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Steinhauer-Denkmal in Königswinter-Thomasberg |
Bei J.G. Adrian, pfiffig und
weitsichtig, wie er war, grassierte die Angst. Aus Steinen ließ sich im
Siebengebirge Geld machen, und so hatte er 1849 den Limperichsberg gekauft,
diesen Steinbruch im Herzen von Thomasberg, den andere abgeschrieben hatten. So
der Preußische Staat, der keinen Cent zu zahlen bereit war, da man für dieses
zerklüftete Ödland ohnehin nur Steuern zahlen müsse.
Doch J.G. Adrian, dem bereits große
Steinbrüche in Oberkassel gehörten, dachte als Unternehmer zukunftsorientiert.
Weitsichtig war der Kaufvertrag des Steinbruches, denn den Vorbesitzern standen
lediglich fünf Silbergroschen je Tausend Steine zu, wenn diese als
Pflastersteine verkauft würden. Anderenfalls hätte er ohne jede Bedingung vom
Vertrag zurücktreten können. Weitsichtig war seine Vision, technologische
Entwicklungen vorherzusehen, und weitsichtig war auch seine
Unternehmenspolitik, denn seine Firma war bis 1948 ein Familienunternehmen.
Dieser Berg, zu dem er täglich ausritt
und von dem er schwärmte wegen des „schönen blauen Säulenmaterials“, wurde 1886
an seinen Enkel vererbt, der mit seinem Vornamen „Johann Gabriel“ nahtlos an
Familientraditionen anknüpfte.
1889 schien sich all die Weitsicht zu
bewahrheiten, als die Heisterbacher Talbahn, eine mit Dampflokomotiven
betriebene Schmalspurbahn, gebaut wurde. Goldene Zeiten sollten anbrechen, um
Pflastersteine und all die anderen nötigen Endprodukte aus Basalt aus dem
Steinbruch zu fördern. Doch
dann drohte das Gespenst der Sozialdemokratie, das Arbeiter anstachelte, sich
zusammenzuschließen, auf die Straße zu gehen, Rechte einzufordern, gegen
menschenunwürdige Arbeitsbedingungen zu protestieren und einen sozialen
Klassenkampf loszutreten, all diese weitsichtigen Visionen zu zerstören. Es
rumorte im Siebengebirge. Dort hatte sich ein sozialdemokratischer
Arbeiterverein gebildet, der auf begehrte gegen soziale Schieflagen, für
Arbeitsschutz, für faire Arbeit und für faire Löhne. Hinzu kam, dass die SPD
bei den Reichstagswahlen 1898 für das Siebengebirge vom Nullpunkt aus Stimmen
gewann und 12 Abgeordnetenmandate stellte.
Dieser Steinbruch, den die Thomasberger
liebevoll „Strüch“ nannten, spaltete das Siebengebirge. Als Gegenbewegung
formierte sich 1901 ein christlich-sozialer Arbeiterverein, er drohte mit dem
„Schreckgespenst der Brodlosigkeit“, er forderte, die Steinbrucharbeiten auszuweiten und formulierte eine Eingabe an den Regierungspräsidenten. Die Wege
des Abtransportes über die Heisterbacher Talbahn waren kurz, Loren führten
direkt an den Steinbruch heran, maschinelle Steinbrecher lösten Vorschlaghammer
und Stemmeisen ab, so dass sich eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen nicht
weg diskutieren ließ. Fortan wurde gearbeitet in den Steinbrüchen, und dem
widersprachen weder Sozialdemokraten noch Arbeitervereine. Den Arbeitern in den
Thomasberger Steinbrüchen ist das Steinhauer-Denkmal gewidmet, das die
Künstlerin Sigrid Wenzel aus Thomasberg geschaffen hat. 1997 wurde es auf dem
Dorfplatz aufgestellt.
Vom Alten Zoll aus kommend, den Rhein
entlang bis zur Konrad-Adenauer-Brücke, auf der anderen Rheinseite durch
Oberkassel, nach links über die Autobahnauffahrt der A59 hinweg, dann rechts in
Richtung Oberdollendorf, an der großen Ampel wieder links, folge ich auf der
Landstraße L331 der früheren Eisenbahntrasse der Heisterbacher Talbahn. Auf der
Landstraße vermag ich kaum zu erahnen, dass ab 1889 auf derselben Trasse
Dampflokomotiven aus dem Rheintal die Höhen des Siebengebirges hinauf tuckerten,
um sich an Steinbrüchen wie dem Weilberg voll zu laden. Das Hinweisschild zum
Weilberg weist nach links in den Wald hinein, wohin die Heisterbacher Talbahn
eine Schleife drehte und wieder zurückkehrte nach Heisterbacherrott, das ich
auf direktem Wege hinter der Anhöhe erreiche.
