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Abrisswüste Niederkassel |
Das Elend begann im Jahr 2008, als im drei Kilometer
entfernten Stadtteil Ranzel ein Einkaufszentrum mit REWE, ALDI, LIDL, dm, Takko
und Deichmann in die Landschaft gepflanzt wurde. Das Areal, in das drei bis
vier Fußballplätze hineinpassen, zog nun Käuferscharen bis weit nach Porz oder
Troisdorf an. „Negative Auswirkungen auf
Versorgungsbereiche im Zentrum von Niederkassel sind nicht zu erwarten“ so
urteilte vor Baubeginn eine Kölner Unternehmungsberatungsfirma, dessen
Gutachten Bestandteil der Machbarkeitsstudie war.
Die Unternehmensberatungsfirma
hatte sich mächtig geirrt, denn das Einkaufszentrum saugte wie ein Staubsauger
die Einkaufsströme der Umgebung ab. Drei Kilometer weiter ereilte das
Zentrum der Stadt Niederkassel nun ein bedrückendes Szenario, denn Geschäftsinhaber
suchten das Weite, im Zentrum kehrte gähnende Leere ein. Eine Geisterzone mit
verlassenen Ladenlokalen, heruntergelassenen
Rolläden und einer zusammengebrochenen Grundversorgung breitete sich wie die
Greifarme einer Krake im Herzen der Stadt aus. Metzger, Bäcker und all die
kleinen Geschäfte verschwanden, nur ein EDEKA-Supermarkt überlebte.
Und es kam noch schlimmer. Die Idee reifte, im
Stadtzentrum ein weiteres Einkaufszentrum zu bauen. Planung und Phantasie
beflügelten die Größenordnung, die Stadtplaner taten sich mit einer Immobiliengruppe
zusammen, die immer mehr Geschäftsinhaber mobilisierte, ihre Häuser zu verkaufen,
die in sich zusammenhängend immerhin eine Fläche von ein bis zwei
Fußballplätzen ergaben.
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Perspektivlosigkeit in der Metzgerei |
Nun klafft im Zentrum eine riesige Lücke, nachdem an
die zehn bis zwölf Häuser abgerissen worden sind. Der Depression ist die
Häßlichkeit gefolgt. Der Blick auf das Phantasiegebäude des Einkaufszentrums
endet vor einem Bauzaun. In der Abrisswüste ist alles platt gemacht worden,
Unkraut wuchert zwischen Sand und Kieselsteinen, an einer Häuserwand zeichnet
nacktes Gemäuer den Umriss des abgerissenen Nachbarhauses.
Die Niederkasseler sehen das Einkaufszentrum
gelassen. 8.000 Quadratmetern sollen bebaut werden, das ist rund ein Drittel
der Fläche im drei Kilometer entfernten Einkaufszentrum in Ranzel. In drei Geschossen
plus Staffelgeschoss soll der Gebäudekomplex in die Höhe wachsen. Ladenpassagen
im Erdgeschoss, bestehend aus einem REWE-Markt, Drogeriemarkt, Reisebüro,
Modeladen, Optiker, Apotheke, sollen Schluss machen mit dieser Geisterzone, die
Geschosse darüber sollen vierzig Wohneinheiten und Büroräume beheimaten.
Wie gelassen die Niederkasseler das sehen, das
belegen Reaktionen in Facebook. „Natürlich brauchen wir ein Einkaufszentrum in
Niederkassel“, „sei doch froh, dass er (der Bürgermeister) endlich mal etwas
gescheites hier aufbaut“, „sollen se das Ding einfach
einfach da hin ballern und gut is“, dies sind einige der Reaktionen. Sprich:
das Meinungsbild zweifelt nicht an der Notwendigkeit, zumal feststeht, dass der
EDEKA-Supermarkt schließen wird und danach Totenstille einkehren wird, was die
Einkaufsmöglichkeiten betrifft.
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Bauzaun |
Der Blick auf die Abrisswüste Niederkassel wird allerdings
noch eine Weile lang so bleiben, denn die Planungsverantwortlichen haben sich mit
ihren Planungshorizonten verschätzt und ihnen scheint auch die Zeit davon zu
rennen. Zuerst schoß ein Mieter quer, der in einem der abzureißenden Gebäude
wohnte. Als ihm wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde, weigerte er sich
auszuziehen. Schier endlos dauerte es, ihn heraus zu klagen. Da stellt sich zusätzlich die Frage, ob unser Rechtsstaat nur
Handlanger ist, um letztlich Geschäftsinteressen zu dienen.
Ursprünglich sollte das baurechtliche Bebauungsplanverfahren
im März 2014 angestoßen werden. Nun sind endlich vor einer Woche die Verträge
unterschrieben worden – das war der Kaufvertrag des 8.000 Quadratmeter großen
Areals und der städtebauliche Vertrag. Im Herbst diesen Jahres, also mit
anderthalbjähriger Verzögerung, kann nun das Bebauungsplanverfahren eingetütet
werden. Anfang 2016 sollen dann endlich Bagger aufmarschieren und mit ihren
Bauarbeiten beginnen. Im Frühjahr 2017, wenn alles gut läuft, könnte in der schönen neuen Einkaufswelt
eingekauft werden.
