Ein Stau auf der A5 sorgte dafür, dass ich für einen kurzen Augenblick Frankreich kennen lernen sollte. Nach Freiburg hatte ich unser großes Mädchen zurück gebracht, und auf der Rückfahrt waren zwischen Offenburg und Achern zwölf Kilometer Stau gemeldet. Daher beschloss ich, bei Lahr die Autobahn zu verlassen und über Straßburg, Lauterbach und Landau nach Hause in Richtung NRW zu fahren.
30, maximal 45 Minuten wollte ich mir reservieren, um an einem Ort Eindrücke aus Frankreich zu sammeln. Alle Wege, die aus meiner NRW-Perspektive nach Südwesten führen, haben mich seit jeher fasziniert. Dazu zählt auch Frankreich.
Ich passierte die Grenze über eine Straße, die eine Schleuse über den Rhein abschloss. Interessierte beugten sich über die Brüstung eines Geländers, um den Schiffen zuzuschauen, die zum Warten verdammt waren.
Einige Kilometer weiter, überquerte ich den Rhein-Rhone-Kanal. So schmal, wie die Fahrrinne war, kam mir die Länge des Kanals quer durch Frankreich bis zur Rhone viel zu weit vor. Wieder ein paar Kilometer weiter, breitete sich eine Zuckerfabrik mit ihren kugelrunden Silos aus. „Sortie d’usine“ warnte ein Hinweisschild vor Werksverkehr, außerdem zerstreuten sich zwei Werksparkplätze in die umliegende Flussniederung.
Erstein war der erste größere Ort im Elsass, der in 20 Kilometern Entfernung deutlich außerhalb des Ballungsraums von Straßburg lag. Ich fuhr ins Zentrum von Erstein, um meine Eindrücke aus Frankreich zu sammeln. Ganz bewusst wählte ich keine vom Tourismus geprägten Orte wie Kaysersberg, Riquewihr, Obernai oder Wissembourg, sondern den erstbesten, stinknormal aussehenden Ort.
Was mich an Frankreich magisch anzog, war die Sprache. Sie hatte Ästhetik, war gepflegt, setzte Akzente und erzeugte Melodie. Sie war kein Kauderwelsch – wie beispielsweise Englisch. Quer durch meine Lebenslagen, hatte ich Französisch mal mehr, mal weniger, teilweise auch gar nicht gelernt – aber immer mit einer großen Leidenschaft. So wie in Spanien oder den Niederlanden hatte ich kennen gelernt, dass sich komplett neue Horizonte öffnen, wenn man – ein wenig reicht sogar – die Sprache des anderen Landes sprechen kann.
Boulangerie … coiffeur …ambulances … mercerie … assurances … So wie sonst, studierte ich zuerst aufmerksam Schilder und Aufschriften mit ihren Bedeutungen. „Rue de Gaulle“ hieß eine Straße in Erstein. In Deutschland passte dies zu all den Adenauerstraßen und Adenaueralleen und Adenauerplätzen, denn der deutsche Kanzler und der französische Staatspräsident hatten ja die deutsch-französischen Einigung eingeleitet.
Im Elsass vermied ich es grundsätzlich, Deutsch zu reden. Dabei ging ich davon aus, dass der Franzose seine Grundeinstellung auch im Elsass beibehält, dass er nämlich außer Französisch keine andere Fremdsprache spricht. Elsässisch ist letztlich Dialekt – und auch im Deutschen würde ich es nie und nimmer auf die Reihe bekommen, schwäbisch oder bayrisch reden zu können. Ebenso registriere ich in den Niederlanden abschreckend, dass sämtliche Deutsche von den Niederländern Deutschkenntnisse erwarteten, während sich Deutsche niemals mit Niederländisch abquälten.
Verglichen mit badischen Orten auf der anderen Rheinseite, ähnelte sich der Baustil der Häuser, doch bei näherem Hinsehen, kamen mir die Häuser in Erstein mit mehr Ecken und mehr Kanten vor. Es war nicht signifikant, aber Häuser, Plätze und öffentliche Bauten waren nicht so herausgeputzt, alles war eine Spur blasser. Anstriche schillerten nicht so intensiv, schreiende Farben bevorzugten es, sich zurückzuhalten, exponierte Stellen waren ohne Farbtupfer. Anstatt dessen fielen die dezenten, hellen, braunen oder zartgrünen Fensterläden auf, die an kaum einem älteren Haus fehlten.
