Zugegeben, dem potenziellen Leser mag die Sprache ein Hindernis sein, denn das Buch ist auf niederländisch geschrieben. Aber es ist Wert gelesen zu werden, denn es steckt voller Spannung, es ist abwechslungsreich und es fesselt bis zum Schluß. Das Delikate ist: die Co-Autorin Leen Huet hat eine eigene Blog-Seite, auf der es vor lauter historischen und zeitgeschichtlichen Betrachtungen nur so wimmelt. Tiefsinnig, kann man an der Denkwelt dieser gestandenen Historikerin teilhaben, man kann bloggen, sich austauschen.
Die Co-Autorin Leen Huet hat in Belgien ein umfangreiches Werk veröffentlicht. Ihre Bücher befassen sich vor allem mit Geschichte und Kunstgeschichte, aber auch Romane und Anektoden hat sie geschrieben. Ähnlich wie Thea Dorn für Deutschland, ist sie in dem Buch „Mijn Belgie“ der belgischen Seele auf die Spur gekommen.
Antwerpen im 16. Jahrhundert. Unter der Hanse waren die Städte Flanderns zu den reichsten in Europa aufgestiegen, darunter auch Antwerpen. Handel und der Hafen bedeuteten eine wirtschaftliche Macht, die durch den Niedergang Brügges noch verstärkt wurde.
In dieser Blütezeit platzte die Reformation hinein und riss ganz Europa auseinander. Ideologischer Streit, Machtkämpfe, Gewalt, Uneinigkeit herrschte zwischen den religiösen Gruppierungen. Genau in dieser Epoche wurde Rockox Bürgermeister von Antwerpen und geriet mitten in die religiösen Frontlinien hinein.
Die Biografie lässt sich in zwei Teile unterteilen. Ausgehend von der geschichtlichen Großwetterlage, führt der erste Teil an Rockox‘ Persönlichkeit heran. Huet und Grieten erzählen in kleinen Episoden – meist zwei bis drei Seiten lang – wie die geschichtlichen Rahmenbedingungen ausgesehen haben, namentlich die Herrschaft der Spanier, die Bildung der vereinigten Provinzen der Niederlande und die Reformation. Darin eingebettet, erzählen Huet und Grieten Rockox’ Lebenslauf – Geburt 1560, Studium, Hochzeit mit Adriana Perez, Bürgermeister, Tod 1640 und vieles mehr. Mit der Kürze der Erzählsequenzen wird man als Leser nicht erschlagen mit geschichtlichen Fakten, Personen, Herrschern oder Orten.
Mitreißend sind diejenigen Kapitel geschrieben, in denen dramatische Ereignisse Antwerpen überfallen. Das war zum einen der Bildersturm 1566. Dort entlud sich eine Energie, die man ungefähr mit dem religiösen Fanatismus von radikalen Islamisten heutzutage vergleichen kann. Damals in Antwerpen sprengten sich keine Selbstmordattentäter in die Luft, anstatt dessen ließen protestantische Bilderstürmer den Haß auf Katholiken freien Lauf. Sie drangen in die Antwerpener Kirchen ein, schlug alles klein, was nicht niet- und nagelfest war, zerstörten Altäre, Bilder, Kanzel, Orgel und vieles mehr.
1576 folgte das nächste Unheil: die Spanier. Über mehrere Monate hinweg war den spanischen Besatzungstruppen kein Sold mehr gezahlt worden. Um die Liquidität wiederherzustellen, entschlossen sie sich, Antwerpen zu plündern. Die Stadt wurde ausgepresst wie eine Zitrone, alle Habseligkeiten kassierten sie ein. Auf Niederländisch ist das packend beschrieben:
„Toen de Spanjaarden de stad veroverd en al hun vijanden verjaagd of gedood hadden, zijn ze terstond de woningen van de burgers binnengevallen. Waar men de deuren niet meteen opende, schoten zij ze open of braken ze in stukken …“
Wie bereits nach dem Bildersturm, erholte sich Antwerpen irgendwann. Wohlstand und Reichtum blühten wieder auf.
