eine fundamentale Errungenschaft unserer Demokratie ist, dass sie solche Attentäte islamischer Extremisten kalt läßt, darüber werde ich nichts schreiben. In Fernsehsendungen, im Radio, in Zeitungen, in Berichten, in Kommentaren, in Blogs und im Internet ist schon so viel gesagt worden.

Lieber möchte ich zwei Vorfälle aus der Welt des Islams aufgreifen, auf die ich zuletzt eher zufällig aufmerksam geworden bin. Sie haben nicht direkt etwas mit der Bewegung „je suis Charlie“ zu tun, sie werfen aber ein bemerkenswertes Schlaglicht auf den Zustand islamischer Staaten.

Das erste Ereignis datiert primär nicht aus den letzten Tagen, sondern es reicht in den August des letzten Jahres zurück. Genau dieser Zeitversatz ist kritisch. Arbeitskollegen war Ende August letzten Jahres beim Mittagsspaziergang auf der Godesberger Allee aufgefallen, dass sich Blumen und Kerzen vor der tunesischen Botschaft in die Höhe stapelten. Wir rätselten, und um Klarheit zu schaffen, googelte ich im Internet. Unter www.express.de fand ich die Auflösung. Zwei Töchter einer Tunesischen Familie, die seit 30 Jahren in Bonn wohnt, hatten ihre Großeltern, Tanten und Onkel im Süden Tunesiens, dicht an der Algerischen Grenze, besucht. Nachdem sie den Abend in der 80.000-Seelen-Stadt Kasserine gemeinsam mit Cousinen und Cousins in einem Café verbracht hatten, fuhren sie in einem VW Golf, der mit sieben Personen aus allen Nähten platzte, nach Hause. Auf einer rumpeligen Nebenstraße, auf der sie vor lauter Schlaglöchern kaum vorwärts kamen, gerieten sie in eine Polizeikontrolle. Dass das Auto mit viel zu vielen Personen beladen war, davon wollte die Polizeistreife, die aus elf Polizisten bestand, offensichtlich nichts wissen. Anstatt dessen eröffneten zwei Polizisten aus ihren Gewehren das Feuer auf die siebenköpfige Personenschar. Die 21-jährige Ahlem, in Bonn geboren, deutsche Staatsangehörige, Abiturientin an einem Bonner Gymnasium, an der Universität in Bielefeld studierte sie Jura, wurde durch einen Kopfschuss regelrecht hingerichtet. Die 18-jähige Oms, eine tunesische Cousine, starb später im Krankenhaus.

Post vom 26.8.2014 in Facebook
Recht und Gesetz waren in Deutschland die Hände gebunden, da die strafrechtlichen Ermittlungen auf Tunesischem Staatsgebiet vorangetrieben werden mussten. Am nächsten Tag bezog das tunesische Innenministerium Stellung, dass die Polizisten algerische Terroristen vermutet hätten. Die jungen Leute hätten sich mit hohem Tempo genähert, sie hätten sich geweigert anzuhalten, und nachdem die Polizisten Leuchtsignale in die Luft geschossen hatten, sei das Feuer eröffnet worden.

Der Informationsfluss, welchen Stand die Ermittlungen in Tunesien erreicht hatten, war spärlich bis widersprüchlich bis nicht existent. So war an eine hohe Geschwindigkeit gar nicht zu denken, da das Auto von Schlagloch  zu Schlagloch humpelte. Wenn Rechtsanwälte und die deutsche Strafjustiz beim tunesischen Innenminister nachfragten, erhielten sie die Auskunft, dass man sich um den Fall kümmere. Fassten Rechtsanwälte und die Strafjustiz bei der tunesischen Polizei und anderen Strafermittlungsbehörden nach, dann waren diese aber nicht zuständig. Offiziell hieß es zwischenzeitlich, dass ein erster Staatsanwalt sein Mandat niedergelegt hätte, dass ein zweiter Staatsanwalt wieder abberufen worden sei. Dann sei beim Innenminister der Fall von einer unabhängigen Kommission geprüft worden, und nun sei wieder der zweite, zwischenzeitlich abberufene Staatsanwalt zuständig.

Derweil hatten Cousinen und Cousins, die am Tatort waren, auf eigene Faust ermittelt. Parallel dazu fanden sich in Bonn vor dem Tunesischen Konsulat an die einhundert Demonstranten zusammen, die eine unverzügliche und lückenlose Aufklärung des Verbrechens forderten. Sie initiierten eine Facebook-Seite "Ahlem du wirst immer in unserem Herzen bleiben", die genau 2.859 Follower hat. Die Cousinen und Cousins glaubten, die beiden Polizisten von Kasserine wiedererkannt zu haben, die die tödlichen Schüssen abgefeuert hatten, und stellten Bilder von ihnen ins Netz.

Post vom 5.11.2014 in Facebook
Als in diesem heillosen Durcheinander die Hoffnung vollständig zu erliegen drohte, kam am 7. Januar 2015 endlich Bewegung in die Sache. Die Bonner Staatsanwaltschaft erhielt Post vom tunesischen Innenministerium, in der in arabischer Schrift nachzulesen war, dass im Todesfall Ahlem und Oms zwei Polizisten verhaftet worden waren. Ob es diejenigen Polizisten waren, die auf der Facebook-Seite abgebildet waren, konnte nicht recherchiert werden.

Wie die Angehörigen von Ahlem und Oms berichteten, hatten sich tumultartige Szenen vor dem Gerichtsgebäude abgespielt. Die Polizei von Kasserine marschierte auf die Straße und protestierte vor dem Amtsgericht gegen die Verhaftung ihrer beiden Kollegen. Menschen auf der Straße schlossen sich dem Protest an, aber die Staatsanwaltschaft griff durch und brachte die beiden Polizisten irgendwie hinter Gitter. Nun wartet der Strafprozess auf sie, in dem ihre Schuld bewiesen werden muss und ein Urteil gesprochen werden muss.