Ein besonderes Juwel waren die Fachwerkhäuser: während deutsche Fachwerk-Städte wie Meersburg, Büdingen in Hessen oder Bernkastel-Kues sich makellos herausputzten, beeindruckte mich in Erstein die Geschlossenheit und Vielfalt auf der rue de Gaulle, als ich Erstein verließ. Vordächer lockerten zwischen den Etagen das Fachwerk auf, der Verlauf der Balken wechselte zwischen schräg, diagonal, waagerecht, senkrecht, große Vierecke, kleine Vierecke, Kreuzmuster, Raute und Zickzack. So dicht, wie sich die Fachwerkhäuser zusammenscharten, auf der Straße ruppiges Kopfsteinpflaster, ein Mann mit einer Papiertüte von Baguettes unter dem Arm, das war eindeutig Frankreich und nicht mehr Deutschland.
Wenn mir nur wenig Zeit zur Verfügung stand, ein fremdes Land kennenzulernen, dann kannte ich ein Ritual: ich kaufte mir eine ausländische Zeitung, ich trank einen Kaffee und ich las dabei die Zeitung.
Ich betrat die Librairie, die sich kurz vor der Parkfläche befand, wo ich mein Auto geparkt hatte.
„Bonjour …
… vous avez le Nouvel Observateur ?“
Ich schielte schräg zum Zeitungsstand herüber, doch ich war verwirrt vor lauter französischen Computerzeitschriften und ich sah es als kritisch an, dort den „Nouvel Observateur“ – welches ungefähr das Pendant zum deutschen SPIEGEL ist - zu finden.
Eine gedrungene Frau mittleren Alters begrüßte mich. Ihre kleine Gestalt verschwand beinahe hinter der hohen Kassentheke. Ihr kurzes, braunes Haar hatte sie glatt heruntergekämmt. Ihr ansonsten ovaler Schädel rundete sich mit ihrem Kinn ab. Ihre Haut war weich und widersetzte sich den Falten.
„Bonjour ...
... le Nouvel Obs ?“
... le Nouvel Obs ?“
„Oui.“
„Ca se trouve là.“
„Ca coute combien ?“
„3,50 €.“
So wie mich die französische Sprache faszinierte, hätte ich gerne weiter gequasselt, doch ich war mir zu unsicher bei dieser Stippvisite von weniger als einer Stunde. Zu schnell wären Passagen gekommen, die ich nicht mehr verstanden hätte oder mir hätten die Worte gefehlt.
Zum Kaffeetrinken kam ich nicht mehr, denn ich fand schlichtweg kein Café, das mir zusagte. Stehplätze in einer boulangerie gab es nicht, um Kaffee zu trinken. Ich entdeckte alleine ein Eiscafé, das war lediglich eine Kopie deutscher Eisdielen. Ich stieß auf eine „Bierstub Tivoli“, doch die war nachmittags geschlossen. Auf Bistrots und Cafés, die für mich der Inbegriff französischer Lebenskunst waren, musste ich hier in Erstein verzichten. Dazu war es wohl auch nicht typisch französisch genug. Restaurants, die sonst in Frankreich in jedem Provinznest mitten im Ort zu finden waren, vermisste ich auch hier.
Ich war wohl zu sehr an der Peripherie Frankreichs angelangt. Das Herz Frankreichs lag wahrscheinlich irgendwo zwischen der Loire-Gegend, Burgund und Paris. Im Nouvel Observateur blätterte ich später herum – bei einem sündhaft teuren Kaffee auf der Autobahnraststätte Hunsrück. Es dominierten die Wahlen zum Staatspräsidenten. Themen, die mich interessierten, betrafen die Arbeitslosigkeit in Frankreich, regenerative Energien oder spanische Literatur im Spiegel der Wirtschaftslage.
