Ausstellungsplakat |
Ein Kleiderspind, in dem kaum mehr als ihre
Arbeitskleidung Platz fand, ein schlichtes, doppelstöckiges Bett auf einem
olivgrünen Metallgestell, eine düstergraue Matratzendecke mit der Aufschrift
„Volkswagen“, auf türkisch warnte ein Schild „DIKKAT, lüften yemek“. Tageslicht
fiel behelfsmäßig durch den schmalen Fensterspalt. Die rauchenden Schlote des
Volkswagen-Werkes in Sichtweite, mochten sich die Gastarbeiter in ihrem Wohnheim
wie in einer Zelle vorgekommen sein: zum Leben besaßen sie gerade das
Notwendigste, die Einrichtung war so spartanisch, dass sie gerade als
Schlafstätte nach einer anstrengenden Arbeitsschicht dienen konnte. Wen die
Enge erdrückte, den trieb es in die Gemeinschaftsräume.
Die Ausstellung „Immer bunter – Einwanderungsland
Deutschland“ befasst sich mit dem heiklen Thema der Einwanderung, von den
ersten Anfängen in den 1950er Jahren bis in die Gegenwart. Dass Einwanderung ein
politischer Dauerbrenner ist, das ein Reizthema in der Bevölkerung ist, zeigt
die Ausstellung in einer fast schon zwingenden Logik. Zwei Jahre lang hatten
die Organisatoren der Ausstellung, Jürgen Reichel und
Ulrich Op de Hipt, recherchiert, um mit Hilfe von 800 Ausstellungsstücken das
Thema Einwanderung aufzubereiten. Wegen der Vorlaufzeit fehlen diverse jüngere Entwicklungen: Salafisten, die Zunahme
extremistischer Bewegungen, Straßenschlachten zwischen Islamisten und
Rechtsextremisten, Pegida, die Anschläge auf die französische Zeitung „Charlie
Hebdo“ oder auf ein Kulturcafé in Kopenhagen.
Beginnend in den 1950er Jahren, haben sich die
Organisatoren reichlich Mühe gegeben, die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte
aus Südeuropa und aus der Türkei zu illustrieren. So ist in der Ausstellung das maschinengetippte Schreiben von Konrad Adenauer an den damaligen
Bundesarbeitsminister Anton Storch aus dem Jahr 1955 zu sehen, womit der Bundeskanzler
einer „negativen Entwicklung des Arbeitsmarktes“ entgegenwirken will, indem
Arbeitskräfte aus dem Ausland angeworben werden. Fotos dokumentieren Warteschlangen
in Verbindungsstellen der Bundesanstalt für Arbeit, die mit dem
Anwerbungsabkommen ab 1960 in der Türkei aufgebaut wurden (den Anfang machte 1955 Italien). In Stoßzeiten
knubbelten sich dort an die 200 Arbeitssuchende, die vorselektiert wurden.
Glücklich waren diejenigen, die eine grüne Vorstellungskarte erhielten, denn
sie fielen in das Raster von Berufen und eigenen Fähigkeiten, wo Arbeitskräften
gesucht wurden. Dann ging es zum Arzt, der die gesundheitliche Eignung testete,
das waren Herz, Lunge, Hals, Ohren, Puls, Blutdruck, Sehkraft. Mit einer
Legitimationskarte konnten die Arbeitsinteressenten schließlich nach Deutschland
reisen, um sich bei einem geeigneten Arbeitgeber vorzustellen.
Die Exponate, sorgfältig aus vielen Ecken unserer
Republik zusammengetragen, sind mitten
aus der Alltagswelt der Gastarbeiter heraus gegriffen. Der Arbeitsvertrag eines
Teodoro Calix Lopez aus Avila, der zweisprachig in Deutsch und Spanisch abgefasst
wurde, eine Fischfiletiermaschine, an der wegen der intensiven
Geruchsbelästigung vorwiegend Ausländer arbeiteten, ein Kasten mit Arbeitszeitkarten, auf dem
sich türkische, spanische und griechische Namensschilder neben denjenigen von
deutschen Arbeitskollegen gesellten, die Einrichtung von Wohnheimen, wozu Konzerne
wie Volkswagen verpflichtet waren.
