Das Schengener Abkommen hatte die Schlagbäume
verscheucht, Grenzüberschreitungen sind zur Selbstverständlichkeit geworden,
ich musste suchen: neben einem Parkplatz zwischen Hecke und Staubschutzwand
begrüßte mich das Schild „Nederland“. Neue Nation, neues Glück, neue
Rennradtour in die Überraschungen des Auslands, wo ich Akzente und Konturen
eines fremden Landes stets als spannend empfunden habe. Vaals, der erste Ort in
den Niederlanden, versank im Baustellenchaos, denn die Hauptverkehrsstraße
wurde neu asphaltiert.
Dass ich mir die Niederlande als Ziel für eine anspruchsvolle
Radtour ausgesucht hatte, mag so manchen verwundern. Denn rund um das
Dreiländereck erheben sich die höchsten Gipfel der Niederlande. Für die
flachlandgewohnten Niederländer blüht der Tourismus in dem „heuvelland“ rund um
den 323 Meter hohen Vaalserberg. Und die Rennradtour sollte anspruchsvoller
verlaufen, als ich mir es gewünscht hatte.
Am Ortsende von Vaals verzweigte sich die Straße. Ich
stieß auf die 103 Kilometer lange Rundstrecke der Mergellandroute. In
Deutschland sind es Themenrouten wie die Salzstraße in Niedersachsen, die
romantische Straße in Franken oder die Deutsche Weinstraße in der Pfalz. Die
Niederländer haben in ihrer Provinz „Limburg“ diese Themenroute dem Mergel
gewidmet, diesem weichen, zartbraunen Gestein, dessen Abbau wegen der starken
Eingriffe in die Natur umstritten ist. Sechseckige Schilder markieren den
Verlauf der Mergellandroute. Entlang dieser Route können Kirchen, Kapellen,
Burgen, Bauernhöfe und ganze Dörfer bestaunt werden, die aus Mergel gebaut
worden sind.
Sauber von der Straße abgetrennt, entwickelte der
Radweg mit der adretten roten Fahrbahnmarkierung tückische Steigungen. Die
Flußtäler warfen tiefe Furchen in die Landschaft hinein. Von Vaals
nach Epen, von Slenaken nach Noorbeek, von Mheer nach St. Geertruid, der Weg
über insgesamt fünf Berge kostete Kraft.
In Slenaken bestaunte ich die Remigiuskirche, dessen
heutiger Bau 1793 entstand. Während das
Ziegelsteinmauerwerk dominierte, waren die Ecksteine aus Mergel. Mit der weichen
Konsistenz konnte man mit harten Gegenständen Schriftzeichen in den Mergel
hinein gravieren. So manche haben sich mit ihrem Schaffensdrang in den
Mergelsteinen verewigt. Allzu viel war dabei allerdings nicht herausgekommen. Das
Gekritzele erinnerte mehr an primitive Völker oder an Hieroglyphen.
Der Bau der Kirche aus Ziegelsteinen verriet, dass
ich mich nicht unweit von Belgien befand, wofür dieser Kirchenbau eher typisch
war. In ihrem Südteil verläuft die Mergellandroute ungefähr parallel zur
belgischen Grenze auf niederländischem Boden. Dieser Teil der Niederlande, der
sich „Limburg“ nennt, ist Zipfel, Anhängsel eines Staatsgebildes, das zwischen
Sittard und der Maas gerade einmal acht Kilometer breit ist und sich nach Süden
wieder wie ein Flaschenhals öffnet. Stolz dokumentieren die Limburger, dass sie
ein eigenes Völkchen sind. Viele Ortsbezeichnungen waren zweisprachig, eine auf
Niederländisch und die andere in ihrem Dialekt. So verwandelte sich „Slenaken“
in einen slawisch klingenden Zungenbrecher. „Sljennich“, wer konnte so etwas
aussprechen ?
