Kuh mit Deutschland-Fahne |
„Diesen
Moment einfrieren, besser kann es nicht sein“ lief im Radio rauf und runter,
von morgens früh bis abends spät, von WDR2 bis SWR3, nachdem unsere
Fußball-Nationalmannschaft den Weltmeistertitel geholt hatte. Fußball und
Rennradfahren haben eines gemeinsam: die Erlebnisse sind für die Ewigkeit.
Momente gehen über in Nachhaltigkeit, und selbst nach mehreren Jahrzehnten sind
die Erlebnisse so präsent, als wären sie gestern geschehen. Dieses 1:0 von
Mario Götze, als er den Ball mit der Brust annahm, ihn auf seinen linken Fuß
abtropfen ließ, ihn mit der Fußspitze in das Tor beförderte, während der
argentinische Torhüter ins Leere griff, dieser Moment ist ein Denkmal für alle
Ewigkeit. Land, Leute, Städte, Landschaften, das ist die Substanz, aus der die
Momente des Rennradfahrens geformt werden. Anstrengung und Leiden gehören dazu,
genauso wie Glück und Freude, als Zutaten für eine Ewigkeit.
Das erste Stück führt mich diese Tour über dieselbe
Strecke wie nach Sinzig, also Bad Godesberg, Pech, Schloß Gudenau, Arzdorf,
Fritzdorf. Auf einem Obsthof, zwischen Reihen von Apfelbäumen, die mehr grün
als rot sind, begegne ich der Unsterblichkeit des Fußballs: eine Kuh mit
Deutschland-Fahne. Ja, diese Momente möchte ich gerne einfrieren. Wenn ich den
vierten Stern auf meine Rennradtouren übertrage, ist jeder Moment einzigartig
und nicht wiederholbar. Momente werden aber konserviert in der Erinnerung, und
der Weg meiner Touren frischt neue Erlebnisse auf.
Weinberge am Stadtrand von Ahrweiler |
Hinter der Fritzdorfer Mühle hinab nach Rengen, dann
über die B266 ins Ahrtal. An der Brücke über die Ahr scheiden sich in Bad
Neuenahr die Geister. Ich verlasse die Landstraße geradeaus nach Königsfeld und
biege nach rechts ab. Ich folge dem Radweg entlang der Ahr bis Ahrweiler, stramm geradeaus, bis
mir ein Stadttor von Ahrweiler vor die Nase gesetzt wird. Dort biege ich links
ab, auf die Landstraße, wo der separate Radweg im Nichts endet, und ich folge
der Beschilderung nach Ramersbach.
Der Anstieg nach Ramersbach ist übel. Kurzzeitig
schaffe ich es, auf den fünften oder sechsten Gang in der kleinsten Übersetzung
hoch schalten zu können, dann stoße ich in freies Feld hinein, und unvermittelt
zieht der Anstieg erneut an. Kein Ende des Anstiegs in Sicht, nur die ersten
Häuser von Ramersbach. Im zweit- oder drittkleinsten Gang kraxele ich hoch.
In
Ramersbach mache in Bekanntschaft mit einer Kunstform, die sich im Rheinland
weniger durchgesetzt hat: dem Jugendstil. Um die Jahrhundertwende vom 19. ins
20. Jahrhundert wechselten die Stile in Kunst, Architektur und Design rasch
ab. Klassizismus, Historismus, Jugendstil, Expressionismus, Bauhaus, Kubismus, das
waren mehr Modeerscheinungen, die sich überlagerten, Gegensätze betonen oder ineinander
übergingen. Im Fluß der immer schneller werdenden Zeit hatten um die
Jahrhundertwende des 19. Jahrhunderts Künstler, Architekten und Kunsthandwerker
genug vom Pomp der Gründerzeit, von schweren Möbeln und wuchtigen Prachtbauten.
Stattdessen setzten sie auf luftige Linien, verspielte Schnörkel und fließende,
schwingende Bewegung, deren Formen sie aus Blumen und Pflanzen, aus Blattwerk
und Wurzeln in der Natur entnahmen.
Im deutschen Sprachraum verbreitete sich der
Jugendstil in Wien, Berlin – und auch in Darmstadt. Ins Rheinland schwappte
diese Strömung als „art nouveau“ um die Jahrhundertwende aus Frankreich ein.