Und als ob es mit all dem Unheil noch nicht genug gewesen wäre, folgt ein Ereignis, welches für Jahrhunderte des Schicksal besiegeln sollte: die Belagerung von Antwerpen. Diese war ein militärisch kompliziertes Unterfangen, da Antwerpen über die Westerschelde von der Nordsee aus erreichbar war. Zunächst mussten die spanischen Belagerer mehrere Forts bauen, dann mehrere Schiffe in die 300 Meter breite Durchfahrt hinein. Es wurden mehrere Schlachten gegen die Schiffe in der Durchfahrt geschlagen, doch es gelang kein Durchbruch. 1585 kapitulierte Antwerpen. 1585 war ein Jahr, das über Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg das Schicksal Antwerpens bestimmen sollte. Die nördlichen niederländischen Provinzen hielten die Seeblockade aufrecht. Davon sollte Amsterdam profitieren, dessen Hafen die Bedeutung Antwerpens übernahm. Im Laufe der Jahrhunderte schrumpfte die Einwohnerzahl Antwerpens von 100.000 auf 40.000.
Bürgermeister ? Hierzulande mag man die Einstellung haben, dass sie mit ihren Allerweltsthemen in der Bedeutungslosigkeit versinken: mit welchen Steinmustern öffentliche Plätze gestaltet werden sollen, bis wann nachts Biergärten geöffnet haben dürfen, wie man den Brandschutzvorschriften in neu gebauten Umkleideräumen des Sportvereins genügen kann, wie Leuchtreklamen in Fußgängerzonen auszusehen haben usw.
Rockox war insofern anders, weil er über 26 Jahre Bürgermeister war. Dies in der damals reichsten Stadt Europas, in einer Blütezeit von Kunst und Wissenschaften und an wichtigen Schnittstellen zu bedeutenden Persönlichkeiten. Er war ein Netzwerker – so würde man heute sagen. Er schaffte es, maßgebliche geistige Strömungen in Antwerpen zu bündeln. Dabei war sein größter Coup, Peter Paul Rubens nach Antwerpen zu holen, wobei er die Künstler – nicht nur Rubens – teilweise finanzierte. Nicht nur wegen Rubens wurde diese Epoche als das „Goldene Jahrhundert“ (siehe Buchtitel: het gouden eeuw) Antwerpens bezeichnet. Von der Schaffenskraft dieser Epoche kann man in den Museen und Kirchen Antwerpens heutzutage noch sehr vieles bestaunen.
Nach Rockox’ Tod folgt im zweiten Teil ein Perspektivenwechsel. Huet und Grieten erzählen über Rockox nicht in einem chronologischen Zeitverlauf, sondern sie nähern sich seiner Person über Gemälde. Sein früheres Wohnhaus, das Rockoxhaus, kann heutzutage besichtigt werden. Es beherbergt eine Schatzkammer der Malerei zu seiner Zeit. Auch das ist faszinierend zu lesen, wie sich Gemälde zu geistigen Strömungen verdichten. Diese Strömungen waren im ersten Teil aus der chronologischen Perspektive beleuchtet worden.
Beispiel für ein Gemälde ist „Der ungläubige Thomas“ von Rubens. Das Gemälde wurde über dem Grab der Eheleute Rockox in der Minderbroerskerk aufgestellt. Aus diesem Gemälde entwickeln Huet und Grieten eine Rollenbeschreibung, wie Antwerpen es unter seiner Mitwirkung geschafft hat, zersplitterte und verfeindete religiöse Gruppierungen zusammenzuführen. Nachdem zuvor protestentische bzw. calvinistische Bewegungen die Stadt im Griff hatten, wurde Antwerpen 1585 mit der Eroberung durch die Spanier katholisch. Folgerichtig wurde 1586 der katholische Bischof Torrentius eingeführt. Alle protestantischen Einwohner mussten Antwerpen verlassen. Eigentlich nicht anders als heute, geschahen Ausgleich und Gleichberechtigung über Verteilalgorithmen von Geldern. Dafür war Rockox mit seinem katholischen Magistrat zuständig. Er förderte gleichmäßig Kirchen und Klöster, Katholiken und Protestanten, größere und kleinere religiöse Gruppierungen. Dabei kam auch ein Konsens zustande, welche Religion in welcher Kirche den Gottesdienst feiern konnte. Unter seiner Mitwirkung wurden Fakten geschaffen, so dass letztlich die Ausweisung aller Protestanten obsolet war.