Bei St. Geertruid verließ ich die Mergellandroute,
denn die 103 Kilometer lange Rundstrecke, die im Norden bis nach Geleen und
Hoensbroek ausholte, war insgesamt zu weit. Hinein nach Maastricht. Für mich
ist dies eine der schönsten Städte, die ich je gesehen habe. Wenn ich in die
Niederlande oder nach Belgien komme, habe ich mein Standardprogramm. Fritten
essen, Zeitung kaufen, Kaffee und/oder Trappistenbier trinken.
Ich pflanzte mich vor das Café de zwaan am Marktplatz,
lehnte mich in dem Korbstuhl zurück und ließ mir ein „Affligem“ servieren. Mit
der kühlen Frische des Trappistenbiers wischte ich die fünf anspruchsvollen
Berge hinweg. Ich dachte an nichts, verfiel in einen Zustand der Meditation, schlug
die Wochenzeitschrift „De tijd“ auf und studierte das journalistische Niveau,
das in den Niederlanden nicht so intensiv politische Themen beackerte und
anstatt dessen mehr den Zeitgeist unserer Epoche beleuchtete. Zweimal
unterbrach das Glockenspiel des Maastrichter Rathauses meine Studien. Ich
schüttete zwei weitere „Affligem“ in mich hinein, der Alkoholpegel stieg. Am
Nachbartisch machten es sich zwei dicke Eheleute mit Kinderwagen und Säugling bequem. Sie kamen aus Eupen in Belgien, ich unterhielt mich ein paar Brocken
Französisch mit ihnen, während der Säugling brav war und schlief.
Zurück Richtung Aachen. Am Stadtrand von Maastricht
zeigte sich, dass der Schwierigkeitsgrad dieser Tour hoch war. Freie Felder
öffneten sich, der Gegenwind schlug mir ins Gesicht. Es war die fatale Kombination
aus Hitze, Sonne und Gegenwind, die die Rückfahrt zur Strapaze werden ließ.
Bemelen lag zwar nicht auf der Mergellandroute, aber
schön war ein früherer Steinbruch mit dem Mergelabbau zu erkennen. In Bemelen
erhielt ich erstmals eine genaue Indikation, wie die Steigungen beschaffen
waren. Mit 11% Steigung kletterte die Straße durch lichten Wald hinauf. Gefühlt
hatte die eine oder andere Steigung, die ich zuvor bewältigt hatte, mindestens dasselbe
Niveau. Ich landete auf einem Hochplateau, wo mir der Wind beharrlich ins
Gesicht blies. Die Sonne knallte unverdrossen vom Himmel. Es hätte so schön
sein können, denn fernab von jeder Zivilisation bewegte ich mich durch die
Felder. Mit eigenen Radwegen, auch abseits des Straßennetzes, hatten die
Niederländer es geschafft, ein Paradies für Fahrradfahrer schaffen. Indes
kämpfte ich gegen Wind und Sonne.
Bergab nach Gulpen sammelte ich neue Kräfte. Doch
diese waren nicht allzu zahlreich, als ich bei Mechelen wieder die
Mergellandroute erreichte. Es ging wieder bergauf, und der Vaalserberg lag in
Sichtweite. Die abgemessene Schönheit dieser Strecke nahm ich kaum noch wahr. Die
sorgsam gepflegten und hellweiß gestrichenen Fachwerkhäusern glitten an mir
vorüber. Die Straße buckelte sich rauf und runter, ich schleifte meine Tritte
hinterher, ich hechelte durch Vijlen. Dieser Teil der Niederlande ähnelte dem Bergischen
Land, obschon mehr als einhundert Kilometer dazwischen lagen.
Ich verabschiedete mich von der Mergellandroute, als
ich nach Vaals abbog und eine neuer Anstieg sich in die Höhe zog. Danach war es
geschafft. Der Durst war eine Qual, und in Vaals kühlte ich mich abermals mit
einem Trappistenbier ab. Rund 90 Kilometer war ich insgesamt geradelt, und auf
dem Reststück bis zum Aachener Hauptbahnhof waren die Steigungen harmlos.
