Baustellenchaos in St. Augustin |
Das ist schrecklich, wie in St. Augustin der Radweg
zwischen Baggern, Absperrzäunen und Betonskeletten endet. Mühselig muss ich
mich zurechtfinden in dieser Abbruchwüste. Noch stemmt sich das grüne Logo des
„HUMA Einkaufsparks Sankt Augustin“ gegen Abbruch, Niedergang und Wiederaufbau.
Über eine provisorische Brücke aus Beton muss ich wechseln auf die andere Seite
der Straßenbahnlinie 66. Treppenstufen weisen den Weg in eine Orientierungslosigkeit, graue Kästen von
Baustromzählern ticken still vor sich her, Berge von Bauschutt verirren sich neben der Straßenbahnstelle,
auf die, wie von Gespensterhand gelenkt, Busse zufahren. An diesem Punkt
erschrecke ich vor der Dimension, was sich die Projektverantwortlichen des HUMA
Einkaufsparks St. Augustin vorgenommen haben. Das eine Einkaufszentrum, das
sind immerhin 42.000 Quadratmeter Verkaufsfläche, soll platt gemacht werden.
Auf den Parkplätzen und zur Bundesstraße 56 hin, soll nun wie ein Phönix aus
der Asche, das neue Einkaufszentrum neu gebaut werden, das wird ein bißchen
weniger Verkaufsfläche mit 39.000 Quadratmeter sein, noch schöner, mit mehr
Geschäften, zeitgemäß für den Erlebniseinkauf und, damit brüsten sich die
Verantwortlichen im Bauamt, den Vorschriften des Brandschutzes auf hohem Niveau
genügend. „Der Neubau ist ein großer
Schritt auf dem Weg zum Ziel“, „ein zukunftsweisendes Projekt, für das die Zeit
reif ist“ oder „ein beispielhaftes Projekt“, so lese ich die Jubelmeldungen in
der örtlichen Presse, während ich kritische Stimmen vermisse. Ich selbst bin
bestürzt vor solchen größenwahnsinnigen Dimensionen, vor solch einem Wettrüsten
der schönsten Einkaufsmeilen und davor, dass die Käuferscharen dem totalen
Konsum blind hinter rennen wie eine Büffelherde dem Leittier.
Ab dem Alten Zoll bin ich herausgeradelt aus Bonn über
Beuel, ab der Kreuzung mit der Königswinterer Straße habe ich die Straßenbahnlinie
66 begleitet, in Teilen auf einem eigenen Radweg. An dem Baustellenchaos des
HUMA Einkaufsparks wurstele ich mich vorbei, und ohne Dreck und Lärm und Chaos befreie
mich zur Bundesstraße 56 hin. Auf der Höhe des
LIDL-Discounters wechsele ich die Straßenseite. Der Radweg, nicht in
allerbestem Zustand, kleckert sich entlang der Bundesstraße dahin, der ich
immer geradeaus nach Siegburg folge, über die Autobahnauffahrt hinweg, über
einen Kreisverkehr, eine Ampel an einer großen Kreuzung und noch einen kleinen
Kreisverkehr, auf dem einem schwindlig wird. Unterhalb der Abteikirche, an der
St. Servatius-Kirche vorbei, gelange ich zum Marktplatz, in dessen Mitte ein
Kriegerdenkmal die Schlachten des deutsch-französischen Krieges 1870/71
aufleben läßt.
Marktplatz Siegburg |
Im Gegensatz zum HUMA-Einkaufsparks in St. Augustin,
das in der öffentlichen Meinung anscheinend einhellig befürwortet wird, hatten
sich in Siegburg lange Zeit die Gemüter erregt. Mit dem Marktplatz, der
Servatiuskirche, dem vergoldeten Annoschrein, dem Kloster auf dem Michaelsberg,
eingebettet in eine Zeitreise ins Mittelalter, hatte Siegburg lange die Nase
vorn. Kaufhof, C&A und Co. lockten als Shopping-Paradies, doch die
umliegenden Städte Troisdorf, Hennef, auch Köln-Porz hatten mit großspurigen
Einkaufspassagen in ihren Fußgängerzonen aufgerüstet.
