Donnerstag, 16. Oktober 2014

mit dem Rennrad durch das Ahrtal nach Altenahr

Blick von der Fritzdorfer Windmühle aus
Der goldene Herbst startet durch. Sonne verwöhnt die Täler, die Wärme sammelt sich und läßt den Sommer gut gelaunt ausklingen. Wenn Wärme und Sonne dermaßen aushalten, freuen sich die Winzer. Nicht nur die Ausflugsscharen bevölkern das Ahrtal. Ebenso streckt jeder Sonnentag die Weinlese nach hinten, das Wachstum der üppigen Weinreben kann sich fortsetzen. Der Öchslegrad als Maß für Intensität und Geschmack des Weines kann noch zulegen. Solche sonnendurchfluteten Tage bedeuten, dass der Ahrwein mit anderen Weinanbauregionen locker mithalten kann, obschon es neben Unstrut und Saale das nördlichste Weinanbaugebiet Deutschlands ist. Wein ist Tradition. Wein ist Kultur. Im Gegensatz zum Bierkonsum, zergehen Geschmack und Aroma auf der Zunge. Es gilt als barbarisch, die Flüssigkeit in sich hinein zu schütten. Der Genuß des Weines lebt vom Augenblick und will den Augenblick festhalten.

Die Anfahrt ins Ahrtal ist einigermaßen lang, aber voller Abwechslung und nie langweilig, obschon ich die Strecke so ungefähr im Schlaf kennen müsste, was die Häufigkeit dieser zurückgelegten Strecke betrifft. Den Rhein entlang, durch die Rheinaue, Plittersdorf, Godesberg, plötzlich bin ich mitten in Wald und Feld. Vor Wachtberg-Pech rückt der Wald nahe bis an den Straßenrand, in Wachtberg-Pech stört dank der Umgehungsstraße kaum Autoverkehr die Nachmittagsruhe. Stramm aufwärts geht es danach, das erste Mal an Villip vorbei, dann ein kurzes Abwärtsstück zur Burg Gudenau, dann wieder stramm auf den Höhenzug hinauf, wo Waldstücke das Sonnenlicht bremsen.

Nie ist die Strecke gleich, die Eindrücke sind stets neu, sie stumpfen nie ab und erhalten mit den Jahreszeiten ihre Gestalt.  Zur Erntezeit haben sich Bauernhöfe gefüllt mit Pflaumen, Äpfel, Himbeeren, Birnen. Eier und Ziegenkäse dürfen auch nicht fehlen, so dass das Angebot eine echte ökologische Variante zum Supermarkt darstellt. Fritzdorf folgt Arzdorf, nach links geht es an all den Obstbäumen vorbei. Die Fritzdorfer Windmühle auf dem höchsten Punkt der Anhöhe präsentiert sich in hellem, überschäumendem Sonnenlicht.

Feld mit Tagetes
Ins Tal hinab, strebt der Wirtschaftsweg auf Ringen zu, vereinigt sich mit einer Landstraße, die wiederum auf die Bundesstraße B266 stößt. Ein letzter kurzer Anstieg, dann geht es zielsicher in Kurven und Schleifen auf das Ahrtal zu. Vor dem großen Kreisverkehr im Tal, umrauscht von Hektik und Verkehr des Autobahnzubringers der A573, beginnen die ersten Weinberge, die dem Ahrtal seine Wesensgestalt verleihen. Diese Weinberge bedecken den Stadtrand von Bad Neuenahr, im unteren Abschnitt des Ahrtals steigen diese sachte an, ruhig und unspektakulär. Böden aus Löss, die sonst als gute Ackerböden gelten, überwiegen, so dass in diesen Lagen eher untypische Rebsorten angebaut werden - vor allem Weißweine. Riesling, Müller-Thurgau oder Silvaner, Weißweine, die in Baden oder der Pfalz Massenmärkte bedienen, fristen an der Ahr mit einem Anteil von 15% eher ein Schattendasein.

An dem Kreisverkehr halte ich mich in Richtung Königsfeld, das ist die zweite Abfahrt. Dann geht es zwei Kilometer geradeaus durch ein Industriegebiet, wo sich die Stadtwerke, ein Netto-Discounter oder die Eifel-Fango-Werke ausgebreitet haben, an der nächsten großen Kreuzung mit der Ampel rechts.