Das gilt nicht für Tunesien: in anderen islamischen Staaten scheinen Menschenleben nicht allzu viel Wert zu sein, wenn Menschen sich an belebten Plätzen in die Luft sprengen und hoffen, möglichst viele andere Menschen mit in den Tod zu ziehen. Der tunesische Staat scheint indes kein besonderes Interesse daran zu haben, Verbrechen aufzuklären. Anstatt dessen läßt der Staat lieber die Täter frei herum laufen.

Das zweite Ereignis habe ich in der Bloggerwelt gefunden. Astrid berichtet unter der Überschrift „Scheinheiligkeit“ darüber, dass ein Blogger aus Saudi-Arabien ausgepeitscht wurde, weil er auf seinem Blog seine freie Meinung geäußert hatte.

Näheres könnt Ihr bei Astrid nachlesen.

"Zwei Tage nach der öffentlichen Auspeitschung eines Bloggers haben Vertreter der saudi-arabischen Regierung in Paris am Trauermarsch für die Opfer der Attentate teilgenommen - der auch ein Zeichen für Meinungsfreiheit war. Der saudi-arabische Blogger Raif Badawi war am Freitag wegen "Beleidigung des Islam" mit 50 Peitschenhieben bestraft worden. 950 sollen folgen. Der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zufolge nimmt der Druck auf interne Kritiker in Saudi-Arabien massiv zu.  Badawi sei insofern ein Einzelfall, als seine Bestrafung ungewöhnlich brutal sei und zudem öffentlich vollstreckt wurde."

Die Doppelmoral Saudi-Arabiens verblüfft mich in der Tat. So marschierte der Scheich von Saudi-Arabien auf Augenhöhe mit Angela Merkel oder Francois Hollande in Paris für die Pressefreiheit, während er im eigenen Land eben diese Freiheit mit Füßen tritt.

Die Schlaglichter auf Tunesien und Saudi-Arabien sind kurz, die Werturteile sind vernichtend. In Tunesien gibt es immerhin das positive Zeichen, dass das Land nach dem Umsturz des islamischen Gottesstaates die Wende zur Demokratie finden könnte. Aber Blogger auspeitschen in Saudi-Arabien ? Das ist tiefstes Mittelalter, genauso wie die Kreuzzüge von Gotteskriegern gegen den Westen.

2 Kommentare:

  1. Die Doppelmoral gibt es nicht nur bei den Saudis, aber sie zeigen auch mit solchem Verhalten in welcher Welt wir leben.

    Gruß Nachtfalke

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  2. Diese Doppelmoral und Scheinheiligkeit gibt es doch in jedem Land, da braucht man gar nicht groß forschen ;-) Ist diese Presse- und Meinungsfreiheit denn auch tatsächlich schon in allen europäischen Ländern, angefangen von Deutschland tatsächlich so vorhanden wie immer getan wird? Ehrlich gesagt...müssen die neuen Provokationen (in meinen Augen sind sie es) von Charlie nun sein? Absolut gegen eine andere Religionsform in billiger Weise so schießen? Geht es da nur um die reine Meinungsfreiheit oder doch auch um Rache?

    Ich beleuchte das für mich immer von zwei Seiten. Allerdings möchte ich auch klarstellen dass ich solche Anschläge und viele Dinge nicht akzeptieren will und kann sowie natürlich auch geschockt bin über die Art und Weise wie einfach ohne an die Menschen zu denken ein Anschlag verübt wird.


    Was Saudi Arabien angeht...ich weiß nicht was der junge Mann gebloggt hat, aber ich weiß das Saudi Arabien doch noch ein sehr "verschlossenes" Land ist. So gibt es dort ja auch noch Steinigungen und auch Prügelstrafe wenn die Geschäfte zu Gebetszeiten (zumindest vor vielen Jahren in Dschidda) nicht zugemacht haben. Mein Dad hat viele Jahre dort gearbeitet und ich konnte im Urlaub einen winzigen Einblick in das Land, die Gewohnheiten und die Menschen bekommen...winzig wie gesagt, aber damals schon dachte ich an die Scheinheiligkeit wenn Alkohol strickt verboten war, aber hinter geschlossenen Türen dann doch getrunken wurde. Allerdings war ich faszniert als ich Männer mit Goldbarren im Souk einfach so rumlaufen sehen konnte. Einmal eine Hand ausgestreckt wurde mir ein Barren in die Hand gelegt....aber auch nur weil sie wussten das nichts passieren würde. Meine Hand wäre nämlich ansonsten später ab gewesen^^

    Eine schlimme Strafe??? Ja, natürlich für die Personen die ihre Hand oder Finger verlieren, aber anders herum, das schreckt natürlich Kleinganoven ab. Ich habe ja gewusst was passieren würde, also lässt man es bleiben.

    Als Frau sich dort frei bewegen zu können, ich denke mal auch heute noch unmöglich, auch dort als Frau überhaupt etwas frei zu sagen....

    Persönlicher finde ich es viel schlimmer was mit den Mädchen in Tunesien passiert ist. Diese Waffengewalt ist einfach unglaublich, einfach drauf losballern.....selbst wenn die Angst vor Terroristen vorhanden gewesen ist....

    Menschenleben zählen heute nichts mehr und ich bin überzeugt das es in 2015 zu einem noch größeren Knall kommen wird.

    Der Mensch kann einfach nicht in Frieden leben, er macht nicht nur den wunderschönen Planeten Erde kaputt sondern auch sich selbst.

    Viele Grüssle

    N☼va

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