Sonntag, 26. April 2015

Bröltalbahn

Trasse der Bröltalbahn in Hennef mit Graffiti
Das Maß gefiel. Genau zweieinhalb Fuß sollten zwischen den beiden Schienengleisen passen, das waren 785 Millimeter, und die Planer legten Wert darauf, dass es zweieinhalb Rheinische Fuß waren. Das war 1860, als der Plan Gestalt angenommen hatte, eine Schmalspurbahn von Hennef aus durch das Bröltal zu bauen. Seit einem Jahr ratterte bereits die große Eisenbahn über den neu gebauten Bahnhof in Hennef auf der Strecke von Köln nach Siegen. Aber für die Planungen einer Nebenstrecke durch das Bröltal war dem Preußischen Staat das Geld ausgegangen, obschon dort genau diejenigen Eisenerze im Erdreich lagerten, die die Eisenhütte in Friedrich-Wilhelms-Hütte brauchte.

Waren die zweieinhalb Fuß Zufallsprodukt oder bewußt kalkuliert ? Seitdem das Zeitalter der Eisenbahn begonnen hatte, hatte die große Eisenbahn das Einheitsspurmaß aus England übernommen, welches sich wiederum an der Maßeinteilung römischer Straßen orientiert hatte. Genauso wie menschliche Füße nicht überall gleich sind, weichen auch die Bezugsgrößen für die Maßeinteilung ab. Nachdem die Preußen ab 1815 im Rheinland das Sagen hatten, hatten sie ihre Maßeinheit des Preußischen Fußes ins Rheinland importiert, welche auf der Vermessung von Äckern und Gutshöfen aufsetzte. Die Rheinländer waren hingegen bei der Maßeinteilung in der Zeit von Karl dem Großen hängen geblieben, die wiederum mit dem römischen Straßennetz zu tun hatte. Da die Gutshöfe im Osten sich in die Weite ausdehnten, verwunderte es nicht, dass der Preußische Fuß ein Stück länger geraten war als der Rheinische Fuß.

So waren sich der Unternehmer Emil Langen, dem die Friedrich-Wilhelms-Hütte gehörte, und zwei weitere Geldgeber einig, eine Schmalspurbahn zu bauen. Dazu gründeten sie im Juli 1860 die Actien-Commandit-Gesellschaft Friedlieb Gustorff & Co. Eine Schmalspurbahn war wegen des kleineren Gleiskörpers nicht nur kostengünstiger, sondern sie betraten auch technisches Neuland. Daher war es vom Prinzip her egal, wieviel Fuß die Spurbreite maß, da sich die Erbauer an keiner anderen Schmalspurbahn stören mussten. Wichtiger war, dass der Rheinische Fuß – und nicht der Preußische Fuß - bei künftigen Schmalspurbahnen das Maß aller Dinge verkörperte.

Gleise der Bröltalbahn am Bahnhof Hennef
100.000 Taler kratzten die Geldgeber zusammen, um das ehrgeizige Vorhaben zu finanzieren. Während das Eisenbahnnetz auf der großen Spur die Siedlungsräume in den Weiten des Landes erschloss, suchte die Schmalspurbahn nach Lücken, die in dem großen Netz vergessen worden waren. Mit den 100.000 Talern kamen die Planer nicht so riesig weit, denn sie reichten so gerade für das Stück von Ruppichteroth nach Hennef, das waren zweiundzwanzig Kilometer Eisenbahntrasse. Das schlimme war: für die ureigene Neuerung des Eisenbahnnetzes, nämlich Lokomotiven, fehlte das Geld, so dass die Waggons auf der im Mai 1862 eröffneten Strecke mit Pferden und Ochsen gezogen wurden.

Für diese schreckliche Knochenarbeit eigneten sich nur die stärksten und im besten Alter stehenden Pferde. Schlimm waren die Steigungen nach Ruppichteroth, so dass sie maximal einen mit fünf Tonnen beladenen Waggon schafften. Die zweiundzwanzig Kilometer von Ruppichteroth nach Hennef dauerten fünf Stunden, und auf halber Strecke mussten die Zugpferde eine halbe Stunde Pause einlegen. Mehr als fünf Fahrten pro Woche und pro Pferd waren nicht drin, sonst wären diese vor Erschöpfung zusammen gebrochen.