Hier geht es nun wunderbar bergab, ich
rolle vor mich hin, linkerhand vorbei an der zartgelb gestrichenen Anlage des
Hauses Schlesien. Rechterhand passiere ich die Kirche St. Judas Thaddäus, wo
ich die Gestalt der Latitquader aus den hiesigen Steinbrüchen genau erkennen
kann. Die grauen Steine stapeln sich schwer zu dem Kirchenbau aufeinander, der,
von 1890 bis 1892 gebaut, nach einem der zwölf Apostel benannt wurde.
Während sich die Landstraße leicht
talwärts windet und dann wieder ansteigt, steigt rechterhand das Gelände rasant
an. Dort liegt genau der Limperichsberg,
zu dessen Ehren im Ortskern von Thomasberg das Denkmal des Steinhauers steht.
Ich bewege mich weiter durch Thomasberg,
die Straße schlängelt sich ein Stück bergauf, bis sie hinter dem Ortsausgang
wieder bergabwärts stößt, über die ICE-Strecke hinweg, über die Autobahn A3
hinweg. Im Tal geht es an der großen Ampel links weiter nach Oberpleis, über
die Dollendorfer Straße bis vor die Kirche St. Pankratius, kurz davor an dem
etwas zusammen gequetschten Kreisverkehr rechts, geradeaus, dann schräg links,
wieder aus Oberpleis hinaus. An der nächsten Kreuzung fahre ich genau geradeaus
an dem gelb gestrichenen Gasthaus Oelpenich vorbei, auf der früheren
Landstraße, die nun als Fahrradweg gekennzeichnet ist. Nach zweihundert Metern
fahre ich nach rechts den Berg hinunter, wo ich über den Rastplatz auf der gut
ausgebauten Straße mit Seitenstreifen lande. Von hier an geht es wieder
bergauf, stramm, und der abflachenden Steigung folge ich nach links in Richtung
Sand und Wellesberg.





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12% Gefälle (oben), Hanfbach und Wellesberg (darunter), sehr steiler Anstieg (darunter), Uckerather Kirche (unten) |
Hinter der Kapelle, einem Backsteinbau
im neoromanischen Stil, formiert sich das gnadenlose Panorama. Der Hanfbach hat
sich tief in das Tal hineingesägt, die 12% Gefälle donnern in das Tal hinunter,
den gegenüberliegenden Berg markiert der Turm der Uckerather Kirche, davor
steigt wie eine Wand die Straße an.
Also hinunter in das Tal des Hanfbaches,
dessen Name sich aus dem germanischen „Hanafa“ ableitet, was so viel wie
„tönernder Fluss“ bedeutet, nach dem die Stadt „Hennef“ benannt ist und dessen
Wasser reihenweise Mühlen angetrieben hat. Danach warte ich auf den Anstieg, die
Straße schlängelt sich unentschlossen durch ein Seitental, bis sie wie eine
Verladerampe ansteigt. Meine Beine müssen sich mächtig ins Zeug legen, mein
Blick hakt sich an der Uckerather Kirche fest, dessen Turm das einzige
Überbleibsel aus der romanischen Bauepoche ist. Als ich die Hauptstraße
erreiche, ist der Spuk des Anstiegs verflogen. Ich biege nach links ab, dann
direkt wieder rechts in Richtung Süchterscheid. Die Hauptstraße durch Uckerath,
die hier Westerwaldstraße heißt, war einst eine historische Handelsstraße,
genannt „Hohe Heer- und Geleitstraße“, die Köln über die Reichsstädte Wetzlar
und Friedberg mit Frankfurt verband. Seit 2007 ist diese Straße über den
sogenannten Elisabethpfad ebenso Pilgerweg nach Marburg, wo die Heilige
Elisabeth von Thüringen begraben liegt.
