Es gibt Rennradtouren, die haben kein richtiges
Ziel. Ziel ist vielmehr die Landschaft. Nicht überall liegen historische Städte
mit schönen Marktplätzen, alten Fachwerkhäusern und beschaulichen Gassen. So
führt mich diese Rennradtour nach Overath. Overath ist nicht wirklich schön. Mit
seiner romanischen Kirche ist es zwar alt, hat aber keine richtige Struktur,
weil es sich als Verkehrsknotenpunkt auf Verkehrswegen entwickelt hat. Umgekehrt
halten sich die Stilelemente moderner Architektur zurück, es ist nicht chaotisch
zugebaut. Overath stößt mich nicht ab. Also „mainstream“, so würde man mit
diesem neumodischen Wort sagen. Der Weg
ist das Ziel. Und um die schönen Seiten des Bergischen Landes
kennen zu lernen, liegt Overath idealerweise auf der Wegstrecke. Rasch habe ich
festgestellt, dass das Bergische Land vielleicht nicht so spektakulär, aber
nicht weniger schön ist als die Eifel oder das Siebengebirge.
Über Beuel geht es an der Doppelkirche von
Schwarz-Rheindorf vorbei, an der großen Ampel, wo der Autoverkehr an der
Autobahnauffahrt Bonn-Beuel-Nord stets dicht ist, halte ich mich in Richtung
Niederkassel. An der Bushaltestelle biege ich nach rechts ab auf den Radweg
über den Siegdamm. Es geht immer die Sieg entlang, vorbei an Meindorf, an den
Mannstaedt-Werken in Troisdorf, bis nach Siegburg, unter die Unterführung des
Autobahnzubringers hindurch, wo ich mich nach links auf die Hauptstraße
einfädele.
Ich muss quer durch Siegburg, das ist unvermeidbar.
Über den Kreisverkehr, unter die Bahnunterführung (immerhin auf separatem
Fahrradweg), an der Ampel vor dem Kreishaus geradeaus, immer geradeaus über die
Mühlenstraße, bis ich in der Fußgängerzone lande. Ich kann nicht anders: absteigen,
zweihundert Meter durch die Holzgasse schieben.
Bahntrassenradweg Siegburg |
Am Ende der Fußgängerzone kann ich durchstarten,
denn linkerhand beginnt der Bahntrassenradweg, der Ende letzten Jahres
fertiggestellt wurde. Bis 1954 fuhr die Eisenbahn zwischen Siegburg und
Overath, das sogenannte „Luhmer Grietche“, bis 1988 verkehrten Güterzüge nach
Lohmar. Nun kann ich auf der alten Bahntrasse fleißig Fahrradfahren, wobei
anfangs, innerhalb des Stadtgebietes von Siegburg, all die Absperrungen nerven,
wenn Straßen die frühere Bahnstrecke kreuzen. Das ändert sich, als der Radweg
in den Wald eintaucht, und dort sind die alten Schienen übrig geblieben, denn
der Radweg verläuft unterhalb der mit Unkraut und lauter Gestrüpp zugewucherten
Bahnlinie. Die Strecke führt vorbei an Fischteichen, unterquert die B56 und
endet nach zwei Kilometer auf der Höhe der Autobahnauffahrt zur A3.
Entlang der B484 ist der Radweg etwas mühselig, denn er begleitet die linke Seite der Fahrbahn, nicht
abgetrennt durch einen Grünstreifen. Es geht vorbei an Werkstoren und
Fabrikhallen, in Lohmar halte ich mich links in Richtung Altenrath und
Troisdorf, vorbei an der steingrauen Kirche, die in ihrem Ursprung romanisch
aussieht, aber erst 1900 in neu-romanischem Stil ihr heutiges Aussehen erhielt.
Am Hotel „Zur Fähre“ überquere ich die Agger, die Straße steigt kräftig an und
flaut anschließend rasch wieder ab. Ich fahre geradeaus zum Kreisverkehr, dort
wieder geradeaus, während die Straße rechts nach Altenrath abbiegt.
