Trasse der Bröltalbahn in Hennef mit Graffiti |
Das Maß gefiel. Genau zweieinhalb Fuß sollten zwischen
den beiden Schienengleisen passen, das waren 785 Millimeter, und die Planer
legten Wert darauf, dass es zweieinhalb Rheinische Fuß waren. Das war 1860, als
der Plan Gestalt angenommen hatte, eine Schmalspurbahn von Hennef aus durch das
Bröltal zu bauen. Seit einem Jahr ratterte bereits die große Eisenbahn über den
neu gebauten Bahnhof in Hennef auf der Strecke von Köln nach Siegen. Aber für
die Planungen einer Nebenstrecke durch das Bröltal war dem Preußischen Staat
das Geld ausgegangen, obschon dort genau diejenigen Eisenerze im Erdreich
lagerten, die die Eisenhütte in Friedrich-Wilhelms-Hütte brauchte.
Waren die zweieinhalb Fuß Zufallsprodukt oder bewußt
kalkuliert ? Seitdem das Zeitalter der Eisenbahn begonnen hatte, hatte die
große Eisenbahn das Einheitsspurmaß aus England übernommen, welches sich
wiederum an der Maßeinteilung römischer Straßen orientiert hatte. Genauso wie menschliche
Füße nicht überall gleich sind, weichen auch die Bezugsgrößen für die
Maßeinteilung ab. Nachdem die Preußen ab 1815 im Rheinland das Sagen hatten,
hatten sie ihre Maßeinheit des Preußischen Fußes ins Rheinland importiert,
welche auf der Vermessung von Äckern und Gutshöfen aufsetzte. Die Rheinländer
waren hingegen bei der Maßeinteilung in der Zeit von Karl dem Großen hängen
geblieben, die wiederum mit dem römischen Straßennetz zu tun hatte. Da die
Gutshöfe im Osten sich in die Weite ausdehnten, verwunderte es nicht, dass der
Preußische Fuß ein Stück länger geraten war als der Rheinische Fuß.
So waren sich der Unternehmer Emil Langen, dem die
Friedrich-Wilhelms-Hütte gehörte, und zwei weitere Geldgeber einig, eine
Schmalspurbahn zu bauen. Dazu gründeten sie im Juli 1860 die Actien-Commandit-Gesellschaft Friedlieb
Gustorff & Co. Eine Schmalspurbahn war wegen des kleineren
Gleiskörpers nicht nur kostengünstiger, sondern sie betraten auch technisches
Neuland. Daher war es vom Prinzip her egal, wieviel Fuß die Spurbreite maß, da
sich die Erbauer an keiner anderen Schmalspurbahn stören mussten. Wichtiger
war, dass der Rheinische Fuß – und nicht der Preußische Fuß - bei künftigen
Schmalspurbahnen das Maß aller Dinge verkörperte.
Gleise der Bröltalbahn am Bahnhof Hennef |
100.000 Taler kratzten die Geldgeber zusammen, um
das ehrgeizige Vorhaben zu finanzieren. Während das Eisenbahnnetz auf der
großen Spur die Siedlungsräume in den Weiten des Landes erschloss, suchte die
Schmalspurbahn nach Lücken, die in dem großen Netz vergessen worden waren. Mit
den 100.000 Talern kamen die Planer nicht so riesig weit, denn sie reichten so
gerade für das Stück von Ruppichteroth nach Hennef, das waren zweiundzwanzig Kilometer
Eisenbahntrasse. Das schlimme war: für die ureigene Neuerung des
Eisenbahnnetzes, nämlich Lokomotiven, fehlte das Geld, so dass die Waggons auf
der im Mai 1862 eröffneten Strecke mit Pferden und Ochsen gezogen wurden.
Für diese schreckliche Knochenarbeit eigneten sich nur
die stärksten und im besten Alter stehenden Pferde. Schlimm waren die
Steigungen nach Ruppichteroth, so dass sie maximal einen mit fünf Tonnen
beladenen Waggon schafften. Die zweiundzwanzig Kilometer von Ruppichteroth nach
Hennef dauerten fünf Stunden, und auf halber Strecke mussten die Zugpferde eine
halbe Stunde Pause einlegen. Mehr als fünf Fahrten pro Woche und pro Pferd
waren nicht drin, sonst wären diese vor Erschöpfung zusammen gebrochen.
Dieses Gebaren, das heutzutage Tierschützer vor die
Barrikaden gebracht hätten, beendeten schließlich die kaufmännischen Nutzenkalkulationen.
