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Königsfeld |
Gegen die Männerwelt anzukommen, daran konnten sich Frauen im Mittelalter die Zähne ausbeißen. Grafen und Herrscher strotzten vor
Männlichkeit, die Schwerter von Rittern gehörten alleine Männern. So baute Graf
Otto von Neuenahr 1230 auf der 340 Meter hohen Basaltkuppe eine Burg. Das
Gebiet an der unteren Ahr, das er von seiner Burg aus beherrschte, hielt fünf
Generationen lang. Doch dann trat das ein, wovor sich jeder Graf, Fürst, König
oder Kaiser fürchtete: die Ehefrau von Graf Wilhelm von Neuenahr gebar nur
Töchter, aber keine Söhne. Sein Onkel, der das Erbe regelte, stöberte in verwandten
Seitenlinien nach einem männlichen Erbfolger herum. Die in Frage kommenden
Kandidaten passten nicht wirklich, und so bestimmte er für damalige Zeiten
höchst unkonventionell eine Erbin: Wilhelms Tochter Katharina wurde Gräfin von
Neuenahr.
Dagegen formierte sich Widerstand. Ihre
Verwandtschaft verscheuchte die Gräfin von ihrer Burg. Später heiratete sie den
Grafen Johann von Saffenburg, und sie versuchte, von seiner Burg aus das Gebiet
um Ahrweiler und Neuenahr zu kontrollieren. Währenddessen waren Vetter, Onkel,
Neffen und wer alles nach Macht und Herrschaft gierte, in sich zerstritten.
Zwanzig Jahre lang, von 1350 bis 1370, herrschte Krieg um die Burg Neuenahr, wobei
Johann von Rösberg-Neuenahr der größte Rabauke war. Indes hatte sich Katharina
längst in der Saffenburg verkrochen, sie pflegte ihren Titel als Gräfin und vor
allem die Sympathien bei den Ahrweilern und Neuenahrern. So kam es, dass so
mancher Bürger die Steuern, sprich den Zehnten, bei der Gräfin auf der
Saffenburg ablieferte. Das machte wiederum den Club der Rabauken aus der
Verwandtschaft wütend. Reihum warfen sie diejenigen Bürger, die ihren Zehnten
der Gräfin spendierten, ins Gefängnis der Burg. Als die Bevölkerung gegen
Johann von Rösberg-Neuenahr zu rebellieren begann, rief dies den Kölner
Erzbischof auf den Plan. Die Ahrweilerer und Neuenahrer vereinigten sich mit
seinen Truppen. Vier Monate lang belagerten sie die Burg, bis sich Johann von
Rösberg-Neuenahr ergeben musste. Die Truppen des Kölner Erzbischofs schleiften
die Burg, und Johann von Rösberg-Neuenahr musste einen Eid ablegen, die
Grafschaft Neuenahr nie mehr zu betreten. Dem Erdboden gleich gemacht,
verstecken sich seit 1372 die kargen Überreste der Burg im Wald. 1424
verschwanden die Grafen von Neuenahr endgültig von der Bildfläche, als erneut
eine Erbtocher Katharina zur Gräfin werden sollte. Diesmal heiratete sie in das
Grafengeschlecht der Virneburger ein und wurde zur Gräfin von Virneburg.
Wiederbelebt wurde der Geist der Grafen von Neuenahr, als die Stadt boomte und
zur Kurstadt wurde. Beul und Hemmessen, wo die heilenden Wunderquellen entdeckt
wurden, klangen wenig verheißungsvoll, um daraus eine Bäderstadt zu machen. Also
besann man sich 500 Jahre später auf die Grafen von Neuenahr. Bad Neuenahr
hörte sich schöner an, und mit dieser Namensgebung begann der steile Aufstieg
der Kurstadt.
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grasende Kühe hinter Königsfeld |
Über Bad Godesberg, Pech, Villip, Arzdorf,
Fritzdorf, der Fritzdorfer Windmühle, Beller, Lantershofen geht es hinunter ins
Ahrtal nach Bad Neuenahr. Ab dem großen Kreisverkehr halte ich mich in Richtung
Königsfeld, an der nächsten großen Ampel geht es weiter geradeaus. Rasch spüre
ich den Geist der Grafen von Neuenahr, denn das Netz von Wanderwegen schwärmt
genau in die Richtung der 340 Meter hohen Basaltkuppe aus. Bischofsweg,
Höperpfad, Burgweg und Neuenahrer Berg, die Wegweiser könnten mich genau zu der
Burgruine Neuenahr bringen, wenn ich mich denn nicht auf der Landstraße knapp
an den kargen Resten der Burgruine Neuenahr vorbei bewegen würde.