Über die Hauptstraße fahre ich nun immer geradeaus bis Ahrweiler, wo ich mein Rennrad durch das Stadttor schiebe. Kurz verweile ich in der Kreisstadt, in der sich das Mittelalter regelrecht konserviert hat. Das Innehalten lohnt sich. Zu Fuß, genieße ich den kompakten und geschlossenen Eindruck der sorgfältig restaurierten Fachwerkhäuser. Der Anblick, den die Stadt heute bietet, unterscheidet sich kaum von den Eindrücken, die 1440 ein wallfahrender Ritter hatte, der aus Jerusalem zurückkehrte: Mauern und Türme erinnerten ihn an die Heilige Stadt Jerusalem, und beim Anblick der Festung stockte sein Schritt. 1259 wurde Ahrweiler erstmals in einer Befreiungsurkunde des Kölner Erzbischofs Konrad von Hochstaden erwähnt, zu derselben Zeit erschien in einer anderen Urkunde ein Ritter namens „Balduin von Arwilre“. „Wilre“ oder „Weiler“: das Gebiet von Ahrweiler setzte sich aus einem Dorfverband zusammen, das waren im 13. Jahrhundert die umliegenden Orte Walporzheim, Marienthal, Bachem, Giesenhoven und Gerhardshoven, davon haben sich die ersten drei bis heute erhalten, die übrigen sind im Schicksal der Jahrhunderte untergegangen.

Untergang und Wiedergeburt, so könnte man das Schicksal von Ahrweiler beschreiben. Mit seiner Festung hielten die Kölner Kurfürsten ihre Vormachtstellung im Ahrtal bis zum 30-jährigen Krieg. In diesem Krieg wurde Ahrweiler gleich dreimal belagert, erobert, geplündert und dazwischen wieder befreit. Ein übriges leisteten französische Truppen, als sie am 1. Mai 1689 die Stadt niederbrannten. Doch das alles überlebte Ahrweiler bemerkenswert schnell, denn schon ab 1694 wurde die Stadt wiederaufgebaut. Dass es danach so rasch wieder aufwärts ging, lag auch am Wein. Ahrweiler zählte zu den edelsten Weinbaulagen im Ahrtal, der Handel mit Wein florierte und spülte Geld in die Stadtkasse, reichlich. So geschlossen, wie sich die Innenstadt mit Mauern und Türme heutzutage darstellt, das findet man im Rheinland vielleicht noch in Bad Münstereifel oder in Linz, aber sonst nirgendwo.






Ahrweiler
Rathaus (oben), darunter Weinhaus Deutscher Hof, Niedertor,
Pfarrkirche St. Laurentius, Weißer Turm, Synagoge, Altstadtgasse
Ich spaziere mit meinem Rennrad über die Niederhutstraße, studiere Weisheiten auf Fachwerkbalken. „Aus der Traube in die Tonne, aus der Tonne in das Faß, aus dem Fasse voller Wonne in die Flasche und ins Glas … „ dazu passen Szenen aus dem Weinbau, die in die Quadrate von Fachwerkbalken gemalt sind. Weinstock setzen, Weinstock schneiden, Weinlese, Trauben pressen, Gärungsprozess im Fass, Wein trinken. Wein ist Kultur, Wein ist Tradition. Am Marktplatz, wo ich angekommen bin, liegt die Geschichte Ahrweilers dicht beisammen, so die gotische Pfarrkirche St. Laurentius aus dem Jahr 1289, der Weiße Turm aus dem 13. Jahrhundert, das Wolffsche Haus aus dem Jahr 1621, der Blankartshof aus dem Jahr 1680, das Rathaus aus dem Jahr 1778 oder die Synagoge aus dem Jahr 1894.

Zu Wein und Tourismus passen die Stimmen auf Niederländisch, die allgemein im Ahrtal unüberhörbar sind.. „Kijk dus, ontzettend mooi“ so oder so ähnlich höre ich die Begeisterung unseres westlichen Nachbarlandes heraus, das in ihrem eigenen Land nahezu keinen Weinbau kennt. Dabei klingt es trivial, dass unsere westlichen Landsleute Höhenmeter des Ahrgebirges vor ihren Augen haben, die in ihrem eigenen Land jenseits aller Vorstellungen liegen.