Wahner Heide bei Altenrath |
In Altenrath, das zu Troisdorf gehört, bin ich
längst in der Wahner Heide angekommen. Diese war Truppenübungsgelände und wurde
zuletzt bis 2004 zuletzt von der belgischen Armee genutzt. Seit 1818 war die Wahner
Heide Truppenübungsplatz, als der preußische Staat einen Quadratkilometer Land gekauft
hatte. Bis zum Ersten Weltkrieg vergrößerte sich das Gelände auf 3.700 Hektar.
Auf dem Gelände wurden Kanonen gestestet, die immer weiter schießen konnten, um
den Krieg gegen den Erzfeind Frankreich zu gewinnen. Die Detonationen der
Kanonen gingen so weit, dass sich Risse in den Häusern bildeten. Da der Kaiser
und die militärische Führung an den Sieg glaubten, waren die Kanonen wichtiger
als das Wohl der Einwohner, so dass 1915 Altenrath zwangsgeräumt wurde. Nachdem
die Menschen 1918 in ihre Häuser zurückkehren konnten, wiederholte sich unter
den Nationalsozialisten dasselbe Schicksal. 1937/38 wurde der Truppenübungsplatz
erweitert, und die Bewohner von Altenrath mussten abermals ihre Häuser
verlassen. Aber es war nicht nur der Krieg, der den Einwohnern ihre Bleibe zu
verlieren drohte. 1968 plante der Flughafen Köln/Bonn eine dritte Start- und
Landebahn, die genau durch Altenrath verlaufen wäre. Doch diese Pläne wurden
aufgegeben, da bis heute die vorhandenen Start- und Landebahnen für den
Flugverkehr ausreichen.
Altenrath lasse ich rechts liegen und biege nach
einhundert Metern nach rechts auf die Hasbacher Straße ab. Hier muss ich
aufpassen, denn die Straße fristet ein Schattendasein im Niemandsland der
Wahner Heide. Nichts ist hier beschildert. Einmündungen mit Sackgassenschildern
muss ich beachten, denn irgendwann verläuft sich die Straße im Gestrüpp. Doch
die Straße ist ein Traum, so viel Ruhe ist unglaublich, wenn nicht ab und an
Flugzeuge in der Ferne wie Vögel in der Luft auffliegen würden. Gras und Gestrüpp,
verblühte Heide und Kiefern weisen mir den Weg nach Rösrath. Hinweisschilder
fehlen unentwegt, während ich rechterhand auf die ansteigenden Hügel des
Bergischen Landes schaue. Beharrlich muss ich der Hasbacher Straße folgen,
Sackgassen meiden und nach einer langen Linkskehre halte ich mich rechts. Ich
unterquere die Autobahn A3, fahre am nächsten Kreisverkehr links, und schon
befinde ich mich mitten in Rösrath.
Sülztalplatz in Rösrath |
Nachdem ich die Ampel überquert habe, fängt
eine alte Frau eine Diskussion an, als ich auf dem Sülztalplatz die moderne Skulptur
„Familie“ von Ingrid von Bickenbach fotografieren möchte. Der Sülztalplatz stößt mich mit seiner
bauklotzartigen und phantasielosen Gestaltung ab, die Skulptur reduziert sich
auf nackte und schemenhaften Formen, die menschlichen Körper einer Familie sind
wie amputiert. Damit könne sie nichts anfangen, giftet die alte Dame. Dass für
so etwas Geld ausgegeben würde, verstehe sie nicht. Die Verantwortlichen
sollten besser die losen und hochstehenden Gehwegplatten neben der Skulptur
wieder richtig verlegen, denn man drohe darüber zu stolpern. Insgeheim gebe ich
der alten Dame Recht.