Die 340 Meter spüre ich rasch, denn der Anstieg will
einfach nicht nachlassen. Nachdem ich den Scheitelpunkt erreicht habe, rolle
ich mit viel Eleganz nach Königsfeld den Berg hinunter. Dahinter folge ich dem
Schild nach rechts nach Maria Laach, und sogleich zieht der Anstieg zwischen
Wiesen und grasenden Kühen erneut an. Auf der Höhe buckelt sich die ruhige
Nebenstraße auf und ab, und der Weitblick ist genial, über das Rheintal hinweg
bis in den Westerwald.
Hinter dem Ort Rodder wähne ich mich mitten in der
Vulkaneifel, als ich das Hinweisschild zum Rodder Maar sehe. Doch der Abstecher
nach rechts über den Wanderparkplatz lohnt nicht, denn dahinter bremst die
Rumpelpiste des Feldwegs meinen Tatendrang auf dem Fahrrad. So manche Naturschönheiten
sind daher nur dem Wanderer zugänglich.
Dabei täuscht der Eindruck, dass ich mich am Anfang
der Vulkaneifel befinde. Verglichen mit dem Laacher See oder den Eifelmaaren
rund um Daun, ist die Eigenschaft des Maares hier nicht so eindeutig, wie es
die Bezeichnung vermuten läßt. Geologen konnten einen vulkanischen Ursprung des
sechs Hektar großen Sees nicht beweisen, dagegen kursieren Theorien eines
Meteoriteneinschlages, die ebenso wenig bewiesen werden konnten. Die Burgherren
von Ölbrück hatten das Rodder Maar als Fischteich genutzt. Nichts ist
beständig, denn mehrfach wurde das Maar zur landwirtschaftlichen Nutzung
trocken gelegt, um sich danach wieder mit Regenwasser zu füllen. Seit 1999 hat
das Rodder Maar seinen Charakter als See wieder erhalten, nachdem das Land
Rheinland-Pfalz mit Ausgleichsmittel die Renaturierung finanziert hat.
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Sauerbrunnen in Niederzissen |
Nun geht es steil bergab nach Niederzissen, dem
Hauptort des sogenannten Zissener Ländchens, das die Burgherren von Olbrück
regierten. Einmal biege ich nach links ab auf die Bundesstraße B412, nach
fünfzig Metern geht es direkt wieder rechtsab in Richtung Maria Laach. Der
Ortskern von Niederzissen ist verwinkelt und überragt von der Pfarrkirche St.
Germanus aus dem 13. Jahrhundert. Eine Besonderheit ist die in einer
Rechtskurve liegende Synagoge, die sich mit der schneeweißen Gebäudefront, den
grauen Fensterrahmen und den weißen Kreuzfenstern fein herausputzt. 2011 wurde die Synagoge von Grund auf
saniert, wobei auf dem Dachboden, zerwühlt von einer Mäuseplage, Rollen von
Pergament gefunden wurden. Die Funde aus dem 18. Und 19. Jahrhundert umfassen
religiöse Handschriften und Gebetsrollen, aber auch Heiratsurkunden,
Viehhandelsverträge, Tierarztdokumente, Quittungen, Rechnungen, Mahnungen,
Warentransportscheine und vieles mehr. Dass Niederzissen ein Ort der kleinen
Sensationen ist, belegt außerdem der Sauerbrunnen kurz vor dem Ortsende.
Zedlers Universallexikon, das bekannteste
Nachschlagewerk des 18. Jahrhunderts, lobt den Niederzissener Sauerbrunnen in
höchsten Tönen, und das in Gedichtform:
Entspringen solche Quellen
Sehr häufig jederzeit für
Freund sowohl als Feind
So da vermögent seynd, die
Kranken herzustellen,
Wenn Leber, Nieren, Miltz nicht
recht beschaffen seynd.
Dies Wasser dienet auch
vortrefflich vor den Magen, wann ihn ein steter
Durst und
schärfte Säure plagt.
Den Jeder, der mich trinkt, muss
mir zum Ruhme sagen,
Dass er genesen sey, von dem
was er geklagt.
