Freitag, 2. Mai 2014

Generation 1964


Zugegebenermaßen, ich schaue über ihn hinweg, wenn ich Fahrt aufnehme und an ihm vorbeiradele. In Schweigen gehüllt, verhakt sich seine Metallskulptur auf dem Gehweg. Sperrig, verknoten sich seine Gesichtszüge, seine tief liegenden Augen grübeln vor sich her.

Ja, das Gesicht unseres ersten Bundeskanzlers packt all sein Ausdrucksvermögen zusammen. Aber was hat Konrad Adenauer und die 1964er-Generation gemeinsam ? Ungefähr so viel wie die CDU mit den Grünen oder die FDP mit der Mindestlohndebatte. Die Berührung entstand, da meine bessere Hälfte, mein Bruder und andere Freunde der 1964er-Generation angehören. Im letzten Jahr war ein durchschlagender Erfolg, dass ich als Geburtstagsgeschenk zum 50. Geburtstag eine Gruppenführung durch das unterirdische Köln organisiert hatte und das Geburtstagskind dazu eingeladen hatte. Gestern war es eine Führung durch das frühere Bonner Regierungsviertel, bei der wir lange an der Metallskulptur von Konrad Adenauer verweilt hatten.

Generationen definieren sich über Gegensätze. Generationen wollen sich abgrenzen, neue Denkansätze wagen, der Zeitgeist verändert sich. Ich habe den Zenit des 50. Geburtstages bereits überschritten, und es ist sogar Konrad Adenauer, der mich mit den Nachwehen seiner Ära in meiner Jugend geprägt hat. Die 68er-Bewegung war entstanden, weil die Politik von Konrad Adenauer in den Denkkategorien von Kommunismus und Kapitalismus, von  Böse und Gut, von Ost gegen West erstarrt war. Auf diesem Boden entstand das Denken der 68er Bewegung.

Dieser Geist wirkte bis in die 1970er Jahre nach, obschon ich selbst nie demonstriert habe oder auf die Straße gegangen bin. Alles war gut, was revolutionär klang. Ich befürwortete die Thesen eines Karl Marx, Che Guevara oder Fidel Castro, weil sie einen echten Gegenentwurf zum Bild des Kapitalismus darstellten. In der Schule wurde ich aber auch mit dem Positivbild des Kapitalismus konfrontiert, als das magische Quadrat des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes aus dem Jahr 1967 gelehrt wurde. Kapitalismus ist gut, wenn sich Preisniveau, Beschäftigung, Außenwirtschaft und Wirtschaftswachstum im Gleichgewicht befinden. Die Regierungen handelten nach diesem Prinzip, um das Wohlstandsniveau zu maximieren. Während der Regierungszeiten von Willy Brandt und Helmut Schmidt bröckelte die Vollbeschäftigung ab, aber in meiner Generation reichte es, um relativ unkritisch eine Lehrstelle und eine Beschäftigung am Arbeitsmarkt zu bekommen.

Für die 1964er-Generation hatten sich die Rahmenbedingungen geändert. Die Lehrstellensuche auf dem Arbeitsmarkt, das haute noch hin. Aber danach ? Die 1964er-Generation geriet in die politische Zeitenwende hinein, die den Wechsel in die Ära eines Helmut Kohl einläutete. 1983 inszenierte er eine geistig-moralische Wende, wobei sich die instabile Arbeitsmarktsituation eher verschlechterte als verbesserte. Die Vollbeschäftigung war längst Vergangenheit, die Zyklen der ökonomischen Rahmenbedingungen verkürzten sich, und wegen der hohen Lohnkosten wanderten Unternehmen zunehmend ab. Die Suche nach einer Beschäftigung wurde deutlich mühseliger. Ein Arbeitsvertrag konnte zur Hängepartie werden oder auch in die Arbeitslosigkeit führen, wenn er nicht zustandekam.