Wie verhalten sich die Stadtherren, wenn ein
Investor aus einem Geldkoffer 100 Millionen Euro ausschütten will und damit ein
neues Einkaufszentrum bauen möchte ? Die Verlockungen sind groß, bei 17.000
Quadratmeter Verkaufsfläche, und wenn man all die Geschäfte in der Siegburger
Fußgängerzone dazu zählt, hätte Siegburg das HUMA Einkaufsparadies in St.
Augustin locker überholt. So schlüpfte die CDU-Führungsspitze der Stadt
Siegburg 2010, als der Investor ECE zu planen begann, in die Rolle von
Predigern und Heilsverkündern, Siegburg würde auf Jahre und Jahrzehnte hinaus
unerreichbar sein, was die Anziehungskraft von Konsumentenströmen betraf. Eine
einzige Schlacht müsse geschlagen werden, dieses Riesen-Einkaufszentrum zu
bauen, dass sich in die halbe Innenstadt, von der Rhein-Sieg-Halle über das
Rathaus bis zum Marktplatz fressen würde, dann würden bis in alle Ewigkeit
unerschöpfliche Geldquellen des Konsums sprudeln.
Während die Propagandamaschine der CDU-Ratsherren
auf Hochtouren lief, spaltete sich die öffentliche Meinung an dem platten,
schmucklosen Bau des Rathauses. Wieso abreißen ? Brauchen die Siegburger einen
Konsumtempel in solchen größenwahnsinnigen Dimensionen ? Was sagen
alteingesessene Einzelhändler dazu ? Es formierte sich eine Bürgerinitiative
gegen das Einkaufszentrum des Investors ECE, wobei die Bürgerinitiative
herausfand, dass in bereits durchgeführten Projekten des Investors ECE viele
Klein- und Mittelstädte außerhalb der Einkaufszentren jämmerlich verödeten,
während die Käuferscharen gezielt auf das Einkaufszentrum gelenkt wurden.
Einzelhändler gingen auf die Barrikaden und setzten eine Volksabstimmung der
Siegburger Bürger durch.
Rathaus oder Einkaufszentrum ? An dieser
Glaubensfrage schieden sich im September 2010 die Geister, wobei die
Einzelhändler ihre Situation simulierten, wenn denn das Einkaufszentrum gebaut
worden wäre. Mit Pappe klebten sie ihre Schaufenster zu, „Geschlossen wegen
Geschäftsaufgabe“, „Wir schließen – alles stark reduziert“, „Räumungsverkauf –
zwei Teile nehmen, ein Teil zahlen“, all diese Appelle zeigten Wirkung: Zwei
Drittel der Siegburger lehnten das Einkaufszentrum ab, so dass im Endeffekt die
Vernunft siegte.
Tümpel vor Lohmar |
Über die Holzgasse schiebe ich weiter, am Ende der
Fußgängerzone nach links auf den Radweg der früheren Eisenbahntrasse von
Siegburg nach Lohmar. All die Absperrungen, die alle paar Meter den Radweg
unterbrechen, sind ärgerlich, da sie eine unterbrechungsfreie Fahrradfahrt
erschweren. Was diese Rennradtour ausmacht, das sind die Wechsel vom Ballungsraum
in die Natur. Die Wechsel kommen unerwartet, grüne Oasen tun sich auf, Hektik
wechselt schlagartig in Ruhe und Entspannung. Einen solchen Wechsel erlebe ich,
nachdem ich den Stadtrand von Siegburg hinter mir gelassen habe. Mit einem Mal gleite
ich durch Laub- und Kiefernwald, vorbei an verrosteten Bahngleisen, plötzlich
versinkt ein vom Sturm niedergestreckter Baum in einem Teich. Die Teiche hatten
System. Entlang der alten Bahnlinie, befinde ich mich am Rande des Teichsystems zwischen
Siegburg und Lohmar, das auf seine Ursprünge im Mittelalter zurückblicken kann
und das als Stallberger Teiche in den Güterverzeichnissen der Siegburger Abtei
geführt wurde.
Ich radele weiter und bin nun
mittendrin in der Wahner Heide. Diese ist Teil der Bergischen Heideterrasse,
die östlich von Düsseldorf beginnt, den Übergang von den
Mittelgebirgslandschaft des Bergischen Landes in die Niederrheinische Tiefebene
markiert und bei Hennef ausläuft. Bis in das 18. Jahrhundert unterschied man
noch in geografische Heidebezeichnungen, das war dann die Troisdorfer Heide,
die Spicher Heide, die Heumarer Heide, die Urbacher Heide, die Altenrather
Heide und so weiter. Seitdem hat sich dieses verzweigte Heidegebiet in der
Kernzone der „Wahner Heide“ vereinigt, egal, ob Heidevegetation dominiert,
Wiesen in Flußtälern, Auenwälder oder auch Fischteiche.