Dieses Gebaren, das heutzutage Tierschützer vor die Barrikaden gebracht hätten, beendeten schließlich die kaufmännischen Nutzenkalkulationen. Ein Eisenbahnkilometer kostete mit der Lokomotive 30 Pfennig pro Kilometer, während Pferde mehr als das anderthalbfache, nämlich 47,5 Pfennige pro Kilometer, kosteten. Außerdem waren Lokomotiven mit 18 Stundenkilometern, ein Schlafwagentempo, worüber man heutzutage lachen würde, deutlich schneller. So dauerte der Zeitraum, dass Pferdefuhrwerke auf Schienen fuhren, nicht einmal zwei Jahre.

Den schnaufenden Dampfrössern stand die Bevölkerung äußerst skeptisch gegenüber. So genehmigten die Behörden im April 1863 die Schmalspurbahn nur unter Auflagen. Eine Zeitlang fuhr ein Polizist mit, um zu kontrollieren, ob das Vieh auf den Weiden scheu wurde und nicht weglief. Die größte Angst herrschte vor Unfällen. Diese Angst war nicht unberechtigt, da Lokomotive und Waggons mit der kleineren Spurweite sich instabiler auf den Gleisen fortbewegten. Darauf reagierten die Behörden mit Vorschriften: die Waggons durften nur doppelt so breit sein wie die Spurbreite, die Höhe durfte das zweieinhalbfache nicht überschreiten. Radabstand und Wagenlänge mussten so abgemessen sein, dass diese in Kurven so gleichmäßig und ruhig liefen, dass sie nicht entgleisten.


Streckennetz der Bröltalbahn (oben),
Personenzug in Allner bei Hennef 1899 (unten),
Quelle Wikipedia
Da es zu keinen nennenswerten Unfällen kam, setzte sich dieser neue Standard durch. Das war spätestens so, als die Bröltalbahn 1870 nach Waldbröl verlängert wurde. Bis dahin wurden Erze nach Hennef transportiert, die zur Friedrichs-Wilhelms-Hütte auf die Bahnlinie nach Troisdorf umgeladen wurden. Ab 1872 betrieben die Bahnbetreiber das, was man heutzutage als Cross-Selling bezeichnen würde. Sie hingen an die Güterwaggons einen Personenwaggon an, auf dem Reisende kostenlos mitfahren konnten. Lange Zeit blieb dies so, während parallel eigene Personenzüge auf der Bahnlinie fuhren. Bei 18 Stundenkilometer Geschwindigkeit waren die Situationen bisweilen kurios. Kühe behinderten die Fahrt, weil sie auf den Gleisen standen. Bimmeln und Pfeifen der Lokomotive konnten die Kühe nicht vertreiben. Fahrgäste mussten mit aussteigen, um mit vereinigten Kräften die Kühe von den Gleisen zu zerren. Kurze Zeit später wiederholte sich das Malheur. Die Kuhherde folgte der Bahn, sie überholte sie sogar und versperrte erneut die Gleise. So wie die Kunden der Deutschen Bahn AG in manchen Situationen, waren sie froh, schlussendlich überhaupt am Ziel angekommen zu sein.

Das Bahnnetz wurde ständig erweitert, ins Siebengebirge, nach Siegburg, zu Steinbrüchen im Westerwald, und schließlich löste der Basalt die Erze als hauptsächlich transportiertes Gut ab. Der Bedarf an Basalt war um die 1900er-Jahrhundertwende riesig, denn Wege und Straßen wurden daraus gebaut, Bürgersteige, der Schotter zwischen Bahngleisen oder Steinquader beim Häuserbau.

Gleis der Bröltalbahn in Bonn-Beuel
Den Ausbau des Bahnnetzes zu finanzieren, das hatten mittlerweile Banken übernommen, allen voran die Kölner Privatbank Oppenheim. Sie sammelte Geld ein über neu ausgegebene Aktien. Fortan, das war ab 1885, führte die Bröltalbahn die Bezeichnung „Bröltalbahner Eisenbahn Aktiengesellschaft“. Das Geld floß in den Ausbau des Schienennetzes, das sich bis zur Jahrhundertwende auf 87 Kilometer ausdehnte. Dabei hielt sich die Bezeichnung „Bröltalbahn“ hartnäckig, egal, auf welchem geografischen Terrain sie sich fortbewegte, Pleistal, Hanfbachtal oder bis zur Sieg.