Weinbauterrassen bei Walporzheim
Ich verlasse Ahrweiler, und der Kreisverkehr hinter der Stadtmauer liefert einen eineindeutigen Beweis, dass die Römer im Ahrtal Fuß gefaßt hatten. Auf dem Hinweisschild zur Römervilla sind es nur wenige Meter, doch dieser eineindeutige Beweis fehlt, was den Weinbau betrifft. Die Römer haben das Ahrtal besiedelt, doch es findet sich keinerlei schriftliche Quelle, dass die Römer dem Ahrtal den Weinanbau beschert haben. Erstmals 770, während der Frankenzeit, wird der Weinbau an der Ahr („ad aram“) in einer Urkunde erwähnt.

Am Kreisverkehr biege ich nicht nach rechts zur Römervilla ab, sondern fahre geradeaus in Richtung Walporzheim. Das Tal verengt sich, Weinbau und Winzer rücken näher zusammen. Während vor dem Kreisverkehr ein größerer Hofparkplatz des Ahrweiler Winzer-Verein eG lockt, versuchen es ein Stück dahinter einzelne Weingüter auf eigene Faust, ihren Wein im Direktverkauf abzusetzen. Diese Verteilung ist durchaus repräsentativ. Winzer haben sich in Winzergenossenschaften zusammengetan, und der Verkauf des edlen Tropfens läuft zu 90% über Winzergesnossenschaften. 

Ab Walporzheim, nachdem ich links auf die B266 in Richtung Altenahr abgebogen bin, öffnet sich all die Herrlichkeit des Weinbaus. Die Sonne tunkt die Terrassen in helles Licht, Felsen wie der Kaiserstuhl stürzen senkrecht ins Tal. Solche Steillagen, deren Bewirtschaftung mir ein Rätsel ist, sind typisch für das Ahrtal und formen den charakteristischen Geschmack der Ahrweine. In der Tat, kann ich mir schlecht vorstellen, wie bei diesem Gefälle, dass zum Teil stärker ist wie ein 45-Grad-Winkel, das Arbeiten auf den Terrassen möglich ist. Diese Kultivierung in Terrassenform reicht weit ins Mittelalter zurück, denn 1127 wurde erstmals die Bewirtschaftungsform der Weinbergterrassen im Ahrtal genannt.

Felspartie
Den Höhepunkt all dieser Felsenformationen markiert ungefähr das Gasthaus „Bunte Kuh“, welches in einer Art von Nische zwischen senkrecht abfallenden Felsen liegt. Nun befinde ich mich mittendrin in dem spektakulärsten Abschnitt des Ahrtals, das ist das Stück von Walporzheim bis Altenahr. Diese zwölf Kilometer lange Strecke ist gleich mehrfach touristisch erschlossen. Die aus meinem Blickwinkel sicherlich langweiligste Fortbewegungsart – mit dem Auto – ist als Ahr-Rotweinstraße markiert. Viel interessanter ist die Erwanderung über den Rotwein-Wanderweg. Und die Tourismus-Verantwortlichen haben auch an die Gruppe der Radfahrer gedacht. Von der Quelle der Ahr in Blankenheim bis zur Mündung in den Rhein bei Remagen-Kripp begleitet ein Radweg den glucksenden Fluss. So wie ich den Radweg kennengelernt habe, muss man ihn allerdings differenziert betrachten – beziehungsweise abschnittsweise. Es fehlen diverse Teilstücke – wie zum Beispiel bei Mayschoß oder Altenahr – und auch in diesem Abschnitt von Walporzheim bis Dernau, hat mich der Radweg nicht wirklich überzeugt. Hier verläuft er genau neben der Bahnlinie, und zwar auf der zweiten Spur der Bahntrasse, die irgendwann demontiert worden ist. Mit Büschen, Sträuchern und Bäumen zugewachsen, sieht man dort nicht die wirkliche Schönheit des Ahrtals, die rassigen Felspartien, die elegant sich einfügenden Weinbergterrassen oder wie die Ahr sich zwischen all der Enge ihren Weg bahnt.