Das Ende des Radwegs führt mich auf die Bundesstraße
B484, der ich nach links folge. Vom Mittelpunkt „Wahn“ bin ich noch ein langes
Stück entfernt, bis dahin muss ich zunächst Vorlieb nehmen mit
Industriegebieten in Lohmar. Mit der
chaotischen Radwegführung auf der linken Straßenseite empfinde ich Lohmar nicht
gerade als fahrradfreundlich, daher wechsele ich auf die Bundesstraße. Zwei
Kilometer weiter geht es geradeaus, dann biege ich am Kreisverkehr nach links
ab an den Lohmarer Höfen vorbei und folge der Beschilderung in Richtung
Troisdorf. Hinter der Aggerbrücke setzt sich der Mischwald aus Buchen und
Kiefern wieder durch, und dann geht es für ein einziges Mal steil den Berg
hinauf. Wenn man von diesem Anstieg absieht, ist diese Rennradtour flach. Ich
folge dem Hinweisschild geradeaus in Richtung Köln. Nach dem nächsten
Kreisverkehr, auf der Höhe von Altenrath, bewege ich mich mit den zunehmend
sandigen Böden auf das Kerngebiet der Wahner Heide zu.
Sandböden in der Wahner Heide |
So wie heute im Grenzbereich zwischen Mittelgebirge
und Flachland, so lag dieses Gebiet vor rund 70 Millionen Jahren im
Grenzbereich von Land und Meer. Die Nordsee war bis in die Kölner Bucht vorgedrungen,
das Meer wich wieder zurück, das war vor 20 Millionen Jahren. Vor rund 10.000
Jahren wurden dann die Böden der Wahner Heide so geformt, wie wir sie heute
wieder finden. Stürme formierten sich, sie saugten sich voller Meeressand. Die
Sandstürme müssen verheerend gewesen sein wie in Wüstenregionen. Stellenweise
sah es aus wie an der Nordseeküste, denn Dünen bis zu zehn Meter Höhe türmten
sich auf, Dünen, die heute Gräser oder Heide oder Kiefernwälder oder
Birkenwälder bedecken. Auch der höchste Punkt der Wahner Heide, der 154 Meter
hohe Telegrafenberg, ist eine aufgewehte Düne.
Doch die Wahner Heide ist nicht nur Sand, sondern
auch der Wechsel zwischen trocken und feucht. Über Sanden fließt Wasser schlecht
ab, und so hatte sich in den Senken der Wahner Heide das Wasser gestaut, sogar
Moore hatten sich gebildet. So waren die hauptsächlichen Bewirtschaftungsformen
die Schafzucht und der Torfabbau, so steht es in einer Chronik der vier
Dorfschaften Troisdorf, Sieglar, Spich und Altenrath aus dem Jahr 1821. Dabei
aßen die Schafe alles ratzekahl, so dass selbst Heidekraut kaum noch zu finden
war. Das Landschaftsbild sollte sich aber bald ändern, denn der Preußische
Staat hatte bereits 1817„minderwertiges Heideland mit sumpfigen Stellen und
ebensolcher Umgebung“ gekauft. Eigentlich wollten die Preußen das Gelände als
Truppenübungsplatz nutzen, wozu dieses sich aber wegen der feuchten,
versumpften und moorähnlichen Stellen
wenig eignete. Also musste all die Nässe und Feuchtigkeit abgeführt werden,
Entwässerungskanäle wurden gegraben, dieses System von Kanälen trocknete weite
Flächen aus.
Ich fahre weiter durch Wald und Heide. Alles ist
noch winterlich kahl, zumal die Heideflächen ohnehin erst im September blühen.
