Dienstag, 25. Februar 2014

1914


Was soll ich dazu schreiben ?

Jede Masse ist bereits zum Ersten Weltkrieg geschrieben worden, an die 25.000 Bücher weltweit, gibt es da noch neue Sichtweisen ? Jedenfalls sind die Buchhandlungen voll. Historiker aus der ganzen Welt toben sich an diesem Ersten Weltkrieg aus, den der amerikanische Historiker Fritz Stern, der Deutscher war und im Zweiten Weltkrieg in die USA auswanderte, als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnete. Diese Bezeichnung trifft den Kern, denn der Frieden dieser Urkatastrophe, der Versailler Vertrag, säte Zwietracht zwischen den europäischen Nationen und war Wegbereiter für die nächste Katastrophe, den zweiten Weltkrieg. Manche Historiker sprechen sogar von einem 30-jährigen Krieg, denn die Zwischenkriegsphase war voller innerer Unruhen und schaukelte sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten voller Aggression auf. Erst mit dem Untergang des Deutschen Reiches herrschte Frieden in Europa. Doch auch der kalte Krieg setzte auf dieser Urkatastrophe auf. Ohne den Ersten Weltkrieg wäre undenkbar gewesen, dass die Kommunisten in Rußland an die Macht gekommen wären. Lenin führte Rußland 1917 zur Revolution, nach seinem Tod kam 1924 Stalin an die Macht, Rußland gehörte zu den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs und stieg als UdSSR in der Nachkriegszeit zur Super-Macht auf.

Der Erste Weltkrieg schuf die denkbar schlechtesten Rahmenbedingungen in einer Phase technischen Fortschritts, industrieller Massenproduktion, einer aufstrebenden Arbeiterklasse und gesellschaftlicher Umbrüche. Der Übergang in die Moderne entwickelte sich als Zerrbild und voller Verwerfungen.

Der Erste Weltkrieg sollte rekapituliert werden, um seine Botschaften neu zu formulieren. Meine ganz persönliche Begegnung mit dem Ersten Weltkrieg hatte ich in der Lakenhal in Ieper, West-Flandern, Belgien. Die Lakenhal, auf deutsch „Tuchhalle“, eine der prächtigsten Profanbauten aus dem Mittelalter, hoch nach oben strebender, gotischer Baustil, beherbergt mitten im Zentrum von Ieper ein Museum. Nicht unweit davon, unter der Meense Poort, hat sich bis heute die Tradition gehalten, dass all-abendlich um 20 Uhr britische Trompeten ertönen, um an die Kriegsgefallenen gedenken.

Ieper 1918; Quelle www.wikipedia.de
Das Museum  in der Lakenhal bot einen Anblick des Grauens. Zwischen Schützengräben, war die Landschaft eine Ansammlung von Granattrichtern. Kanonen sorgten für einen Dauerbeschuss. Der Befehl an die Soldaten, die Schützengräben zu verlassen und gegen den feindlichen Beschuss anzurennen, kam einen Todesurteil gleich. Soldaten trugen Gasmasken, denn 1915 wurde in Ieper erstmals Giftgas eingesetzt. Nicht nur der Mensch, sondern auch die Vegetation war kahl und entstellt durch die Giftgaseinsätze. Die Stadt selbst, dauerhaft umkämpft, wechselte mehrfach zwischen den Kriegsgegnern. Fotos der zerstörten Stadt ähnelten denjenigen von Köln im Jahr 1945: nicht der Dom, sondern der mittelalterliche Belfried der Lakenhal ragte aus der Trümmerwüste hervor, der Rest war Schutt und Asche.

Was soll ich dazu schreiben ?

Fassungslos schaue ich darauf, was der Mensch imstande ist anzurichten. Der Countdown läuft. Schon im letzten Jahr hatte ich den Eindruck, dass 1914 bereits begonnen hat. Der Bestseller „1913“ von Florian Illies erschien. In Bonn hatte ich die Ausstellung „1913 - ein expressionistischer Sommer“ besucht. Die Expressionisten malten Landschaft, Idylle, Frieden, Natur, aber auch die urbane Stadtlandschaft, in die sich die Menschen in ihren Produktionsstätten zunehmend hinein bewegten. Nun, bezogen auf 1914, setzen sich die Ausstellungen fort. 1914, bunte Fotografie aus aller Welt, 1914, die Avantgarde-Künstler in den Schützengräben und 1914, was Max Ernst gemalt hat. Dazu Tageszeitungen, eine Serie im SPIEGEL, ganz zu schweigen von Rundfunk und Fernsehen, die weitere Dokumentationen und Serien produziert haben. Ganz viele, die etwas zu sagen haben, befassen sich mit 1914.

Frieden, Fortschritt in der Medizin, höhere Ernteerträge, die Gewerkschaften setzten Rechte für die Arbeitnehmer durch, Verbot der Kinderarbeit, Einführung der Sozialversicherung, bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges bildete sich so etwas wie eine Basis, dass das Existenzminimum in der Gesellschaft gesichert war. Die Menschen richteten sich ein, hatten ihr Auskommen. In den Verhältnissen nach der Jahrhundertwende, konnte man durchaus von Wachstum und Wohlstand reden. Und dann das: am 28. Juni fielen die tödlichen Schüsse in Sarajewo. Das war der Urknall, der die Welt aus ihren Angeln hob. Zuvor, von 1894 bis 1906, hatten regionale Krisen gelodert, der chinesisch-japanische Krieg, der Burenkrieg oder den russisch-japanischen Krieg. Ebenso knirschte es zwischen den Kolonialmächten England und Frankreich.

Diese Kriegshandlungen waren begrenzt, doch nun, nach den Schüssen auf den österreichischen Thronfolger, verhielten sich die europäischen Großmächte wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen. Oder, bezogen auf die eigene Firma, wenn Unternehmensberater die Geschäftspolitik aufmischen wollen: es herrscht blinder Aktionismus, unter hohem Zeitdruck werden strategische Konzepte entwickelt, die weder Hand noch Fuß haben, alle spüren den Zwang, gemeinsam in einer Richtung marschieren zu müssen; die Situation ist hektisch, alle machen sich gegenseitig verrückt; wenn man einmal einen klaren Gedanken gefaßt hat, wird dieser sofort von einer anderen Sichtweise über den Haufen geworfen.

Im nachhinein ist es unglaublich, wie innerhalb von sieben Wochen das Schicksal Europas kippte. 28.6. Ermorderung des österreichischen Thronfolgers, 23.7. Ultimatum an Serbien zur Bestrafung der Schuldigen, 28.7. Kriegserklärung von Österreich an Serbien, 30.7. Kriegserklärung von Rußland an Österreich, 1.8. Kriegserklärung von Deutschland als Verbündeter Österreichs an Rußland, 3.8. Kriegserklärung von Deutschland an Frankreich, 4.8. Einmarsch deutscher Truppen in Belgien. Die Reaktionen waren überreizt, die Entscheider waren Feldherren, politische Lösungen am Verhandlungstisch wurden nicht gesucht. Das Kalkül der deutschen Militärs, durch einen Präventiv-Schlag wie beim deutsch-französischen Krieg 1870/71 den Krieg zu entscheiden, ging nicht auf. Anstatt dessen Schlachten in Flandern, an der Somme, in Verdun. Der Krieg globalisierte sich, als die USA und von Japan in den Krieg eintraten. 15 bis 20 Millionen Tote zählte der Erste Weltkrieg.

Was soll ich dazu schreiben ?

Analogien von heute zu 1914 sind schwierig zu finden. Dennoch haben wir regionale Kriege auf der ganzen Welt – aktuell in Syrien oder Sudan, während es zwischen Israel und den Palästinensern vergleichsweise ruhig ist. Europa ist eine alte Kulturnation, sehr heterogen bis uneinig, wobei Geld und Wohlstand Europa wieder näher zusammen bringt – und das trotz der Eurokrise. Die Konstellationen sind durch die Europäische Gemeinschaft anders. Die Unfähigkeit, Konflikte zu lösen, war schlimm im Jugoslawien-Krieg, der vor der eigenen Haustüre stattfand. Letztlich waren es die NATO und die USA, die 1999 den Frieden herbei bombten. Bei diesem Krieg waren die europäischen Staaten zum reinen Zuschauer degradiert worden.

Unabhängig davon, tue ich mich schwer mit der historischen Sichtweise. Geschichte blickt immer nur zurück und nicht nach vorne. Handelnde Personen sind Politiker und Wirtschaftsbosse. Es hängt sehr individuell mit der Persönlichkeit zusammen, dass Politiker ein historisches Bewußtsein entwickeln. Geschichte hat daher keinen gestaltenden Charakter unter den Geisteswissenschaften. Es steht die Aussage im Raum, dass die Menschheit aus der Geschichte nichts gelernt hat. Indes kann die Theologie Moralvorstellungen entwickeln. Die Philosophie entwickelt übergeordnete gedankliche Konzept, die die letzten Dinge, die menschliche Vernunft oder das Urteilsvermögen beinhalten. In der Literatur findet sich der Mensch als Individuum wieder, die Literatur formt exemplarisch seinen Charakter und läßt ihn spannungsgeladene, dramatisch, tragische oder komische Situationen durchlaufen. Die übrigen Geisteswissenschaften entwickeln eher Visionen in die Zukunft.

Viele ist schon gesagt worden zum Ersten Weltkrieg. Vielleicht hat Europa doch die eine oder andere Lehre gezogen nach diesem Akt der Selbst-Zerfleischung.

4 Kommentare:

  1. Deine Gedanken kann ich gut nachvollziehen.-
    Habe mich persönlich noch nicht getraut, diese Phase unserer Vergangenheit aufzuarbeiten & wenigstens mal eine Gedenkstätte aufzusuchen. Mein Großvater, damals 43 Jahre alt & Vater von 6 Kindern, wurde nach Verdun geschickt, hat es überlebt ( sonst gäbe es mich nicht ) und an uns die Botschaft weitergegeben, dass Frankreich NICHT unser geborener Feind ist & dass Europa eine Zukunftsperspektive ist. Das bewahre ich in meinem Herzen...
    Liebe Grüße
    Astrid

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  2. Neulich habe ich noch eine Reportage gesehen. Es war ein grausamer Krieg, besonders durch den Einsatz von Gas.
    Gruß vonner Grete

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  3. Hallo Dieter
    Danke für diesen sehr interessanten und nachdenklich stimmenden Post. Ja, das waren wirklich grausame Zeiten.
    Liebe Grüsse Yvonne

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  4. ja - gut dass es so viele Bücher, Bilder, Filme und überhaupt Texte dazu gibt ... auch von dir ...
    wir können aus der Vergangenheit lernen.

    lieber Gruß von Heidi-Trollspecht

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