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Wallfahrtskirche Süchterscheid (Quelle Wikipedia) |
Am Ortsausgang von Uckerath zieht die
Straße für ein kurzes Stück nochmals an, dann geht es über einen eigenen
Fahrradweg bergab nach Süchterscheid. Dort fällt im Ortskern die
Wallfahrtskirche „Zum Heiligen Kreuz“ auf. Die Tradition der Wallfahrten
besteht seit dem Jahr 1506, worauf Kreuzwege von Uckerath aus und von
Blankenberg aus installiert wurden. Seit 1977 pilgern sogenannte „Ritter vom
Heiligen Grab“ nach Süchterscheid. Befremdend wirkt die Vermischung von
Tradition und Moderne, da die eigentliche Wallfahrtskirche aus dem 12.
Jahrhundert, da stark kriegsbeschädigt, abgerissen wurde und 1959 durch einen
postmodernen Halbschalenbau ersetzt wurde. Der Baumeister Le Corbusier läßt grüßen,
denn der Stil der Halbschalen ist aus der Wallfahrtskirche Notre-Dame-du-Haut im
französischen Ronchamp kopiert worden, die Le Corbusier als Architekt gestaltet
hat.
Darüber hinaus ist die
Fahrt auf dem Höhenrücken wirklich hübsch. Es sind nicht nur die postmodernen
Formen, sondern Süchterscheid kann auch glänzen mit filigranem Fachwerk,
Bauernhöfen und Reiterhöfen. Der Blick kann in die Ferne schweifen über
Getreidefelder hinweg, und hinter Mittelscheid geht es dann in Kurven ins
Siegtal hinunter. Auf der Landstraße L333 halte ich mich geradeaus in Richtung
Eitorf. Linkerhand liegt das Kloster Merten, das seit 1991 zu einem Altenheim
umfunktioniert worden ist, auf einem Hügel.
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Siegbogen bei Eitorf |
Kurz hinter dem
Ortseingang von Eitorf fahre ich direkt links über die Bahnlinie in Richtung
Ruppichteroth. Bald passiere ich über eine Brücke die Sieg, die Straße folgt
dem Flußverlauf und auf der anderen Seite der Sieg mogele ich mich über die
Orte Hombach und Halft an Eitorf vorbei. Ich verlasse Halft, indem ich nach
links in Richtung Ruppichteroth abbiege. In Wellen steigt die Straße an, ohne
allzu großes Niveau. Ein wenig habe ich den Eindruck, am Ende der Welt
angelangt zu sein. Höfe sind verlassen und stehen leer. Die überquellende Natur
erdrückt mich. Die Fahrbahnmarkierung endet im Nichts. Bauern suchen
händeringend nach Geschäftsideen, indem sie zum Beispiel frische Kuhmilch zum
Selberzapfen anbieten. Und nachdem ich in Niederottersbach auf der Abzweigung
nach rechts abgebogen bin, kommt sie dann doch, die befürchtete Steigung aus
dem Seitental der Sieg hinaus. Durch Wiesen und Weiden quäle ich mich hoch,
Kühe grasen gemächlich auf der Höhe, die holprige Straße verengt sich. Und ein
kleiner grauer Verteilkasten klärt mich auf, dass ich nicht am Ende der Welt
angekommen bin, sondern dass der technische Fortschritt allgegenwärtig ist.
„Hier drin steckt richtig Power“ signalisiert das Männchen mit Presslufthammer
auf dem Verteilkasten. „Mit dem Turbo für superschnelles Internet“ fügt es
hinzu. Aha. In der Welt der Zivilisation bin ich also wieder angekommen.
Zugegeben, die mit
Schlaglöchern zugeflickte Straße ist weiterhin katastrophal. Vielleicht sollten
die Städte Eitorf und Ruppichteroth darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll
wäre, einige Megabite superschnelles Internet abzuzapfen und diese in die
Instandhaltung von Landstraßen hinein zu stecken. Wie dem auch sei, auf meinem
Rennrad schlängele ich mich auf dem kurven-durchsetzten Hochplateau des
Nutscheid. Die Schönheit und die Unberührtheit der Natur sind genial. Da
erscheint es schon geradezu pervers, dass die exponierte Lage dieses
Höhenrückens für militärische Zwecke genutzt wurde. Das war so, als der Zusammenbruch
des Dritten Reiches absehbar war. Die Nationalsozialisten kämpften bis zur letzten
Patrone, und der Glaube an den Endsieg wurde durch neue Wunderwaffen aufrecht
erhalten. Zuerst wurden mit der V2-Rakete von Abschussrampen in der Eifel
London beschossen. Mit den Eroberungen der Alliierten zog sich die Wehrmacht
zurück.
