Sonntag, 19. April 2015

Ausstellung im Haus der Geschichte "Immer bunter - Einwanderungsland Deutschland"

Ausstellungsplakat
Ein Kleiderspind, in dem kaum mehr als ihre Arbeitskleidung Platz fand, ein schlichtes, doppelstöckiges Bett auf einem olivgrünen Metallgestell, eine düstergraue Matratzendecke mit der Aufschrift „Volkswagen“, auf türkisch warnte ein Schild „DIKKAT, lüften yemek“. Tageslicht fiel behelfsmäßig durch den schmalen Fensterspalt. Die rauchenden Schlote des Volkswagen-Werkes in Sichtweite, mochten sich die Gastarbeiter in ihrem Wohnheim wie in einer Zelle vorgekommen sein: zum Leben besaßen sie gerade das Notwendigste, die Einrichtung war so spartanisch, dass sie gerade als Schlafstätte nach einer anstrengenden Arbeitsschicht dienen konnte. Wen die Enge erdrückte, den trieb es in die Gemeinschaftsräume.

Die Ausstellung „Immer bunter – Einwanderungsland Deutschland“ befasst sich mit dem heiklen Thema der Einwanderung, von den ersten Anfängen in den 1950er Jahren bis in die Gegenwart. Dass Einwanderung ein politischer Dauerbrenner ist, das ein Reizthema in der Bevölkerung ist, zeigt die Ausstellung in einer fast schon zwingenden Logik. Zwei Jahre lang hatten die Organisatoren der Ausstellung, Jürgen Reichel und Ulrich Op de Hipt, recherchiert, um mit Hilfe von 800 Ausstellungsstücken das Thema Einwanderung aufzubereiten. Wegen der Vorlaufzeit fehlen diverse jüngere Entwicklungen: Salafisten, die Zunahme extremistischer Bewegungen, Straßenschlachten zwischen Islamisten und Rechtsextremisten, Pegida, die Anschläge auf die französische Zeitung „Charlie Hebdo“ oder auf ein Kulturcafé in Kopenhagen.

Beginnend in den 1950er Jahren, haben sich die Organisatoren reichlich Mühe gegeben, die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte aus Südeuropa und aus der Türkei zu illustrieren. So ist in der Ausstellung das maschinengetippte Schreiben von Konrad Adenauer an den damaligen Bundesarbeitsminister Anton Storch aus dem Jahr 1955 zu sehen, womit der Bundeskanzler einer „negativen Entwicklung des Arbeitsmarktes“ entgegenwirken will, indem Arbeitskräfte aus dem Ausland angeworben werden. Fotos dokumentieren Warteschlangen in Verbindungsstellen der Bundesanstalt für Arbeit, die mit dem Anwerbungsabkommen ab 1960 in der Türkei aufgebaut wurden (den Anfang machte 1955 Italien). In Stoßzeiten knubbelten sich dort an die 200 Arbeitssuchende, die vorselektiert wurden. Glücklich waren diejenigen, die eine grüne Vorstellungskarte erhielten, denn sie fielen in das Raster von Berufen und eigenen Fähigkeiten, wo Arbeitskräften gesucht wurden. Dann ging es zum Arzt, der die gesundheitliche Eignung testete, das waren Herz, Lunge, Hals, Ohren, Puls, Blutdruck, Sehkraft. Mit einer Legitimationskarte konnten die Arbeitsinteressenten schließlich nach Deutschland reisen, um sich bei einem geeigneten Arbeitgeber vorzustellen.



deutsch-spanischer Arbeitsvertrag (oben links);
Gastgeschenk (Moped) an den millionsten Gastarbeiter (oben rechts);
Fahrkarte Istanbul-München-Express (Mitte);
Ford Transit des Sabri Güler aus Anatolien (unten)
Die Exponate, sorgfältig aus vielen Ecken unserer Republik zusammengetragen,  sind mitten aus der Alltagswelt der Gastarbeiter heraus gegriffen. Der Arbeitsvertrag eines Teodoro Calix Lopez aus Avila, der zweisprachig in Deutsch und Spanisch abgefasst wurde, eine Fischfiletiermaschine, an der wegen der intensiven Geruchsbelästigung vorwiegend Ausländer arbeiteten,  ein Kasten mit Arbeitszeitkarten, auf dem sich türkische, spanische und griechische Namensschilder neben denjenigen von deutschen Arbeitskollegen gesellten, die Einrichtung von Wohnheimen, wozu Konzerne wie Volkswagen verpflichtet waren.