Ein Eisenbahnkilometer kostete mit der Lokomotive 30 Pfennig pro Kilometer,
während Pferde mehr als das anderthalbfache, nämlich 47,5 Pfennige pro
Kilometer, kosteten. Außerdem waren Lokomotiven mit 18 Stundenkilometern, ein
Schlafwagentempo, worüber man heutzutage lachen würde, deutlich schneller. So
dauerte der Zeitraum, dass Pferdefuhrwerke auf Schienen fuhren, nicht einmal
zwei Jahre.
Den schnaufenden Dampfrössern stand die Bevölkerung
äußerst skeptisch gegenüber. So genehmigten die Behörden im April 1863 die
Schmalspurbahn nur unter Auflagen. Eine Zeitlang fuhr ein Polizist mit, um zu
kontrollieren, ob das Vieh auf den Weiden scheu wurde und nicht weglief. Die
größte Angst herrschte vor Unfällen. Diese Angst war nicht unberechtigt, da
Lokomotive und Waggons mit der kleineren Spurweite sich instabiler auf den
Gleisen fortbewegten. Darauf reagierten die Behörden mit Vorschriften: die
Waggons durften nur doppelt so breit sein wie die Spurbreite, die Höhe durfte
das zweieinhalbfache nicht überschreiten. Radabstand und Wagenlänge mussten so
abgemessen sein, dass diese in Kurven so gleichmäßig und ruhig liefen, dass sie nicht entgleisten.
Streckennetz der Bröltalbahn (oben), Personenzug in Allner bei Hennef 1899 (unten), Quelle Wikipedia |
Da es zu keinen nennenswerten Unfällen kam, setzte
sich dieser neue Standard durch. Das war spätestens so, als die Bröltalbahn
1870 nach Waldbröl verlängert wurde. Bis dahin wurden Erze nach Hennef
transportiert, die zur Friedrichs-Wilhelms-Hütte auf die Bahnlinie nach
Troisdorf umgeladen wurden. Ab 1872 betrieben die Bahnbetreiber das, was man
heutzutage als Cross-Selling bezeichnen würde. Sie hingen an die Güterwaggons
einen Personenwaggon an, auf dem Reisende kostenlos mitfahren konnten. Lange
Zeit blieb dies so, während parallel eigene Personenzüge auf der Bahnlinie
fuhren. Bei 18 Stundenkilometer Geschwindigkeit waren die Situationen bisweilen
kurios. Kühe behinderten die Fahrt, weil sie auf den Gleisen standen. Bimmeln
und Pfeifen der Lokomotive konnten die Kühe nicht vertreiben. Fahrgäste mussten
mit aussteigen, um mit vereinigten Kräften die Kühe von den Gleisen zu zerren.
Kurze Zeit später wiederholte sich das Malheur. Die Kuhherde folgte der Bahn,
sie überholte sie sogar und versperrte erneut die Gleise. So wie die Kunden der
Deutschen Bahn AG in manchen Situationen, waren sie froh, schlussendlich
überhaupt am Ziel angekommen zu sein.
Das Bahnnetz wurde ständig erweitert, ins
Siebengebirge, nach Siegburg, zu Steinbrüchen im Westerwald, und schließlich
löste der Basalt die Erze als hauptsächlich transportiertes Gut ab. Der Bedarf
an Basalt war um die 1900er-Jahrhundertwende riesig, denn Wege und Straßen
wurden daraus gebaut, Bürgersteige, der Schotter zwischen Bahngleisen oder Steinquader
beim Häuserbau.
Gleis der Bröltalbahn in Bonn-Beuel |
Den Ausbau des Bahnnetzes zu finanzieren, das hatten
mittlerweile Banken übernommen, allen voran die Kölner Privatbank Oppenheim.
Sie sammelte Geld ein über neu ausgegebene Aktien. Fortan, das war ab 1885,
führte die Bröltalbahn die Bezeichnung „Bröltalbahner Eisenbahn
Aktiengesellschaft“. Das Geld floß in den Ausbau des Schienennetzes, das sich
bis zur Jahrhundertwende auf 87 Kilometer ausdehnte. Dabei hielt sich die
Bezeichnung „Bröltalbahn“ hartnäckig, egal, auf welchem geografischen Terrain
sie sich fortbewegte, Pleistal, Hanfbachtal oder bis zur Sieg.
Das galt auch für das Bonner Stadtgebiet. 1891 war
die Bröltalbahn bis nach Bonn verlängert worden, um über den Rhein alle Ecken
und Nischen des Deutschen Reiches noch besser mit Basalt bedienen zu können.