Gemeinsam mit den Eindrücken aus Erstein, werde ich die interessanten Themen aus dem Nouvel Observateur später aufarbeiten.
Hach ja, unsere Mädels im Süden ...
AntwortenLöschenIch hab vor dem Umzug vom Kind aus NRW nach Karlsruhe so gar keinen Bezug zu Frankreich gehabt. Dann haben wir mal ein paar Tage Elsass und Strasbourg angehängt und im letzten Jahr den Sommer in Südfrankreich verbracht. Und das alles, wo ich gar kein Französisch spreche. Bis auf einen Satz: Je ne parle pas français. Den kann ich perfekt. Und als ich den dann auch noch mit einer französischen Wohnzeitschrift unterm Arm im Restaurant anbrachte, erntete ich schallendes Gelächter. Mir hat einfach keiner geglaubt! Dabei konnte ich wirklich nicht erahnen, dass da von grünen Bohnen die Rede war, haricots verts. (Die Kinder meinen übrigens, ich untertreibe. Aber ich kann wirklich WIRKLICH kein französisch sprechen.)
Ja, es war schön. Aber ich bin nun mal ein Nordlicht und es treibt mich nach Finnland und Estland - mit einer Ausnahme: Ich liebe die Pyrenäen, womit wir neben Andorra schon wieder in Frankreich sind (die spanische Seite ist nix für mich).
Ach ja, die Provence war auch sehr schön. Die Cevennen sind nur unzureichender Pyrenäenersatz. Die Normandie geht nur im Herbst, wenn eh alles grau ist und Paris geht gar nicht (also für mich). Irgendwie scheine ich mehr von Frankreich zu kennen, als mir bewusst ist.
Grüße! N.
Mit einem Schmunzeln habe ich deinen Abstecher ins schöne Elsaß hier verfolgt.
AntwortenLöschenIch liebe die französische Sprache, wobei die Franzosen schon stur sind und sich keine Mühe geben, einen Ausländer verstehen zu wollen, der ihre Sprache nicht spricht. Für sie ist es selbstverständlich, dass ein Gast ihre Sprache zumindest einigermaßen beherrscht.
Inzwischen läuft Spanisch, zumindest, was das Erlernen einer 2. Fremdsprache bei uns anbetrifft, der französischen Sprache langsam den Rang ab.
So weit zur Sprache......, ich mag die kleinen verträumten Dörfer und Städtchen im Elsass sehr und in Wissembourg gibt es in einer kleinen Kneipe, die nur am Wochenende geöffnet hat, den besten Flammkuchen, den ich je gegessen haben.
Mein Mann kommt gebürtig aus der Pfalz und wir sind daher recht oft in den kleinen Dörfern auf der franz. Seite des Deutschen Weintors.
LG Christa
Hallo Dieter,
AntwortenLöschenbist du auch eine kleine Nachteule? Frage deshalb, weil du gerade auf meinem Blog kommentiert hast.
Noch vergessen zu schreiben....Büdingen hat viel von seinem Fachwerkcharme verloren, ganz so herausgeputzt ist das Städtchen nicht mehr. Auch die urigen Restaurants sind verschwunden und wichen Döner-Buden, Italienern und Jugoslawen.
Nein, ich habe nichts gegen ausländische Gastronomie, aber hier wie auch in vielen anderen Fachwerkstädten (nicht zuletzt Sachsenhausen in Frankfurt), findet man nur noch selten die schönen einheimischen Lokale mit den regionalen Gerichten, eigentlich ein bisschen schade.
Ja, auch Bamberg ist eine schöne Stadt, sowie Lichtenfels, Bad Staffelstein mit der wunderschönen Kirche "Die Sieben Heiligen" und nicht zu vergessen das Koster Banz.
LG und gute Nacht, jetzt muss ich aber in die Federn.
Christa
So spät abends sollte ich nicht mehr kommentieren, Dieter, grummel....
AntwortenLöschenDie Kirche in Bad Staffelstein-Grundfeld heißt natürlich "Vierzehnheiligen" und das fiel mir dann heute Nacht ein. Sorry...
LG Christa
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