Ich eilte über den Platz, um der Kälte zu entfliehen. Ich starrte auf einheitliche Häuserfronten, die zu einer Bank, einem chinesischen Imbiss, einem Computerladen und einem Kino gehörten. Die Umrisse waren blank, vereinzelt lockerten Vierecke von beleuchteten Fenstern die Eintönigkeit auf. Die Leuchtreklame schrie mit ihren Farben, so dass ich die Bank und das Kino nicht übersehen konnte.
„Vorsicht Straßenbahn“, bremste mich die weiße Aufschrift auf dem Gehsteig aus. Die Haltestelle der Straßenbahn zeigte dieselbe Anonymität und Geschäftigkeit des Platzes. Die Überdachung, die mathematisch exakt ausgerichtete Laternenreihe, die Positionierung der Werbeflächen, das kam mir schnörkellos und viel zu platt vor. Zu platt, denn dieser Platz hatte überhaupt keine Akzente, wenn man vielleicht von seiner Bedeutung als Verkehrsknotenpunkt absieht.
Die Ampel war rot. Ich fror und steckte meine behandschuhten Hände in die Jackentaschen. Es war merkwürdig, denn tatsächlich war keine Menschenseele um mich herum. Und ich wartete, dass die Ampel umsprang. Die übrigen Menschenströme hatten sich zur Straßenbahnhaltestelle verflüchtigt oder sie hatten noch die Grünphase der Ampel erwischt. Ein fernes Bimmeln kündigte die nächste Straßenbahn an.
Mittlerweile ist es meine morgendliche Routine-Übung, die Kaffeebud auf der anderen Straßenseite anzusteuern. Mir einen Kaffee genehmigen, bevor es ins Büro geht.
„Guten Morgen“,
begrüßt mich die Verkäuferin mit der weißen Schürze.
„Kleinen Kaffee zum Hiertrinken“,
man kennt mich mittlerweile und die Verkäuferinnen wissen genau, was ich haben will.
Jedesmal, wenn ich die Kaffeebud betrete, erinnere ich mich an das gleichnamige Lied der Bläck Fööss. Hier herrscht zu jeder Tageszeit viel Betrieb, Menschen aus allen Berufsgruppen und Nationalitäten treffen sich hier, bunt und lebhaft geht es zu, und das wichtigste ist: der Kaffee weckt meine Lebensgeister. „Jeder deut sich noch e brödche rin“ heißt es in dem Lied von den Bläck Fööss. Die Brötchen sind der Renner, mit Käse, Leberwurst, Salami, Fleischwurst, Blutwurst, alles, was das Herz begehrt. „Schreiner, puzzer, müürer un de büggel vun d’r poss“, singen die Bläck Fööss, kurzum, alle Berufsgruppen sind hier vertreten. Regelmäßig machen hier die Arbeiter von der Müllabfuhr Pause. Dabei setzen ihre orangefarbenen Overalls knallige Farbakzente, die durch den floureszierenden weißen Streifen noch verstärkt werden. „Jo su stonn se en d’r kaffebud un kloppen sich de kaffee in d’r kop“ wiederholt sich der Refrain. Aus hohen, randvoll gefüllten Tassen schütten die meisten den Kaffee in sich hinein. Ich bevorzuge die kleinen Tassen: die Menge passt genau, ich brauche diesen Moment des Aufwachens am frühen Morgen. Meinungsverschiedenheiten, Besserwisserei, Streit, dass Kaffee unter die Mütze geschüttet wird, so kontrovers wie bei den Bläck Fööss geht es hier nicht zu.
Heute fehlen die Müllmänner, anstatt dessen treiben spanische Wortungetüme die Diskussion vorwärts. Zwei ältere Damen, dessen Dunkelhäutigkeit und dessen zurückliegende Augen eine Herkunft aus Lateinamerika vermuten lassen, machen es sich am Ecktisch gemütlich. Den Ellbogen auf die Tischplatte gestützt, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, fällt die eine Frau unter ihrer kleinen Gestalt zusammen. In ihren Handballen hinein gepresst, kaut die andere Frau an ihrem Käsebrötchen herum. Ihre Diskussion reißt nicht ab und pustet sich zu einem lebhaften Sturm auf. Mit meinen rudimentären Spanisch-Kenntnissen kann ich wenige Wortfetzen heraushören: „loco … del dinero … la pena …“, irgendwo muss wohl jemand verrückt gewesen sein, dass er Geld verlangt hat und dafür hat er wohl eine Strafe erhalten. Oder so ähnlich.
Mit meinem Kaffee platziere ich mich auf dem Hocker vor den Stehtisch. Das ist eine Atmosphäre, in der ich überfliege, wie der Tag aussehen könnte. Was alles zu erledigen ist, was besonders wichtig ist, was in welcher Reihenfolge zu erledigen ist. An welchen Terminen, Besprechungen und Meetings ich teilnehmen muss. Was so am Rande – wie Bloggen – stattfinden kann. Meist schaffe ich es auch, die Klarheit meiner Gedanken und was ich wie abarbeiten will, ins Büro zu transportieren.
Durch die Glaswand, die sämtlichen Lärm schluckt, schaue ich auf den verkehrsumrauschten Platz. Alles, was motorisiert ist, brettert über diesen Platz. Still stehen nicht einmal die Fußgänger, die in Gruppen daher trotten und an einer roten Ampel einen ausdauernden Zug an ihren Zigarette nehmen. An der Haltestelle vor mir geht es wie in einem Taubenschlag zu, das ist ein ständiges Kommen und Gehen der Buslinien. Die Werbefläche auf der Haltestelle meint, dass Zero Zucker von Coca Cola einen solchen genialen Geschmack hat, dass man selbst für die Fussball-Bundesliga eine Zero-Winterpause einführen sollte.
Als ich die Kaffebud verlasse, hat sich eine zögernde Helligkeit in den Platz hinein gezaubert. In die Fußgängerzone gleitet ein erster Schwall von Menschen, dem ich mich anschließe. Hinter dem Marktplatz schlüpfe ich in die U-Bahn hinein. Bald werde ich im Büro sein.
Für die hoffentlich zahlreichen Leser zum Hineinhören:
„Kaffeebud“ von den Bläck Fööss (ich habe leider keine hochdeutsche Übersetzung parat)
Lieber Dieter!
AntwortenLöschenKomm ich hierher und denke, ich les grad den Anfang von einem Roman, hihi.
Gute Schreibe.
LG Berta
Das sind so die kleinen, wichtigen Rituale des Alltags ... -
AntwortenLöschenInteressant auch: "Das ist eine Atmosphäre, in der ich überfliege, wie der Tag aussehen könnte." Das habe ich schon lange nicht mehr gemacht: beim Cappuccino am Morgen den Tagesplan im Geiste durchgehen. Werde ich mir merken.
Schöne Grüße, mkh
Le matin tu t'arrêtes au café pour prendre un petit "jus noir" et tu observes...Et cette ambiance te donne l'énergie nécessaire pour entamer la journée de bureau...
AntwortenLöschenA bientôt