Entdeckt wurde die Heilquelle einiges früher als in
Bad Neuenahr, Bad Bodendorf oder Bad Breisig, welche die bekannteren Kurorte
sind, nämlich um 1700. Der Glaube an die heilende Wirkung liest sich wie ein
Rundumschlag gegen Krankheiten jedweder Art. Das Wasser des Sauerbrunnens
sollte helfen gegen Verstopfungen, Magenbeschwerden, Gelbsucht, Wassersucht, Hautausschlag,
Gicht, als Gegengift, gegen Schlaganfall und Lähmung. Frauen sollte das Wasser
während der Niederkunft helfen, ein gesundes Kind zu gebären. Dass das Wasser
auch heute tadellos ist, dafür sogar das Gesundheitsamt Ahrweiler. Das
dazugehörige Prüfprotokoll des öffentlichen Brunnens kann jeder im Rathaus
nachlesen.
Hinter dem Ortsende von Niederzissen geht es stetig
bergauf, mal vorsichtig, mal in Schüben. Getreidefelder biegen sich die Anhöhe
hinauf, der Straße verläuft wirr am Waldrand entlang, hinter dem Bachlauf
steigt dichter Laubwald rasant an. Eine kurze Steigung, und dann überrascht das
Landschaftsbild nach einer sachten Rechtskurve. Mit einem Mal herrscht eine
beharrliche Stille. Die Sonne zaubert glatte Farben über die Felder. Der Wind
streichelt das Getreide, Baumreihen ziehen einen Streifen in sattem Grün. Wenn
ich mir die umliegenden Berge wegdenke, glaube ich, im Flachland angekommen zu
sein. Die Eifel legt mit ihren Höhen und Steigungen eine Pause ein,
vorübergehend. Genau auf dieser Hochfläche hatte sich vor 280.000 Jahren ein
Inferno ereignet. Einer der größten Vulkane der Eifel
spuckte Lava, Magma und einen Ascheregen, der sich im Laufe der Zeit in
fruchtbaren Boden verwandelte. Deshalb ist der Talkessel bereits in der
Steinzeit besiedelt worden. Dann kamen Kelten, Römer und schließlich die
Franken, die ein befestigtes Hofgut gründeten.
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Impressionen aus Wehr |
Der Vulkanismus hat den Wehrer Kessel nachhaltig
geprägt. So fahre ich zunächst am Fabriktor der CARBO Kohlensäurewerke
GmbH & Co. KG vorbei. Die zurechtgestutzten
garagengroßen Gebäude lassen hinter dem schmalen Werkstor keinerlei Superlative
erahnen. Und doch: im Erdboden lagern die größten Kohlesäurevorkommen Europas, in
unterirdischen Behältern werden sie gesammelt, über eine Pipeline zur
Sammelstation gepumpt und schließlich als Industriegase in alle Winkel Europas
verteilt. Dass Gase das Erdreich durchdrungen haben, davor müssen die Hausbesitzer
in Wehr aufpassen. Es wird empfohlen, beim Betreten der Keller eine Kerze
mitzunehmen. Wenn diese erlischt, wird es richtig gefährlich, denn dann ist die
Konzentration an Kohlesäure zu hoch. Welchen Druck die Gase im Kessel erzeugen
können, das kann man seit drei Jahren in Form eines Geysirs bestaunen. Zweimal
täglich schießt am Rande des Vulkankraters eine vierzig Meter hohe
Wasserfontäne in die Luft.