Fotos belegen samt Original-Fahrkarte eine schier endlose Reise im Istanbul-München-Express, deren Abteile mit Koffern so vollgestopft waren, dass die Gastarbeiter bis in die Gänge standen. Andere Exponate sind so großspurig aufgestellt, dass sie nicht zu übersehen sind: das Moped, mit dem der millionste Gastarbeiter Armando Rodrigues de Sà aus Portugal beschenkt wurde, oder der blau lackierte Ford Transit, mit dem Sabri Güler mehr als einhundert Mal die 3.000 Kilometer lange Strecke von Lemgo in Westfalen nach Anatolien herunter gespult hat.

Dass Gastarbeiter herzlich willkommen sind, wendete sich 1973, weil Einwanderung an Wirtschaftswachstum gekoppelt war. Die Wirtschaft stagnierte. Deutsche fürchteten um ihre Arbeitsplätze. Die Bundesregierung reagierte mit einem Anwerbestopp für Gastarbeiter. Im Juli 1973 thematisierte der SPIEGEL die Ausländerpolitik in seiner Titelstory „Ghettos in Deutschland – eine Million Türken“.

Zimmermannsnagel des Bombenattentats im Juni  2004 in Köln-Mülheim
Seitdem hat sich die Einwanderungspolitik globalisiert. Asylbewerber aus aller Herren Länder sind dazugekommen. Die Parole „Das Boot ist voll“ fand Eingang in die Asyldebatte. Während sich die Parteien bis heute uneinig sind, wie viel Einwanderung sie wollen, kapseln sich Parallelgesellschaften ab, junge Frauen werden zwangsverheiratet, Ehrenmorde werden begangen. Unsere Integrationsansätze sind isoliert und beziehen sich nur auf den Arbeitsmarkt. So werden indische Computerspezialisten ins Land geholt. Philippininnen helfen, den Pflegenotstand zu lindern, Russen und Bulgaren arbeiten auf dem Bau. In unbeliebten Branchen wie etwa dem Straßenbau oder dem Reinigungsgewerbe arbeiten weitaus mehr Ausländer als Deutsche.

Im Endeffekt funktioniert die Integration über den Arbeitsmarkt aber nicht, weil Bildung und Chancen auf dem Arbeitsmarkt ungleich verteilt sind. Junge Erwachsene mit Migrationshintergrund bewegen sich nicht auf Augenhöhe mit ihren deutschen Landsleuten. Das belegt der Lagebericht des Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration vom Oktober 2014. Demnach haben Ausländer dreimal so oft keinen Berufsabschluss wie Deutsche, das sind dreißig Prozent aller Ausländer. Ein Kreislauf aus Armut, Gewalt und Perspektivlosigkeit wird in Gang gesetzt.

Ausländerthemen sind heikel, populistisch. Es ist einfach, an die niederen Instinkte zu appellieren, Ungerechtigkeiten zu Ausländern und Asylbewerbern hervorzuheben, und die Stimmung in der Bevölkerung anzuheizen. Die Ausstellung zeigt, wie sich die Parteienlandschaft verändert hat, als Ende der 1980er Jahre die Republikaner und die DVU (Deutsche Volks-Union) auf der Bildfläche erschienen. Die Ausstellung prangert den Rechtsextremismus an, indem sie den Brandanschlag auf ein von Türken bewohntes Wohnhaus in Mölln 1992 zeigt, bei dem drei Türken getötet wurden. Oder die Ausstellung hat einen zehn Zentimeter langen Zimmermannsnagel konserviert, womit die Splittergruppe des Nationalsozialistischen Untergrundes im Jahr 2004 eine Nagelbombe in der Keupstraße in Köln-Mülheim vor einem türkischen Friseursalon explodieren ließ.