Rasch stoße ich auf das Monstrum des Köln-Bonner-Flughafens, der sich mit
seinen gewaltigen Dimensionen in die Landschaft hinein gefressen hat. Von
seiner Rückseite aus kann ich einen Teil dieser Dimensionen erahnen: in der
Ferne in unerreichbaren Weiten schraubt sich der Tower in die Höhe, umringt von
den beiden Terminals für An- und Abflüge, undefinierbaren Hallen und Hangars. In
der Märzstimmung vermischen sich die Grautöne der Start- und Landebahnen, von
Sand und von Gräsern, begleitet von einem schwerfälligen Himmelsgrau.
Dass Flugzeuge starten und landen, dürfte trivial
sein. Aber aus dieser Selbstverständlichkeit wächst an diesem Punkt eine
technische Faszination, denn die Straße kreuzt genau die Landebahn. Alle paar
Minuten kommt aus östlicher Richtung, das dürfte ungefähr Rösrath sein, ein
solcher Riesenvogel herangeflogen, der sich fast bis zur Straße nähert, als könnte
man nach ihm greifen, um vielleicht einen Kilometer weiter auf der Landebahn
aufzusetzen, sanft und elegant, als würde ein gepolstertes Kissen gestreichelt.
Ich schaue mir dieses Schauspiel ein paar Mal an, dann geht die Fahrt weiter.
Flughafen Köln/Bonn: Tower (oben), landende Flugzeuge (Mitte und unten), Verbotsschild Munitionsbelastung (Mitte) |
Dass hier einmal fast ohne Unterbrechung und ohne
Pause Flugzeuge in die ganze Welt
ausschwärmen und wieder einkehren würden, daran hatte niemand gedacht, als die
Preußen 1817 „minderwertiges Heideland mit sumpfigen Stellen und ebensolcher
Umgebung“ gekauft hatten. Wie es sich für Soldaten gehört, tarnten sie sich auf
dem Truppenübungsgelände, sie robbten durch das Unterholz, übten Angriff und
Verteidigung. Dabei übten die Soldaten vor allem eines: das war das Schießen.
Da der technische Fortschritt absurderweise auch das Töten von Menschen
perfektionierte, wurde nicht nur aus Gewehren und Kanonen geschossen. Maschinengewehre,
Mörser, Haubitzen, Granaten wurden getestet, die Reichweiten der neuen Waffen
wurde immer länger.
Einen Technologieschub der allerersten Kategorie
brachte der Erste Weltkrieg, der als Geburtsstunde des Köln-Bonner-Flughafens
bezeichnet werden kann. Die Gebrüder Wright hatten 1902 das Zeitalter der
motorisierten Luftfahrt eingeläutet. Da die Westfront in Nordfrankreich in
einem Stellungskrieg erstarrt war, glaubten die Militärstrategen, Flugzeuge für
einen Fronteinsatz weiter entwickeln zu können und damit den Kriegsgegner in
die Knie zwingen zu können. So wurde 1915 eine Graspiste mit Lochblechen auf
einhundertfünfzig Meter verlängert, das war die erste Start- und Landebahn für
die Propellermaschinen der Herstellerfirmen Albatros, Haifisch, Fokker oder
Junkers, die dann an die Westfront ausflogen. Den nächsten Technlogieschub
brachten die Nationalsozialisten, die den Flughafen ausbauten und für den
Bombenkrieg aufrüsteten. Erst in der Nachkriegszeit wurde der Flughafen zivil
genutzt, als der zivile Teil vom innenstadtnahen Flughafen Butzweilerhof in die
Wahner Heide verlagert wurde.
S-Bahn-Linie |
Seitdem ist Köln/Bonn der Abflugort für
Pauschalreisen, Geschäftsreisende und Weltenbummler aller Art. Als 1996 nach
einem Brand von Styroporplatten zwei von drei Terminals am Düsseldorfer
Flughafen Düsseldorf ausbrannten und abgerissen werden mussten, versuchte Köln,
den größeren Flughafen in Düsseldorf mit seinen Passagierzahlen zu überholen. Im
Jahr 2000 wurde ein zweites Abfertigungsterminal gebaut. Frank Schätzing
beschreibt den Flughafen in seinem Roman „Lautlos“ so: „An der Kopfseite ist
der eigentliche Airport, Autobahnzubringer, Terminal … das Airport-Building ist
ihr Kopf, und ihre Augen geben die Position des alten Terminals an. Die lange
Landebahn beginnt gleich neben dem linken Ohr. Das neue Terminal hingegen ist
das linke Ohr. Darum haben Sie eine phantastische Sicht von hier, Sie sehen die
Vögel kurz vor der Bodenberührung, es ist toll !“
Ich entferne mich wieder von der Landebahn, und nach
einer satten Links- und Rechtskurve sieht die Wahner Heide wieder aus, als habe
es nie einen Flughafen gegeben, so sehr dominiert die Natur. Drei bis vier
Kilometer fahre ich immer geradeaus bis zur nächsten Ampel. Wenn ich dort
zweimal links führe, würde ich genau auf dem Autobahnzubringer landen, den
Frank Schätzing beschrieben hat.
