Es war meine erste Rad- und Touristikfahrt, an der ich teilnahm. Ich zahlte die 5 € Startgebühr, nahm meine Rückennummer in Empfang. Drei Streckenvarianten wurden angeboten, eine über 55 km, eine zweite über 75 km, eine dritte über 115 km, die vierte Variante über 150 km war wegen einer Baustelle auf der vorgesehenen Strecke nicht genehmigt worden.
Prompt artete der düstere Himmel in Blitz und Donner aus, und es schüttete wie aus Kübeln. An losfahren war natürlich nicht zu denken, aber wir hatten ja auch Zeit. Ärgerlich war dies, auch bei den Organisatoren der Rad- und Toursiktikfahrt, denn der Andrang der Rennradfahrer war eher bescheiden.
Die Besonderheiten einer Rad- und Touristikfahrt sollte ich schnell kennen lernen: das waren die roten Hinweispfeile. Das war bequem, dass die Pfeile den Weg wiesen, denn die Tour führte in entlegene Ecken der Eifel, wo ich mich überhaupt nicht auskannte. Als erstes führten die Pfeile rund um die Stadtmauer von Ahrweiler. Erst jetzt bemerkte ich, dass Ahrweiler vollständig von einer Stadtmauer umschlossen war, denn sonst kannte ich nur den Fußweg mitten durch die Fußgängerzone. Ahrtal, über Dernau nach Altenahr. Bei Rech vermehrten sich die blauen Flecken am Himmel, der Regen hörte auf, die Straße trocknete ab. Lust und Genuss im Ahrtal – so lautete die Überschrift der RTF. In Altenahr passte dieses Motto, denn dort lernten wir das vielleicht wildeste Stück der Ahr kennen. Senkrecht erhoben sich die Felsen zur Ahr hin, die Straße verlief direkt nach einer Haarnadelkurve direkt auf den Felsen zu, in dem sich das Loch eines Tunnels öffnete, und senkrecht erhoben sich vor unseren Augen die beiden Stümpfe der Burgruine von Altenahr, dessen Alter aus dem 12. Jahrhundert wir ein wenig erahnen konnten.
Weiter ins Sahrbachtal, dessen Beginn die Burg von Kreuzberg markierte. Der Himmel hatte sich wieder zugezogen, und erneut übernahm der Regen das Regiment. Durch den Regen bei Rund um Köln waren wir einiges gewöhnt. Immerhin hatte der Regen zuvor eine Pause eingelegt, außerdem war es wie bei Rund um Köln keine sechs oder sieben Grad. Bei knapp unter 20 Grad kühlt der Regen eine zeitlang gegen allzu starkes Schwitzen. Das Durstgefühl schwindet, bei Steigungen fühle ich mich weniger ausgelaugt.
Nach 24 Kilometern kam die erste Kontrollstelle. Die Radfahrer bekamen nicht nur einen Stempel, sondern es wurde auch für Trinken und Essen gesorgt. Bei Mineralwasser, Apfelsaftschorle, Kekse, Müsliriegel und Bergen von Bananen konnte man eine Pause einlegen. An dieser Kontrollstelle merkte ich, dass der Mensch nach Gemeinschaft strebt, denn man suchte die Kommunikation mit anderen Radfahrern. Am meisten bewegten mich die Gespräche, die ein Bild vermittelten, dass in ländlichen Gebieten wie der Eifel überproportional häufig und überproportional schlimme Verkehrsunfälle geschehen. Jedesmal, wenn ich einem Kreuz am Straßenrand begegnete, bin ich erschüttert. Ein Helfer der Kontrollstelle erzählte, wie direkt vor seinen Augen ein wahnsinniger Motorradfahrer verunglückt war, der in einer Ortschaft mit 100 km/h einen links abbiegenden Traktor überholen wollte. Der Traktorfahrer übersah den Motorradfahrer, der mit voller Wucht auf das linke Vorderrad des Traktors prallte. Der Motorradfahrer überschlug sich in der Luft, er landete hinter einer Leitplanke im Gras und war auf der Stelle tot. Die kurvenreiche und wilde Verkehrsführung, die mich als Rennradfahrer so fasziniert, mag für so manchen Autofahrer oder Motorradfahrer zur tödlichen Falle geworden sein.