Ich folge lieber der Hauptstraße, erst Marienthal, wo sich die imposante Klosterruine ins Blickfeld schiebt, dann Dernau. Ringsum blicke ich in die Weite, wo die geraden Linien der Weinstöcke zu einem zartgrünen Streifenmuster verschwimmen. In Dernau wimmelt es längs der Hauptstraße vor Weinstuben, Gaststätten und Restaurants, während es in der Ortsmitte beschaulicher zugeht. Der Ortseingang und Ortsausgang setzen Zeichen, dass Wein ein Kulturgut ist, denn Dernau erhält den Status eines „Weinkulturdorfes“. Dass Wein ein Kulturgut ist, ist noch steigerungsfähig, denn, egal aus welcher Richtung der Besucher des Weinkulturdorfes Dernau kommt: er wird begrüßt von  zwei göttlichen Schönheiten, die ihre jugendliche Frische dem Genuss der Ahrweines widmen, ihr Lächeln strahlt die Besucher an, ihr Lebenselixier sind die Weinberge. Das sind die Deutschen Weinköniginnen Mandy Großgarten und Julia Bertram. Oder genauer: sie waren es von 2010/2011 und 2012/2013.

Weinkulturdorf Dernau
Da über Dernau eine der Standardrouten meiner Rennradtouren verläuft, habe ich die Plakate der beiden Schönheiten dermaßen oft gesehen, dass ich sie regelrecht verinnerlicht habe. Dabei ist mir klar geworden, dass es auch bei Weinköniginnen Rangordnungen gibt. Das ist nicht ganz vergleichbar mit dem Fußball, wo man von der Bundesliga bis zur Kreisliga kicken kann, aber es gibt Weinköniginnen auf unterschiedlichen Hierarchiestufen. Ortsweinköniginnen werden in Ahrweiler, Walporzheim, Rech, Mayschoß, Altenahr und Dernau gewählt. Diese Zeremonie geschieht im Kreis der ortsansässigen Vereine, und auf dem Maimarkt, der Mitte Mai in Ahrweiler stattfindet, wird aus dem Kreis der Ortsweinköniginnen eine Gebietsweinkönigin gewählt. Sie muss nicht nur hübsch aussehen, sondern vor einer Jury eine Prüfung durchlaufen, die aus Fragen zu Weinanbau und Geschichte rund um die Ahr besteht. Die Bundesliga der Weinköniginnen ist die Wahl zur Deutschen Weinkönigin, die alljährlich im August in Neustadt an der Weinstraße stattfindet. Insgesamt fünfmal haben es in der Nachkriegsgeschichte Weinköniginnen von der Ahr geschafft, Deutsche Weinkönigin zu werden, darunter Mandy Großgarten und Julia Bertram.

Der Abschnitt von Dernau nach Rech stellt eine Ausnahme dar, dass es stabil geradeaus geht. In Rech halte ich an und bestaune die Steingewölbebrücke über die Ahr, die ich mit ihrem Alter glatt in die Römerzeit eingeordnet hätte, doch mit ihrem Erbauungsdatum 1723 ist sie überraschend jung. "Vor böser Zunge und Wassergefahr / St. Nepomuk uns immer bewahr …“ mit diesen Worten, die in Stein gemeißelt sind, segnet mich der Brückenheilige. Seine Statue auf der Brückenmitte ist neueren Datums, nämlich aus den 1920er Jahren. Als Rheinland nach dem Ersten Weltkrieg von den Alliierten besetzt wurde, schien die amerikanischen Besatzungsmächte der Brückenheilige zu stören. Sie rissen sie ab und stießen sie in die Ahr. Dort zerstört, meißelte der hiesige Eifelverein eine neue Nepomukstatue. Der Ortskern von Rech ist jedenfalls nur über diese Brücke zu erreichen.

Ahrbrücke in Rech
Ich radele weiter, und die Sehenswürdigkeiten drängeln sich so dicht, so dass ich bereits zwei Kilometer weiter auf die Saffenburg schaue. Das Ahrtal brauchte ein Festungssystem von Burgen, logischerweise, um der hohen Zahl der Feinde zu trotzen. Wo ich heute nur noch zwei grobe Stümpfe aus Stein auf einem Berg bestaune, stand einst nicht nur die älteste, sondern auch die am schwierigsten zu erobernde Festung im Ahrtal. Bereits 1074 erscheint der Burggraf Adalbert de Saffenburg in den Annalen des Kloster Rolduc, das liegt bei Kerkrade in den Niederlanden. Er war mehrfacher Burgenbesitzer, nicht nur die Saffenburg, sondern auch die Wasserburg Nörvenich bei Düren gehörte ihm.