Ein anderes Gemälde „Die vier Philosophen“ beschreibt die geistigen Strömungen in Antwerpen – nach der Wortbedeutung der Renaissance als Wiedergeburt aus der Antike. Schon auf der Ebene der Religion werden unterschiedliche Strömungen zusammengeführt: Lipsius, ein Freund Plantijns, hat als Professor für Rechtswissenschaften und Geschichte vier Jahre an der protestantischen Universität in Leiden in den Niederlanden gelehrt und wird neben den Katholiken Schottus und Torrentius dargestellt. Lipsius’ Werk ist riesig und reicht von Philologie, Philosophie, römischer Geschichte, Politik über Rechtswissenschaften bis zu Seneca oder Tacitus. Plantijn, der humanistische Schriften wie „Spiegel der Gerechtigkeit“ verfasst hat, hat sogar eine orthodoxe Bewegung „Huis ter Liefde“ unterstützt, die durch eine Wiedertaufe die Seele der Menschen reinigen wollte. Ganz nebenher entwickelte sich Antwerpen unter ihm zu einem Zentrum des Buchdrucks. Torrentius, der bereits erwähnte Bischof von Antwerpen, hat, aufsetzend auf Horaz, lateinische Gedichte verfasst. Schottus war lange in Spanien an den Universitäten von Toledo und Zaragoza als Professor für antike Geschichte tätig. In Antwerpen übersetzte er das Werk des Spaniers Agustin, das sich mit der griechischen Antike befasste, ins Lateinische und ins Niederländische. Rockox war hier Netzwerker. Selbst hatte er keine Schriften verfasst, aber er brachte bedeutende Persönlichkeiten zusammen. In seiner Epoche wurde Antwerpen zu einem Zentrum des Humanismus, einer Bewegung, die ursprünglich von den Niederlanden ausging und in der Renaissance ganz Europa erfasste.
Pragmatische Toleranz – gekonnt fassen Huet und Grieten Rockox' Schaffen in diesem Begriff zusammen.
Beginnend beim Schatz von Mespelare und endend bei Rockox‘ Wohnhaus ist die Biografie spannend, anschaulich, nicht überladen mit Fakten und Details beschrieben. So wie ich über Marguerite Yourcenar geschrieben habe: eine Begegnung auf Augenhöhe mit den beiden Autoren. Danke an die beiden Autoren für die höchst lesenswerte Biografie !
Eine spannende Geschichte, Dieter, aber so erzählt, das man die Hintergründe erkennt.
AntwortenLöschenHab ich am Abend noch viel geschichtliches über Antwerpen erfahren und gelernt.
Danke für den interessanten bericht.
Wünsche Dir eine gute Nacht.
Liebe Grüße
Angelika
Dank je Dieter, voor het aandachtig lezen en voor deze mooie bespreking. Rockox streefde inderdaad naar pragmatische tolerantie, net als veel Europeanen van zijn generatie - christenen van andere strekkingen dan de katholieke konden leven in Antwerpen, maar een zekere discretie werd wel geëist - ze mochten niet in het openbaar werven, de schrik zat er diep in na de hagepreken en de beeldenstorm. Een interessant voorbeeld is de schilder Jacob Jordaens, een van de sterren van de Antwerpse schilderschool en calvinist.
AntwortenLöschenAls Duitse lezer kun je verbanden leggen met zaken die ons wel bekend zijn, maar minder ogenblikkelijk-vertrouwd, zoals bijvoorbeeld de Hanze. Erg boeiend voor ons! En ja, Rockox heeft zich door Van Dyck laten portretteren voor het Antwerpse Hanzehuis - een schitterend portret.
Een mooie dag toegewenst vanuit de Kempen (waar ik al voor de tweede dag de poort verf)
Leen
Ich weiß nicht, ob ich es durchhalten würde, das Buch in Holländisch zu lesen, es wäre mich wohl doch zu anstrengend, daher habe ich jetzt gerne deine deutsche Erzählung gelesen und finde diese sehr spannend und informativ. :-)
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Christa