Das Timing der Kontrollstelle war schlecht, denn sie hatte im Tal gelegen und anschließend ging es mächtig den Berg rauf – bis auf 500 Meter. In Kurven zirkelte sich die Straße den Berg rauf, die Anstiege in den Kurven waren beharrlich – genauso wie der Regen, auf den ich kaum achtete angesichts der Konzentration meines Körpers auf den Rhythmus beim Treten, um die Steigung zu bewältigen.
Locker und ohne Blei in den Füßen ließ ich die Steigung hinter mir. Doch hier und bei den beiden noch folgenden größeren Anstiegen zeigte sich, dass man Fahrradkumpel noch ambitionierter wie ich unterwegs war. Ende Juli wollte er quer über die Alpen von Oberstdorf zum Gardasee radeln. Als Vorbereitung dafür hatte er vor einigen Wochen an einem Radmarathon über 203 km quer durch die Eifel teilgenommen. An einer solchen Tour wäre ich krepiert. Obschon ich mich fit fühlte, schaffte er den Anstieg mindestens doppelt so schnell. Das frustrierte mich nicht, denn später wartete er auf mich und wir fuhren gemeinsam weiter.
Wir erreichten Plittersdorf. Auf der Höhenlage krallten sich die Häuser fest. Keine Menschenseele auf der Straße. Der Sonntag Morgen hatte das Dorf leer gefegt. Unspektakulär, zog sich die Straße vorbei an weiß verputzten Hausfassaden. Der platte Turm der Dorfkirche dämmerte mit seinem grauen Gemäuer vor sich hin. Wiesen und Felder wuchsen in den Ort hinein. Ein letzter schlapper Anstieg, und der Wald rückte näher an die Straße, auf der keine zwei Autos nebeneinander passten.
Knapp hinter dem Orstausgang stürzte die Straße ins Tal der Liers ab, Serpentine für Serpentine, so steil, dass wir nur noch abbremsten. Danach tauchten wir in der Einsamkeit des Tales ab. Die schmale Nebenstraße schlängelte sich an Wiesen vorbei. Das war großartig und melancholisch zugleich, denn einerseits war es menschenleer und andererseits hatten wir ohne jeglichen Autoverkehr die Natur für uns alleine. Es folgte ein weiterer Höhepunkt, wie man ihn wahrscheinlich nur bei einer Rad- und Touristikfahrt erleben kann: der Ahrtal-Radweg. Ab Liers begleitete er treu die schlapp dahin fließende Ahr. In Schuld spürten wir dieselben Stimmungen, wie sie einst deutsche Romantiker wie Gottfreid Kinkel erlebt hatten: „Langsam entschwindet die Flußstrecke. Der Fußwanderer bedauert dies nicht, denn eben diesem Umstand verdankt er den stillsten Genuss einer höchst idyllischen Natur. Durch Wiesen, die von Waldhügeln eingefasst sind, zieht sich das Flüsschen; eine Mühle, ein Maierhof, manchmal ein alterndes Dörfchen liegen da und dort in der milden Naturstille …“ Lust und Genuss im Ahrtal – das Motto dieser RTF passt auch hier genau. Sonst kannte ich nur die Hauptstraßen, wobei ich den Verkehr auf der B257 als besonders ätzend empfunden hatte.