Auch ideologisch ist die 1964er-Generation anders geprägt. Es wurde demonstriert, aber das war kein all-umfassender Schlag gegen die Facetten des Kapitalismus oder gegen einen Vietnam-Krieg, in dem USA immer brutaler gegen einen Zwerg auf dem Weltglobus ihren Krieg führten. Die verknöcherte Gesellschaft, die ein Rudi Dutschke angeprangert hatte, hatte sich teilweise aufgelöst, weil mehr und mehr Nazis, die sich in Führungspositionen wieder fanden, verstorben waren oder in die Altersdemenz gewandert waren.

Der Protest war punktuell. So anläßlich des NATO-Doppelbeschlusses 1982, als speziell auf den Wiesen des Bonner Hofgartens Hunderttausende demonstrierten. In der 1980er-Jahren kam eine neue Bewegung dazu, das war die Umweltbewegung, die neue Felder der Demonstration besetzte. Sie nahm die Gedanken des Club of Rome auf, dass Wirtschaftswachstum an Grenzen stieß und ein Übermaß an Umweltzerstörung hinterließ. Die 1964er-Generation rebellierte gegen saurer Regen, Plastikmüll, Dioxinskandal, Startbahn West und vor allem Kernenergie, und sie schaffte es, die Planung von Atomkraftwerken in Wyhl, Kalkar, Wackersdorf oder Mülheim-Kärlich zu stoppen.

Die 1964er-Generation hat Zeichen gesetzt. Mit der 68er-Bewegung verbinde ich noch Revolution, weil all die Machtgebilde, die uns über die Politik oder die Wirtschaft vor die Nase gesetzt werden, umgestürzt werden sollten. Mit der Aufbruchstimmung der 68er-Bewegung verband ich vor allem sehr viel Freiheit.

Die 1964er-Generation ist mit Raumschiffe Enterprise und Bonanza aufgewachsen, mit Captain Kirk und Little Joe. Diese Helden lebten auch ihre Freiheit, aber sie stellten die Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft weniger in Frage. Sie fügten sich wieder in enge, heimische Strukturen hinein. Sie waren Abenteurer im Weltall oder auf der Ponderosa Ranch. Sie bereisten die Welt, um ein globales Denken zu erlernen.

Sie waren pragmatisch, ein Stück zurückfallend, wie Konrad Adenauer es war, der die Machtverhältnisse in der Wirklichkeit akzeptiert hatte. Das war Anpassung in kleinen Schritten, aber keine Revolution. Mit den Veränderungen hat so mancher bei sich selbst angefangen. Die 1964er-Generation geht sensibler mit der Umwelt um. Sie leben vor und zielen auf das Verhalten ihrer Mitmenschen, um die Welt in kleinen Schritten zu verändern. Auf ihre Art und Weise haben diejenigen, die in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag feiern, ihre Größe. Karl Marx, Che Guevara oder Fidel Castro werden sie weniger verinnerlicht haben.

Der Zyklus von Gruppenführungen und 50. Geburtstagen wird sich im Sommer fortsetzen. Dann habe ich eine Gruppenführung durch Maastricht/Niederlande organisiert. Die Häufigkeit von 50. Geburtstagen dürfte jedenfalls so hoch wie nie sein. Denn der Jahrgang 1964 ist als Baby-Boomer der geburtenstärkste Jahrgang in der Geschichte der Bundesrepublik.

Herzlichen Glückwunsch an all die 50-jährigen Geburtstagskinder in diesem Jahr !

2 Kommentare:

  1. Siehste....ich war da ein ja zu früh *gg*. Mit der Null schon durch fühle ich mich aber dennoch angesprochen, gerade bei Raumschiff Enterprise...meine Sendung die ich selbst heute noch liebe. Auch wenn es doch schon etwas affig wirkt wenn man die damaligen Kulissen und Co sieht. Übrigens war ich Fan von Pille :-)))

    Schönes Wochenende und herzliche Grüssle

    N☼va

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  2. aber auch ohne brille, sofort erkannt. super post!
    jaaa geb. hatte ich schon, aber leider nicht mehr den 50sten ;-))
    LG

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