Mir erging es anders als Wolfgang Bosbach.
Besuch bei der Gastroentologin. Ich war gelöst, als
ich im Zimmer der Ärztin saß, die meine Darmspiegelung vorgenommen hatte. Ich
dachte an nichts schlimmes, ich war erleichtert, dass das unangenehme Verschlingen
von Massen an Flüssigkeit vorbei war. Das Foto einer blonden Schönheit lächelte
mir aus einem hölzernen Rahmen von der Wand entgegen. War es ihre Tochter ?
„Alles in Ordnung. Kein Polyp“ teilte mir die Ärztin
das Ergebnis mit. In diesem Moment war ich noch erleichterter, zumal sich
sporadisch und zeitlich begrenzt Blut in meinen Stuhlgang hinein gemischt
hatte.
Das war anders bei Wolfgang Bosbach,
Vollblutpolitiker, ein Unruheherd, ständig in Bewegung. „Es darf keinen
Stillstand geben, sonst schlafe ich ein“ so beschreibt
er seine Antriebsmechanismen. Zwischen Wahlterminen, Sitzungen,
Redeveranstaltungen und Fernsehauftritten bleibt da kaum Zeit für eine
regelmäßige Krebsvorsorge. 2010 Krebsoperation an der Prostata. Da hieß es, er
hätte noch eine Lebenserwartungszeit von 23 Jahren. Doch ein Jahr später war
alles komplett anders. Wie ein Streuselkuchen war sein Körper voller Krebs, das
stellten die Onkologen in einer Computertomografie fest. Nun unterzieht sich
Bosbach, 62 Jahre alt, in Intervallen einer Strahlentherapie, um überhaupt noch
ein paar restliche Lebensjahre für sich zu haben. Und das bei unverändert hoher
Taktung.
In meinem Blog befasse ich mich weniger mit
politischen Themen. Im Tagesgeschäft der Massenmedien wird so viel über Politik
berichtet, kommentiert und kritisiert, dass ich nicht unbedingt meinen eigenen
Senf dazu geben muss. Dafür befasse ich mich gerne mit allem, was aus dem
Rheinland kommt. Und bei Wolfgang Bosbach kann man den rheinischen Tonfall nicht
überhören. Freundlich, bestimmt, kurzweilig, mit klaren Standpunkten und hoher
Sachkenntnis habe ich ihn stets wahrgenommen, kurzum: ein sympathischer
Zeitgenosse.
Die Bild-Journalistin Anna von Bayern hat über
mehrere Monate den Spitzenpolitiker begleitet. Ihre Einblicke ins politische
Tagesgeschäft sind stets spannend, anekdotenhaft geschrieben, verzahnt zwischen
dem Berufspolitiker und seiner Familie. Machtstrukturen schillern durch. Diese
sind mehr starr als beweglich: aus Wahlergebnissen, aus Koalitionsverträgen,
aus den Verhältnissen im Bundestag/Bundesrat, aus Besetzungsoptionen durch die
Landesverbände der Parteien, vorbestimmt durch Kenntnisse und Fachwissen, das
Verhältnis zur Bundeskanzlerin spielt naturgemäß auch eine Rolle – und dieses
ist tendenziell nicht schlecht, aber nicht gut genug. So ergab es sich, dass er
sein Lebensziel, nämlich einmal Minister zu werden, nicht erreichte, worüber er
sich nicht beklagt.
Es empfiehlt sich, auf der richtigen Seite zu
stehen, das sagt Wolfgang Bosbach. Für offene Meinung, unbedachte Rede oder
Ironie ist nur bedingt Platz, das sind seine Erfahrungen im Politikgeschäft. Anna
von Bayern zitiert die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel, um dies
zu verdeutlichen: „Die Demokratie darf nicht zu einer Herrschaft von wenigen
Meinungen werden, in der die Führung der Masse diktiert, was gilt. Die Führung
ist dabei auf ihre eigenen Interessen, ihrem persönlichen Nutzen und dem Erhalt
der Machtstruktur ausgerichtet. Die Ziele der Gruppe, die von ihr dominiert
wird, geraten in den Hintergrund. Diese Elite führt keine inhaltlichen Debatten
mehr … Diese Elite glaubt, auf die großen Diskurse über die Fragen unserer Zeit
zu verzichten. Stattdessen werden die Debatten in Randthemen geführt, wo die
Elite sich mit großen Kraftanstrengungen profiliert.“ Dieses Schema passt auf
die Machtstrukturen einer Angela Merkel, aber auch auf andere Bundeskanzler.
Der Weg hinein die politische Karriere des Wolfgang
Bosbach war ungewöhnlich, denn er begann sein Berufsleben als
Einzelhandelskaufmann bei der er Konsumgenossenschaft Köln eG/Coop West AG in
Köln, wo er später Supermarktleiter wurde. Das merkt man bei diversen
Fernsehauftritten, dass er kein Standardrepertoire von Floskeln herunter betet,
sondern kundenorientiert auf Sachfragen eingeht,
mit den Gesprächspartnern redet und einen gemeinsamen Dialog führt. Und
dies mit den Stärken eines Rheinländers: er behandelt andere mit Respekt, er
kann Menschen nehmen, wie sie sind, mit Humor löst er spannungsgeladene
Situationen.
Über die Kommunalpolitik in Bergisch Gladbach schaffte er es in den
Bundestag. 1994 wurde er Bundestagsabgeordneter, seit 2009 verantwortet er gemeinsam
mit 37 Abgeordneten den Innenausschuß. Dort beackert er innenpolitische Themen,
genauer gesagt, innere Sicherheit, Ausländer, Asylverfahren,
Katastrophenschutz, Datenschutz und IT-Sicherheit.