Abends war ich platt. Ganze Fässer Bier (oder auch nicht-alkoholische Getränke) hätte ich leeren können.
Hallo Dieter,
AntwortenLöschendas war ja eine beachtliche Route, interessant aber eben auch anstrengend. Mit dem Rad merkt man ja jeden Höhencentimeter, gell.
90 km an einem Tag, alle Achtung! Auch wenn das Wetter ja wunderbar war, das kostet doch sicher viel Kraft.
Die beschriebene Strecke (in Wort und schönen Bildern) macht richtig Lust, dort auch mal rumzukurven. Als Nichtsportler denke ich da natürlich nur an 4 Räder! ;-)
Liebe Grüße
moni
Eine tolle Route Dieter, Maastricht ist wirklich eine wunderschöne Stadt.
AntwortenLöschen90 kam mit dem Rad...Respekt. Glaube gerne das due abends platt warst. Nimmst du nichts zu trinken mit?
Einen tollen Bericht von deiner Tour hast du verfasst.
Liebe Grüße
Angelika
Dieter,
AntwortenLöscheneine tolle Route. Deine Beschreibung, in Verbindung mit
den schönen Fotos, lassen uns teilnehmen. Ohne, dass wir
uns anstrengen müssen.
Liebe Grüße schickt dir
Irmi
Da kann ich mich nur anschließen, lieber Dieter, deine Touren sind immer wieder schön zu verfolgen.
AntwortenLöschenVor allen Dingen mag ich deine Beschreibungen. Man meint, man radelt gerade so neben dir her, flitzt, schwitzt, strengt sich an und dabei geht das bei uns hier am PC ganz easy.:-)
Liebe Grüße und gute Nacht
Christa
WOW...was für eine Tour, da lässt sich denken dass du ganze Fässer hättest ausschlürfen können^^ Wieder ein wundervoller Bericht und sehr interessant. Nicht nur das man dich sozusagen begleitet, man lernt auch immer wieder etwas dazu.
AntwortenLöschen...und du wirst lachen, sobald ich hier die Rennradler sehe (gibt es einige) muss ich an dich denken.
Hab einen schönen Tag und liebe Grüssle
Nova
90 km an einem Tag und das bei der Hitze, das ist schon ein Kraftakt. Gegenwind noch dazu...auch das noch! Ich hatte früher auch ein Rennrad, da haben mir schon 50 km gereicht, 90 km dagegen sind schon gewaltig. Schöne Landschaftsbilder hast du aufgenommen, das könnte direkt in Franken sein. Hoffentlich hast du dich inzwischen erholt und deinen Durst genügend gelöscht :))
AntwortenLöschenHerzlichst MinaLina
Hallo!
AntwortenLöschenDa hast ja eine beachtliche lange Rad-Tour unternommen, und Maastricht ist wirklich interessant. Deines Fotos und die tolle Beschreibung wecken sogar in meinem müden Knochen die Unternehmungslust, aber für mich dann bitte Fahrrad-Taxi. muhahahahaha
wieczoramatische Grüße zum Abend, (◔‿◔) | Mein Fotoblog
deine Berichte machen mich immer neugierig - und so habe ich nach Maastricht gesucht und dieses interessante youtube gefunden
AntwortenLöschenhttp://www.youtube.com/watch?v=tvtFRhehz2Q
danke Dieter für die schöne Beschreibung deiner Fahrt und die vielen Anregungen Neues zu entdecken.
lieber Gruß von Heidi-Trollspecht
Was für eine Tour! Meine Güte, 90 km kräftezehrende Landschaft! Für uns natürlich toll, wenn wir bequem vor dem Computer deinen Bericht lesen können... 11% Steigung für ein Land, das man so als Südwestdeutsche als platt einstuft, ist enorm!
AntwortenLöschenLG Calendula