Ich fahre aber an der Ampel geradeaus und bin für
mich auf einem eigenen Fahrradweg alleine. Ich passiere das letzte Stück Wahner
Heide, ich knicke nach rechts ab und radele an der S-Bahn-Linie entlang, dann
wieder links, ungestört, wo ich über eine Brücke die Bahnlinie überquere.
Diese S-Bahn-Linie, die gleichzeitig als
ICE-Flughafenzubringer fungiert, brach wie ein von langer Hand geplanter
Brachialakt über die Wahner Heide hinein. Das geschah in den Jahren nach der
deutschen Wiedervereinigung, als die Technologie der Hochgeschwindigkeitszüge
Fahrt aufnahm. Ein eigener Bahnzubringer des Flughafens war stets an den Kosten
gescheitert, die weder die Stadt Köln noch das Land NRW noch der Flughafen noch
die Bahn bezahlen wollten. In dieser Zeit hatten die beiden deutschen Staaten
gejubelt und sich wieder vereinigt, die Bundesregierung zog von Bonn nach
Berlin um, dafür wurde Bonn mit reichlich Geld entschädigt. Eines der Vorhaben
war der ICE-Flughafenzubringer, wofür die Bundesregierung aus dem
Bonn-Berlin-Gesetz sagenhafte 255 Millionen Euro spendierte. Das machte
hochgradig Sinn, den Flugverkehr auf die Schiene zu verlagern, so dass
Kurzstreckenflüge – hier: von Köln/Bonn nach Frankfurt – auf die
umweltfreundlichere Schiene verlagert wurden. So konnten die Hochgeschwindigskeitszüge
in einem Rutsch von dem einen ICE-Bahnhof in Köln zum nächsten ICE-Bahnhof des
Frankfurter Flughafens rasen.
achtstöckiger Wohnblock in Köln-Porz-Urbach |
Weniger sinnhaft war das Verhalten von
Umweltaktivisten, bevor die Eisenbahntrasse gebaut wurde. Sie wollten ihre
heimische Scholle der Wahner Heide mit aller Macht verteidigen, Anfang der
1990er Jahre besetzten sie den Wald, sie ketteten sich an Bäume an, Polizisten
mussten engreifen, damit die Abholzungsarbeiten begonnen werden konnten. Dabei
blendeten sie freilich aus, dass Kurzstreckenflüge und Fluglärm wegfielen oder dass
die CO2-Bilanz entlastet wurde.
Mit der anschließenden, etwas verworrenen
Wegeführung springe ich auf den Roman „Lautlos“ von Frank Schätzing zurück.
Neben dem Flughafen Köln/Bonn spielt ein wesentlicher Handlungsstrang zwischen
Industriegebieten und Wohngebieten von Köln-Porz-Urbach. Schätzing beschreibt
die amorphe Häuseransammlung in Porz-Urbach ziemlich genau, wie ich es auf
meinem Rennrad erlebe.