Die V2-Rakten wurden von
den Abschussstellungen im Nutscheid auf Antwerpen abgefeuert, da London
außerhalb der Reichweite lag. Die Raketen wurden mit Alkohol und flüssigem
Sauerstoff betankt, befüllt wurde diese mit einem Gemisch aus Kaliumpermanganat
und Wasserstoffperoxid, welches dann beim Einschlag explodierte. Zwar
erreichten nur 30% der abgeschossenen Raketen Antwerpen, ihre Wirkung war aber
gleichwohl vernichtend. Zwischen Oktober 1944 und März 1945 schlugen ungefähr
im Wochentakt Raketen in Antwerpen ein, so dass der Wirkungsgrad der Zerstörungen
nicht viel anders war als beim Bombenkrieg mit Flugzeugen.
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Werbung auf Verteilkasten für superschnelles Internet |
Über den Ortsteil
Ennenbach geht es nun in Serpentinen abwärts nach Ruppichteroth. Die ersten
Zeichen, die ich in Ruppichteroth spüre, sind die Ausläufer des Siegerländer
Erzreviers, die sich über den Siegerländer-Wieder-Spateisensteinbezirk bis in
das Bröltal erstrecken. Neben Kupfer-, Blei- oder Zinkerzen prägen Eisenerze
das Gestein, das direkt am Ortseingang von Ruppichteroth an die Oberfläche
befördert worden ist. Loren, umgeben von Blumenrabatten, begegne ich in der
Mitte des Kreisverkehrs. Gleich dahinter konkretisieren sich die Bergwerke. Die
goldenen Jahre des Bergbaus dauerten in Ruppichteroth kurz, aber intensiv.
„Frühlingsgrube 1827-1860“ und „Zuckergrube 1827-1874“, mit diesen Jahreszahlen
deuten zwei weitere Loren auf ein zartes Loch im hohen Gebüsch, welches den
Grubeneingang zum früheren Juliusstollen markiert.
Zuerst waren es zwei
devonische Kalkriffe, dann waren es Eisenerze, die Schmelzöfen im Bröltal
befeuerten. Eine Kalkbrennerei ist erstmals in einem Mirakelbuch des 12.
Jahrhundert nachgewiesen, beim Erzbergbau ist es das Jahr 1531. In diesem Jahr erbten
Johann von Allner und Walfra Scheiffart von Merode „den Iserberch im Kirchspiel
Ropgeroidt“. 1612 berichtet eine Ortschronik darüber, dass eine Schmelzhütte
errichtet worden war. Diese Hüttenwerke finden sich noch heute in der
Straßenbezeichnung „Schmelzgraben“ wieder. Die Blütezeit des Erzbergbaus
dauerte kaum mehr als 30 Jahre. Das war im 19. Jahrhundert, als sich die
hiesigen Eisenerzvorkommen mit der Friedrich-Wilhelms-Hütte in Troisdorf verbanden.
Anfang des 19.
Jahrhunderts hatte der rheinische Unternehmer Johann Jakob Langen, dem bereits
Zuckerfabriken gehörten, einen Spürsinn dafür, dass sich neben dem Ruhrgebiet
auch in Kölner Raum eine Stahlindustrie aufbauen ließ. Langen investierte wie
wild, als er 1843 die Hüttenwerke in Troisdorf (damals waren es die Mannsteadt-Werke) kaufte und gleichzeitig die Erzgruben in
Ruppichteroth.
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Impressionen aus Ruppichteroth |
Um die Hüttenwerke in
Troisdorf mit den hochwertigen Eisenerzen aus dem Bröltal zu versorgen, ließ er
eigens die Bröltalbahn bauen. 1862 fertiggestellt, schoss die Erzförderung ungefähr
wie eine Fieberkurve nach oben, um anschließend wieder in den Keller abzusacken.
Langen hatte sich verkalkuliert, denn die benötigten Fördermengen waren riesig,
um zwei Hochöfen, eine Gießerei, zwei Walzwerke, Reckwerke, Puddel- und Schweißöfen
in Troisdorf betreiben zu können. So waren die Erzgruben bereits gegen Ende der
1860er Jahre erschöpft. Weitere Erzgruben am Nordrand von Ruppichteroth waren
entweder von Kalkflözen durchsetzt oder so hoch gelegen, dass sie nur mit
unverhältnismäßigem Aufwand erschlossen werden konnten.