Fotos belegen samt Original-Fahrkarte eine schier
endlose Reise im Istanbul-München-Express, deren Abteile mit Koffern so
vollgestopft waren, dass die Gastarbeiter bis in die Gänge standen. Andere
Exponate sind so großspurig aufgestellt, dass sie nicht zu übersehen sind: das
Moped, mit dem der millionste Gastarbeiter Armando Rodrigues de Sà aus Portugal
beschenkt wurde, oder der blau lackierte Ford Transit, mit dem Sabri Güler mehr
als einhundert Mal die 3.000 Kilometer lange Strecke von Lemgo in Westfalen
nach Anatolien herunter gespult hat.
Dass Gastarbeiter herzlich willkommen sind, wendete sich 1973, weil Einwanderung an Wirtschaftswachstum gekoppelt war. Die
Wirtschaft stagnierte. Deutsche fürchteten um ihre Arbeitsplätze. Die
Bundesregierung reagierte mit einem Anwerbestopp für Gastarbeiter. Im Juli 1973
thematisierte der SPIEGEL die Ausländerpolitik in seiner Titelstory „Ghettos in
Deutschland – eine Million Türken“.
Zimmermannsnagel des Bombenattentats im Juni 2004 in Köln-Mülheim |
Seitdem hat sich die Einwanderungspolitik
globalisiert. Asylbewerber aus aller Herren Länder sind dazugekommen. Die
Parole „Das Boot ist voll“ fand Eingang in die Asyldebatte. Während sich die
Parteien bis heute uneinig sind, wie viel Einwanderung sie wollen, kapseln sich
Parallelgesellschaften ab, junge Frauen werden zwangsverheiratet, Ehrenmorde
werden begangen. Unsere Integrationsansätze sind isoliert und beziehen sich nur
auf den Arbeitsmarkt. So werden indische Computerspezialisten ins Land geholt.
Philippininnen helfen, den Pflegenotstand zu lindern, Russen und Bulgaren
arbeiten auf dem Bau. In unbeliebten Branchen wie etwa dem Straßenbau oder dem
Reinigungsgewerbe arbeiten weitaus mehr Ausländer als Deutsche.
Im Endeffekt funktioniert die Integration über den Arbeitsmarkt
aber nicht, weil Bildung und Chancen auf dem Arbeitsmarkt ungleich verteilt
sind. Junge Erwachsene mit Migrationshintergrund bewegen sich nicht auf
Augenhöhe mit ihren deutschen Landsleuten. Das belegt der Lagebericht des
Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration vom
Oktober 2014. Demnach haben Ausländer dreimal so oft keinen Berufsabschluss wie
Deutsche, das sind dreißig Prozent aller Ausländer. Ein Kreislauf aus Armut,
Gewalt und Perspektivlosigkeit wird in Gang gesetzt.
Ausländerthemen sind heikel, populistisch. Es ist
einfach, an die niederen Instinkte zu appellieren, Ungerechtigkeiten zu
Ausländern und Asylbewerbern hervorzuheben, und die Stimmung in der Bevölkerung
anzuheizen. Die Ausstellung zeigt, wie sich die Parteienlandschaft verändert
hat, als Ende der 1980er Jahre die Republikaner und die DVU (Deutsche Volks-Union)
auf der Bildfläche erschienen. Die Ausstellung prangert den Rechtsextremismus
an, indem sie den Brandanschlag auf ein von Türken bewohntes Wohnhaus in Mölln
1992 zeigt, bei dem drei Türken getötet wurden. Oder die Ausstellung hat einen
zehn Zentimeter langen Zimmermannsnagel konserviert, womit die Splittergruppe
des Nationalsozialistischen Untergrundes im Jahr 2004 eine Nagelbombe in der
Keupstraße in Köln-Mülheim vor einem türkischen Friseursalon explodieren ließ.
