Ja, auch ich bin Charlie, „je suis Charlie“. Ich
finde es richtig, wie die ganze Welt auf die Straße geht, sich verbrüdert,
durch diese grausamen Verbrechen zusammen geschweißt wird und Arm in Arm in
Paris islamischen Extremisten die Stirn bietet, mitsamt der Staatsoberhäupter
von arabischen Staaten wie Jordanien, Ägypten, Algerien, Bahrein, der
Vereinigten Arabischen Emirate oder Saudi-Arabien. Dass unsere Pressefreiheit
eine fundamentale Errungenschaft unserer Demokratie ist, dass sie solche
Attentäte islamischer Extremisten kalt läßt, darüber werde ich nichts
schreiben. In Fernsehsendungen, im Radio, in Zeitungen, in Berichten, in
Kommentaren, in Blogs und im Internet ist schon so viel gesagt worden.
Lieber möchte ich zwei Vorfälle aus der Welt des
Islams aufgreifen, auf die ich zuletzt eher zufällig aufmerksam geworden bin. Sie
haben nicht direkt etwas mit der Bewegung „je suis Charlie“ zu tun, sie werfen
aber ein bemerkenswertes Schlaglicht auf den Zustand islamischer Staaten.
Das erste Ereignis datiert primär nicht aus den
letzten Tagen, sondern es reicht in den August des letzten Jahres zurück. Genau
dieser Zeitversatz ist kritisch. Arbeitskollegen war Ende August letzten Jahres
beim Mittagsspaziergang auf der Godesberger Allee aufgefallen, dass sich Blumen
und Kerzen vor der tunesischen Botschaft in die Höhe stapelten. Wir rätselten,
und um Klarheit zu schaffen, googelte ich im Internet. Unter www.express.de
fand ich die Auflösung. Zwei Töchter einer Tunesischen Familie, die seit 30
Jahren in Bonn wohnt, hatten ihre Großeltern, Tanten und Onkel im Süden
Tunesiens, dicht an der Algerischen Grenze, besucht. Nachdem sie den Abend in
der 80.000-Seelen-Stadt Kasserine gemeinsam mit Cousinen und Cousins in einem
Café verbracht hatten, fuhren sie in einem VW Golf, der mit sieben Personen aus
allen Nähten platzte, nach Hause. Auf einer rumpeligen Nebenstraße, auf der sie
vor lauter Schlaglöchern kaum vorwärts kamen, gerieten sie in eine
Polizeikontrolle. Dass das Auto mit viel zu vielen Personen beladen war, davon wollte
die Polizeistreife, die aus elf Polizisten bestand, offensichtlich nichts
wissen. Anstatt dessen eröffneten zwei Polizisten aus ihren Gewehren das Feuer
auf die siebenköpfige Personenschar. Die 21-jährige Ahlem, in Bonn geboren, deutsche
Staatsangehörige, Abiturientin an einem Bonner Gymnasium, an der Universität in
Bielefeld studierte sie Jura, wurde durch einen Kopfschuss regelrecht
hingerichtet. Die 18-jähige Oms, eine tunesische Cousine, starb später im
Krankenhaus.
Post vom 26.8.2014 in Facebook |
Recht und Gesetz waren in Deutschland die Hände
gebunden, da die strafrechtlichen Ermittlungen auf Tunesischem Staatsgebiet
vorangetrieben werden mussten. Am nächsten Tag bezog das tunesische
Innenministerium Stellung, dass die Polizisten algerische Terroristen vermutet
hätten. Die jungen Leute hätten sich mit hohem Tempo genähert, sie hätten sich
geweigert anzuhalten, und nachdem die Polizisten Leuchtsignale in die Luft
geschossen hatten, sei das Feuer eröffnet worden.
Der Informationsfluss, welchen Stand die
Ermittlungen in Tunesien erreicht hatten, war spärlich bis widersprüchlich bis
nicht existent. So war an eine hohe Geschwindigkeit gar nicht zu denken, da das
Auto von Schlagloch zu Schlagloch humpelte. Wenn
Rechtsanwälte und die deutsche Strafjustiz beim tunesischen Innenminister
nachfragten, erhielten sie die Auskunft, dass man sich um den Fall kümmere.