Plakataktion
Dass sich die Tagesereignisse überschlagen, dem kann die Ausstellung naturgemäß nicht nachkommen. Das beunruhigt, wie ungefähr im Wochentakt politische Brandstifter versuchen, den Rechtsstaat in die Knie zu zwingen – letzte Woche ein Brandanschlag auf eine Moschee in Witten, in der Woche davor auf ein Anschlag auf eine Asylbewerberheim in Tröglitz. Zeitgleich geistern Schlagzeilen durch die Gegend, wie viel Überläufer in die IS es in Deutschland gibt.

Das Problemfeld des Umgangs mit dem Islam kommt effektiv zu kurz. Die Ausstellung stellt sich die Gegenwart viel zu einfach vor. Integrationspolitik reduziert sich auf Imbisse und exotische Kochkünste, auf einen Karneval der Kulturen, wie er einmal jährlich in Berlin stattfindet, auf Plakataktionen, die in poppigem Gelb Harmonie verbreiten, oder auf Deutschkurse, dass Ausländer aus aller Herren Länder mit einem Stück Papier in Form eines Zertifikats prompt integriert sind.

Unkommentiert, ist es zum Schluß der Ausstellung dem Urteil des Betrachters überlassen, ob dieser den Islam als Bedrohung auffasst. Fest in der Mitte des letzten Ausstellungsraums verankert, erweckt eine in dickem Schwarz verhüllte Frau den Eindruck eines Mahnmals. Inmitten der großen Verschleierung muss man genau hinsehen, um den Schlitz der Augen gerade noch zu erkennen. Mir ist dabei unheimlich geworden.

die große Verschleierung


5 Kommentare:

  1. Hört sich klasse an und war auch bestimmt sehr interessant, also zumindest hätte es mich auch sehr interessiert. Wirklich ein Teil der Geschichte von Deutschland, so wurden damals die Gastarbeiter gebraucht und sehr viele Familien haben ja auch dort ihre Heimat gefunden.

    Lieben Gruß

    N☼va

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  2. Danke, Dieter - das macht wirklich neugierig und ist für mich ja gar nicht weit:
    Haus der Geschichte Museumsmeile Willy-Brandt-Allee 14 53113 Bonn.

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  3. Mir auch - mir wird auch unheimlich, wenn ich diese vermummte Frau sehe! Ja, die Ereignisse überschlagen sich mit einem weiteren 'Höhepunkt' und vielen, vielen Toten am gestrigen Sonntag! Ein Thema, das uns alle angeht und sicher noch lange beschäftigt. Mein Vater erzählte häufig von den Anfängen mit den 'Ausländern' im Job und den Missverständnissen. Dein heutiges Thema wird uns wohl noch lange begleiten und hoffentlich nicht nur mit negativen Meldungen und Schlagzeilen. Die Ausstellung allerdings klingt spannend! LG Martina

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  4. Ja das Thema dieser Ausstellung ist etwas das uns alle fast ständig in irgend einer Form begleitet darüber wird oft
    gesprochen und jeder hat seine eigene Meinung. Die meisten haben wenig Verständniss oder eine negative Meinung.

    Gruß
    Noke

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  5. Also ich wäre auch gerne in die Ausstellung gegangen, ist aber leider zu weit weg. Damals sind viele Gastarbeiter zu uns gekommen und wir waren froh. Heute wollen wir nur Super - Topfachkräfte und werben dafür und wo führt das hin? Ich kenne viele Gastarbeiter die in den 70er zu uns kamen und heute zwischen hier (und ihren Kindern) und dort (bei der restlichen Verwandtschaft) hin und her gerissen sind - irgendwo niergends zu Hause... Mich macht der Beitrag nachdenklich, aber ich fand ihn toll.
    LG
    Manu

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