„Porz-Urbach, lasen sie auf dem Ortsschild … es war
eine Siedlung. Nur Ein- und Mehrfamilienhäuser, eine Kirche, ein kleiner
Friedhof, kaum Geschäfte und Kneipen … mehrere Male wurden sie von
Einbahnstraßen zur Umkehr gezwungen. Kaum jemand war unterwegs. Dann plötzlich,
ohne es recht zu merken, hatten sie die Autobahn unterquert … sie bogen in eine
schmale Straße ein, die nach wenigen hundert Metern abknickte. Flachbauten
erstreckten sich dort, offenbar ein Industriebgebiet. Ein mehrere Meter hohes
Gitter umgab ein größeres Areal.“
Ich glaube, die Halle mit der Wellblechfassade aus
dem Roman wieder zu erkennen, genau weiß ich es aber nicht. Gepanzerte
Bundeswehrfahrzeuge mit grün-braunem Tarnanstrich parken vor der Halle, ein
Mast, ohne Antenne, ohne scheinbare Funktion, ragt steil nach oben. Der
siebenhundert Seiten starke Wälzer von Frank Schätzing hatte mich seiner Zeit
gefesselt. Im Kern geht es um einen Terroranschlag auf den amerikanischen
Präsidenten Bill Clinton, als dieser im Jahr 1999 auf dem Köln-Bonner-Flughafen
landete, um am Weltwirtschaftsgipfel G7 teilzunehmen. „Lautlos“, so der Titel
des Romans, - über einen Laserstrahl – planten Terroristen aus dem Kosovo den
Terroranschlag. Luftlinie zwei Kilometer vom Flughafen, stand fiktiv in dieser
Lagerhalle eine Laserkanone, die über eine Röhre aus Yttrium-Aluminium-Granulat
einen Laserstrahl in die Höhe auf einen Spiegel befördern sollte, der dann auf
einen weiteren Spiegel auf dem Flughafengelände treffen sollte, um dann den
Körper des amerikanischen Präsidenten auf der Gangway des gelandeten Flugzeugs zu durchbohren.
Die Techonologie ist real, der Terroranschlag blieb Fiktion, denn in dem Buch
von Frank Schätzing ging alles gut, da ein Scharfschütze auf dem
Köln-Bonner-Flughafen in letzter Millisekunde den einen Spiegel in Kleinteile
zerschoß.
Wirtschaftsweg in den Feldern |
Ich verlasse Porz-Urbach in der umgekehrten Richtung
wie in dem Roman von Frank Schätzing. Aus dem Industriegebiete fahre ich über einen
schmalen Weg, dem Wiesenweg, immer geradeaus. Nach zwei Kilometern biege ich
nach rechts auf die Friedensstraße ab, wo die Häuserblocks bis zu fünfzehn
Stockwerke in die Höhe wachsen. Nun bin ich mittendrin in den unsystematisch
wuchernden Außenbezirken von Köln, wo sich ganz viel Menschen auf wenige
Quadratmeter drängeln, und dennoch sind die Straßen menschenleer, nicht anders
als im Roman von Frank Schätzing. Eine Bäckerei an der Straßenecke, Rasenflächen
spannen sich auf, Glasbausteine zerteilen das Einheitsweiß von Mietskasernen, die
Fassaden der Wohnblocks sind so schnörkellos glatt wie die Balkone aus
Fertigbauteilen.
An der großen Kreuzung mit der Bundesstraße 8 fahre
ich weiter geradeaus, diesmal grenzt die Wohnblockarchitektur an Felder, die
aus dem Dämmerschlaf des Winters noch nicht aufgeweckt sind. Einhundert Meter
weiter habe ich dann die urbane Zone der Stadt Köln verlassen, und ich fahre
durch eine Agrarlandschaft, die mehr durch extensive Anbaumethoden genutzt wird
und wo mich die Größe der Aussiedlerhöfe an Farmer in den USA erinnert.
Über eine Brücke überquere ich die Bahnstrecke von
Porz nach Wahn, mit der, 1859 eröffnet, die Industrialisierung der südlichen
Kölner Außenbereiche einsetzte. Mit der Eisenbahn kam die Seilerei Felten &
Guillaume, die später einer der weltweit führenden Elektrokonzernen wurde. Vor mehr als 100 Jahren gründete der
belgische Konzern „Société Anonyme des Glaces Nationales Belges“ die
Spiegelglaswerke Germania am Rhein, aus der die späteren Vereinigten Glaswerke
entstanden.
Nun radele ich am Rande des Industriegebietes der
Glaswerke entlang, an dessen Zaun ich noch keine Hektik und Taktung von
Produktionsanlagen erkennen kann, sondern eine beschauliche Ruhe, die über den
Wirtschaftsweg bis nach Köln-Zündorf hinein reicht. Dort fahre ich parallel zur
Straßenbahnlinie 7 bis zur Endhaltestelle, ich fahre kurz rechts, kurz links,
bis ich wieder mitten in den Feldern gelandet bin, dort immer geradeaus, dann
rechts, ein Stück quer durch Zündorf, dann wieder links auf die Hauptstraße
geradeaus in Richtung Köln-Porz-Langel.