Doch die Geschichte der Skulptur ist anders. Hierzulande
verbreiten sich Brunnen und Skulpturen rasend schnell, weil an öffentlichen
Plätzen und Gebäuden bestimmte Anteile von Kunst gleichzeitig mit finanziert
werden, wenn diese gebaut werden. Kunst am Bau nennt man so etwas. Wenn die
Kunst alt wird und Witterungseinflüssen ausgesetzt ist, gammelt sie vor sich
her. 1993 wurde die Skulptur von Ingrid von Bickenbach aufgestellt, wobei die
Kreissparkasse den größten Teil bezahlte. Mit der Zeit verfärbte sich die
Skulptur in einem schäbbigen Grauton, außerdem riss sie an einigen Stellen auf.
Die Stadt Rösrath hatte es stets abgelehnt, die Skulptur wieder sauber
herauszuputzen, da das Geld dazu fehlte. Zuletzt wurden die Finanzen der Stadt
sogar über einen Nothaushalt abgewickelt, so dass die Beamten der Stadt Rösrath sich jeden Bleistift
oder jeden Radiergummi vom Kölner Regierungspräsidenten genehmigen lassen
mussten. Da die Rösrather diesen armseligen Zustand nicht mehr ertragen
konnten, bildeten sie eine Bürgerinitiative. Daraus ging eine Bürgerstiftung
hervor, die die Sanierung finanzierte. Bezogen auf andere
Instandsetzungsmaßnahmen, war die Geldsumme von 5.000 € ein „Kleckerbetrag“. 4.000
€ spendierte schließlich die Bürgerstiftung, 1.000 € taten die Stadt und die
Stadtwerke dazu. Ich staune immer wieder, wie das Wirtschaftlichkeitsprinzip
bei öffentlichen Ausgaben auf den Kopf gestellt wird. Großprojekte, die
Unsummen von Geld verschlingen, werden auf den Weg gebracht, wobei die Kosten
ständig aus dem Ruder laufen. An Klein- und Kleinstmaßnahmen muss eisern
gespart werden, koste es , was es wolle. Die Gesellschaft schaut derweil desinteressiert
auf Kunst und Kultur, dessen Wesenskern entleert ist, weil sie nur noch auf
abstrakte Formen reduziert ist.
evangelische Kirche in Hoffnungsthal |
Ich folge der Hauptstraße, die hier in Rösrath auch
tatsächlich so heißt. Bald begleiten Bahnschienen die Hauptstraße, der Bahnhof
ist ein hohes, in graue Fassadenelemente eingepacktes Gebäude. In
Hoffnungsthal, dem nächsten Ort, befinde ich mich auf den Spuren der
Reformation im Rheinland. Während die Reformation im Erzbistum Köln sich nie
hat richtig ausbreiten können, war dies im Herzogtum Berg, zu dem Rösrath
gehörte, ein wenig anders. So förderte Herzog Wilhelm IV. von Berg, der 1592
starb, nicht direkt die Ausbreitung des Protestantismus, aber er duldete die
neue Glaubensrichtung und betrachtete diese als gleichrangig zur katholischen
Lehre.
So kam es, dass in Hoffnungsthal, das zu dieser Zeit
noch Volberg hieß, ab 1560 ein protestantischer Pfarrer die Messe las. Danach
blieb die Hoffnungsthaler Kirche bis heute evangelisch. Die Hoffnungsthaler
Katholiken besuchten indes die Gottesdienste in Rösrath. Der Wechsel auf die
andere Konfession geschah übrigens lautlos – ohne Bilderstürmer, Unruhen oder
Kämpfen zwischen den Glaubensgruppen. Hoffnungsthal war eine Insellösung, genauso
wie die Pfarreien in Wahlscheid, Honrath oder Seelscheid, wo einzelne Gemeinden
evangelisch waren, nicht unweit vom erz-katholischen Köln.
Wieso Volberg in Hoffnungsthal umbenannt wurde,
erfahre ich am Rande. Die Straße schwenkt nach rechts, dann nach links, dann
biege ich rechts nach Durbusch ab. Vor dem Bahnübergang biegt die Bleifelder
Straße nach links ab, ich folge aber geradeaus der Hofferhofer Straße. Wie die
Straßenbezeichnung „Bleifeld“ verrät, lagen in der Nähe einst Bergwerke, deren
Förderung von Erzen längst eingestellt wurde. 1773 wurde eine Fabrik gebaut,
die Schmiedeeisen und Bleche herstellte. Das war der sogenannte „Hoffnungsthaler
Hammer“, der der Ansiedlung seinen neuen Namen gab.
