![]() |
Marktplatz Eitorf |
Im Grunde genommen war es makaber und der Baggerführer
musste all seine Regungen in einen emotionalen Eisschrank stecken. Sein Löffelbagger grub sich in menschliche
Skelette hinein, Schädel, Knochen, Röhrenknochen, Beckenreste, Gebisse, also all das, was die Verwesung vom menschlichen Körper nach
Jahrtausenden übrig gelassen hatte. Die Baggerschaufel verfrachtete dann den
Geist der Toten auf LKWs, wo sie zwischen Erdklumpen zerstoben, um mit ihrer
Unsterblichkeit in der zerkrümelten Masse des Erdreichs auf Nimmerwiedersehen
zu verschwinden. Die eigentliche Herausforderung wartete mehrere Erdschichten
darunter. Unter den Fundamenten der mittelalterlichen Kirche vermutete man neben dem Friedhof mit all den Skeletten karge Überbleibsel einer sogenannte Eigenkirche. Ihre Existenz reichte noch
ein Stück weiter zurück, über die Toten aus dem Mittelalter hinweg zu
den Wurzeln des Christentums im Rheinland. In der geschichtlichen Zeitrechnung
war dies der Übergang von der Römerzeit ins frühe Mittelalter.
1969 kam der große Augenblick, als der Marktplatz in
Eitorf umgestaltet werden sollte. Indizien hatten sich verdichtet, dass unter
der alten romanischen Kirche eine Eigenkirche sich hätte befinden können. Die
romanische Kirche wiederum war vollständig platt gemacht worden. Zunächst war
1889 das baufällige Kirchenschiff abgerissen worden. Den Turm aus dem 12.
Jahrhundert, der stehen geblieben war, hatte ein Volltreffer der Alliierten
Truppen am 8. März 1945 vernichtet. Die Nachkriegszeit gab dem Turm den Rest,
als die Ruinen abgetragen wurden, um den Marktplatz zu pflastern und
einzuebnen.
Es war der Eitorfer Heimatforscher Hermann Josef
Ersfeld, der unter den Fundamenten der romanischen Kirche eine Eigenkirche
vermutete. Eigenkirchen entstanden mit der Auflösung des römischen Reiches, als fränkische Volksstämme seßhaft wurden. Die Franken pflegten ihre
heidnischen Bräuche und verehrten viele Götter. Parallel dazu entwickelte sich
das Christentum, weil sich die großen Herrscher taufen ließen. Das war der
Frankenfürst Chlodwig, der sich als Dank für die im Jahr 496 gewonnene Schlacht
bei Zülpich in Reims taufen ließ, bis hin zu Karl dem Großen, der nach seiner
Taufe 796 dem Christentum zu großen Sprüngen verhalf, indem er unterstützte,
dass der Papst von Rom aus über Bischöfe eine kirchliche Infrastruktur
aufbaute.
![]() |
Eisenplatte des Turms auf dem Eitorfer Marktplatz |
Während sich in Römerstädten wie Köln Kirchenbauten
wie St. Ursula, St. Gereon oder St. Severin etabliert hatten, verlief die
Christianisierung abseits der Römerstädte anders. Einen Ort zu finden, um die
Rituale des Christentums zu feiern, läßt sich aus vielen Stellen der Bibel
ableiten, so aus dem Matthäus-Evangelium: „Wo zwei oder drei in meinem Namen
versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ In seinen Anfängen war das
Christentum höchst virtuell. Tatsächlich handelte es sich um eine Versammlung,
bei der rund um einen Altar das letzte Abendmahl gefeiert werden konnte. Solche
Versammlungen konnten in jedem Haus stattfinden, welches dann, wenn das Ritual
eingeschwungen war, zu einer Hauskirche erklärt werden konnte. Selbst die
großen romanischen Kirchen von St. Ursula, St. Gereon oder St. Severin dürften
in ihren Anfängen eine Hauskirche, ein Gebetsraum oder eine kleine Kapelle
gewesen sein. Da dieser Raum dem Hausherren gehörte, bezeichnet man diese
Kirchenform als Eigenkirche. Sieht man von den Römerstädten ab, gibt es in
dieser dunklen Epoche viele Jahrhunderte lang keine wirkliche christliche
Sakralarchitektur, wie wir sie als Kirchen heute kennen. Diese setzt ungefähr
in der Epoche der Karolinger ein, wobei die Entwicklung über die Jahrhunderte
hinweg je nach Volksstamm höchst unterschiedlich verlaufen sein konnte.
