So vermag ich die Häufigkeit der Reorganisationen in
meiner eigenen Firma nicht nachzuzählen, weil sie dermaßen oft vorgekommen sind.
Wenn einmal ausnahmsweise zwei bis drei Jahre nichts geschah, dann wurde in einem
Jahr gleich zweimal reorganisiert. Bisweilen hatte ich den Eindruck, dass sich
meine eigene Firma nicht mehr um das Geschäft kümmern konnte, weil Reorganisationen
sie lahm legten. Die Firma musste mit Betriebsräten verhandeln, sie musste Listen
erstellen, welche Mitarbeiter von welchem alten Bereich in welchen neuen
Bereich landete, und in den Rechnern und all den IT-Systemen mussten geänderte
Organisationsstrukturen nachgezogen werden. Mit viel Pech hingen sogar die
Kunden in der Luft, wenn nicht geklärt war, welche reorganisierten Mitarbeiter
für welche reorganisierten Kunden zuständig waren oder wenn Kunden auf der
Wegstrecke der Reorganisation in der IT verloren gegangen waren.
Der Bericht aus dem Manager-Magazin-Heft war
angestaubt. Die Überschrift „Stahlgewitter“ aus dem Jahr 1996 kam schnell zur
Sache. Die Anspielung auf Ernst Jünger, der in seinem Roman „Stahlgewitter“
seine Kriegserlebnisse 1914-1918 verarbeitete, wurde auf die Stahlbranche
übertragen. Es war kein Krieg, sondern Wettbewerb und Globalisierung, die der
Stahlbranche zusetzte. Größe und Weitsicht und Manager mussten her, um den
Untergang aufzuhalten. Eine Endzeitstimmung malte düstere Szenarien, das
Managements könnte so untergehen wie das Deutsche Kaiserreich auf den Schlachtfeldern
in Flandern, an der Somme oder in Verdun.
Es liegt in der Natur des Manager-Magazins, die
Strategie aus der Flughöhe eines Managers zu erkunden. Den Untergang abwenden,
die Firma wieder hoch päppeln, bestimmen, was in der Zukunft geschieht. Aus der
Bodenperspektive sähe das anders aus. Wenn Bild & Express darüber berichten
würden, würde Klartext geredet, also: was hätten die Beschäftigten zu erwarten.
Manager als Heilsbringer. 18 Jahre später, mißfällt
mir dieser Stil, dass Manager als Helden dargestellt werden, so als ob sie
Uniformen tragen würden. Reihenweise hingen dann Orden wie nach großen
Schlachten an ihren Revers. Die Orden nennen sich dann nicht mehr „Kaiserabzeichen“,
„Verwundetenabzeichen“ oder „Eisernes Kreuz“. Manager sind Macher. Sie
reorganisieren, restrukturieren, arbeiten wie besessen, schuften Tag und Nacht,
brauchen ein verdammt dickes Fell, ihre Strategie gleicht großen Feldherren.
Ihr Orden ist der Dank der Aktionäre, dass sie den Shareholder Value durch peitschen,
gnadenlos, damit diese mit ihren Renditen bestens dastehen.
1996 hatte die FAZ Dieter Vogel von Thyssen als „Inbegriff des Konzernlenkers
der 90er Jahre“ bezeichnet, das Manager-Magazin als den „abgebrühtesten
Firmenlenker“ überhaupt. Er hatte sich einiges vorgenommen. Was nicht die
Mindestrendite erwirtschaftet, sollte umstrukturiert, verkauft oder dicht
gemacht werden. Das zusammengewürftelte Unternehmensportpolio sollte bereinigt
werden. Der Konzern sollte strategisch und operativ neu ausgerichtet werden.
Von Randaktivitäten und „Underperforming Assets“ wollte er sich trennen.
Fortab schwebte das Damoklesschwert einer
Reorganisation über dem Stahlkonzern. Es ist eine Kunst, Worte richtig zu
verpacken. Reorganisationen können wie ein Schlachtfeld sein. Feldherren
wandeln auf einer Linie zwischen Leben und Tod, Manager entscheiden über eine
Vielzahl von Einzelschicksalen.
Unternehmensteile können für einen Spottpreis an Wettbewerber verkauft werden, Werke können schließen, Mitarbeiter müssen unter Umständen von einem Ende der Republik ans andere Ende der Republik umziehen, um ihren Arbeitsplatz zu erhalten. Manager reden das gerne schön.
Reorganisationen
heißen dann fiktiv: „Zukunft 2018“ oder „FIT 2015“ … in harmlose und nichtssagende Worthülsen werden
sie eingepackt, die es im Detail in sich haben. Aus der Bodenperspektive sieht
dies naturgemäß anders aus. Reorganisationen können zur Spielwiese für Lügen
werden, wenn nur verkauft und ausgegliedert und in Beschäftigungsgesellschaften
überführt wird.
Glücklicherweise ist mir in meiner eigenen Firma ein
solches Schicksal erspart geblieben. Manager brauchen einen dicken mentalen
Panzer, damit sie noch in Ruhe schlafen können. 1996 ging es um den
Stahlkonzern Thyssen, der damals noch eigenständig war. Kurz darauf wurde die
Wehrtechnik nach Augsburg verkauft, die Langstahlproduktion nach Osnabrück, die
Kalksandsteinwerke nach Belgien. Sehr spät, 2010, wurden die Schiffswerften
nach Saudi-Arabien verkauft. Die Liste im Manager-Magazin war mit 31 Sparten aber
lang, was als „Desinvestition“ – genauer: Werksschließung oder Verkauf
gekennzeichnet war: Maschinenbau, Meßtechnik, Schienenverkehrstechnik,
Gebäudetechnik und so weiter.