Weiter über die Hauptstraße, der Ahrtal-Radweg hatte geendet, Abzweig Richtung Antweiler, die Fahrt auf der Hauptstraße war vollkommen ruhig und entspannt. Der Himmel riss auf, und die Sonne schaffte es sogar, sich durchzusetzen. Nach einigen Kilometern wechselte die Entspannung in Anspannung, denn der zweite große Anstieg begann, diesmal auf rund 450 Metern Höhe. Auseinander gerissen und in Fetzen senkten sich die Wolken ins Tal herab. Rechts- und Linkskurven wechselten ab, und ich kroch den baumbestandenen Hang hoch. Natürlich war mir mein Fahrradkumpel längst entschwunden, doch das störte mich nicht. Ich bewegte mich auf unbekanntem Terrain in der Eifel, das ich bislang weder auf dem Fahrrad, noch mit dem Auto erkundet hatte. Hinter einer Wiese, das Ende des Anstiegs in Sichtweite, öffnete sich die Sicht auf einen sagenumworbenen Berg: den Aremberg. Isoliert und alleine stand er da, und mit seiner flachen Bergkuppe überragte die übrige Berglandschaft. Das war so ein bisschen Atlantis in der Eifel – anstelle der versunkenen Stadt unter Wasser eine vom Wald überwucherte Stadt. Im 12. Jahrhundert gegründet, war Aremberg bis 1803 eine blühende Stadt mit Stadtmauer und Herzogresidenz, in der eine der mächtigsten Adelsgeschlechter der Eifel beheimatet war. Dann kam Napoleon, dessen Truppen Aremberg dem Erdboden gleich machten. Danach wurde Aremberg nie wieder aufgebaut. Der Wald wucherte über die glänzende Vergangenheit hinweg.
Hinter Wershofen, dem nächsten Ort, kam das, wovor ich mich in der Eifel fürchtete: lang und länger, rutschte die Straße in ein Tal hinab, und der folgende Anstieg dehnte und streckte sich endlos in die Länge. Oben auf dem Berg angekommen, wiederholte sich das Spielchen noch einmal. Das kostete Kraft. Spätestens jetzt spürte ich die zurückgelegten Höhenmeter in meinen Beinen. Den nächsten Kontrollpunkt in Martelt hatte ich bitter nötig. Mein Hintern ließ sich auf die Sitzbank fallen, ich schüttete größere Mengen Mineralwasser in mich hinein. 60 km der RTF waren geschafft, wobei die vor uns liegenden letzten 25 km durch flaches Gelände führten.
„Sind wir die ersten ?“
„Nicht ganz.“
„Sauwetter.“
„Schade für die wunderschöne Strecke.“
„Auch schade für die Planung, denn mit dem Wetter steht und fällt der Erfolg einer RTF.“„Wie geht es mit den Steigungen weiter ?“
„Ihr müsst über den Mahlberg … Sonst nichts Dramatisches … Achja, der Knick kurz vor Rheinbach nach Todenfeld …“
Weiterfahren. In den Orten Heistert, Sasserath, Nitterscheid und Esch begann ich zu fluchen. Der Mann an der letzten Kontrollstelle hatte Recht, dass keine dramatischen Anstiege dabei waren. Stückchenweise ging es mal rauf, mal runter. Mein Blick in die herrliche Eifellandschaft war nicht mehr locker und entspannend, sondern er verkrampfte und heftete sich am fest am Verlauf der Straße und an den Anstiegen. Die Hochtreterei begann mich zu zermürben. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich längere Stücke den Berg hochtreten musste als dass es den Berg runter ging. Auch hier hatte der Mann von der Kontrollstelle Recht, denn es ging über den 588 Meter hohen Mahlberg, den höchsten Punkt der RTF. Die Straßenschilder nach Rheinbach stärkten mein Durchhaltevermögen, denn bis Rheinbach waren es nur noch 13 km. Und ich wusste, dass das letzte Stück eine wunderbare Abfahrt war – nach der es nach Todenfeld wieder den Berg hochging. Ich war gar nicht so weit weg von Bad Münstereifel, als diese Abfahrt bereits weit vor Rheinbach begann. Mitten durch den Wald, einfach nur den Berg hinunterrollen – das war himmlisch. Das war Idylle pur – und am Wegesrand zeigte sich ein riesiges Gehöft mit Traktoren im Innenhof, das nur aus Fachwerk bestand. Kurz und kräftig stieg die Straße an, dann kam die Abfahrt nach Rheinbach, bei der ich wahre Jubelschreie hätte ausrufen können.