Ich fahre weiter in den Ortskern von Wehr hinein. Der
Ortskern ist klein, düster graue Gebäudefronten sammeln sich um einen
quadratischen Platz, wo sich der azurblaue Himmel von den verschieferten
Dächern abhebt, hart und derb. Stromleitungen haken sich auf den Dächern fest, mehrere
Linden werfen üppige Schatten auf den grau geschotterten Platz. Der Ortskern
hat Übersicht und Struktur: die Stille befreit, und ich tappse mit meinem
Rennrad leise vorbei an dem Baugerüst, das die glatte Fassade der Abtei
einhüllt, wo das schwere Grau in den Steinquadern reihenweise mit einem
lockeren, hellen Grau abwechselt. Fast siebenhundert Jahre, nämlich von 1126
bis 1802, beherbergte die Abtei den Klosterorden der Prämonstratenser, der sich
von Prémontré in Nordfrankreich bis in
die Eifel, zuerst in Steinfeld, dann in Wehr, niedergelassen hatte. Die Wege
sind kurz, als ich die steinerne Treppe betrete, indem ich mein Rennrad
schultere. Während der romanische Kirchturm der Pfarrkirche St. Potentius aus
dem Erbauungsjahr 1230 von oben herab schaut, erreiche ich den Klostergarten. Mit
all den Blumenrabatten, dem Farbenspiel von gelb bis bordeauxrot, den
Mauernischen für Bienenstöcke, eingerahmt in eine viereckige, geometrisch
exakten Wegeführung, kommen romantische Gefühle auf. Sogar das satte Grün des
Rasens hat die vergangene Hitzewelle schadlos überstanden. Der Pfarrgarten
stammt aus der Barockzeit, sein heutiges Aussehen hat er aber rüstigen Rentnern
zu verdanken, die sich Ü60-Arbeitsbrigade nennen und den Garten vor einigen Jahren
auf Vordermann gebracht haben. Im Pfarrgarten wächst und gedeiht zudem eine
Kuriosität in der Eifel: aus Reben in den Weinstöcken wird ein Eifel-Wein
gekeltert, im letzten Jahr waren es immerhin 300 Flaschen Wehrer
Pfarrgartenwein.
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11.000 Jahre alte Basaltbombe in Maria Laach |
Hinter dem eisernen Pfarrgartentor, in dessen Gitterstäbe
sich das Wappen von Wehr einhakt, das sind zwei Lilien, ein Stern, ein
Abtsstab, ein Schwert und zwei schräggekreuzte rote Pfeile, mogele ich mich
über den Ortsrand von Wehr zur Hauptstraße zurück. Ich folge der Landstraße
L114 ein Stück in Richtung Glees, genau bis zur Autobahnunterführung der A61,
wo ich vorher auf den Autobahnzubringer nach rechts abbiege. Auf dem
großzügigen Seitenstreifen geht es stur bergauf, und nach all den Kilometern,
die in meinen Beinen stecken, muss ich mächtig treten. Irgendwo muss ja ein Weg
aus dem Vulkankrater des Wehrer Kessels hinaus führen. Der Anstieg parallel zur
Autobahn A61 zieht sich, bis ich auf 500 Metern den höchsten Punkt dieser
Radtour erreiche. Außer jede Menge frische Luft und Naturerlebnis genieße ich
gegenüber den Autofahrern auf der A61 einen weiteren Vorteil. Ich möchte nicht
tauschen. Auf der A61 wird gebaut, und die Autofahrer stecken solidarisch im
Stau. Geradezu pfeilschnell komme ich gegenüber ihrem Schneckentempo vorwärts.
Dass ich mittendrin eingetaucht bin in diese
geologische Vulkanlandschaft, das erfahre ich – fast beiläufig – am
Straßenrand. Steinbrüche haben sich in die Landschaft hinein gefressen, ganze
Berge scheinen abgetragen zu werden. Bimsstein, Tuff, Basalt, alles, was so für
den Hausbau benötigt wird, karren hier LKWs durch die Gegend. Dabei sehe ich in
der Ferne bereits mein vorläufiges Ziel. Die bewaldete Kuppe des Vulkankraters
von Maria Laach strebt in die Höhe, während das Gelände dahinter in die Senke
der Koblenzer Bucht hinunter fällt. Nun kann ich gemütlich bergab rollen. Vor
der Ortschaft Bell biege ich nach links ab, und Maria Laach liegt bereits in
Reichweite.
Ohne dass mir der See einen Blick gönnt, erreiche ich
das Klosteranwesen, das mir auf sorgfältig sortierten Hinweispfeilen zeigt, wie
verflochten und wie durchorganisiert das Kloster ist. Am See betreibt das
Kloster einen Campingplatz, einen Bootsverleih und Fischfang, innerhalb der
Mauern des Klostergutes ein verpachtetes landwirtschaftliches Anwesen, darunter
ein Biobauernhof mit angeschlossenem Bioladen, eine Gärtnerei und ein
Obstgarten. Um das Bauwerk des Klosters unterhalten zu können, braucht das
Kloster Handwerker. Mittelalterliche Traditionen leben in der
Bildhauerwerkstatt, der Glockengießerei, der Kunstschmiede und der Schreinerei
weiter, dazu kommt ein Verlag von Kunstbüchern und eine eigene Buchhandlung. Dem
Trend unserer Zeit entgegenlaufend, bietet sich das Kloster als Ort der
Entschleunigung und Zurückgezogenheit an. Das Kloster nimmt gerne Gäste auf,
die am Klosterleben teilnehmen wollen. In Exerzitienkursen oder
Besinnungswochenenden greifen die Benediktinermönche tatkräftig unter die Arme,
dass wir als Menschen wieder zu uns selbst finden können.