Ich bin skeptisch. Die Stadt und die
Investorengruppe waren sich bis kurz vor Toresschluss uneinig, ob die Verträge
überhaupt unterschrieben werden sollten. Verhandelt wurde streng geheim hinter
verschlossenen Türen. Man munkelt, dass es Differenzen über die Verkaufspreise einzelner
Grundstücksinhaber gegeben habe. Ich kann mir auch vorstellen, dass Banken
kritisch nachgefragt haben, denn die 12 Millionen Euro, die das Einkaufszentrum
kosten soll, sind kein Pappenstiel. Dazu kommt der Kaufpreis für die 8.000
Quadratmeter Grundstücke, und von irgendwo her muss der zweistellige
Millionenbetrag ja kommen.
Vor allem der REWE-Koloss im Einkaufszentrum muss
die Kurve kriegen. Es gibt bereits einen REWE in dem anderen Einkaufszentrum,
und wie der Zufall es will, haben die beiden REWE-Märkte denselben Besitzer.
Dabei haben die Betreiber des neuen Einkaufszentrums die Herausforderung zu
bewältigen, dass die Einkaufsströme – auch aus dem drei Kilometer entfernten
Einkaufszentrum - wieder in das Zentrum
zurück gelenkt werden müssen.
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ungastlicher Marktplatz |
Delikat wird die Konstellation für REWE. Der Inhaber
der beiden REWE-Märkte muss nämlich darauf achten, dass sich seine beiden
Filialen nicht gegenseitig kannibalisieren. Sprich: die Käuferströme dürfen
nicht alleine umgelenkt werden von dem einen REWE-Markt auf den anderen
REWE-Markt. Schlimmstenfalls verteilt sich derselbe Umsatz nun auf zwei
REWE-Märkte, während REWE auf den Kosten für den zweiten Supermarkt hängen
bleibt. Sollte sich irgendwann REWE mit der größten Verkaufsfläche wieder
zurückziehen, wäre dies fatal. Leerstände könnten den Businessplan kaputt
rechnen. Und Leerstände gibt es auch an deren Ecken von Niederkassel genug. Wegen
Leerständen wurden sogar Ladenlokale wieder zurück gebaut.
Ich bin skeptisch, weil das ganze Umfeld – trotz der
Vision eines Einkaufszentrums – einfach unattraktiv ist. In der
Stadtentwicklung hat sich Niederkassel rund um die Kirche St. Matthäus
entwickelt, dessen romanischer Turm noch aus dem Mittelalter stammt. Gesiedelt
wurde in Rheinnähe, und dort befinden sich auch die Wohlfühlzonen in dieser
Stadt. Nicht am Marktplatz, der in seiner heutigen Lage erst später dran
geflanscht wurde, vielleicht in der Wilhelminischen Epoche. Niemand hat sich Mühe
gegeben, auf dem Marktplatz Wohlfühlzonen oder Verweilzonen zu etablieren. Der
Marktplatz ist lieblos dahin geklatscht, nüchtern, kalt, abweisend, ungastlich
und letztlich zum Parkraum verkommen. Entspannung kommt am Eiscafé auf dem Marktplatz
kaum auf, wenn man auf parkende Autos schaut, karge Mauerwände und Poller, die
die Durchfahrt von Verkehr zum Rathaus verhindern sollen.
Ich mutmaße, dass sich in diesem Umfeld das
Einkaufszentrum schwer tun wird, aufzublühen. Aber möglicherweise haben die
Verantwortlichen der Stadt noch einen Trick in der Hosentasche: sie schieben
das Risiko von Leerständen auf den Steuerzahler ab. „Die städtebaulichen
Fördermittel sind alle schon bewilligt“, das berichtete der Rhein-Sieg-Anzeiger
am 23. Januar 2014. Also ist zu erwarten, dass der Steuerzahler solch ein
Einkaufszentrum zu einem gewissen Teil subventioniert. Damit tue ich mich sehr schwer, zumal die Stadt
Niederkassel an einer anderen Ecke unter ihrer Ausgabenlast stöhnt. Mit einer
dreißigprozentigen Erhöhung der Grundsteuer hat sie die Hausbesitzer zuletzt
ordentlich zur Kasse gebeten.
Oha, das hört sich wirklich alles nicht besonders schön an. Ich kenne Niederkassel selber nicht (nur dem Namen nach), aber die Bilder sprechen Bände. Warst du schon mal in Meckenheim - Neue Mitte? Das ist für mich ein tolles Beispiel, wie man es richtig machen kann. Allerdings ist dort wohl der ganze Stadtteil neu geplant worden. Ich war neulich durch puren Zufall dort und hin und weg. Nur 2 Läden standen leer.
AntwortenLöschenGruß vonner Grete
Hallo Dieter, da habe ich doch glatt meinen Kalender zu spät auf den neuen Monat eingestellt und schon ist es passiert: Ich habe glatt deinen Geburtstag übersehen. Deshalb heute nachträglich - und an dieser Stelle -: Herzlichen Glückwunsch und alles Gute für das neue Lebensjahr! Martina
AntwortenLöschenLieber Dieter,
AntwortenLöschenoje, solche Entwicklungen snd derzeit ja leider überall gang und gäbe... und mich wundert nicht, dass du ihnen skeptisch gegenüber stehst. Ich glaube sogar, Skepsis ist die einzige gesune Reaktion darauf. Denn in jenen Ländern oder Landesteilen, wo man bereits ein paar Schritte voraus ist, zeichnet sich schon ein Weilchen ab, was du befürchtest...
Hab noch einen schönen restlichen Sonntag (und offenbar hattest du - nach Martinas Kommentar zu schließen - eben erst Geburtstag; dazu gratuliere ich dir herzlich!)
Alles Liebe, Traude