Um die Saffenburg herum dreht die Ahr eine Schleife, die dem griechischen Omega ähnelt. Da die Ahr geradeaus auf die Saffenburg zufließt und wieder wegfließt, lagen die heranrückenden Feinde – egal aus welcher Richtung - im vollen Blickfeld der Burg. Wie andere Burgen, wurde die Saffenburg im 30-jährigen Krieg gesprengt, wobei nur die noch heute sichtbaren Stümpfe aus Stein übrig blieben.

Die Partie des Ahrtals reißt mich mit, als ich den Bogen des Omegas mit meinem Rennrad durchfahre. Zunächst sind es die Felsenformationen. Felsen mit grauem Schiefer springen heraus, Felsblöcke fügen sich zu einer senkrechten Wand zusammen, verspielt laufen Reihen von Weinstöcken zu den Felsblöcken hoch.

Es ist genau dieses Zusammenspiel zwischen vulkanischem Schiefergestein, mineralischen Böden mit Anteilen von Lehm und Grauwacke sowie die Anbauform in Steillagen, die die Besonderheit der Ahrweine ausmachen. Der Löwenanteil der Ahrweine sind Rotweine, die 85% der Anbauflächen beanspruchen, davon wiederum Spätburgunder, dessen Gesamtanteil bei 56% liegt. Weinkenner schätzen den Spätburgunder für seinen leichten, rassigen und mineralischen Geschmack, dazu kommt eine fast mediterrane Wärme in dem verschnörkelten Flußtal. Die Ahrwinzer setzen auf Qualität, und das kommt bei den Weintrinkern an. Während die Weinerzeugung von 1995 bis heute leicht gesunken ist – von 7 Millionen auf 6 Millionen Liter – lassen sich für die äußerst mühselig zu bearbeitenden Steillagen bisweilen Spitzenpreise erzielen.

Somit ist der Spätburgunder so etwas wie die Essenz des Ahrtales. Um 1788 muss er im Ahrtal heimisch geworden sein, denn genau in diesem Jahr beklagt sich ein Kellermeister aus Altenahr gegenüber dem Kölner Erzbischof in einem Brief, dass das Ahrtal wegen der schlechten Weine in Verruf geraten sei. Die Qualität des Weines möchte er verbessern, indem er die „Rothe Burgunder Traube“, wie man sie aus Assmannshausen kenne, „auch in besagter Ecke“ einführen möchte.


Mayschoß: Weinkeller (oben links),
Felsen (oben rechts), Saffenburg (unten)
In Mayschoß knubbelt sich so manches im Ahrtal, was Weinfeste, Verkaufsstände und auch Bierzapfstände betrifft. Irgendwie schätze ich mich glücklich, unter der Woche unterwegs zu sein, denn am Wochenenden wird hier alles aus dem Ruder laufen. Nun ist es ruhig, der Weinpavillion in der Ortsmitte hat seine Rolläden herunter gelassen, der Autoverkehr schiebt sich gemächlich an der Ahr vorbei. Die Außengastronomie des Mayschosser Weinkellers füllt sich allmählich.

Dieser Mayschosser Weinkeller verkörpert eine Art Freiheitsgefühl der Ahrwinzer. Im 19. Jahrhundert war die Klimaerwärmung noch nicht im Ahrtal angekommen, im Gegenteil: Fröste zogen sich in den Juni hinein, die Sommer waren komplett verregnet, und im Oktober – heutzutage die bevorzugte Zeit der Weinlese – setzten schnell die ersten Fröste ein. Die Weinhändler drückten die Preise in den Keller, zudem waren mit dem Preußischen Zollverband die Ausfuhrgebiete begrenzt. So wurde 1868 unter dem Namen „Winzer Verein zu Mayschoß – Eingetragene Genossenschaft“ die erste Winzergenossenschaft in Mayschoß gegründet. Anfangs aus 18 Mitgliedern bestehend, wuchs die Zahl der Winzergenossenschaften rasch. 1892 gab es 17 Winzergenossenschaften, denen eintausend Mitglieder angehörten. Heute ist die Anzahl der Winzergenossenschaften stark geschrumpft, nämlich auf fünf, während die Mitgliederzahl mit 1.050 konstant geblieben ist. Hauptbestandteil des Mayschosser Weinkellers ist der Gewölbekeller zur Lagerung der Holzfässer, der zwischen 1888 und 1889 gebaut wurde.