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Abteikirche Maria Laach |
Dabei war der Bau von Maria Laach ein Akt
politischer Machtdemonstration. Könige und Fürsten stritten sich mit der
Kirche, wer zu sagen hatte. Während der Klosterorden der Cluniazenser in
Frankreich eine nahezu asketische Kirchenarchitektur – wie etwa in Hirsau oder
Reichenau – forderte, bauten die deutschen Könige große Dome in üppigem Stil. Das
Westwerk erklamm immer größere Höhen, die Türme wurden so gestaltet wie bei
einer Festung. Maria Laach trägt die Handschrift der Bauherren des Speyerer Doms,
also allen voran der salische Kaiser Heinrich IV. 1082 wurde der Speyerer Dom
fertiggestellt, 1177 war es Maria Laach. Fernab in der Einsamkeit der Eifel
gelegen, unbeeindruckt von Kriegen und Zerstörungen, ist das Kloster bis heute
ein wahres romanische Kleinod, wenn man von kleineren gotischen und barocken
Umbauten absieht.
Im Biergarten von Maria Laach ist es endlich Zeit
für eine Pause, nachdem an die sechzig Kilometer lebhafte Auf- und Abfahrten in
den Beinen stecken. An der Zufahrt zum Biergarten begegne ich nicht nur der
Klosterorganisation mit seinem wohl durchdachten Schilderwald, sondern auch dem
Vulkanismus, der neben Meditation und Gebet die Umgebung antreibt. So wachsen bei
der Basaltbombe gegenüber dem Seehotel die Zahlenangaben in fünfstellige
Dimensionen: Alter 11.000 Jahre, Gewicht 12.000 Kilogramm, Fundort in zwei
Kilometern Entfernung am Seeufer. Dass diese 11.000 Jahre fast zum erdgeologischen
Tagesprogramm gehören, wenn man zum Beispiel mit dem Wehrer Kessel von 280.000
Jahren vergleicht, hat zu wüsten Theorien geführt, dass ein Vulkanausbruch von
Maria Laach bevorstehen könnte. Die Geologen rechnen in
10.000-Jahres-Schritten. Die Maare in der Eifel, in der Dauner Gegend vom Meerfelder
Maar über das Schalkenmehrener Maar bis zum Immerather Maar, spuckten Lava vor
rund 30.000 bis 60.000 Jahren. Wie aktiv der Vulkan noch ist, das belegen Gasbildungen
am Seeufer, was die Geologen nervös werden läßt: Kohlensäuregas entweicht aus
grobporigem Vulkangestein, unter dem Wasserspiegel dringen Blasen nach oben,
die dann, so groß wie Seifenblasen, an der Seeoberfläche zerplatzen. Dass die
Magmaschmelze unter dem Vulkankrater noch nicht vollständig erkaltet ist, das
belegen Temperaturmessungen im Erdinneren, die deutlich höher sind als im Rest
von Deutschland. Da Geologen in 10.000 Jahres-Schritten denken, läßt sich die
Theorie nicht wiederlegen, dass ein Vulkanausbruch hier an dieser Stelle bevor
stehen könnte. RTL hat das sogar veranlaßt, 2009 den Katastrophenfilm „Vulkan“ über
einen realen Vulkanausbruch in der Eifel zu drehen, in dem namhafte Schauspieler wie Yvonne
Catterfield, Katja Riemann oder Heiner Lauterbach mitspielten. Die Handlung
klingt unglaublich wie in einem Scicence-Fiction-Roman, wie im
Kopfsteinpflaster des fiktiven Ortes Lorchheim eine riesige Spalte klafft, wie
dann in einem Erdbeben Häuser in sich zusammenstürzen, wie eine tödlich heiße
Wasserdampfwolke sich aus dem Krater des Lorchheimer Sees erhebt, womit nur der
Laacher See gemeint sein kann. Wie in Pompeji, begrub schließlich ein Ascheregen
alles Leben unter sich.