Das galt auch für das Bonner Stadtgebiet. 1891 war die Bröltalbahn bis nach Bonn verlängert worden, um über den Rhein alle Ecken und Nischen des Deutschen Reiches noch besser mit Basalt bedienen zu können. Die Spuren der Bröltalbahn sind bis heute intensiv. Die alte Bahntrasse ist seit Jahrzehnten zu einem Radweg umfunktioniert worden, der auf etwas verworrenen Wegen in den Stadtteil Beuel hinein führt. Ein altes Gleisstück und das Bahnhöfchen, welches bei schönem Wetter vor Ausflugsscharen überquillt, halten die Erinnerung aufrecht. Hinter dem Bahnhöfchen, das kann heute kaum jemand erahnen, wurde all der Basalt verladen. Ein Hafen im Schmalspurformat entstand mit Gleisanlagen, Kränen, Docks und Schiffen, die alles über den Rhein in Nischen und Ecken des Deutschen Reiches verschifften. Erst 1921 wurden die Begriffsbezeichnungen zurecht gerückt, als die Bröltalbahn in „Rhein-Sieg-Eisenbahn“ umbenannt wurde.

Bereits am Vorabend des Ersten Weltkrieges hatte ein gewisser technischer Fortschritt Einzug gehalten. Nach festem Fahrplan verkehrten auf der Bröltalstrecke täglich zwei Personenzüge, sechs gemischte Züge und zwei Güterzüge. Mit einer verbesserten Zugkraft der Lokomotiven verkürzte sich die Zugfahrt, so dass sich die Geschwindigkeit immerhin auf 30 Stundenkilometer erhöhte.

Mit einem besseren Straßennetz, dessen Ausbau die Nationalsozialisten voran trieben, verlagerten sich die Transportwege allmählich auf die Straße. Spätestens in der Nachkriegszeit erodierten Personen- und Gütertransporte. Das Zeitalter der Schmalspurbahn endete, genau genommen, am 17.  Mai 1967. Dem Basalt, der in Pflastersteinen, Gehwegplatten oder Ummauerungen weiterhin benötigt wurde, gelang es, das Ende eine gewisse Zeitlang hinaus zu zögern. Die letzte Bahn fuhr von den Steinbrüchen bei Eudenbach zur Verladung auf Rheinschiffe in Bonn-Beuel. 

3 Kommentare:

  1. Lieber Dieter,
    das war mal wieder sehr interessant zu lesen. Wohne ich doch quasi in dem Gebiet. Nachdem meine Mutter gestorben ist, habe ich ein wenig Kontakt zu ihrer einzigen noch lebenden Cousine mütterlicherseits aufgenommen. Diese betagte Dame,(90 Jahre, erzählte mir, das ihr Vater bei der Bröltalbahn beschäftigt war und ich hörte zum ersten Mal, dass die Bröltalbahn bis nach Bonn gefahren ist. Das war mir neu. Die Vorfahren mütterlicherseits stammen von der Brölstraße, die ja den Namen von kleinen Nebenfluss der Sieg, der Bröl, hat. Der Ort heißt Niederhausen, einem Dorf zwischen Ruppichteroth und Waldbröl, kurz vor Waldbröl gelegen. Zur Zeit ist die direkte Verbindung über die B256 von uns nach Waldbröl gesperrt und ich fahre schon mal über Ruppichteroth der Brölstraße nach Waldbröl. Dann muss ich immer an die einstige Bröltalbahn denken und an das, was diese Cousine mir aus ihrer Kindheit darüber erzählte
    Und jetzt weiß ich auch, woher der Name "Dampfross" kommt!

    Übrigens wäre für Dich auch mal Waldbröl als Beitrag ein reiches Thema:
    Vieh-und Krammarkt, Zuccalmaglio ( Das Volkslied "Kein schöner Land in dieser Zeit) und Robert Ley, ein führender NDSAP-Politiker, der Waldbröl in eine Traktorenrstadt verwandeln wollte... um nur einige Impulse für Dich zu nennen.
    Auch der künftige, im Bau befindliche Panabora-Park, wäre interessant.

    Liebe Grüße an Dich und Family!
    Marita

    AntwortenLöschen
  2. Von der Bröltalbahn hatte ich noch nieee gehört. Nun bin ich dank deines interessanten Posts wieder schlauer geworden! LG Martina

    AntwortenLöschen
  3. Lieber Dieter,
    normalerweise bin ich ja keine so große Freundin von Kosten-Nutzen-Kalkulationen. lassen sie doch häufig den menschlichen Faktor außer Acht. Aber in diesem speziellen Fall bin ich froh darüber, dass die Pferde von ihrer Fronarbeit befreit und durch Lokomotiven ersetzt wurden!
    Ich wünsche dir und deinen Lieben ein angenehmes restliches erstes Mai-Wochenende!
    Herzliche Rostrosengrüße
    von der Traude
    ♥♥♥♥ ♥♥♥♥ ♥♥♥♥ ♥♥♥♥ ♥♥♥♥
    http://rostrose.blogspot.co.at/2015/04/uber-den-wolken-leuchtets-orange.html


    AntwortenLöschen