optischer Telegraph in Köln-Porz-Zündorf |
Langsam überschattet die petrochemische Industrie in
Wesseling in der Ferne die Felder, die sich außerdem gegen wild wuchernde
Neubaugebiete wehren müssen, die so identitätslos nebeneinander kopiert sind,
dass ich in den Häusern niemals wohnen möchte. Aber auf der anderen
Straßenseite schälen sie sich dann doch heraus, alten und schöne Strukturen
neben neuen Strukturen, klar und deutlich. Platt und stumpf überschaut der Turm
des optischen Telegrafen den Kölner Stadtrand. Er entstand in den Urzeiten der Telekommunikation, als es noch kein Telefonnetz gab, wie wir es heute kennen. Es war wie
so oft bei Erfindungen: sie gelangten zur Marktreife, weil die Militärstrategen
sie brauchten. Nach dem Wiener Kongreß 1815 wurde das Rheinland Preußen
zugeschlagen, und die Preußischen Militärs brauchten eine Nachrichtenverbindung
von Berlin nach Koblenz. Was die Mechanik der Tipperei auf den Tasten betraf,
war die Erfindung gar nicht so weit weg von der heutigen SMS. Auf dem Morse-Telegrafen
wurde getippt, und die Nachrichten wurden per Lichtsignal übertragen. Insgesamt
62 solcher optischen Telegrafen verbanden Berlin mit Koblenz, von Turm zu Turm
wurden Lichtsignale gesendet, der vorherige stand bei der Kirche St. Pantaleon
in der Kölner Innenstadt, der nächste auf dem höchsten Punkt der Wahner Heide,
dem Telegrafenberg, von dort aus weiter über das Siebengebirge.
Ich fahre weiter zum Rhein, erst nach Langel hinein,
dann folge ich schräg rechts der Fahrradbeschilderung nach Lülsdorf. Nachdem
ich mich am Ortskern von Langel vorbei gemogelt habe, bin ich angekommen auf
dem Damm zum Rhein, der sich auf der Höhe des sogenannten Langeler Bogens krümmt. Auf Hinweistafeln kann ich nachlesen, dass hier
ein sogenanntes Retentions- oder auf Deutsch: Rückhaltebecken gebaut wurde. Die
Verantwortlichen glauben und hoffen, dass sie Hochwasser aufhalten können, wenn
solch ein Retentionsbecken geflutet wird, so dass in den nachfolgenden
Rheinabschnitten das Hochwasser sinkt.
Vom Oberrhein bis an die Nordsee: länderübergreifend
haben die Verantwortlichen erkannt, dass die isolierte Betrachtung von Retentionsbecken
keine Wirkung zeigt, sondern das Gesamtkonzept. Daher versuchen die Kommunen
mit aller Kraft, den Hochwasserschutz voran zu treiben. Das birgt allerdings Konfliktpotenzial,
weil vom Prinzip her nur verlagert wird, wer die nassen Füße bekommt.
Myriameterstein in Niederkassel-Lülsdorf |
Zwei Jahre hatten sich die betroffenen Bürger durch
die Instanzen geklagt, da bei der Flutung Wohngebiete in Lülsdorf und Langel
betroffen wären, während sich in Köln die Hochwassersituation verbessern würde.
So mussten die Planungen mehrfach überarbeitet werden. Schließlich erhöhte man die
Pegelhöhe auf 10,90 Meter, ab wann die Retentionsklappen geöffnet werden sollten
und der Polder geflutet werden sollten. Auch das Nutzungsziel des Retentionsraumes wurde
umformuliert. Das Hochwasserschutzkonzept betont nun, dass nicht nur die Kölner
Altstadt geschützt wird, sondern rund zwölf Prozent der gesamten Kölner
Stadtfläche ab dem genannten Pegel von 10,90 Meter. Ein solches Rheinhochwasser
hat es übrigens erst einmal in der gesamten Hochwassergeschichte gegeben, das
war ein Pegel von 13,55 Meter im Jahr 1784. Welche Urgewalten an Wasser bei
solch einem Pegel ihre Zerstörungskraft entwickeln, daran wagt wahrscheinlich
niemand zu denken. Das letzte große Rheinhochwasser hatte im Jahr 1995 einen
Pegel von 10,63 Meter.