Kartoffeln auf dem Bauernhof zu kaufen |
Nun geht es mächtig bergauf, so dass ich zeitweise
in die kleinsten Gänge herunterschalten muss. Anfangs wirft der Wald Schatten.
Hinter einem Bauernhof, der sogar in einer Kornbrennerei Hochprozentigen
destilliert, öffnen sich Wiesen, an denen die Steigung nicht nachläßt. Bald
kann ich auf das wellenartige Gelände des bergischen Landes schauen, wie Täler
und Berge abwechseln. In die Ferne kann ich bis zum Siebengebirge schauen, im
Rücken bis nach Köln, wo sich der Dom in der morgendlichen Hitze nur in
Umrissen heraus schält. Ich folge dem Höhenzug, biege links ab nach
Heiligenhaus. Unstet, krümmt sich die Straße einige Mal rauf und runter.
Im nächsten Ort, Heiligenhaus, stoße ich auf die
Brüderstraße. Ein Kreisverkehr entzerrt die Kreuzung mit der vielbefahreren
B55. Die einstige Brüderstraße verläuft auf dem Abschnitt von Heiligenhaus nach
Overath. Wenn man in das Mittelalter zurückschaut, waren die Transportwege auf
dem Land denen auf dem Wasser weit unterlegen. Südlich von Köln wurden die
Waren auf dem Rhein entladen und ins Siegerland transportiert. Umgekehrt wurden
Metalle und Eisen von Siegen nach Köln transportiert, da dort Eisenerze
abgebaut wurden und in Hütten verarbeitet wurden. 1472 wird erstmals ein
„Bruder-Wege“ als Flurbezeichnung in einer Rechnung der Stadt Siegen erwähnt,
1575 ist auf einer Mercator-Karte eine „alde Broederstraiß“ eingezeichnet.
Wie die Ortsbezeichnung „Heiligenhaus“ entstand, ist ganz einfach. Da es in Köln die Gebeine der Heiligen Drei Könige und jede Masse
Reliquien zu bestaunen gab, pilgerten die Gläubigen in Scharen nach Köln und bauten auf der Wegstrecke ein Heiligenhäuschen. Das war die
Rochuskapelle, die dem Pest-Heiligen Rochus geweiht war.
Am Kreisverkehr biege ich nach rechts auf die B55
ab. Die 7% Gefälle, die mich als Radfahrer erfreuen, stellte die Fuhrleute in
vergangenen Jashrhunderten vor ungeahnte Herausforderungen. Das Gewicht der
Ladung drohte entweder den Berg hinunter zu rollen oder in umgekehrter Richtung
schafften die Pferde es erst gar nicht den Berg hinauf. Zwischen sogenannten Vorspannstationen wurden
weitere Pferde vor den Karren gespannt, bergauf und bergab pendelten sie hin
und her. Bis ins 18. Jahrhundert hinein wurde er größte Teil der Lasten nicht
einmal von Pferden oder Eseln gezogen, sondern von Menschenhand. Regelrechte
Pulks von zweirädrigen Karren müssen durch die Landschaft gezogen sein, um beispielsweise
die Hammerwerke und Hütten im Siegerland mit Kohlen zu versorgen. Der Zustand
der Wege muss katastrophal gewesen sein. In einigen Abschnitten führte die
Brüderstraße über Lehmböden, die von Ton durchsetzt waren, so dass Regenwasser
schlecht versickern konnte. Fuhrwerke drohten im Schlamm stecken zu bleiben,
obschon die Straße mit Schotter befestigt wurde und ein zulässiges
Höchstgewicht nicht überschritten werden durfte. Bereits 1554 merkte die
Jülich-Bergische Polizeiordnung an: … „ dass viele Wege zugemacht, ingezogen,
gequält, vertränckt und sonst bösverderblich geworden, dass in- und auswendigen
daher zu fahren, zu reiten oder zu wandeln hoch beschwerlich ist … „ Noch 1925
beklagte ein Reisender: „So schleppte sich der Landverkehr in den rohesten
Formen und unter den größten Hemmnissen ohne wesentliche Verbesserungen in die
Neuzeit hinein … „ Da verwundert es nicht, dass die Tagesleistung – selbst mit
Pferdefuhrwerken – kaum mehr als 25 Kilometer betragen hat.