Noch auf der Höhe hatte ich gesehen, wie sich der Himmel zugezogen hatte. Vorsichtig schwirrten erste Regentropfen durch die Luft. Die Straße knickte ab Richtung Todenfeld, und die dritte Kontrollstelle kam zum richtigen Zeitpunkt. Die Regentropfen verdichteten sich, und ich schlüpfte unter den Marktschirm. Mitten im Wald gelegen, grenzte die Kontrollstelle an einen wunderschönen Kreuzweg mit einer Kapelle in der Mitte. Dann donnerte es. Der Regen klatschte, und das Wetter meinte es wirklich nicht gut mit uns. Wie schön, dass uns zuvor immerhin die Sonne über ein längeres Stück begleitet hatte.
Wie am Startpunkt zog das Gewitter die Weiterfahrt in die Länge. Am Kontrollpunkt war uns die Tücke des Anstiegs nach Todenfeld beschrieben worden. Flach beginnend, würde der Anstieg immer steiler und immer länger. Demotivierend sei es, Todenfeld auf dem Berg zu sehen, wobei sich der Anstieg auf etwa 12% steigern würde. Selbst in Todenfeld dauere dieser giftige Anstieg an und ende erst weit hinter dem Dorf. Wahrscheinlich war ich hinter Todenfeld noch so gut drauf, weil ich gewarnt worden war. Mit konstantem Tempo ackerte ich mich die Höhenmeter hinauf. Triefend nass und voller Regen war ich in einer Art von Kampfstimmung. Ich trotzte allen Widrigkeiten, sämtliche Naturgewalten konnten mir nichts anhaben. 12% Steigung waren das nie und nimmer. Hinter Todenfeld steckten 200 geschaffte Höhenmeter in meinen Beinen, die sich danach auf eine schöne Abfahrt im Regen freuen durften, der dünner wurde, und am Horizont vertrieb blauer Himmel die düstere Gewitterwolke.
Meckenheim-Altendorf und Grafschaft-Gelsdorf, zwischen NRW und Rheinland-Pfalz zeichnete die B266 unauffällige Buckel in die Felder, die nichts waren gegenüber den Höhenzügen der Eifel. Zum Schluss mussten unsere Rennräder eine letzte, anders geartete Herausforderung bewältigen: Baustellen mit Schotterpisten. Nein, so ein Berg nach Todenfeld war mir lieber wie diese Quälerei über Steine und Unebenheiten.
In Bad Neuenahr herrschte eitel Sonnenschein, als hätte sie den ganzen Tag nichts anderes gegeben. Bei Kaffee und Kuchen scharte ich mich mit anderen Rennradfahrern zusammen. Ich stellte fest, dass deren Ambitionen meinen eigenen Möglichkeiten um einiges übersteigen. Von Düsseldorf nach Oslo. Durch Schwarzwald und Vogesen. Auf den Mont Ventoux. Über den Alpe d’Huez. Oder wie mein Fahrradkumpel von Oberstdorf zum Gardasee. Für mich wäre dies eh eine Nummer zu groß. Diese herrliche Tour quasi vor der Haustüre werde ich jedenfalls in bleibender Erinnerung behalten. Dies war bestimmt nicht die letzte RTF für mich.
war wieder richtig interessant zu lesen.
AntwortenLöschenUnd für mich bist du eine ganz große Nummer. So könnte ich nie Fahrrad fahren. Meine Bewunderung hast du.
Gruß von Heidi-Trollspecht
Das war ja eine gewaltige Tour und dein Bericht interessant zu lesen.
AntwortenLöschenDiese Steigungen...die sind eine ganz schöne Qual.
Da stimme ich dir zu, Dieter, dass man nicht unbedingt noch über die Alpen fahren muss....so war das ja auch schon bewundernswert...diese Durchhaltevermögen bei diesem Wetter.
♥lichst Zaunwinde