Eigenkirchen aufgrund von Funden nachzuweisen, ist
ein archäologisches Kunststück. Die Altersbestimmung von Gestein oder Knochen
ist zu grob, da Halbwertszeiten radioaktiver Elemente mit ihrer
Strahlenintensität zurückgerechnet werden, was nur grob in Einheiten von
Jahrhunderten oder Jahrtausenden möglich ist. Enthalten die Fundstücke
Kohlenstoff, können die Halbwertszeiten
ein bißchen kürzer eingegrenzt werden. Präzise ist die Altersbestimmung bei
Holz: bei Bäumen wie Eiche oder Buche können die Jahresringe fast bis auf das
Jahr genau ermittelt werden. Bei anderen Funden hat man sich in dieser dunklen
Epoche der späten Antike oft mit vergleichenden Methodiken beholfen, indem
Funde und Altersbestimmungen an anderen Orten in ein valides Konstrukt
überführt werden, das erfahrungsgemäß mehr Lücken als aussagefähige Punkte
enthält.
![]() |
Modell der Eigenkirche in Theux/Belgien oben Eigenkirche Mitte Grundriss der Eigenkirche (6.-7. Jahrhundert) unten romanische Kirche (11. Jahrhundert) |
Vor zwei
Jahren hatte ich das grandiose Erlebnis, das Modell einer Eigenkirche bestaunen
zu können. In der Kirche Saints-Hermes-et-Alexandre
in Theux in den belgischen Ardennen hatten Grabbeigaben unter dem Chor der
Kirche, kombiniert mit Holzresten, offensichtlich eine genauere Datierung einer
Eigenkirche ermöglichte. Diese Gebetskapelle stammte aus dem sechsten bis
siebten Jahrhundert, auf die im neunten Jahrhundert der Chor und das Langhaus
gebaut wurde und 1091 die romanische Kirche.
Ganz ähnlich hätte es in Eitorf aussehen können. Da
das Pfarrarchiv in Eitorf die kirchlichen Ereignisse erst ab 1646 dokumentierte,
durchforstete der quirlige Heimatforscher Hermann Josef Ersfeld die
Stadtarchive von Bonn, Köln und andere Quellen in Bistümern und im Erzbistum
Köln. Fündig wurde er nicht im Rheinland, sondern in Westfalen. 1168 wurde die romanische Kirche von Eitorf
fertiggestellt, das belegen Güterverzeichnisse des Bonner Cassiusstiftes. In der Zeitrechnung davor, am 18. März 927,
bestätigt der Deutsche Kaiser Heinrich I. dem Stift in Herford Besitzungen, die
dem Stift im Zuge von Bedrängnissen durch Heiden streitig gemacht wurden,
darunter ein Ort „hunbech secus fluvium secinam“. „Secinam“ bedeutet Sieg und
„hunbech“ kann nur die Ansiedlung „Hombach“ bedeuten, das heute Stadtteil von
Eitorf ist. Den Heiden konnte dieser Besitz nur streitig gemacht werden, indem
das Gebiet an der Sieg christianisiert worden war. Ersfeld entwickelt eine
weitere Argumentation über die Gründungsgeschichte des Benediktinerinnenkloster
Vilich, das 978 mit dem Zweck gegründet wurde, das Christentum im Auelgau, wozu
auch die Gebiete an der Sieg gehörten, zu verbreiten. Anderthalb Jahrhunderte
später, 1144, bestätigte dann König Konrad III. die Gründungsbesitzungen des
Benediktinerinnenklosters von Vilich, wozu auch eine „villa eidtorph“ gehört.
Eine „villa“, das war ein Haus, ein Landhaus oder ein Hof, den ein Gutsbesitzer
bewirtschaftete. Anderenorts gehörten Kirchen zu den Gründungsbesitzungen von
Vilich. Wenn es denn in Eitorf eine „villa“ gab und wenn das Gebiet von
„hunbech“ christianisiert war, dann konnten sich die gläubigen Christen nur in
einer Eigenkirche zu ihren Gebeten versammeln.
![]() |
fiktive Zeichnungen der Eigenkirche in Eitorf |
1969, als der Marktplatz ausgebuddelt wurde, war die
Konstellation ungünstig. Kulturgut genießt in unserer Gesellschaft keinen allzu
großen Stellwert, und, in ihrer eigenen Ignoranz beharrend, mischen die Behörden
tatkräftig mit, dass die Abläufe der Bauausführung Vorrang haben vor der Größe
von archäologischen Entdeckungen. Für das Rheinische Landesmuseum war dieses
Gebiet an der Sieg offensichtlich tiefste Provinz, so dass sich kein Archäologe
in Eitorf blicken ließ.