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ein Stück vom Laacher See |
Um solche Katastrophenszenarien auszumalen, sind den
Geologen die Indizien zu unspezifisch. Dabei verwischt die Denkweise der
Geologen in 10.000-Jahres-Schritten so manches. Ein erneuter Vulkanausbruch ist
nicht zu widerlegen. Aber in 1.000 Jahren ? In 500 Jahren ? In 200 Jahren ? In
100 Jahren ? In solchen Zeithorizonten endet das menschliche
Vorstellungsvermögen, und sogleich wische ich solche Horrorszenarien beiseite.
Vorbei am Klosterrestaurant, rolle ich, ermattet und
mit mir selbst zufrieden, in den Biergarten hinein und plaziere mich an einer
der langen Biertischgarnituren. Ich lausche, wie Gäste am Nachbartisch das
Speiseangebot an der Selbstbedienung bejammern.
„Zu viel Fett, Bluthochdruck und Herzinfarktrisiko.
Mein Arzt hat mir geraten, vegetarisch zu leben.
Und hier ? Nur Bockwurst, Frikadelle, Schnitzel. Nichts vernünftiges.“
Mein Arzt hat mir geraten, vegetarisch zu leben.
Und hier ? Nur Bockwurst, Frikadelle, Schnitzel. Nichts vernünftiges.“
„Auch kein Salat ?“
„Nur Kartoffelsalat, der meinen Blutdruck genauso in
die Höhe schießt.“
„Sei froh, dass Du kein Veganer bist. Das sind die Schlimmsten.
Wir hatten mal welche zu Besuch. Da weißt Du nicht mehr, was Du kochen sollst.“
Ich lümmele mich indes herum und wundere mich, dass
es bei so viel eigenen Klosterbetrieben noch keine Klosterbrauerei gibt. Das
Vulkan-Bier aus der Brauerei im nahen Mendig ist von der Getränkekarte
gestrichen worden, und so stille ich meinen Durst mit zwei Weizenbier aus der
Klosterbrauerei von Ettal im tiefsten Bayern.
Alsbald radele ich zurück auf die Landstraße, die
sich zu den Ufern des Laacher Sees bewegt. Baumreihen versperren die Sicht, um
den See in all seiner Intensität wahrzunehmen, so dass auch hier das höhere
Naturerlebnis dem Wandererherz vorbehalten ist. Dennoch: die wenigen Blicke auf
die aalglatte Seeoberfläche, zwischen Spalieren von Laubbäumen hindurch,
lohnen. Die Ruhe lullt mich ein, und ich kann all die Zeilen nachvollziehen,
die Dorothea Schlegel 1808 während der Zeit der Rheinromantik an ihren dichtenden Gemahl geschrieben hat: „… die waldbewachsenen Felsen um den anderthalb Stunden langen
und dreiviertel Stunden breiten Wundersee, die ganz deutlich noch die Spuren
von vulkanischen Ausbrüchen zeigen, und der dichte Wald, die uralten Stämme, so
dass alle Vergangenheit, die mir bekannt wird, und die ich mir denken kann, mir
wie heute und gestern dagegen vorkamen. Denn mitten auf dem See die Tiefe, die
den Augen ganz entschwindet, und die Sage, die einen ganz unergründlichen
Abgrund angibt, der nie wieder eine Beute an das Licht des Tages sendet, und wo
immer ein starker Wind geht, der die Wogen ziemlich hoch heran treibt. Dann die
Abtei am Ufer mit der alten Kirche, die Menschenspur und die Kunst, die uns
wieder Beruhigung gibt und Staunen und Schrecken von der Seele löst. All das
musst Du selber sehen. Ich habe den besten Willen, es Dir zu beschreiben, aber es
geht nicht … „
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Haltepunkt des Vulkanexpresses in Tönisstein |
Der Laacher See verabschiedet sich mit seiner
romantischen Seite, indem er zwischen den Spitzen von mächtigen Tannen
versinkt. Den Krater des Sees zu verlassen, fordert all meine Muskelkraft
heraus, doch der Anstieg ist kurz. Am Scheitelpunkt weist eine Stele aus Basalt,
in den eine Gruppe von Wanderern hinein gemeißelt ist, den Weg zum Lydia-Turm,
von wo aus es einen einzigartigen Blick geben muss über den Laacher See, das
Rheintal, die Eifel und den Westerwald.
