Diesmal war es nicht der romantische Blick, der mich
fesselte.
Dem Büroalltag entgegen schauend, fuhr ich mit dem
Fahrrad durch die Rheinaue. Der Morgen kroch in die Wolkendecke hinein. Unter
den Brückenpfeilern bog ich ab, der Radweg arbeitete sich die Anhöhe hinauf, schwenkte
nach links und vereinigte sich auf der Konrad-Adenauer-Brücke mit der Autobahn
A562. Auf sechs Spuren rauschte der Autoverkehr in den Tag hinein, hermetisch
abgeriegelt durch eine Leitplanke, wo sich der Fahrradweg seinen eigenen Weg
bahnte. Die Wellen des Rheins plätscherten. Abgrundtief unter der Brücke, kamen
und gingen Schiffe. Flaggen, deutsche, niederländische, belgische,
französische, schweizerische, wehten an den Heckseiten der Schiffe, schwere Motoren
wühlten im Fahrwasser. Offen, weltoffen, war der Rhein ein Verkehrsweg
verwandter und doch andersartiger Kulturen. Fremde aus vieler Herren Länder
hatten den Rhein bereist, sie waren dem Rausch der Burgenromanik verfallen, Dichter
und Denker hatte der Rhein inspiriert.
Feuerwehr, Polizei.
Wie in einem Nest, am Ende der Autobahnbrücke,
standen sie in enger Formation. Das dauerte noch ein Stück, und daher gab ich
mich meiner Stimmung hin, die mich in höhere Sphären hob. Dieser Augenblick auf
der Autobahnbrücke kombinierte einzigartig die Fluss- und Berglandschaft. Ein
paar Kilometer weiter, bog der Rhein nach rechts, krümmte sich sanft, und darüber
baute sich die Kulisse des Siebengebirges auf. Ich hatte mir längst abgewöhnt,
die Berge zu zählen, denn es konnten niemals sieben Berge sein. Je nach
Blickwinkel, wechselte die Anzahl, und von dieser Position auf der
Autobahnbrücke kam das Siebengebirge auf neun bis zehn Berge. „Sieben“ konnte
für „Siefen“ stehen – das waren Feuchtgebiete längs Bachläufen, symbolisch für
ein einheitliches Ganzes oder nach einer Sage haben Riesen sieben Berge
angehäuft, um das Tal von den Fluten des Rheins zu befreien. Während die
Namensherkunft ungeklärt war, musterte ich mit meinem Blick die Bergkette, die
mich zu allen Tagesstimmungen hinriß. In Nebelschwaden versackend, von einem feuerroten
Sonnenaufgang umhüllt, von Schönwetterwolken umkränzt oder vor nassen
Regenwolken triefend, schaute ich stets gebannt auf diesen Fixpunkt.
Blaulicht flackerte.
Stau ? Ich riss mich aus meinen Träumen heraus, die
ich auf dem Fahrrad viel intensiver erleben durfte als im Auto. Ich schaltete
um vom romantischen Landschaftserlebnis auf einen Gefahrenpunkt, den ich in
gebotener Langsamkeit zu passieren hatte. Der Autoverkehr floß. Feuerwehr und
Polizei verengten die Fahrspuren, doch zwei anstelle drei Spuren reichten. Stadtauswärts
dümpelte der Berufsverkehr vor sich hin, alles lief in ruhigen Bahnen. Unfall ?
Die handelnden Personen waren merkwürdig. Ich vermisste einen
aufsehenerregenden Unfall, Polizisten, die den Hergang des Unfalls auf einem
Formular festhielten oder die versteinerten Blicke der beteiligten Autofahrer. Drei
Feuerwehren und drei Polizeifahrzeuge hatten sich angestrengt gesammelt. Ihre
Blicke konzentrierten sich auf einen leeren Merzedes, der bucklig war und auf
sein hohes Alter stolz sein konnte. Vergeblich suchte ich nach einem
Blechschaden. Dort war absolut gar nichts zu sehen bis auf die Gespräche, die
zwischen Feuerwehr und Polizei ratlos umher irrten.
Weiter ins Büro.
Ich konnte keine endlosen Vermutungen anstellen,
denn im Büro wartete meine Arbeit. Eine Zeitlang ging mir die Melodie von „Space Oddity“
von David Bowie durch den Kopf: wie der Major Tom durchs Weltall fliegt, wie
die Funkverbindung zur Erde abreißt und wie er dazu verdammt ist, ohne
Verbindung zur Außenwelt durchs Weltall zu geistern. Ohne direkten Rheinblick,
genoß ich das letzte Stück ins Büro. Das Siebengebirge begehrte ein letztes Mal
auf, als sich die Berge wie eine Festung über die Parklandschaft erhoben. Das
war auf der Anhöhe am chinesischen Pavillon, der mit seinem neu gedeckten Dach
noch gediegener wirkte. Im Rosengarten hatten einige welke Exemplare dem Winter
getrotzt. Ich verließ die Rheinaue, mitten hinein in Bürotürme und frühere
Ministerien, dessen Zaunanlagen die Eindrücke eines Hochsicherheitstraktes
verliehen.
Selbstmord.
Zwei Tage später, als ich unsere Tageszeitung
aufschlug, erfuhr ich, was geschehen war. Ein Autofahrer hatte mitten auf der
Autobahn gestoppt, er war aus seinem Merzedes ausgestiegen und sich am
Brückengeländer mit einem Seil erhängt. Als ich diese Zeilen las, war ich mehr als fassungslos. Ich war ganz dicht an den Abgründen einer Tragödie gewesen.