Ein
Stück weit genieße ich die Gestaltung des Deiches, als ich eine Wegemarkierung
mit der vornehmen Bezeichnung „Myriameterstein“ passiere. Der liegt mitten auf
dem Deich kurz vor Lülsdorf, und so manche geschichtsinteressierte Bürger haben
sich mächtig Mühe gemacht, den Stein aufzupolieren. Der Stein datiert aus einer
Zeit, als das neu entstandene deutsche Reich den Rhein von Basel bis Rotterdam
vermessen ließ. Alle zehn Kilometer wurden solche Steine aufgestellt, und Spaziergänger
hatten den Stein vor dreizehn Jahren in diesem Rheinabschnitt am Ufer gefunden.
In sauberer Ordnung kann ich nun nachlesen, dass es bis auf die Nachkommastelle
genau fünfhundert Kilometer bis Basel sind, bis Rotterdam sind es 384
Kilometer.
Den
Rückweg bis Bonn fahre ich stets am Rhein entlang, an Lülsdorf vorbei, ich
umkurve das Industrieareal der Evonik-Werke, in Niederkassel folge ich der
Beschilderung zu Rhein zurück, über den Deich gelange ich bis nach Mondorf, von
dort aus am Fischereimuseum vorbei bis nach Bergheim zur Siegfähre. Wenn ich es
eiliger habe, kann ich in Mondorf auch über die Provinzialstraße wechseln auf
die Landstraße L269 in Richtung Bonn. Ab der Siegbrücke sind die beiden
Streckenvarianten wieder gleich. Über Schwarz-Rheindorf und Bonn-Beuel geht es
dann wieder zum Alten Zoll zurück.
Strecke (63 Kilometer):
Höhenprofil:
Das ist wieder eine Mammutarbeit, die du vollbracht hast. lieber Dieter.
AntwortenLöschenIch lese deine Aufsätze, so muss man sie nennen, immer sehr gern und
freue mich über jeden. Irgendwie ist es doch meine Heimat - wenn auch im
weiteren Sinn.
Ich wünsche dir ein sonniges Bergfest
Irmi
Ich möchte Irmi zustimmen: Du machst dir soooo viel Mühe. Es ist ja nicht nur
AntwortenLöschendie gewaltige Strecke, die du fährt, sondern du bemühst dich jedesmal, sie uns
näher zu bringen und weist auf Besonderheiten hin. Das ist wirklich sooo viel
Arbeit, die ich zu schätzen weiß! Danke! LG Martina
Lieber Dieter,
AntwortenLöschenwas für eine Stecke! Wobei mir der Teil mit dem Teichsystems zwischen Siegburg und Lohmar bzw. mit der Wahner Heide am besten gefallen hat. Natur eben ;o) Sehr clever und gelungen fand ich auch die Aktion der Einzelhändler auf den geplanten Bau des Einkaufszentrums!
Hab ein feines Wochenende!
Herzliche Rostrosengrüße von der Traude
Wieder gut recherchiert. Ich lese hier wirklich immer gerne. Der Tümpel von Lohmar ..ein wunderbares Foto ist dir da gelungen.
AntwortenLöschenGruß vonner Grete
Aaaaah, wo ist mein Kommentar hin ? Oder hast du neuerdings auf "moderiert" umgestellt ?
AntwortenLöschenLG Frauke
Mist, haste nicht *uff* ... ok ... also nochmal !
LöschenMensch Dieter, da haste ja mal wieder eine Strecke abgerissen *wow*.
Am Sankt Augustiner Bauchaos bin ich auch kürzlich erst vorbei gefahren ... allerdings mit dem Auto. ;-) Auch die Siegburger Holzgasse hab ich neulich erst besucht. Erst mit den Kollegen was leckeres essen und danach ins Brauhaus *ggg*. Ich mag die Holzgasse und ich hätte es sehr schade gefunden, wenn dort nach und nach Läden hätten schließen müssen.
Der Teil in der Wahner Heide hat mir am meisten gefallen. Ich bin ja im Sommer oft und sehr gerne dort und kenne einen großen Teil davon recht gut. So konnte ich anhand deiner Bilder mir meist vorstellen, wo du ungefähr unterwegs warst. :-)
Hab einen schönen Sonntag mit der Familie. An Radfahren ist ja heute nicht zu denken. :-(
LG Frauke