Rotweintrauben
Kurz hinter dem Weinkeller, biege ich von der Hauptstraße nach links ab und wage mich wieder an die Ahr. Von der Ahrbrücke aus, verkörpert der Blick auf die Saffenburg eine unendliche Harmonie, wie Felsen die Terrassen der Weinberge gliedern und wie diese nahtlos in die Burgruine übergehen und Fahnen auf deren Spitze in den azurblauen Himmel hinein wehen.

Ab dem Bahnhof benutze ich den Radweg, der diesmal wirklich schön ist, da er mitten durch die Weinberge führt. Zum Greifen und zum Fühlen sind die Reben nah. Kaum vorstellbar, dass noch vor einhundert Jahren das Betreten der Weinberge während der Weinlese streng verboten war. Verbotsschilder warnten, und sogenannte „Traubenschützen“ sollten potenzielle Diebe abschrecken. Längst darf sich jedermann frei bewegen, und so prall, wie die roten Weintrauben von den Stöcken herunter hängen, verspricht die Weinlese einen wunderbaren Jahrgang. Der Radweg dreht mehrere Schleifen und Kurven, so dass ich die wohl proportionierten Reihen der Weinstöcke aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten kann.

Auf die Starrheit der Felsen stoßend, endet der Radweg in Laach. Weiter geht es über die Hauptstraße, die aber nicht weniger atemberaubend ist. In luftiger Höhe schwebt die Burgruine der Burg Are über dem Ahrtal, so tief hat sich das Tal in die Mittelgebirgslandschaft der Eifel eingegraben. Sicher folge ich dem schmalen Band der Straße mit der plätschernden Ahr, eingeklemmt zwischen steil herab stürzenden Felsen. Den Bogen, den die Straße in Altenahr zieht, ist fulminant. Die Straße dreht sich, steigt an, dann bäumt sich ein wuchtiges Paket von Felsen auf. Mich überrascht, wie der Fels ein Loch freiläßt, so dass ein Tunnel hineinstechen kann. Wie an anderen Stellen in der Eifel, wird vor der Tunneldurchfahrt eine magische Verbindung zu Bikern gesucht. Am Biker-Hotel am Tunnel können Motorradfahrer einkehren, übernachten und sich verwöhnen lassen. Und die Motorräder sind hier so allgegenwärtig, dass eines von ihnen auf einem Betonsockel in den Status eines Denkmal erhoben worden ist.

Tunnel Altenahr
In Altenahr mache ich Pause und trinke zwei 0,4 Liter Bitburger anstelle Rot- oder Weißwein. In der Nähe des Rauthauses, das mit seinen dreiteiligen weißen Fenstern, den dreiecksförmigen Stuckarbeiten darüber und den geschwungenen Formen der Giebelpartie an die Renaissance – oder auch die Neo-Renaissance – erinnert, geht es weiter in Richtung Bonn oder Autobahnkreuz Meckenheim.  Dieser Anstieg zehrt an meinen Kräften. Einen toten Punkt muss ich überwinden, weiterzutreten anstatt zu stoppen, dann geht es Meter für Meter aufwärts, wobei mein Körper Kalorien ohne Ende verbrennt. Dann, endlich, läuft der Anstieg in Schleifen zur Kalenborner Höhe aus, wo ich an dem Gasthaus nach links abbiege und die Ruhe der Landstraße mich geradewegs nach Kalenborn befördert. Die Höhenzüge der Eifel packen ein letztes Mal ihr anspruchsvolles Niveau zusammen, Waldstücke werfen längere Schatten auf das freie Feld. Hinter Kalenborn knickt die Straße zuerst nach unten, dann hebt sie sich nach oben. Ich arbeite mich nach Hilberath hoch, wo der Geruch nach frisch gemähtem Gras alles durchdringt.

Der Anstieg nach Todenfeld ist eine Art von Endpunkt. Zu Rheinbach gehörend, sind dort die gemessenen 402 Meter über dem Meeresspiegel der höchste Punkt in der Stadt. Das ist das letzte Aufbäumen bei dieser Rennradtour, denn ab hier geht es nur noch bergab. Über Zäune und freie Weideflächen gleitet mein Blick in die Ebene, der sich mit dem beginnenden Mischwald rasch verschließt. Bergab, nimmt meine Fahrt ein höllisches Tempo auf. Bisweilen bremse ich ab, wenn mir dieses Tempo allzu rasant vorkommt.