Krasses Aufwachen von der Rheinromantik...
AntwortenLöschenein interessanter Text. Ich habe mich beim Lesen auch in die Rheinromantik mit Autobahn und Siebengebirge fallen lassen. Da hat mich der letzte Absatz auch ge-betroffen gemacht.
AntwortenLöschenlieber Gruß von Heidi-Trollspecht
Sowas ist immer schrecklich, gerade weil man dort solch einen Suizid nicht vermuten würde. Sei froh dass du es nicht richtig gesehen hast, denn solch ein Bild vergisst man nie :-(
AntwortenLöschenSchön geschrieben dein Text ging es mir wie Maegwin und Heidi.
Liebe Grüssle
Nova
Bin gestern abend über die Brücke gefahren. Beim Lesen stellte sich mir unwillkürlich die Frage, wie jemand dort stoppen kann, aussteigen und sich aufhängen kann, ohne das es jemand bemerkt. Fahren wir wirklich so achtlos? Mich bewegt das sehr.
AntwortenLöschenGruß vonner Grete
Vlt war es abends oder nachts.
LöschenAber stell dir vor, du siehst dort jmd auf der Brücke oder gar auf dem Geländer. Was willst du dann tun? Von Rechts wegen bist du verpflichtet, den Suizid versuchen zu verhindern. Du weisst aber auch, dass der Selbstmörder dies weiss. ...
Was hier mit einer schönen und spannenden Erzählung anfing, endete dann wirklich tragisch.
AntwortenLöschenIch stimme meinen Vorschreiberinnen zu, du kannst froh sein, dass nicht vor Ort mitbekommen zu haben, was sich dort am Ort des Geschehens wirklich abspielte.
Liebe Grüße
Christa
Du warst zwar ganz dicht an den Abgründen einer Tragödie gewesen, aber es war nicht mehr wirklich etwas davon zu bemerken/sehen. Hättest du die Zeitung nicht gelesen oder wäre die Seite entnommen worden, wüsstest du noch nicht mal, was dort geschehen war.
AntwortenLöschenDiese Art von Suizid finde ich relativ cool, wenn es denn gelingt. Allerdings - wie o.g. - auch leider ohne sichtbare Spuren zu hinterlassen. Den Mut muss erst mal jmd aufbringen. Stell dir vor, du hängst da halb auf der Brücke, und traust dich dann doch nicht. Er macht sein Unglück, seine Ausweglosigkeit, in unserer ach so tollen glänzenden Welt, öffentlich. Jeder kann es wissen und sollte dies auch. Nur warum, was ihn zu diesem Schritt getrieben hat, wird leider immer verschwiegen. Selbst wenn sich ein Selbstmörder die Mühe macht, einen Abschiedsbrief zu schreiben, wird er uns, der Öffentlichkeit, vorenthalten. Wenn in Berlin-Mitte Selbstmörder vom Hochhaus springen, geht das gar nicht in die Presse, aber wenn in Marzahn jemand springt, wird der Suizid von den Medien breitgetreten, um den plattenbau-geprägten Bezirksteil weiterhin zu verteufeln.
Grüssle zum Donnerstag, Wieczora (◔‿◔) | Mein Fotoblog
Hallo Dieter,
AntwortenLöschendas passiert mir beim täglichen Pendeln auch oft, dass ich an solchen Tragödien vorbeifahren muss.
Nachher liest man es dann und ist geschockt.
Bei uns hat sich vor ein paar Wochen jemand mitten in der Fußgängerzone von einem Hochhaus gestürzt..
VG
Elke
Ja. Eine Tragödie. Ist doch erstaunlich, was im Leben alles so nebeneinanderher passiert. Trotz der Tragik dessen, was du knapp verfehlt hast eine wirklich schön erzählte Geschichte, die einen wunderbar mit nimmt.
AntwortenLöschenlieben Gruß
Brigitta
Hallo Dieter
AntwortenLöschenDeine Geschichte stimmt mich wirklich nachdenklich....
Ja, das ist wirklich tragisch!
Liebe Grüsse Yvonne
Wie grauenvoll. Da fährt man träumend und munter vor sich hin ... da kannst Du froh sein, dass Du den Erhängten nicht gesehen hast.
AntwortenLöschenSehr schön geschrieben. Das Ende riss auch mich aus meiner Träumerei.
Liebe Grüße,
Vera
Sehr spannend geschrieben.
AntwortenLöschenDeine Beschreibungen lassen uns Leser mit eintauchen in die Landschaft und deine Gefühle.
Um so mehr kommt der Schluss wie ein Schock und reißt einen aus der alltäglichen "Idylle "
Man wird nachdenklich.
Herzliche Grüße
Jutta
Sehr
Wie entsetzlich und traurig! Aber vielleicht war es gut, dass dir das in jenem Augenblick nicht bewusst war!
AntwortenLöschenSpannend geschrieben!
LG Calendula
Ach du meine Güte, Dieter...
AntwortenLöschenJetzt hab ich eine Gänsehaut!
Eine schlimme Geschichte, spannend von dir erzählt!
Herzliche Sonntag-Abend-Rostrosengrüße!!!
Eine schöne neue Woche wünscht dir die Traude
welch eine spannend erzählte Geschichte die so romantisch beginnt, nichtsahnend genießt du die morgendliche Fahrt und dann das was einen im Nachhinein aus den Pantinen haut....
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