Die Partei von Wolfgang Bosbach habe ich nie gewählt,
doch seine konserative Einstellung ist mir nicht unsympatisch. „Multikulturelle
Gesellschaft“, das war ein Schlagwort der 1990er Jahre, ein Stück überlebte
Hippie-Bewegung und Musikfestivals, auf denen man nach den Rhythmen der ganzen
Welt tanzte. Die Welt sollte ein kleines Dorf sein, fremde Kulturen sollten uns
inspirieren.
Das ist definitiv gescheitert, weil sich
Parallelgesellschaften gebildet haben, die sich abschotten, mit Integration
nichts zu tun haben und Angriffspunkte für rechtsextremistische Tendenzen
bilden. Dazu kommen islamische Gotteskrieger, die solche Parallelgesellschaften
mobilisieren und Bomben und Terror importieren wollen.
Von den Träumen einer multikulturellen Gesellschaft
habe ich mich längst verabschiedet. In der Zuwanderungskommission versucht Bosbach
dagegen zu halten. Ausländer müssen sich einordnen in die kulturellen
Lebensverhältnisse, sie müssen an Deutschkursen teilnehmen. Das
Zuwanderungsgesetz wurde überarbeitet mit der einen Stoßrichtung, dass ein
Straftatbestand der illegalen Einwanderung eingeführt wurde und mit der
entgegengesetzten Stoßrichtung, dass die Fälle der Duldung weiter gefaßt wurden,
weil sie sich über den Arbeitsmarkt integrieren können. Zudem konnte sich in
einigen Ländern sich das Kopftuchverbot in öffentlichen Ämtern durchsetzen. Andere
Vorstöße, wie die Vorratsdatenspeicherung, den elektronischen Fingerabdruck in
Ausweisen oder umfassendere Observationen durch das Bundeskriminalamt, konnte
er nicht durchsetzen. Wolfgang Bosbach meint dazu kurz und knapp, dass er an
maßgeblicher Stelle mitgearbeitet hat, nicht mehr und nicht weniger. Über sich
ergehen lassen musste er all die Ermittlungspannen bei der Aufklärung der
NSU-Mordserie. Dauerthema wird für lange Zeit die NSA-Überwachung sein.
Um alle Themen zu besetzen, übt er sich im
Kunststück der Multipräsenz. „Es darf keinen Stillstand geben, sonst schlafe
ich ein“ mit dieser Einstellung nimmt er seine Lebensaufgabe in der Politik
wahr. Das geht so weit, dass er seine Präsenz in den Massenmedien über seine
Gesundheit stellt. Er geht keinem Mikrofon aus dem Weg und bremst für keine
Kamera. So sank im März 2013 seine Herzleistung auf unter 10 Prozent, ein neuer
Herzschrittmacher samt Defibrillator gegen den plötzlichen
Herztod musste eingepflanzt werden. Schon zwei Tage später saß er im Fernsehen
und stellte sich Fragen in einer Talkrunde bei Sabine Christiansen.
„Jetzt erst
Recht“ beschreibt den Kern eines Politikers, der offensiv mit seiner Erkrankung
umgeht und als Allroundgenie in allen Ecken der Innenpolitik mitmischt. So
leicht gibt er nicht auf. Mit seiner
Krankheit blickt er nach vorne. „Wenn Du mit der Krankheit fertig bist, stehst
Du ebenfalls die Probleme in der Politik durch“ so sieht er seinen Krebs nicht
als Hemmnis, sondern als Antriebsriemen.
Er lebt intensiver und zitiert dabei die Toten
Hosen: „An Tagen wie diesen wünscht man sich Unendlichkeit“.
Man könnte beeindruckt sein von diesem Politiker und seiner Einstellung, man könnte aber auch eine ganz andere Einstellung zu einer Erkrankung haben, nämlich die, dass sie uns etwas 'sagen' möchte und ein Umdenken notwendig wäre, um die Krankheit zu heilen. Einfach so weiter zu machen, ohne inne zu halten und zu schauen, warum man erkrank ist, ist ein Weg, doch es gibt auch andere. Ich wünsche Wolfgang Bosbach nur das Beste! LG Martina
AntwortenLöschenDieses "Jetzt erst recht!", finde ich z.B. fehl am Platz. Aus meiner eigenen Einstellung zum Leben heraus sehe ich es als Trotzreaktion, als würde doch alles beim Alten bleiben und die Erkrankung würde sich dem unterordnen lassen. Ich empfinde die Aussage nicht als Stärke, sondern fragwürdig. Selbstverständlich muss jeder für sich selbst entscheiden. Fatal, wenn solche Einstellungen zur Allgemeingültigkeit hochstilisiert werden. Das gibt es leider auch.
AntwortenLöschenFreut mich sehr, dass Du gesund bist
Beate
ich finde deinen Text wieder sehr interessant - und gut geschrieben.
AntwortenLöschenUnd jetzt werde ich mir mal die homepage von Wolfgang Bosbach ansehen.
Lieber Gruß von Heidi-Trollspecht
gut gemacht!
AntwortenLöschendiese themen anzusprechen finde ich gut und wichtig!
LG
hallo,
AntwortenLöschensehr interessanter und guter bericht über diesen politiker.
nun werde ichmir das buch auch einmal ansehen.
mit lieben grüßen eva