Mit 7% Gefälle erreiche ich Overath. Der Autoverkehr
hat des öfteren ein Ziel: die Autobahnauffahrt A4 einige Kilometer hinter der
Stadtgrenze. 1830 ersetzte die Preußische Staatsstraße, die dem Aggertal folgte,
die Brüderstraße. Der Ortskern wuchs zunächst um die romanische Kirche St.
Walburga, dann entwickelte er sich entlang der Preußischen Staatsstraße, so
dass ein richtiger Ortskern nicht erkennbar ist.
Overath; oben links: 7% Gefälle oben rechts: Mobilfunk-Basisstation an der Kirche St. Walburga unten: Ortseingang Overath |
Somit führt der Weg in Overath ein Stück in die
Moderne hinein. Ungewöhnliche Wege, ungewöhnliche Ideen. 1064 schenkte der
Kölner Erzbischof die Kirche St. Walburga der Siegburger Abtei. 1275 umgebaut,
erhielt die romanische Kirche in großen Teilen ihr heutiges Aussehen. 1953 kam
der radikale Schnitt, als das nördliche Seitenschiff, da die Kirche zu klein, abgerissen
wurde und durch einen modernen Neubau ersetzt wurde. Der 1960er-Jahre Stil wirkt
wie ein Stilbruch, da er alte und neue Elemente zu sehr vermischt. Und radikal
gingen die Overather nochmals in den 1990er-Jahren mit ihrer Kirche um. Neben
Fabrikschornsteinen oder Bürotürmen suchten die Mobilfunknetzbetreiber
Standorte für ihre Antennen. In St. Walburga wurden sie fündig: sorgsam versteckten
die Ingenieure die Basisstation der Mobilfunktechnik in einer hölzernen Kiste,
den Mast wohlbehalten im Kirchturm. So sorgt die Kirche dafür, dass wir alle in
Overath mit unseren Handys nicht in einem Funkloch landen.
Ich biege ab zum Bahnhof, der auch mitverantwortlich
dafür war, dass die Bedeutung der Brüderstraße nachließ. 1884 wurde Overath an
das Eisenbahnnetz, die Aggertalbahn, angeschlossen. Die Eisenbahn war dem
Transport auf Wegen und Straßen weit überlegen.
Dahinter erscheint mir Overath als ein Konglomerat
von Brücken und Straßen. Zunächst bewege ich mich unter die Bahnlinie, dann
über die Agger. Als der Güterverkehr über die Brüderstraße noch pulsierte, war
die Problematik nicht anders als heute auf den Autobahnbrücken, was den
Schwerlastverkehr betrifft. Damals waren es die ganzen Pferdefuhrwerke und auch
Soldaten, deren Durchmärsche zu Kriegszeiten die Holzkonstruktion verschlissen.
So beschwerten sich die Bewohner 1707 beim Kurfürsten Jan Wellem, dass die
Brücke ruiniert sei und dringend instand gesetzt werden müsse. Daraufhin schloß
die Verwaltung des Kirchspiels Overath mit einem Zimmermann einen Vertrag, dass
er die Brücke neu bauen sollte. Der Neubau sollte durch einen Brückenzoll
finanziert werden. 1805 war schließlich der Brückenneubau fast fertiggestellt,
da schlug das Hochwasser auf der Agger zu, indem die Fluten die Brücke
regelrecht wegrissen. Danach hatten die Overather nur noch Pech mit ihren
Brücken. 1879/80 zerstörte Eisgang die Brücke, 1890 war es wieder Hochwasser.
Selbst eine Gewölbebrücke aus Grauwacke, die danach gebaut wurde, hielt nicht
stand. 1940 waren die Naturgewalten des Hochwassers so stark, dass sie die
Brückenpfeiler unterspülten. Die Overather waren sozusagen ständig mit dem
Zurechtflicken ihrer Brücke beschäftigt. Das änderte sich erst in der
Nachkriegszeit.
St. Cyriax |
Ich schaue das Tal der Agger hinab, die bei
frühsommerlich heißen Temperaturen friedlich dahin fließt. danach geht es in
einen Kreisverkehr, dem ein mächtiger Aufstieg folgt. Hangabwärts schaue ich
auf St. Cyriax, das ist ein Ortsteil von Overath. Wie die Ortsbezeichnung andeutet, ist Anwesen nach einem Heiligen benannt worden. 1256 erscheint
ein Hofgut in den Besitzverzeichnissen der Siegburger Abtei, die dieses als Tochterkloster gegründet hatten. Darin befand sich eine Kapelle, die dem
Heiligen Cyriakus geweiht war. Wie so viele andere Heilige, wurde er zur Blütezeit
des römischen Reiches als Christ verfolgt. Er musste Zwangsarbeit leisten,
wurde gefoltert, mit Pech übergossen und im Jahr 303 in Rom enthauptet. Sonderlich viel ist allerdings von der Klosteranlage nicht übrig geblieben. 1624 wurde es im Jülich-Klevischen Erbfolgekrieg
zerstört, danach wieder aufgebaut, doch unter der französischen Herrschaft
wurde es bis 1813 nicht mehr genutzt, danach verfiel es.
Gequält von der Geschichte des Heiligen, quäle ich
mich die Höhen des Bergischen Landes hinauf. Der Anstieg ist hartnäckig und
hört erst auf 240 Höhenmetern auf. Als ich auf die Querstraße nach rechts
einbiege, kann ich linkerhand auf der Höhe die Doppeltürme der Wallfahrtskirche
von Marialinden erkennen. Ich verzichte auf einen Abstecher, da die Doppeltürme
sich in Staubschutzwände einhüllen, so dass sie kein sonderliches Fotomotiv
abgeben. Genau dort, in Marialinden, verließ die Brüderstraße das Aggertal und setzte ihren Weg über Drabenderhöhe nach Siegen fort.
Ich halte mich in Richtung Lohmar, die Aussicht wechselt
ständig, das Gelände pendelt auf und ab, am Wegesrand glänzt so manch schöner Fachwerkbau.
Radfahrerseele, was willst du mehr ? Bei Kreuznaaf schlängelt sich die Straße
steil ins Tal der Agger hinab. Ich biege nach links, wo ein schöner und breiter
Radweg die B484 begleitet. Mit der B484 fahre ich immer geradeaus, ich passiere
Donrath. An der Kreuzung vor der Autobahnauffahrt muss ich mich schräg links
geradeaus halten, um nach Lohmar hinein zu gelangen.
Bahntrassenradweg Lohmar |
Müsste ich einen Preis für die unansehnlichste Stadt
an der Peripherie von Köln und Bonn vergeben, wäre Lohmar ein Top-Kandidat. Der
ursprüngliche Siedlungskern, die romanische Kirche und die Burg, liegt weitab
von der Durchgangsstraße. Dort gibt es folglich nichts, was eine ältere
Bausubstanz besitzt. So dominieren auf der Hauptstraße Geschäfte, vor denen
Autos parken, durchmischt mit Bausünden der 1960er-Jahre-Architektur. Das
Rathaus hat man in eine funktionierende Hülle aus Blech und Glas hinein
gesteckt, bei der Raiffeisenbank überwiegt der Beton. Und dann kann ich es kaum
begreifen: in einem Anflug von blindem Aktionismus hat man versucht, in dieser
Stadt ohne jegliche Substanz einen neuen Wesenskern zu verschaffen.