Die eleganten Formen fanden Eingang in die Schmuckkunst, in die Plakatmalerei,
in die Gestaltung Pariser Metro-Stationen, in die Porzellanmalerei oder in die
Gestaltung von Glasfenstern.
St. Barbara in Ramersbach; oben links Vorderfront, Mitte Gesamtbild, unten Fenster mit Evangelist Matthäus; oben rechts Schild Bikerkneipe |
1738
gebaut, war die Pfarrkirche St. Barbara in Ramersbach sträflich vernächlässigt
worden, so dass sie abgerissen werden musste. Die Pfarrei entschied sich für
einen Neubau im Jugendstil, der 1908 fertiggestellt wurde. Wie aus einem Guß,
umgarnen geschwungene und nicht überladene Formen nunmehr die Fassade, den
Baukörper, die Fenster und die Inneneinrichtung, die mir leider vorenthalten bleibt,
da die geschlossene Eingangstüre den Zutritt versperrt. Jedenfalls glaube ich
am Kirchenfenster mit dem Evangelisten Matthäus dieses Spiel der Formen zu
erkennen, die ein Spannungsfeld zwischen natürlicher Bewegung und Strenge ausfüllen.
Der
Anstieg läßt nicht nach, und voller Freude registriere ich, dass mich eine
Biker-Kneipe willkommen heißt. Auch Jürgen Klopp, der Meistertrainer von
BorussiaDortmund, meint es gut mit mir. Der BVB ist zwar nicht mein
Lieblings-Verein, aber Jürgen Klopp
lächelt mich an. Hinter einem weißen Fensterrahmen hat sich ein offizieller
BVB-Fanclub, die „Ahrtal-Borussen“, eingenistet. Und meine Überzeugung trägt
mich vorwärts, dass die BVB-Fans in Ramersbach auch meine Etappe durch die Berglandschaft
der Eifel unterstützen.
endlich bergabwärts hinter Ramersbach |
Das
läßt mich hoffen, und prompt neigt sich das Höhenprofil der Landstraße hinter
dem Ortsausgangsschild von Ramersbach abwärts, aber dies nur für ein kurzes
Stück. Nachdem ich die Kerbe eines Baches überquert habe, zieht der Anstieg
durch dichten Buchen- und Eichenwald wieder an.
Auf 550 Metern Höhe werde ich dann von dem
kräftezehrenden Anstieg erlöst, der mit einer kurzen Unterbrechung fünfzehn
Kilometer gedauert hat. Endlich. Der Weitblick ins Rheintal hinab ist genial,
er entschädigt für die Strapazen des Anstiegs und sachte abwärts kann ich
meinen Beinen eine Ruhepause gönnen. Noch
vier Kilometer sind es bis Kempenich, und dorthin verläuft eine scharfe
Trennlinie. In der Bronzezeit wurden nördlich dieser Linie die Menschen in
Urnen bestattet, südlich davon in Gräbern. Die Römer zogen hier eine Trennlinie
zwischen Ober- und Niedergermanien, diese Provinzen wurden von Köln
beziehungsweise von Trier aus regiert. Aus der Römerzeit fand man in dieser
Gegend Altäre, die Grenzgöttern, den „fines“ geweiht waren. In der fränkischen
Zeit bildete sich dieselbe Trennlinie. Nördlich davon siedelten die
ripuarischen Franken, südlich davon die Moselfranken. Als das Imperium Karls
des Großen zerfiel, wurde hier das Nachfolgereich in Nieder- und
Oberlotharingien geteilt. Als das Rheinland im Mittelalter christianisiert war,
begann nördlich hiervon das Herrschaftsgebiet der Kölner Erzbischöfe, südlich
davon der Trierer Erzbischöfe.
Alte Handelsstraßen führen durch das Kempenicher
Ländchen, das wahrscheinlich aus dem lateinischen Wort „campiania“, das heißt
Ebene“, abgeleitet ist. Denn die Römer bauten ihre Straßen gerne über markante
Höhenzüge, die sie von größerem Bewuchs freihielten, um Räuber und Wegelagerer
erkennen zu können. Die römischen Straßenbauer befestigten bereits ihre Straßen
mit grobem Steinschlag aus Basalt, der mit Lehm und Wasser verdichtet wurde.
Waren wurden aus dem Hafen in Remagen entladen. Über Sinzig und Königsfeld
wurden diese quer durch die Eifel gekarrt.
auf 550 Metern Höhe mit Blick ins Rheintal |
Einen Kilometer parallel verläuft eine alte
Römerstraße. Diese Technik der „wassergebundenen Straßendecke“ hat sich im Raum
Königsfeld bis heute erhalten. Als das römische Reich erlosch, erhielt die
Handelsstraße eine neue Bedeutung. Die Wälder standen voller kräftiger Buchen,
und Köhler machten dieses Holz in ihren Meilern zu Holzkohle. So stößt man
entlang der alten Römerstraße auf Waldlichtungen hier und da auf schwarzes
Erdreich. In diesem Abschnitt heißt die alte Römerstraße nunmehr „Kohlstraße“.
Als im Mittelalter die Überfälle zunahmen, wurde ein „Rabenköpfchen“ aufgestellt.
Das war ein Galgen, der zum einen Räuber abschrecken sollte und zum anderen Reisende und Transporteure warnen sollte.
Mit dem Anstieg in den Knochen, habe ich mir längst
in meiner Phantasie mehrere Gläser kühles und erfrischendes Bier in meinem Kopf
ausgemalt. In Kempenich angekommen, suche ich vergeblich. Der graue Ton der
Häuser verstärkt die Trostlosigkeit. Jalousien in Bäckereien sind herunter
gelassen, die ungelenken Straßenführungen in dem Haufendorf verwirren mich, der
Markt schrumpft zu einem winzigen Flecken zusammen, auf dem Kinder ihre Scooter
hin- und herschieben. Ich erspare mir, alle Biegungen der Straßen restlos nach
einer Gaststätte zu durchforschen. Von der Burg der Trierer Erzbischöfe, die um
1200 gebaut wurde, ist kaum noch etwas zu sehen, denn 1688 wurde sie von den
Truppen des Sonnenkönigs Ludwig XIV. zerstört. Aber die Nutzung ist
ungewöhnlich: 1822 wurden die Reste in ein Forsthaus umgebaut, zuletzt wurden
Reitställe angebaut, die zu einem Pferdegestüt gehören.
Das hilft nichts. Das ist nicht immer organisierbar,
dass ich an einem gemütlichen Flecken ein kühles Bier trinken kann, wenn der
Durst am größten ist. Da ich keine Lust habe, auf einer Bank oder im Gras mein
Mineralwasser zu trinken, radele ich weiter. Raus aus Kempenich, hinter der
Ortsumgehung der B412 rechts nach Engeln. Und nachdem ich abgebogen bin, traue
ich kaum meinen Augen. Vor mir biegt und windet sich die Straße auf freiem Feld
fleißig die Straße hoch, hinauf zum Engelner Kopf. Ein letztes Stück Energie
presse ich aus mir heraus, ich trete und erinnere mich an die alte
Radfahrerweisheit: wo es den Berg hinauf geht, geht es auch wieder runter.
Ortsmitte Kempenich |
Oben angekommen, lockt mich die Radwegbeschilderung.
Ein Wirtschaftsweg biegt links ab von der Hauptstraße, quer durchs Feld, dann
an einem Steinbruch vorbei, der markiert ist mit der Vulkanpark-Route.
Gesteinsformationen aus Schieferplatten waren mir bereits in den Wäldern hinter
Ramersbach aufgefallen. In diesem Bereich der Ost-Eifel gehen die
Tourismus-Verantwortlichen nun themenbezogen und systematisch vor. Von Kruft
bis Königsfeld, von Andernach bis Engeln, können Interessierte auf mehr als
zwanzig solcherVulkanpark-Routen die Welt des Vulkanismus in der Ost-Eifel
kennen lernen.
An dieser Stelle schiebt sich der Teerweg mitten
durch eine Lavasandgrube hindurch. Während sich auf der rechten Seite die
Bagger in das Vulkangestein hineinfressen, klafft auf der linken Seite das Loch
einer riesigen Grube. Die Steine sind hier feingemahlen wie Sand: beim Ausbruch
der Vulkane vor mehr als zehntausenden von Jahren wurden ungeheure Mengen an Bims und
Asche dreißig Kilometer hoch in die Stratosphäre geschleudert, die dann die
Landschaft bedeckten. Das können nicht nur große Felsbrocken sein, sondern auch
erbsengroße Körner, sogenannte Lapilli, die dann im Straßen- oder Kanalbau
verwendet werden, in Vorgärten oder als Streugut. Beim Hineinschauen in die
Grube staune ich, wie unzählige helle und dunkle, breite und schmale, klare und
undeutliche Schichten übereinander, gegeneinander und plötzlich versetzt
zueinander verlaufen. Das Naturschauspiel der Gesteinsformationen ist subtil,
fein und schön.
Einen Kilometer weiter fluche ich aber über das
Vulkangestein. Der asphaltierte Weg endet und setzt sich als Waldweg fort. Mit
meinem Rennrad holpere ich über ein Schotterbett aus groben und feinen Steinen,
bergabwärts bin ich kaum schneller als Fußgängertempo, glücklicherweise ohne
Panne.
Als ich den Waldrand erreiche, werde ich für diese
Unannehmlichkeiten entschädigt. Ich rolle abwärts, runde Strohballen scharen
sich auf einem abgeernteten Getreidefeld zusammen. Das ist traumhaft, ich denke
an Rapunzel, die jeden Moment ihr Haar herunterlassen könnte. Der Bergfried der
Burg Ölbrück schraubt sich mit seinen 34 Metern Höhe nach oben. Sein Beiwerk
sind Ruinen, und, typisch für diese Gegend, steht die Burg felsenfest auf einem
echten Vulkantrichter. Mich holt die Grenzlage wieder ein. Die Burg gehörte mit
kurzen Unterbrechungen den Kölner Erzbischöfen, jenseits in Kempenich begann
das Herrschaftsgebiet der Trierer Erzbischöfe. Die Parallelen zwischen Ölbrück
und Kempenich sind verblüffend, denn die Jahreszahl der Zerstörung ist fast
identisch: 1688 Kempenich und 1689 Ölbrück. Die Franzosen müssen also wie die
Vandalen gewütet haben. Um 1700 wurde der Bergfried wieder aufgebaut, doch bis
in die Gegenwart bestimmen Wechselfälle das Schicksal der Burg.
Burg Ölbrück |
1956 kaufte ein Düsseldorfer Architekt die Burg. Die
Burg sollte soviel Profit wie möglich erwirtschaften. 1972 legte er Pläne vor,
die Burg zu einer edlen Wohnimmobilie mit Restaurant, Schwimmbad und Tiefgarage
umzubauen. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte er sich bereits übernommen, denn
alleine die Instandhaltung des Bergfrieds und die Absicherung der inneren und
äußeren Burgmauer, was zu den Bedingungen für die Baugenehmigung gehörte,
verschlangen Unsummen. Als sich der Düsseldorfer Architekt mit eine Million DM
verschuldet hatte, wurde die Burg zwangsversteigert. Dies scheiterte aber, da
niemand das Mindestgebot von 1,3 Millionen DM zu zahlen bereit war. Danach
verfiel die Burg. Mauern brachen zusammen, Zinnen stürzten ab, die Plattform
auf dem Bergfried wurde unbegehbar. Die Rettung kam 1999, als das Land
Rheinland-Pfalz Gelder zur Sanierung der Burg zur Verfügung stellte,
unterstützt von Spenden aus der Bevölkerung und von Unternehmen. Aus Burg
Ölbrück ist nun eine Erlebnislandschaft geworden, die auf zehn Stationen so
manches aus ihrer eintausendjährigen Burgengeschichte erzählt.
Über freiem Feld düse ich weiter steil bergab. Erst
kommt der Ort Hain, wo ich immer geradeaus fahre, dann nach einem Kilometer
Oberzissen. Dort folge ich der Hauptstraße und erreiche, nachdem ich den
Brohlbach überquert habe, im Tal die Landstraße L111. Während ich am
Vorfahrtschild warte, bemerke ich, dass ich genau an der richtigen Stelle
stehe. An der Straßenecke befindet sich eine Gaststätte, die Schnellimbiss,
Biergarten und Bikertreff zugleich ist. Das ist die ersehnte Abkühlung von
innen. Willenlos, sackt mein Körper auf einem Plastikstuhl in dieser Ruhepause
zusammen.
Autobahnbrücke A61 bei Niederzissen |
Mit neu aufgetankter Energie kann ich also wieder
losradeln. Ich brause vorbei an der Schmalspur-Eisenbahn, die von Brohl am
Rhein nach Engeln führt und als „Vulkan-Express“ Ausflugstouristen magnetisch
anzieht. Dass das Unikum einer Schmalspur-Eisenbahn gebaut wurde, ist der
Verhandlungstaktik der Gemeinden zu verdanken. In der Normalspur hätten die
Grundstückseigentümer enteignet werden müssen, während sie in der
Schmalspur-Variante Eigentümer von Grund und Boden bleiben durften.
Verständlicherweise lehnten die Grundstückseigentümer dankend ab, so dass
dieses Unikat einer Schmalspur-Bahn entstand, welches den Transport von
Vulkangestein zum Rhein sichtlich erleichterte.
Erst Oberzissen, dann Niederzissen, die Landstraße
folgt dem Verlauf des Brohlbaches. Kelten und Römer siedelten im Brohltal, das
belegen Funde von Äxten und Beilen aus der keltischen Zeit. Reste von
Wasserleitungen, Heizungsanlagen, Krüge, Scherben, Statuen von Göttern fand man
aus der Römerzeit. Wo der Wortstamm „Zissen“ herkommt, darüber ist viel
spekuliert worden. Viele Theorien verweisen auf die Kelten. „Zissen“
bedeutet so viel wie „rückwärts vom
Rhein gelegen“ oder auch schweigen, verbergen, zurückhalten. Erstmals
urkundlich erwähnt wird Zissen im 9. Jahrhundert.
Niederzissen, in direkter Nähe zur Autobahn A61, ist
Sitz der Verbandsgemeinde Brohltal, mit Industriegebieten am Ortsrand. Dass der
größte Flecken in dieser Verbandsgemeinde aufstreben und wachsen will, spüre
ich am Ortsbild. Die Brohltalstraße windet sich an gleichförmigen Häusertypen
vorbei. Fachwerkbauten, die den Zweiten Weltkrieg überstanden haben, sind verschwunden.
Hier und da heben sich Gebäude ab, die aus schweren grauen Basaltquadern
gemauert sind.
Ortskern von Waldorf |
Als ich die ferne Autobahnbrücke der A61 erblicke,
biege ich nach links ab auf die Waldorfer Straße, die zum nächsten Ort, nach
Waldorf führt. Und ich erschrecke, denn, wie mit dem Lineal gezogen, steigt die
Straße an. Gefühlt, sind das mindestens 10% Steigung. Eine weitere Route des
Vulkanparks biegt ab, während ich mich geradeaus den Berg hoch quäle. Das ist
der Bausenberg, der meinen Puls in die Höhe treibt. Ihn könnte man als
Hausvulkan von Niederzissen beschreiben. Auf 22 Stationen kann der Wanderer den
Vulkankrater erklimmen, der einzigartig ist, in seiner Hufeisenform, und dazu
uralt nach seinem Ausbruch vor 150.000 Jahren.
Es kursiert sogar die Sage, dass ein Drache vom
Bausenberg sein Unwesen getrieben hat. Er tötete Menschen und verbreitete Angst
und Schrecken. So sollte ihm die einzige Tochter des Ritters von Ölbrück
geopfert werden. Eines Abends klopfte ein unbekannter Reiter am Burgtor von
Ölbrück an und bat um Einlaß. Der Schreckenstag der Opferung nahte. Als der
wutschnaubende und feuerspeiende Drache erschien, stemmte sich der unbekannte
Reiter ihm entgegen, kämpfte mit seinem Schwert, stach in eine schwache Stelle des
Drachen hinein. Ein giftiger Blutstrahl schoß hoch hinauf, der Drache bäumte
sich auf, sein Kampf mit dem Tod war kurz. Das Volk jubelte, und auf die Frage,
wer er sei, antwortete der Unbekannte, er selbst sei der Heilige Georg, der
Drachentöter. Danach verschwand er und wurde nie mehr gesehen.
Felder vor Sinzig |
Oben angekommen, biege ich links ab, die Landstraße
verläuft parallel zur Autobahn, bis sie unter einer Brücke hindurch nach rechts
abknickt. Felder öffnen sich, Streuobstwiesen, Waldstücke in kleinen Parzellen,
Strauchwerk, alleinstehende Kastanienbäume. Bachläufe haben sich tief in diese
Gartenlandschaft eingegraben, so dass die Straße mit 8% Gefälle ins Tal hinab
stürzt. Waldorf, der nächste Ort, überrascht in vielerlei Hinsicht. Die Reihenfeldergräber
aus dem 7. Jahrhundert, die aus der Frankenzeit ausgegraben worden sind, sind
dieselben wie diejenigen der Merowinger in Nordfrankreich. Dort hatte der
Volksstamm der Wallonen gesiedelt, so dass man vermutet, dass die gemeinsame
Vorsilbe „Wal“ ein Indiz dafür ist, dass die Wallonen eine Kolonie in Waldorf
gegründet haben. Und noch etwas überrascht: Fachwerkhäuser lösen den Grundton
der Gebäude in grauem Vulkangestein ab, und das in üppiger Anzahl. Wie geleckt,
sind die Balken in sattem Rot gestrichen. Die Waldorfer tragen übrigens den
Spitznamen „Möbbesköpp“, da sie einen zähflüssigen Sirup aus Birnen und Äpfeln
herstellen, der „Möbbes“ genannt wird.
Direkt links im Ort, folge ich der Beschilderung
nach Sinzig. Abermals geht es bergauf, auch hier mindestens gefühlte 10%
Steigung. Die letzten Ausläufer der Eifel stressen sichtlich meine Kondition.
Oben angekommen, präsentiert sich dieselbe Gartenlandschaft von
Streuobstwiesen. Vor Franken, dem nächsten Ort, wiederholt sich das Spielchen.
Das Hochplateau steckt voller Einkerbungen, tief geht es den Berg hinab, dann
wieder hinauf. Auf dem letzten Stück nach Sinzig kann ich mich etwas erholen,
denn sechs Kilometer lang purzelt die Straße ins Tal.
An der Stadtmitte von Sinzig fahre ich vorbei, weiter
nach Remagen. Dort biege ich an der großen Kreuzung vor dem Bahnhof unter die
Eisenbahnbrücke ab ins Zentrum. Einmal links, einmal rechts am Bahnhof vorbei,
wieder links durch die Fußgängerzone, wieder rechts durch eine enge Gasse, dann
bin ich am Rhein. Aber der Weg ist egal. Ich kann auch unter die
Eisenbahnbrücke immer geradeaus zum Rhein fahren. Viel wichtiger ist das
Brauhaus Remagen. Dort hocke ich mich auf der Rheinpromenade hin. Ich trinke
zwei große naturtrübe Gläser Bier. Sie schmecken vorzüglich, nicht nur weil sie
aus der hauseigenen Brauerei sind, sondern auch, weil die letzten Steigungen in
meinen Knochen stecken. Ich muss meine Beine baumeln lassen. Meinem Gesäß tut
das weiche Sitzkissen sichtlich gut.
in Remagen am Rhein |
Danke, für diesen ausführlichen Post, der mir gaaaanz viel Freude bereitet hat. Auch, weil ich einen Teil der Strecke gut nachvollziehen konnte, nämlich die an der Ahr entlang. Ich weiß, wie gebirgig es dort ist, deshalb ziehe ich meinen Hut vor deiner Kondition! LG Martina
AntwortenLöschenhallo,
AntwortenLöschenklasse bericht, gefällt mir, allerdings fährst du immer auf der asphaltierten straße (im autoverkehr?).
ich weiss, was steigungen sind, habe hier genügend davon, aber mit einem guten rädle geht das schon und
vielleicht auch bald mit einem ebike, das mir im moment aber noch zu teuer ist.
ich habe morgen meine tour vom sonntag in meinem blog.
wenn du mal gucken möchtest.
habe ich nicht gelesen, oder hast du die kilometer nicht geschrieben und welche zeit?