Vom Bergbauort
Ruppichteroth bewege ich nun zum Fachwerkort Ruppichteroth. So richtig war ich
noch nie in Ruppichteroth, und ich muss mir eingestehen, dass ich mir einen
wirklich hübschen Flecken ausgesucht habe. Am Kreisverkehr halte ich mich
links, dann fahre nach rechts ziemlich steil die Mucher Straße hinauf, dann
stetig geradeaus. Alles Täuschung, denke ich mir am Burgplatz, wo von einer
Burg weit und breit nichts zu sehen ist. Anstatt dessen präsentiert sich dort
der kleine und feine und sorgfältig heraus geputzte Ortskern. Die Formen des
Fachwerks mit schwarzen Fachwerkbalken, weißen Gefachen und grünen
Holzschlagläden lassen sich dort studieren, ebenso Schrägstützen,
Querverstrebungen und schwere Holztüren. Sogar eine Katze hat es sich vor einem
weißgestrichenen Fensterrahmen gemütlich gemacht.
Nur ein gemütliche
Lokalität, wo ich nach all den abgestrampelten Kilometern etwas Flüssiges
trinken kann, finde ich nicht. Meine müden Beine müssen also noch durchhalten, vornüber
gebeugt hänge ich im Sattel, und am Wirtshaus St. Severin sind in der
Gartenwirtschaft die Klappstühle hochgeklappt. Ganz Ruppichteroth ruht
friedlich über dem Kopfsteinpflaster, in dessen Ritzen sich zaghaft Moos hinein
geschummelt hat.
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Burgruine Herrenbröl |
So wie zur Zeit der
Reformation, erlebe ich diese friedliche Koexistenz. Ausgewogen und wohl
proportioniert, füllt gediegenes Fachwerk die Räume aus zwischen der
katholischen Kirche St. Severin mit dem Turm aus der romanischen Epoche und der
evangelischen Kirche mit dem hohen Spitzturm. Die Wallungen der Reformation
dauerten kurz. Graf Heinrich IV. von Homburg war sauer. Seine Ehe war
zerrüttet, er wollte die Scheidung, doch die katholische Kirche lehnte ab. Es
war um 1600, als er den lutherischen Glauben in seinem Herrschaftsbereich anordnete,
der auch Ruppichteroth umfasste. Dies ordnete er an, ohne die Grafen von Berg
zu befragen, die wiederum den Ideen der Reformation offen gegenüber standen,
aber einen Konsens wünschten zwischen Katholiken und Protestanten. So tat sich
erst einmal nichts, denn der Graf von Homburg musste zudem einen Pfarrer in der
neuen Konfession finden. Dies geschah erst 1611, als ein Georg Drach, der
vorher lutherischer Pfarrer in Hamm an der Sieg war, „ohne Vorwissen einiger
obrigkeit durch Anreitzung Kirspels leuth in die Kirch von Ruppichteroth
gekommen“. Dieses Zwischenspiel reformatorischen Glaubens dauerte gerade vier
Jahre, als „gemelter Drach von Christian von Schlebusch, einem catholischen
Priester weggetrieben worden“. 1625 wurde St. Severin den Katholiken
zugesprochen, wobei die Grafen von Berg auf einen Ausgleich bedacht waren. Ab
1765 herrschte Religionsfrieden, nachdem für die Protestanten eine eigene
Kirche gebaut worden war.
Auf leisen Wegen
verlasse ich Ruppichteroth ins Tal hinab, bis mich direkt an der Bundesstraße
B478 weitere Relikte der Vergangenheit ereilen, nämlich Gleise und ein
Prellbock der Bröltalbahn. Immerhin: es geht bergab, und auf separatem Radweg
kann ich nun meine schlappen Beine baumeln lassen.
In Herrenbröl angekommen,
pflanzen sich alte Gemäuer einer Burgruine auf die Wiese. Die Überreste der
Burg Herrenbröl aus dem 13. Jahrhundert sind mickrig, zweifellos, und wie
anderenorts an Rhein, Sieg und Ahr haben französische Truppen wenig übrig
gelassen von der einst großen Anlage mit Zinnen, Türmen, Wirtschaftsgebäuden,
Hof, Scheune und so weiter. Das zumindest hat versucht, ein
Werkzeugmacher-Meister, der um die Ecke wohnt, in einem Modell aus Pappe nachzubauen.