Einbahnstraßen fließen um diesen Wesenskern herum, ich muss nach rechts
abbiegen. Ein Stückchen Fußgängerzone ist dort entstanden,
Einzelhandelsgeschäfte, ein Drogeriemarkt, Außengastronomie, künstlich, neu,
platt, ideenlos, umgeben von Eigentumswohnungen in drei- bis viergeschossigen
Bauten, die wie eine Kopie aneinander geklatscht sind.
Den Fahrradsymbolen nach Siegburg folgend, biege ich
auf die B484 zurück. Dort bin ich auf der Strecke zurückgelangt, die ich
bereits auf dem Hinweg gefahren bin. Bald erreiche ich den Bahntrassenradweg von Lohmar nach Siegburg,
der mich in die Herrlichkeit ungestörten Fahrradfahrens zurück befördert.
Strecke (74 Kilometer):
Höhenprofil:
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Wow, viel geradelt und es gibt viel zu erzählen.
AntwortenLöschenViele Orte sind mir geläufig, habe mir aber nie Gedanken über die Herkunft
gemacht. Nun weiß ich wieder mehr.
Einen guten Start ins Wochenende wünscht
Irmi
Wieder ein sehr schöner Bericht deiner Tour bei der es in meinen Augen doch auch sehr viel zu sehen gab. So spontan und ohne vorheriges, wirkliches Ziel macht es unter Garantie auch sehr viel Spaß. Das kenne ich von mir, einfach drauf los und anhalten wo man möchte.
AntwortenLöschenDanke dir dass wir dich begleiten durften.
Wünsche dir noch einen schönen Abend und schönes Wochenende.
Herzliche Grüsse
N☼va
Dank je wel voor deze mooi, informatieve blog. Ik hou van geschiedenis. Ook van de oude geschiedenis van Duitsland. Dieter, hoe is het met spieren? Heb je nooit spierpijn na het fietsen. Chapeau voor jou!
AntwortenLöschenDu machst dir immer so viel Mühe - Danke dafür! Und die Steigungen, die du bezwungen hast - Respekt!
AntwortenLöschenIch wünsch dir ein schönes Wochenende und Zeit, um mit dem Rad zu fahren! LG Martina
Hallo Dieter,
AntwortenLöschennach langer Abwesenheit komme ich doch wieder, bin ziemlich schreibfaul in der letzten Zeit. Danke für diese schöne Tour! Bei der Skulptur musste ich schmunzeln, das geht mir auch manchmal so. Aber dass eine Kommune 5000 Euro für die "Renovierung" nicht aufbringen kann, ist schon ein wenig befremdlich. Naja, für andere Sachen wird Geld rausgeschmissen, in großen Mengen.
Bei Deinen Beschreibungen hat sogar eine eher trostlose Gegend einige Reize zu bieten.
Wünsche Dir ein schönes Wochenende!
Schöner und interessanter Bericht von deiner Tour.
AntwortenLöschenGruß
Noke
Hallo Dieter,
AntwortenLöschenwarum denn in die Ferne schweifen, ....genau. Und die Idee mit dem Rad ist BEI DIR prima (anders als bei Danny de Vito, der in aller Welt seine dicke Zehe ins Bild hält - und das wird dann natürlich in der Weltpresse amüsiert verbreitet; jeder Running Gag hat auch mal sein Ende). Dein Fleiß allein wäre schon bemerkenswert!
LG WW-Wolfgang
Lieber Dieter,
AntwortenLöschenklingt auf jeden Fall nach einer interessanten Tour, es MUSS und kann ja nicht immer durch Kleinod-Orte gehen. Ja, zu der Skulptur und generell zu öffentlichen Ausgaben kann man sich so seine Gedanken machen, auch hier in Ö. bei der Kunst-am-Bau-Sache frage ich mich häufig, wie das mit der Auftrags-Vergabe funktioniert und wessen Geschmack da eigentlich getroffen wird oder werden soll...
Liebe Grüße, Traude