So entwickelten sich die Ausgrabungen zu einer
merkwürdigen Schicksalsgemeinschaft zwischen dem Heimatforscher, dem Gemeindedirektor,
der Interesse zeigte an den Ausgrabungen,
und den Arbeitern, die aus aller Herren Ländern kamen. „Schau mal, das
ist der Pisspott von Karl dem Großen“ kommentierte ein Arbeiter einen der
Funde, als ein Eisenbecher gefunden wurde. Die Arbeiter hatten strikte
Anweisung: „Wenn etwas auftaucht, dann rasch weg damit, bevor die
Denkmalschützer erscheinen und uns aufhalten.“
Sie waren überfordert. Der Heimatforscher
unterrichtete an einem Gymnasium in Troisdorf und konnte werktags nur ab den
Nachmittagsstunden den Ausgrabungen beiwohnen. In diesen Stunden sammelte er
alles ein, was er irgendwie kriegen konnte, Münzen, Tonpfeifen, Knochen,
Schädel, Fliesen, Wandputz, und alles, was verrostet aussah. Schutt und Trümmer
stapelten sich im Garten des Heimatforschers. Der Moment, dass die
ausgebaggerten Fundamente unter dem Chor sichtbar wurden, war kurz. Die
Hoffnung wuchs, dass die Grabungen die konkrete Gestalt einer Eigenkirche zusammen
flicken könnten. Doch dann fuhr der Bauleiter dazwischen, dass alles
zuzuschütten sei. Am nächsten Tag war von
Fundamenten und Ausgrabungen nichts mehr zu sehen. Der Traum von einer
Eigenkirche hatte sich verflüchtigt in einer Wolke von Phantasie, die niemand
bis auf weiteres beweisen oder widerlegen konnte. Eine archäologische Sensation
im Rheinland war ausgeblieben. Bis dahin müssen wir alle so damit umgehen, wie
dies die Menschen im Mittelalter getan haben, ohne jegliche
naturwissenschaftliche Beweise. Sie haben geglaubt. So wie in ihrer Eigenkirche.
Quelle: Hermann Josef Ersfeld, Mitten in Eitorf
Ein sehr interessante Post und ich kann mir sehr gut vorstellen wie begeistert du warst als du so ein Modell gesehen hast.
AntwortenLöschenMich hat es aber auch geschüttelt und auch erbost bei dem Gedanken das die Knochen einfach so "weggemacht" wurden und ebenfalls mit der strikten Anweisung. Einfach unglaublich, aber auch hier ging es wieder einmal nur ums Geld. Schlimm wenn solche Funde für die Menschen keinen Wert haben, sie nicht sehen können welche Geschichte dahinter steckt, immerhin ein Teil von uns allen auf den auch noch Rücksicht genommen werden sollte und muss. Echt ein Trauerspiel!!!!
...und mal wieder ist es der Mensch der alles zum Fall bringt.
Danke dir für diesen Post und mein Wissen dass ich erweitern konnte.
Wünsche dir ein schönes Wochenende und sende viele Grüsse
N☼va
Ja, so war das 1969, noch gar nicht so lange her, es war ein anderes Bewusstsein. Schade... von Hermann-Josef Ersfeld, habe ich noch einige Heimatbücher... mein Vater war ja Eitorfer. Und vom alten Turm hing immer eine Zeichnung mit Gedicht in meinem Elternhaus.
AntwortenLöschenLiebe Grüße Marita
Das erinnert mich doch sehr stark an die Geschichte, als in Köln der Rheintunnel gegraben wurde und nur ein Lehrer hinter den LKW-Ladungen mit der Erde herfuhr und die mittelalterlichen Zeugnisse des Alltags rettete, die jetzt im stadtmuseum ausgestellt sind. Damals galt nur die Römerzeit was. Aber in Köln nimmt man ja vieles locker...
AntwortenLöschenEinen schönen Sonntag!
Astrid
Ein sehr interessanter Bericht Dieter ... danke fürs Niederschreiben :-)
AntwortenLöschenEine schöne Woche für dich.
LG Frauke
danke wieder für den lebendigen Geschichtsunterricht.
AntwortenLöschenDa habe ich wieder viel gelernt.
Herzliche Grüße von Heidi-Trollspecht :-)