Plakataktion |
Dass sich die Tagesereignisse überschlagen, dem kann
die Ausstellung naturgemäß nicht nachkommen. Das beunruhigt, wie ungefähr im
Wochentakt politische Brandstifter versuchen, den Rechtsstaat in die Knie zu
zwingen – letzte Woche ein Brandanschlag auf eine Moschee in Witten, in der Woche davor
auf ein Anschlag auf eine Asylbewerberheim in Tröglitz. Zeitgleich geistern Schlagzeilen
durch die Gegend, wie viel Überläufer in die IS es in Deutschland gibt.
Das Problemfeld des Umgangs mit dem Islam kommt
effektiv zu kurz. Die Ausstellung stellt sich die Gegenwart viel zu einfach
vor. Integrationspolitik reduziert sich auf Imbisse und exotische Kochkünste,
auf einen Karneval der Kulturen, wie er einmal jährlich in Berlin stattfindet, auf
Plakataktionen, die in poppigem Gelb Harmonie verbreiten, oder auf
Deutschkurse, dass Ausländer aus aller Herren Länder mit einem Stück Papier in
Form eines Zertifikats prompt integriert sind.
Unkommentiert, ist es zum Schluß der Ausstellung dem Urteil
des Betrachters überlassen, ob dieser den Islam als Bedrohung auffasst. Fest in
der Mitte des letzten Ausstellungsraums verankert, erweckt eine in dickem
Schwarz verhüllte Frau den Eindruck eines Mahnmals. Inmitten der großen
Verschleierung muss man genau hinsehen, um den Schlitz der Augen gerade noch zu
erkennen. Mir ist dabei unheimlich geworden.
die große Verschleierung |
Hört sich klasse an und war auch bestimmt sehr interessant, also zumindest hätte es mich auch sehr interessiert. Wirklich ein Teil der Geschichte von Deutschland, so wurden damals die Gastarbeiter gebraucht und sehr viele Familien haben ja auch dort ihre Heimat gefunden.
AntwortenLöschenLieben Gruß
N☼va
Danke, Dieter - das macht wirklich neugierig und ist für mich ja gar nicht weit:
AntwortenLöschenHaus der Geschichte Museumsmeile Willy-Brandt-Allee 14 53113 Bonn.
Mir auch - mir wird auch unheimlich, wenn ich diese vermummte Frau sehe! Ja, die Ereignisse überschlagen sich mit einem weiteren 'Höhepunkt' und vielen, vielen Toten am gestrigen Sonntag! Ein Thema, das uns alle angeht und sicher noch lange beschäftigt. Mein Vater erzählte häufig von den Anfängen mit den 'Ausländern' im Job und den Missverständnissen. Dein heutiges Thema wird uns wohl noch lange begleiten und hoffentlich nicht nur mit negativen Meldungen und Schlagzeilen. Die Ausstellung allerdings klingt spannend! LG Martina
AntwortenLöschenJa das Thema dieser Ausstellung ist etwas das uns alle fast ständig in irgend einer Form begleitet darüber wird oft
AntwortenLöschengesprochen und jeder hat seine eigene Meinung. Die meisten haben wenig Verständniss oder eine negative Meinung.
Gruß
Noke
Also ich wäre auch gerne in die Ausstellung gegangen, ist aber leider zu weit weg. Damals sind viele Gastarbeiter zu uns gekommen und wir waren froh. Heute wollen wir nur Super - Topfachkräfte und werben dafür und wo führt das hin? Ich kenne viele Gastarbeiter die in den 70er zu uns kamen und heute zwischen hier (und ihren Kindern) und dort (bei der restlichen Verwandtschaft) hin und her gerissen sind - irgendwo niergends zu Hause... Mich macht der Beitrag nachdenklich, aber ich fand ihn toll.
AntwortenLöschenLG
Manu