Dies ist erneut nur den Wanderern vorbehalten. Auf
meinem Rennrad freue ich mich aber, dass es ab dieser Stele nur noch bergab geht.
Über die Umgehungsstraße fahre ich an Wassenach mit seinem grau-gesprenkelten
Kirchturm vorbei, danach wird es eng. Ich durchfahre eine regelrechte Schlucht,
denn steil und himmelwärts ragen in dem folgenden Waldgebiet Felsen empor. Nach
einigen hundert Metern erreiche ich die Bundesstraße B413, die eine Art von
Verkehrsknotenpunkt darstellt.
Ein Gasthaus, hinter den Bögen einer Steinbrücke befindet
sich ein Haltepunkt des Vulkan-Expresses. An dieser markanten Stelle hatten bereits
die Römer gesiedelt, die Natron-Lithium-haltige Quellen entdeckten. Nachdem die
Römer verschwunden waren und sich das Christentum etablieren konnte, fand 1388
ein Hirte genau hier ein Gnadenbild mit dem Heiligen Antonius in einem
brennenden Dornbusch. Daraufhin wurde eine Kapelle gebaut. Wallfahrten setzten
ein, ab 1465 erweiterte sich die Kapelle um das Kloster St. Antoniusstein,
woraus später „Tönisstein“ wurde. Die Mönche des Karmeliterordens entdeckten
aufs Neue die heilende Kraft der Quellen, und ab dem 17. Jahrhundert gewannen
die Kölner Kurfürsten diesen magischen Ort für sich. In diesem Lieblingsbadeort
verbrachten sie große Teile des Sommers, allen voran August Clemens, der sich
mit seinem üppigen Barockstil auch in Tönisstein zu verewigen suchte. Er ließ
ein Badehaus, ein Ballhaus und eine Kapelle bauen, und Tönisstein wurde zum
Kurort. Um 1800 hatte all diese Pracht ein Ende, denn die französischen Truppen
verwüsteten vieles. Nur das Brunnenhaus
überdauerte mit seinem siebenseitigen Pavillon die Wellen von Zerstörungen. Bis
zum Jahr 2005 wurde in den Kurgebäuden von Bad Tönisstein eine Klinik für
Suchtkranke betrieben, danach wurde der Kurbetrieb nach Bad Neuenahr verlegt. Präsent
sind die heilenden Quellen immer noch an der Haltestation des Vulkan-Expresses:
die roten Buchstaben „Tönissteiner Sprudel“ , hängen sich locker über der
basaltgrauen Mauer aneinander. Sie unterstreichen die Bedeutung dieses
Mineralwassers, welches mit dem Slogan „quellfrisch aus der Vulkaneifel“ die
hiesigen Getränkemärkte aufmischt.
Nun geht es weiter das Brohltal hinunter, wo die
Lawine von Autoverkehr bisweilen doch etwas stört. Alles scheint hier vor
Mineralwasser zu strotzen, als in Brohl die Reklame „Trink Brohler und Dir ist
wohler“ gleich eine ganze Häuserwand mit ihrem blauen Untergrund beschlagnahmt.
Bald bin ich am Rhein angekommen, wo ich mich zuerst auf dem Seitenstreifen der
Bundesstraße B9 in Richtung Bonn bewege. Dann, kurz vor Bad Breisig, bewegt
sich ein eigener Radweg auf die Kurstadt zu. Bad Breisig rundet die Begegnung
mit heilenden Quellen und sprudelnden Mineralwassern aus
einst brodelndem Vulkangestein in einer vollkommenen Harmonie ab.
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Impressionen aus Bad Breisig |
Dabei wurde Breisig erst in der Nachkriegszeit,
nämlich 1958, in den illustren Kreis der Bäderstädte aufgenommen. Als 1914 die
Quellen im Erdreich angezapft wurden, waren alle überrascht. Mit 34 Grad war
das heraussprudelnde Wasser ungewöhnlich warm. Dass diese hohe Temperatur
genutzt wurde, dauerte bis nach dem Ersten Weltkrieg. 1927 wurde eine weitere
Thermalquelle aufgebohrt, 1928 bauten die Breisiger ein Thermalschwimmbad in
Rheinnähe. Nachdem die Zerstörungswelle des Zweiten Weltkriegs Bad Breisig
nicht ausgespart hatte, wurde das Schwimmbad mit Trümmern zugeschüttet. Vieles
ist seitdem verschwunden, so das Kurhaus aus dem Jahr 1936, das 2005 abgerissen
wurde, weil der Bäderbetreiber insolvent wurde und eine Sanierung zu teuer war.