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Imbiß "Futterkrippe" in Schönenberg |
Der Zeitstrahl passt
nicht richtig, aber nach einer Legende soll hier 1190 der Kreuzritter Dietrich
von Bröl aufgebrochen sein. Sieben Jahre lang wartete seine Geliebte auf ihn,
der irgendwo im Dunstkreis des Morgenlandes verschollen schien. Als die
Geliebte des Kreuzritters nach all den Jahren des Wartens verzweifelte, rang
sie in der Wortkunst seines doppeldeutigen Vornamens um Gewissheit:„Wenn jemand einen guten Dietrich, mit dem
er lange Jahre seinen Schrein geschlossen hat, verliert, sich einen neuen
machen läßt und, ehe er diesen noch gebraucht hat, den alten, lange gesuchten
und vermißten wiederfindet, - welcher von beiden Dietrichen wird ihm wohl
lieber sein, und welchen wird er fernerhin gebrauchen?“ Ihre eindeutige Antwort
„Das muß der alte Dietrich sein!“ rief sie in die umstehende Menschenmenge
hinein, und prompt rannte ihr aus der Menge nach siebenjähriger Abwesenheit ihr
Geliebter Kreuzritter Dietrich von Bröl entgegen. Zum Dank stiftete Dietrich
von Bröl im Nachbarort Schönenberg eine Kapelle.
In Schönenberg, das ich nach wenigen
Kilometern erreiche, finde ich endlich einen Rastplatz. Die Futterkrippe, ein
Imbiß, belagert von Motorradfahrern mit ihren schweren Maschinen und in ihrem
schwerem Lederoutfit, lädt mich für die dringend benötigte Pause ein. Das erste
Mal in meinem Leben sorge ich für Irritationen, weil ich Durst auf Bitburger
habe. Bitburger kenne sie nicht, meint die Servicekraft hinter der Theke. Dann
würde ich gerne ein anderes Pils trinken wie zum Beispiel Krombacher,
Warsteiner, Veltins oder was so verfügbar sei. Schließlich kramt sie aus der
letzten Ecke ihres Kühlschranks eine 0,33 Liter-Flasche Bitburger 0,0% heraus.
Egal. Die Flüssigkeit bewirkt Wunder und bringt meine Muskeln wieder auf Trab.
Zwanzig Minuten lang lümmele ich mich auf der Sitzbank herum, die in Baumstämme hinein gesägt ist.
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621 Meilen nach Longdendale |
Der Platz, auf dem die Futterkrippe steht,
ist ein Musterbeispiel dafür, wie wenig von der Bröltalbahn übrig geblieben
ist. Bahnhof, Güterbahnhof, Lagerräume sind längst abgerissen worden, so dass
reichlich Phantasie dazugehört, wie das einstige Bahngelände einmal ausgesehen
haben muss. Durch Ruppichteroth, durch Schönenberg, durch das Bröltal und durch
so manche andere Orte tuckerten ab 1862 Dampfloks mit Waggons auf dem Verlauf
der heutigen Bundesstraße B478, um Eisenerze nach Troisdorf zu befördern.
Nachdem der Erzabbau in Ruppichteroth erschöpft war, ersetzten
Personentransporte zunehmend die Gütertransporte im Bröltal. Dabei darf man die
Geschwindigkeit der Personenzüge nicht an heutige Maßstäbe messen. Mit rund 30
Stundenkilometer waren die Züge nicht viel schneller als ich mit meinem Rennrad
unterwegs. Das Schienennetz der Schmalspurbahn erschloss weite Gebiete, es
reichte bis nach Bonn und in den Westerwald, und sogar die eingangs genannte
Heisterbacher Talbahn im Siebengebirge war Teil dieses vielgliedrigen
Schienennetzes.
Dort, wo heute die Futterkrippe steht,
müssen die drei Gleise des Güterbahnhofs verlaufen sein, dahinter muss der
Güterschuppen gestanden haben, und wo der Radweg dieses Gelände verläßt, müssen
die Schienen auf die Straße abgebogen sein. Ich fahre weiter geradeaus und
verzichte dankend darauf, die Überbleibsel der Kapelle, die der Kreuzritter
Dietrich von Bröl gestiftet hat, im
Ortskern von Schönenberg zu betrachten. Dazu wälzt sich die nach rechts
abbiegende Straße zu steil den Berg hinauf.