ich habe einen guide, der das immer ganz genau wissen will. :-))
lieben gruß eva
Lieber Dieter, es ist immer wieder schön, dass du mich auf Ausflüge in die Bonner Umgebung mitnimmst, in der ich früher so gerne unterwegs war. Mit der Olbrück verbindet mich Einiges. Als junge Lehrerin habe ich einmal zusammen mit meinem Mann und einem befreundeten Paar einen wunderschönen Betriebsausflug für meine damalige Schule mit der Olbrück als Ziel organisiert. In 4 Gruppen mussten die Kollegen sich zur Burgruine durchschlagen ( unter anderem auch vom Bausenberg aus ) und dabei unterwegs verschiedene Aufgaben lösen. Schon das Vorbereiten hat viel Spaß gemacht, mussten doch alle Strecken selbst erwandert werden. Die Hintergründe des Zerfalls des Turmes im letzten Jahrhundert kannte ich nicht, habe aber Verbindungen zu Leuten, die sich um die Instandsetzung verdient gemacht haben. Ich sollte wohl mal wieder hin - danke für die Anregung wie für den ganzen Eifel - Report!
AntwortenLöschenHerzlichst
Astrid
Lieber Dieter,
AntwortenLöschenwie immer eine sehr interessante Beschreibung deiner Tour.
Ich folge dir gern, wenn auch nicht per Rad. Aber diese Orte
sind mir alle aus meiner Jugend bekannt.
Einen guten Wochenstart wünscht
Irmi
Siehste....das Lied sagt mir gar nix :-)))) Von daher habe ich deinen Bericht genießen können und danke auch für die schönen Impressionen die du mitgebracht hast.
AntwortenLöschenWie gut das es noch schönere Tage gibt, so brauchst du deine Touren ja noch nicht einmotten und aufs nächste Jahr verschieben.
Hab eine schöne Woche und herzliche Grüsse
N☼va
Ein sehr schöner Bericht, mußte gerade lachen,
AntwortenLöschenweil in unserem Nachbardorf auch jemand solche Kühe stehen hat
und sie mit der Fahne und allerhand WM Gedöns geschmückt hatte.
Als ich nach dem Sieg ein paar Bilder machen wollte,
war sie leider schon abdekoriert.
Viele Grüße
Nähoma
Hallo Dieter,
AntwortenLöschendie Mischung ist es, zwischen Streckenbeschreibung, eigenem Erleben, Geschichte, regionalen "Leckerbissen", Architektur, Gaumenfreuden uvm, die Deine Radfahrwelt für jeden anderen ebenso lesenswert macht.
Es ist eine Lesefreude auf diese Weise dabei zu sein.
Grüße von der Ostseeküste
Beate
Hallo Dieter,
AntwortenLöschendas liest sich wirklich so, als würdest du die Momente nie vergessen.
Man reist eben doch bewusster als mit dem Auto und fühlt die Straße,
VG
Elke
Hatte die letzten Wochen leider kaum Zeit. Umso mehr habe ich heute deinen Bericht genossen. Wie immer sehr lehrreich und mit schönen Fotos untermalt. Danke
AntwortenLöschenGruß vonner Grete
Ahhh, Ramersbach kommt auf die "to-see-Liste", ich liebe Jugendstil über alles! Auch wenn die Kirche für Jugendstil doch sehr trutzig aussieht.
AntwortenLöschenBurg Ölbrück...noch nie gehört. Achja, so eine Burg kann wirklich sehr geldfressend sein. Die Sage macht die Burg gleich doppelt spannend.
Und Dein Bericht hat mich wieder daran erinnert, dass einst gute Lieder zu nervenden Wehklagen werden können ;-).
Ganz viele liebe Grüße!!!
Sieht ziemlich anstrengend aus, das Höhenprofil, 14 km fast nur bergauf!
AntwortenLöschenEs liest sich wieder alles so locker und leicht ... :-)
AntwortenLöschenIch finde es immer interessant was beim Radfahren alles siehst und erkundest.
Hat wieder Spaß gemacht zu lesen.
Lieber Gruß von Heidi-Trollspecht
Ein Paradeblog ueber eine Paradetour!
AntwortenLöschenIch wollte zwischendurch immer nach Karte fragen, dann kam sie eben doch noch.
Einfach toll, wie du diese Tour beschreibst, Geschichte, Sehenswuerdiges und Geographe und Geologie miteinschliesst und ueberhaupt einen aeusserst interessanten Artikel schreibst.
Meinen herzlichen Dank. Ich werde mir diese Gegend noch genauer aus Buechern, Google und Google Earth zusammensuchen muessen. Einfach Klasse!