1999 hatten sich die Ereignisse überschlagen, denn
dann fusionierte Thyssen mit Krupp. Thyssen war auf dem Weltmarkt alleine nicht
mehr überlebensfähig. Nun drehte sich eine neue Spirale der Reorganisation.
Die Situation ist paradox, denn heute steht
ThyssenKrupp ungefähr an demselben Punkt wie Thyssen 1996. ThyssenKrupp hat
Potemkinsche Dörfer der Stahlproduktion, die ihren Stahl nicht loswerden, in
Brasilien gebaut. Weil Milliardenverluste erwirtschaftet werden, dürfen – wie bei
Thyssen 1996 – alle Geschäftsfelder durchleuchtet werden, ob sie die
Mindestrendite erbringen. Nun geht das Spielchen von vorne los festzulegen, was
Kerngeschäft ist, was umstrukturiert, verkauft oder dicht gemacht werden soll.
Berechtigterweise werden die Beschäftigten die
Sinnfrage stellen. In meiner eigenen Firma war es so, dass man – übertrieben - mehr
mit Reorganisationen beschäftigt war als mit den eigenen Mitarbeitern oder mit
den Kunden. Die größten Stahlproduzenten der Welt sitzen in Japan, Indien und
China. Unser Wirtschaftssystem krankt. Genauso wie Textilfabriken in
Bangla-Desh abbrennen und Beschäftigte unter sich begraben, möchte ich nicht
wissen, wie viele Gifte und Schadstoffe Werke in Indien oder China in die
Gegend pusten.
Die nächste Reorganisation wird kommen. Das nächste
Stahlgewitter formiert sich am Horizont.
Dieter, diesen Bericht habe ich mit großem Interesse gelesen. Ich kann sogar mitsprechen, weil selbst
AntwortenLöschenbetroffen. Die damals geplante feindliche Übernahme der Firma Thyssen durch Krupp hat viel Aufsehen
verursacht. Thyssen hatte sich damals bereits zu einem Mischkonzern entwickelt und die Sparte Maschinenbau
arbeitete gewinnbringend. Thyssen konnte zur damaligen Zeit sehr gut allein auf dem Weltmarkt bestehen.
Krupp wollte aber alles. Wollte Marktführer werden. Heute hat man sich von vielen Sparten getrennt. So auch vom
Maschinenbau. Der ist fast zerschlagen. Amerikaner und Taiwanesen sind Eigentümer. Und das war einmal eine
deutsche Domäne.
LG Irmi
Ja. Die Wirtschaft ist wie das Geldsystem und so vieles andere auch enorm durcheinander geraten.
AntwortenLöschenIch möchte weder in der Haut solcher, von dir beschriebener, Manager stecken noch in der eines "reorganisierten" Mitarbeiters oder Kunden.
Eine verrückte Welt ist das geworden. Oder war sie das vielleicht schon immer, nur trugen, so wie du es andeutest, die "Schlachtfelder" andere Namen? ... Wer weiß ... Unübersichtlich ist es allemal ... Ich nehme an, es gibt weder innerhalb der fusionierten weltweit agierenden Firmen jemanden, der die Struktur noch wirklich durchschaut, noch außerhalb ...
Herzlichen Gruß
Brigitta
Ob das wirklich immer sein muss ist die Frage, jedenfalls finde ich es nicht nur kontraproduktiv sondern auch schlecht wenn Kunden darunter leiden müssen. Nicht nur dass sie unzufrieden sind, es wirkt sich automatisch auf den Mitarbeiter aus, die dann widerum unzufrieden sind.
AntwortenLöschenEs kränkelt ganz schön in Allem, und jeder Tag lässt einen an den Kopf fassen wenn man die Zeitungen aufschlägt.
Wünsche einen schönen Tag und sende herzliche Grüssle
Nova
Hallo Dieter,
AntwortenLöschenich finde es schön, dass du noch in der Lage bist, bis in die 90er - vermutlich auch noch wesentlich länger - zurück zu blicken. Bei vielen Menschen vermisse ich nämlich so etwas wie ein Gedächtnis. An die Übernahme von Mannesmann durch Vodafone kannst du dich ganz sicher erinnern. Damals tobten viele Deutsche, drohten mit Kündigung D2 Mobilfunk und Arcor Festnetzangebote. Ein paar Monate später konnten sich viele gar nicht mehr daran erinnnern: Es war eben einfach D2.
In den 90er Jahren gab es einen Fachbegriff für eine neue Offensive der Manager und Betriebspsychologen. Die sind auf die einfachen Mitarbeiter los, und haben sie gezielt manipuliert. Sie sollten sich mit den Interessen der Firma identifizieren. Seitdem gibt es keinen Zusammenhalt mehr in den Kollegien. Leider habe ich vergessen, wie dieser Begriff heisst. Weisst du das noch?
Ich hoffe, du hattest einen schönen Valentinstag und wünsche dir einen guten Start ins Wochenende!
Gruss, Wieczora (◔‿◔) | Mein Fotoblog