Einhundert Meter weiter wiederholen sich
dann Legenden und Ereignisse. Nicht nur aus dem Bröltal schwärmten Kreuzritter
in das Heilige Land aus, sondern aus ganz Europa, so auch aus England. Ein
Kreuzritter von Mottram brach, bevor er zum Kreuzzug aufbrach, seinen Ehering
in zwei Hälften, um seiner Gemahlin treu zu bleiben. Der Kreuzritter wurde gefangen
genommen, und seine Gattin verzweifelte nach all den Jahren des Wartens. Als
dieser zurückkehrte und nicht wusste, ob seine Gemahlin ihm noch treu geblieben
war, legte er seine Hälfte des Eheringes in ein Glas Met und ließ es über einen
Diener seiner Ehefrau zukommen. Wie beim Kreuzritter Dietrich von Bröl, nahm
auch hier alles ein gutes Ende. Mottram ist ein Ortsteil von Longdendale, und
Ruppichteroth gründete 1974 eine Städtepartnerschaft mit Longdendale. Ist die
Duplizität der Legenden Zufall oder wurde die Städtepartnerschaft bewußt so
ausgewählt ? Niemand weiß es so richtig. Jedenfalls schaue ich neben dem
Rathaus in Schönenberg auf das etwas ungewöhnliche Hinweisschild, dass 621
englische Meilen weiter westwärts Longdendale liegt.
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Nadelwald so dicht wie im verbotenen Wald von Harry Potter |
Ich radele weiter. Kurven drehen den
Straßenverlauf schwindlig, von links nach rechts, von rechts nach links. In der
Enge des Tals schiebt sich undurchdringlicher Nadelwald bisweilen so dicht an
den Straßenrand, dass ich an den verbotenen Wald in Harry Potter denke, wo Zentauren,
Einhörner und selbst gezüchtete Drachen jeden Moment aus dem Dunklen hervor
eilen könnten. Kreuze am Straßenrand sind melancholische Zeugen dafür, dass die
Bundesstraße B478 eine der Unfallschwerpunkte im Rhein-Sieg-Kreis ist.
In Bröleck endet der Radweg. Am Brölbach
wühle ich mich in das Gemengelage des früheren Bahnhofs „Felderhoferbrücke“
hinein. Auch hier haben Abriss und Verfall gesiegt, nichts ist vom Bahnhof
übrig geblieben, mit Ausnahme einer Schnapsbrennerei, die mit ihren
viereckigen, aus Ziegelsteinen gemauerten Jugendstilornamenten wirklich hübsch
aussieht. Die Jahreszahl 1907 überblickt mit ihren geschwungenen Ziffern über
dem Eingang den weitläufigen Fabrikhof.
Nun spule ich den Rest der Bundesstraße
B478 herunter, die mit ihrem unmerklichen Gefälle ohne große Anstrengung zu
fahren ist. Der kurvenbetonte Charakter des Straßenverlaufs verändert sich
kaum, zwischendurch komme ich an Schloß Herrnstein vorbei, das ist eine
Wasserburg im Privatbesitz, die aber auch öffentlich besichtigt werden kann.
Ganz einfach geht es immer geradeaus, und ab der Ortschaft Bröl, die bereits zu
Hennef gehört, weitet sich das Tal. An der großen Kreuzung vor der Siegbrücke
biege ich nach rechts ab, dann direkt wieder schräg nach links auf den Radweg
durch die Siegaue. Ich folge dem Radweg bis nach Hennef, wo ich auf der
Hauptdurchgangsstraße, der Frankfurter Straße, lande. An der nächsten großen
Ampel biege ich dann nach links ab, vorbei an der Meys-Fabrik, am Kreisverkehr in
Geistingen rechts, an der Ampel vor der Mundorf-Tankstelle links, immer
geradeaus bis zum Ortsausgangsschild, vorbei an der Bauschuttdeponie in
Niederpleis. In Stoßdorf folge ich der Fahrradbeschilderung zurück an die Sieg,
in Friedrich-Wilhelms-Hütte wechsele ich über die Brücke auf die andere Seite
der Sieg, weiter die Sieg entlang bis zur Autobahnauffahrt Bonn-Beuel, nach
Schwarz-Rheindorf, wieder zurück zum Alten Zoll.
Strecke (93 Kilometer):
Höhenprofil: