Was soll ich dazu schreiben ?
Jede Masse ist bereits zum Ersten Weltkrieg
geschrieben worden, an die 25.000 Bücher weltweit, gibt es da noch neue
Sichtweisen ? Jedenfalls sind die Buchhandlungen voll. Historiker aus der ganzen
Welt toben sich an diesem Ersten Weltkrieg aus, den der amerikanische
Historiker Fritz Stern, der Deutscher war und im Zweiten Weltkrieg in die USA
auswanderte, als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnete. Diese
Bezeichnung trifft den Kern, denn der Frieden dieser Urkatastrophe, der
Versailler Vertrag, säte Zwietracht zwischen den europäischen Nationen und war
Wegbereiter für die nächste Katastrophe, den zweiten Weltkrieg. Manche
Historiker sprechen sogar von einem 30-jährigen Krieg, denn die Zwischenkriegsphase
war voller innerer Unruhen und schaukelte sich nach der Machtergreifung der
Nationalsozialisten voller Aggression auf. Erst mit dem Untergang des Deutschen
Reiches herrschte Frieden in Europa. Doch auch der kalte Krieg setzte auf
dieser Urkatastrophe auf. Ohne den Ersten Weltkrieg wäre undenkbar gewesen,
dass die Kommunisten in Rußland an die Macht gekommen wären. Lenin führte Rußland
1917 zur Revolution, nach seinem Tod kam 1924 Stalin an die Macht, Rußland
gehörte zu den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs und stieg als UdSSR in der
Nachkriegszeit zur Super-Macht auf.
Der Erste Weltkrieg schuf die denkbar schlechtesten
Rahmenbedingungen in einer Phase technischen Fortschritts, industrieller
Massenproduktion, einer aufstrebenden Arbeiterklasse und gesellschaftlicher
Umbrüche. Der Übergang in die Moderne entwickelte sich als Zerrbild und voller
Verwerfungen.
Der Erste Weltkrieg sollte rekapituliert werden, um seine
Botschaften neu zu formulieren. Meine ganz persönliche Begegnung mit dem Ersten
Weltkrieg hatte ich in der Lakenhal in Ieper, West-Flandern, Belgien. Die
Lakenhal, auf deutsch „Tuchhalle“, eine der prächtigsten Profanbauten aus dem
Mittelalter, hoch nach oben strebender, gotischer Baustil, beherbergt mitten im
Zentrum von Ieper ein Museum. Nicht unweit davon, unter der Meense Poort, hat
sich bis heute die Tradition gehalten, dass all-abendlich um 20 Uhr britische
Trompeten ertönen, um an die Kriegsgefallenen gedenken.
Ieper 1918; Quelle www.wikipedia.de |
Was soll ich dazu schreiben ?
Fassungslos schaue ich darauf, was der Mensch
imstande ist anzurichten. Der Countdown läuft. Schon im letzten Jahr hatte ich
den Eindruck, dass 1914 bereits begonnen hat. Der Bestseller „1913“ von Florian
Illies erschien. In Bonn hatte ich die Ausstellung „1913 - ein expressionistischer Sommer“ besucht. Die Expressionisten malten Landschaft, Idylle, Frieden, Natur,
aber auch die urbane Stadtlandschaft, in die sich die Menschen in ihren
Produktionsstätten zunehmend hinein bewegten. Nun, bezogen auf 1914, setzen
sich die Ausstellungen fort. 1914, bunte Fotografie aus aller Welt, 1914, die
Avantgarde-Künstler in den Schützengräben und 1914, was Max Ernst gemalt hat.
Dazu Tageszeitungen, eine Serie im SPIEGEL, ganz zu schweigen von Rundfunk und
Fernsehen, die weitere Dokumentationen und Serien produziert haben. Ganz viele,
die etwas zu sagen haben, befassen sich mit 1914.
Frieden, Fortschritt in der Medizin, höhere
Ernteerträge, die Gewerkschaften setzten Rechte für die Arbeitnehmer durch, Verbot
der Kinderarbeit, Einführung der Sozialversicherung, bis zum Beginn des Ersten
Weltkrieges bildete sich so etwas wie eine Basis, dass das Existenzminimum in
der Gesellschaft gesichert war. Die Menschen richteten sich ein, hatten ihr
Auskommen. In den Verhältnissen nach der Jahrhundertwende, konnte man durchaus von
Wachstum und Wohlstand reden. Und dann das: am 28. Juni fielen die tödlichen
Schüsse in Sarajewo. Das war der Urknall, der die Welt aus ihren Angeln hob.
Zuvor, von 1894 bis 1906, hatten regionale Krisen gelodert, der chinesisch-japanische
Krieg, der Burenkrieg oder den russisch-japanischen Krieg. Ebenso knirschte es
zwischen den Kolonialmächten England und Frankreich.
Diese Kriegshandlungen waren begrenzt, doch nun,
nach den Schüssen auf den österreichischen Thronfolger, verhielten sich die
europäischen Großmächte wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen. Oder, bezogen auf
die eigene Firma, wenn Unternehmensberater die Geschäftspolitik aufmischen wollen:
es herrscht blinder Aktionismus, unter hohem Zeitdruck werden strategische
Konzepte entwickelt, die weder Hand noch Fuß haben, alle spüren den Zwang, gemeinsam
in einer Richtung marschieren zu müssen; die Situation ist hektisch, alle machen
sich gegenseitig verrückt; wenn man einmal einen klaren Gedanken gefaßt hat,
wird dieser sofort von einer anderen Sichtweise über den Haufen geworfen.
Im nachhinein ist es unglaublich, wie innerhalb von
sieben Wochen das Schicksal Europas kippte. 28.6. Ermorderung des
österreichischen Thronfolgers, 23.7. Ultimatum an Serbien zur Bestrafung der
Schuldigen, 28.7. Kriegserklärung von Österreich an Serbien, 30.7. Kriegserklärung
von Rußland an Österreich, 1.8. Kriegserklärung von Deutschland als Verbündeter
Österreichs an Rußland, 3.8. Kriegserklärung von Deutschland an Frankreich,
4.8. Einmarsch deutscher Truppen in Belgien. Die Reaktionen waren überreizt,
die Entscheider waren Feldherren, politische Lösungen am Verhandlungstisch
wurden nicht gesucht. Das Kalkül der deutschen Militärs, durch einen
Präventiv-Schlag wie beim deutsch-französischen Krieg 1870/71 den Krieg zu
entscheiden, ging nicht auf. Anstatt dessen Schlachten in Flandern, an der
Somme, in Verdun. Der Krieg globalisierte sich, als die USA und von Japan in
den Krieg eintraten. 15 bis 20 Millionen Tote zählte der Erste Weltkrieg.
Was soll ich dazu schreiben ?
Analogien von heute zu 1914 sind schwierig zu
finden. Dennoch haben wir regionale Kriege auf der ganzen Welt – aktuell in
Syrien oder Sudan, während es zwischen Israel und den Palästinensern
vergleichsweise ruhig ist. Europa ist eine alte Kulturnation, sehr heterogen
bis uneinig, wobei Geld und Wohlstand Europa wieder näher zusammen bringt – und
das trotz der Eurokrise. Die Konstellationen sind durch die Europäische
Gemeinschaft anders. Die Unfähigkeit, Konflikte zu lösen, war schlimm im
Jugoslawien-Krieg, der vor der eigenen Haustüre stattfand. Letztlich waren es
die NATO und die USA, die 1999 den Frieden herbei bombten. Bei diesem Krieg
waren die europäischen Staaten zum reinen Zuschauer degradiert worden.
Unabhängig davon, tue ich mich schwer mit der
historischen Sichtweise. Geschichte blickt immer nur zurück und nicht nach
vorne. Handelnde Personen sind Politiker und Wirtschaftsbosse. Es hängt sehr
individuell mit der Persönlichkeit zusammen, dass Politiker ein historisches
Bewußtsein entwickeln. Geschichte hat daher keinen gestaltenden Charakter unter
den Geisteswissenschaften. Es steht die Aussage im Raum, dass die Menschheit
aus der Geschichte nichts gelernt hat. Indes kann die Theologie
Moralvorstellungen entwickeln. Die Philosophie entwickelt übergeordnete
gedankliche Konzept, die die letzten Dinge, die menschliche Vernunft oder das
Urteilsvermögen beinhalten. In der Literatur findet sich der Mensch als
Individuum wieder, die Literatur formt exemplarisch seinen Charakter und läßt
ihn spannungsgeladene, dramatisch, tragische oder komische Situationen
durchlaufen. Die übrigen Geisteswissenschaften entwickeln eher Visionen in die Zukunft.
Viele ist schon gesagt worden zum Ersten Weltkrieg. Vielleicht
hat Europa doch die eine oder andere Lehre gezogen nach diesem Akt der Selbst-Zerfleischung.
Deine Gedanken kann ich gut nachvollziehen.-
AntwortenLöschenHabe mich persönlich noch nicht getraut, diese Phase unserer Vergangenheit aufzuarbeiten & wenigstens mal eine Gedenkstätte aufzusuchen. Mein Großvater, damals 43 Jahre alt & Vater von 6 Kindern, wurde nach Verdun geschickt, hat es überlebt ( sonst gäbe es mich nicht ) und an uns die Botschaft weitergegeben, dass Frankreich NICHT unser geborener Feind ist & dass Europa eine Zukunftsperspektive ist. Das bewahre ich in meinem Herzen...
Liebe Grüße
Astrid
Neulich habe ich noch eine Reportage gesehen. Es war ein grausamer Krieg, besonders durch den Einsatz von Gas.
AntwortenLöschenGruß vonner Grete
Hallo Dieter
AntwortenLöschenDanke für diesen sehr interessanten und nachdenklich stimmenden Post. Ja, das waren wirklich grausame Zeiten.
Liebe Grüsse Yvonne
ja - gut dass es so viele Bücher, Bilder, Filme und überhaupt Texte dazu gibt ... auch von dir ...
AntwortenLöschenwir können aus der Vergangenheit lernen.
lieber Gruß von Heidi-Trollspecht