Die Spuren der Bröltalbahn sind bis heute intensiv. Die alte Bahntrasse ist
seit Jahrzehnten zu einem Radweg umfunktioniert worden, der auf etwas verworrenen
Wegen in den Stadtteil Beuel hinein führt. Ein altes Gleisstück und das Bahnhöfchen,
welches bei schönem Wetter vor Ausflugsscharen überquillt, halten die
Erinnerung aufrecht. Hinter dem Bahnhöfchen, das kann heute kaum jemand
erahnen, wurde all der Basalt verladen. Ein Hafen im Schmalspurformat entstand
mit Gleisanlagen, Kränen, Docks und Schiffen, die alles über den Rhein in
Nischen und Ecken des Deutschen Reiches verschifften. Erst 1921 wurden die
Begriffsbezeichnungen zurecht gerückt, als die Bröltalbahn in „Rhein-Sieg-Eisenbahn“
umbenannt wurde.
Bereits am Vorabend des Ersten Weltkrieges hatte ein
gewisser technischer Fortschritt Einzug gehalten. Nach festem Fahrplan verkehrten
auf der Bröltalstrecke täglich zwei Personenzüge, sechs gemischte Züge und zwei
Güterzüge. Mit einer verbesserten Zugkraft der Lokomotiven verkürzte sich die
Zugfahrt, so dass sich die Geschwindigkeit immerhin auf 30 Stundenkilometer
erhöhte.
Mit einem besseren Straßennetz, dessen Ausbau die
Nationalsozialisten voran trieben, verlagerten sich die Transportwege
allmählich auf die Straße. Spätestens in der Nachkriegszeit erodierten
Personen- und Gütertransporte. Das Zeitalter der Schmalspurbahn endete, genau
genommen, am 17. Mai 1967. Dem Basalt,
der in Pflastersteinen, Gehwegplatten oder Ummauerungen weiterhin benötigt
wurde, gelang es, das Ende eine gewisse Zeitlang hinaus zu zögern. Die letzte
Bahn fuhr von den Steinbrüchen bei Eudenbach zur Verladung auf Rheinschiffe in
Bonn-Beuel.
Lieber Dieter,
AntwortenLöschendas war mal wieder sehr interessant zu lesen. Wohne ich doch quasi in dem Gebiet. Nachdem meine Mutter gestorben ist, habe ich ein wenig Kontakt zu ihrer einzigen noch lebenden Cousine mütterlicherseits aufgenommen. Diese betagte Dame,(90 Jahre, erzählte mir, das ihr Vater bei der Bröltalbahn beschäftigt war und ich hörte zum ersten Mal, dass die Bröltalbahn bis nach Bonn gefahren ist. Das war mir neu. Die Vorfahren mütterlicherseits stammen von der Brölstraße, die ja den Namen von kleinen Nebenfluss der Sieg, der Bröl, hat. Der Ort heißt Niederhausen, einem Dorf zwischen Ruppichteroth und Waldbröl, kurz vor Waldbröl gelegen. Zur Zeit ist die direkte Verbindung über die B256 von uns nach Waldbröl gesperrt und ich fahre schon mal über Ruppichteroth der Brölstraße nach Waldbröl. Dann muss ich immer an die einstige Bröltalbahn denken und an das, was diese Cousine mir aus ihrer Kindheit darüber erzählte
Und jetzt weiß ich auch, woher der Name "Dampfross" kommt!
Übrigens wäre für Dich auch mal Waldbröl als Beitrag ein reiches Thema:
Vieh-und Krammarkt, Zuccalmaglio ( Das Volkslied "Kein schöner Land in dieser Zeit) und Robert Ley, ein führender NDSAP-Politiker, der Waldbröl in eine Traktorenrstadt verwandeln wollte... um nur einige Impulse für Dich zu nennen.
Auch der künftige, im Bau befindliche Panabora-Park, wäre interessant.
Liebe Grüße an Dich und Family!
Marita
Von der Bröltalbahn hatte ich noch nieee gehört. Nun bin ich dank deines interessanten Posts wieder schlauer geworden! LG Martina
AntwortenLöschenLieber Dieter,
AntwortenLöschennormalerweise bin ich ja keine so große Freundin von Kosten-Nutzen-Kalkulationen. lassen sie doch häufig den menschlichen Faktor außer Acht. Aber in diesem speziellen Fall bin ich froh darüber, dass die Pferde von ihrer Fronarbeit befreit und durch Lokomotiven ersetzt wurden!
Ich wünsche dir und deinen Lieben ein angenehmes restliches erstes Mai-Wochenende!
Herzliche Rostrosengrüße
von der Traude
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http://rostrose.blogspot.co.at/2015/04/uber-den-wolken-leuchtets-orange.html