In Rheinbach tanke ich auf, nach dem strapazierenden Anstieg hinter Altenahr mache ich eine kreative Pause. Das Brauhaus Rheinbach lädt ein mit seiner hauseigenen Gebräu, das ist ein hefetrübes Bier, und ich kann sogar zwischen einer hellen und dunklen Variante wählen.


Brauhausbier Rheinbach
Das Brauhausbier weckt neue Lebensgeister, ich wische den Schaum des hellen Bieres von meinen Lippen – und den Rest der Tour spule ich herunter. Peppenhoven, Buschhoven, über die B56 nach Bonn zurück, Duisdorf, Endenich, durch die Stadtmitte, Alter Zoll.

Strecke (78 Kilometer):


Höhenprofil:



9 Kommentare:

  1. Lieber Dieter, wieder viel vertraute Ortsnamen hast du aufgeführt, die viele schöne Erinnerungen hervorrufen und mir deutlich machen, wie lange ich nicht mehr dort war ( selbst in Endenich nicht, wo ich meine Jugend verbracht habe )! Teilweise habe ich regelrecht den Straßenverlauf vor Augen gehabt...Danke fürs Mitnehmen!
    LG
    Astrid

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  2. Das muss auch wieder eine wunderschöne Tour gewesen sein. Schon alleine all diese Felder und Weinberge genießen zu können ist einfach nur klasse.

    Bei dem Foto von den Tagetes war ich erstaunt...so ein Feld habe ich noch nie gesehen-richtig prachtvoll^^

    Herzliche Grüsse

    N☼va

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  3. Lieber Dieter
    Das hört sich sehr spannend an. Danke für diesen tollen Post!
    Ich wünsche Dir einen guten Start in ein wunderschönes und sonniges Wochenende.
    Herzliche Grüsse
    Yvonne

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  4. Ahrweiler ist ein hübsches Städtchen, so herrlich malerisch.

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  5. Waaas? Du fährst durchs Ahrtal und trinkst dann Bier?!?! Es sei dir nach all der Anstrengung gegönnt!
    Das Ahrtal ist wirklich schön. Ich schrieb schon mal, dass ich es kenne. Herrliche Gegend und am Wochenende
    verwöhnt uns die Sonne wieder. Da können die Trauben noch ordentlich an Geschmack zulegen. Das wird
    dann wohl ein 'guter Jahrgang'. Danke für den hervorragenden Post! Martina

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  6. also irgendwann müssen wir mal ein paar Tage in deiner Gegend Urlaub machen ... liest sich alles richtig interessant :-)

    lieber Gruß von Heidi-Trollspecht

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  7. Ik heb genoten van je blog. Wat een prachtige foto's. Doe voorzichtig!

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  8. Hallo Dieter,
    eine sehr ansprechende und attraktive Tour. Irgendwie ist mir der Post durch die Lappen gegangen.
    Futsch bist du wieder mit dem Rädle unterwegs gewesen. Wenn ich das so lese, werde ich schon wehmütig.
    Wir können zur Zeit nicht radeln, weil mein Liebster keinen Sport machen kann aus Krankheitsgründen. Aber ich
    hoffe, dass wir gelegentlich eine große Abschlußradtour machen können. Alleine mag ich nicht so große Touren machen,
    weil ich da mit Sicherheit nicht mehr nach Hause finde :-))
    Mit lieben Grüßen Eva,
    ich kenne Ahrweiler aber nur vom Erzählen von meinem Ex-Mann der hat, als er noch beim Zivilschutz war, dort einige
    Lehrgänge absolviert.
    Mit lieben Grüßen eva

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  9. Mann, allerhand aber auch. Das war mal wieder eine schoene Strecke, die du da absolvierst hast. Du musst wirklich so fit wie .. ... ... ... tja, da weiss ich den Rest des Spruches nicht auf Deutsch. Englisch heisst es ‘fit as a flea’, so fit wie ein Floh.

    Wunderbar machst du diese posts. Ich kann dir auf der Landkarte folgen und lerne nebenbei noch schnell was ueber Geschichte und Weinkultur. Und Geografie und Geologie. usw.

    Deine Berichte sind fuer mich natuerlich doppelt interessant, weil ich diese Landschaften schon so viele Jahre nicht mehr selbst erleben konnte. Danke dir.

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