Fassten Rechtsanwälte und die Strafjustiz bei der tunesischen Polizei und
anderen Strafermittlungsbehörden nach, dann waren diese aber nicht zuständig.
Offiziell hieß es zwischenzeitlich, dass ein erster Staatsanwalt sein Mandat
niedergelegt hätte, dass ein zweiter Staatsanwalt wieder abberufen worden sei.
Dann sei beim Innenminister der Fall von einer unabhängigen Kommission geprüft
worden, und nun sei wieder der zweite, zwischenzeitlich abberufene Staatsanwalt
zuständig.
Derweil hatten Cousinen und Cousins, die am Tatort
waren, auf eigene Faust ermittelt. Parallel dazu fanden sich in Bonn vor dem
Tunesischen Konsulat an die einhundert Demonstranten zusammen, die eine
unverzügliche und lückenlose Aufklärung des Verbrechens forderten. Sie
initiierten eine Facebook-Seite "Ahlem du wirst immer in unserem Herzen bleiben",
die genau 2.859 Follower hat. Die Cousinen und Cousins glaubten, die beiden
Polizisten von Kasserine wiedererkannt zu haben, die die tödlichen Schüssen
abgefeuert hatten, und stellten Bilder von ihnen ins Netz.
Post vom 5.11.2014 in Facebook |
Als in diesem heillosen Durcheinander die Hoffnung
vollständig zu erliegen drohte, kam am 7. Januar 2015 endlich Bewegung in die
Sache. Die Bonner Staatsanwaltschaft erhielt Post vom tunesischen
Innenministerium, in der in arabischer Schrift nachzulesen war, dass im
Todesfall Ahlem und Oms zwei Polizisten verhaftet worden waren. Ob es
diejenigen Polizisten waren, die auf der Facebook-Seite abgebildet waren,
konnte nicht recherchiert werden.
Wie die Angehörigen von Ahlem und Oms berichteten, hatten sich tumultartige Szenen vor dem Gerichtsgebäude abgespielt. Die
Polizei von Kasserine marschierte auf die Straße und protestierte vor dem
Amtsgericht gegen die Verhaftung ihrer beiden Kollegen. Menschen auf der Straße
schlossen sich dem Protest an, aber die Staatsanwaltschaft griff durch und brachte
die beiden Polizisten irgendwie hinter Gitter. Nun wartet der Strafprozess auf
sie, in dem ihre Schuld bewiesen werden muss und ein Urteil gesprochen werden
muss.
Das gilt nicht für Tunesien: in anderen islamischen
Staaten scheinen Menschenleben nicht allzu viel Wert zu sein, wenn Menschen
sich an belebten Plätzen in die Luft sprengen und hoffen, möglichst viele andere
Menschen mit in den Tod zu ziehen. Der tunesische Staat scheint indes kein
besonderes Interesse daran zu haben, Verbrechen aufzuklären. Anstatt dessen
läßt der Staat lieber die Täter frei herum laufen.
Das zweite Ereignis habe ich in der Bloggerwelt
gefunden. Astrid berichtet unter der Überschrift „Scheinheiligkeit“ darüber,
dass ein Blogger aus Saudi-Arabien ausgepeitscht wurde, weil er auf seinem Blog
seine freie Meinung geäußert hatte.
Näheres könnt Ihr bei Astrid nachlesen.
"Zwei Tage nach der öffentlichen
Auspeitschung eines Bloggers haben Vertreter der saudi-arabischen Regierung in
Paris am Trauermarsch für die Opfer der Attentate teilgenommen - der auch ein
Zeichen für Meinungsfreiheit war. Der saudi-arabische Blogger Raif Badawi
war am Freitag wegen "Beleidigung des Islam" mit 50 Peitschenhieben
bestraft worden. 950 sollen folgen. Der Menschenrechtsorganisation Amnesty
International zufolge nimmt der Druck auf interne Kritiker in Saudi-Arabien
massiv zu. Badawi sei insofern ein Einzelfall, als seine Bestrafung
ungewöhnlich brutal sei und zudem öffentlich vollstreckt wurde."
Die
Doppelmoral Saudi-Arabiens verblüfft mich in der Tat. So marschierte der
Scheich von Saudi-Arabien auf Augenhöhe mit Angela Merkel oder Francois
Hollande in Paris für die Pressefreiheit, während er im eigenen Land eben diese
Freiheit mit Füßen tritt.
Die Schlaglichter auf Tunesien und Saudi-Arabien sind kurz, die Werturteile sind vernichtend. In Tunesien gibt es immerhin das positive Zeichen, dass das Land
nach dem Umsturz des islamischen Gottesstaates die Wende zur Demokratie finden
könnte. Aber Blogger auspeitschen in Saudi-Arabien ? Das ist tiefstes
Mittelalter, genauso wie die Kreuzzüge von Gotteskriegern gegen den Westen.
Die Doppelmoral gibt es nicht nur bei den Saudis, aber sie zeigen auch mit solchem Verhalten in welcher Welt wir leben.
AntwortenLöschenGruß Nachtfalke
Diese Doppelmoral und Scheinheiligkeit gibt es doch in jedem Land, da braucht man gar nicht groß forschen ;-) Ist diese Presse- und Meinungsfreiheit denn auch tatsächlich schon in allen europäischen Ländern, angefangen von Deutschland tatsächlich so vorhanden wie immer getan wird? Ehrlich gesagt...müssen die neuen Provokationen (in meinen Augen sind sie es) von Charlie nun sein? Absolut gegen eine andere Religionsform in billiger Weise so schießen? Geht es da nur um die reine Meinungsfreiheit oder doch auch um Rache?
AntwortenLöschenIch beleuchte das für mich immer von zwei Seiten. Allerdings möchte ich auch klarstellen dass ich solche Anschläge und viele Dinge nicht akzeptieren will und kann sowie natürlich auch geschockt bin über die Art und Weise wie einfach ohne an die Menschen zu denken ein Anschlag verübt wird.
Was Saudi Arabien angeht...ich weiß nicht was der junge Mann gebloggt hat, aber ich weiß das Saudi Arabien doch noch ein sehr "verschlossenes" Land ist. So gibt es dort ja auch noch Steinigungen und auch Prügelstrafe wenn die Geschäfte zu Gebetszeiten (zumindest vor vielen Jahren in Dschidda) nicht zugemacht haben. Mein Dad hat viele Jahre dort gearbeitet und ich konnte im Urlaub einen winzigen Einblick in das Land, die Gewohnheiten und die Menschen bekommen...winzig wie gesagt, aber damals schon dachte ich an die Scheinheiligkeit wenn Alkohol strickt verboten war, aber hinter geschlossenen Türen dann doch getrunken wurde. Allerdings war ich faszniert als ich Männer mit Goldbarren im Souk einfach so rumlaufen sehen konnte. Einmal eine Hand ausgestreckt wurde mir ein Barren in die Hand gelegt....aber auch nur weil sie wussten das nichts passieren würde. Meine Hand wäre nämlich ansonsten später ab gewesen^^
Eine schlimme Strafe??? Ja, natürlich für die Personen die ihre Hand oder Finger verlieren, aber anders herum, das schreckt natürlich Kleinganoven ab. Ich habe ja gewusst was passieren würde, also lässt man es bleiben.
Als Frau sich dort frei bewegen zu können, ich denke mal auch heute noch unmöglich, auch dort als Frau überhaupt etwas frei zu sagen....
Persönlicher finde ich es viel schlimmer was mit den Mädchen in Tunesien passiert ist. Diese Waffengewalt ist einfach unglaublich, einfach drauf losballern.....selbst wenn die Angst vor Terroristen vorhanden gewesen ist....
Menschenleben zählen heute nichts mehr und ich bin überzeugt das es in 2015 zu einem noch größeren Knall kommen wird.
Der Mensch kann einfach nicht in Frieden leben, er macht nicht nur den wunderschönen Planeten Erde kaputt sondern auch sich selbst.
Viele Grüssle
N☼va