Spaziergänger können derweil von den Römerthermen,
einem flammneuen Badeparadies mit Saunalandschaft, über den Kurpark, dessen
Wurzeln zu den Breisiger Freimaurern zurückreichen, zum Rhein flanieren. Am
Rhein kann ich bestaunen, dass nicht nur Wellness und Kurgäste das Stadtbild
bestimmen, sondern auch eine Rheinpassage mit hübschen, alten Fachwerkhäusern.
Die geschlossene Substanz der Fachwerkhäuser stammt aus dem 17. bis 18.
Jahrhundert, während der Ursprung von
Bad Breisig auf eine etwas ungewöhnlich zu verorten ist. Nachdem Römer und
Franken gesiedelt hatten, lag Breisig im Mittelalter im Grenzgebiet zwischen
den Kölner und Trierer Erzbischöfen. Erstmals 1215 als „Brysich“ erwähnt,
beschwerte sich niemand, dass dieser Ort am Rhein den Bischöfen aus dem fernen
Essen gehörte. An dieser Zugehörigkeit änderte sich bis zu den Napoleonischen
Kriegen nichts, ohne dass die Kölner, Trierer oder Essener Bischöfe
gegeneinander Kriege führten.
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Goldene Meile |
Anders war der Fall bei der Burg Rheineck gelagert, die
zuvor, im 11. Jahrhundert über dem Tal der Vinxt gebaut worden war. Hoch über
dem Rhein und Bad Breisig thronend, lag Rheineck strategisch, und die Kölner Erzbischöfe
zählten das Burgensystem am Rhein von der Godesburg aus über Rheineck bis
Andernach zu ihrem Herrschaftsgebiet. Streitigkeiten und Kriege blieben nicht
aus. So berichtet die Kölner Königschronik aus dem Jahr 1164, dass der
Pfalzgraf Konrad, der Bruder von Kaiser Barbarossa, die Burgen am Rhein
einnehmen wollte, um das Kölner Erzbistum zu erobern. 125.000 Soldaten waren in
diesem Jahr vor Burg Rheineck aufmarschiert. Später wurde Rheineck zerstört,
das war im 30-jährigen Krieg und durch französische Truppen. Die Ruine verfiel,
und in der Zeit der Rheinromantik waren es die Preußen, die die Burg liebevoll
und originalgetreu wieder aufbauten. Reisende aller Herren Länder zog es nun an
den Rhein auf Burg Rheineck. Heute hat Burg Rheineck deen Status einer Touristenattraktion verloren, denn die Burg ist im Privatbesitz eines Softwareentwicklers.
Ungestört und fernab vom Autoverkehr, begleitet der
Radweg hinter Bad Breisig den Rhein. Ich nähere mich dem Mündungsgebiet der
Ahr, und eine ebene Fläche schiebt die Höhenzüge der Eifel unvermittelt in die
Ferne. Die Felder hier sind fruchtbar, Obstwiesen wechseln mit Getreideanbau
ab. Einstweilen schätzen die Stadtwerke Sinzig diese Ebene der Goldenen Meile,
indem sie dort eine der größten Trinkwasserreservoire in Rheinland-Pfalz
vorfinden. Doch die Vergangenheit steckt voller Tragik. So „golden“, wie das Mündungsgebiet
der Ahr wegen ihrer fruchtbaren Bodenablagerungen genannt wurde, war dieses
Gebiet mitnichten nach Kriegsende. Drei Monate lang war es
Kriegsgefangenenlager, und beim Aufbau des Lagers im Mai 1945 waren die
Zustände katastrophal. Provisorische Zelte, Regen und Matsch, keine sanitären
Anlagen, kaum Trinkwasserversorgung, insgesamt 1.200 Gefangene starben an
Typhus oder Ruhr. Drei Monate später wurde das Lager aufgelöst.
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Radweg am Rhein |
Der Lyriker Günter Eich, den es nach seiner
Kriegsgefangenschaft nach Niederbayern verschlug, dichtete über die Goldene
Meile:
»Frühling in der Goldenen Meil«
»Erwachendes Lager«
»Mit klappernden Zähnen am Morgen Sophie«
»Wie grau es auch regnet«
» Pfannkuchenrezept«
»Camp 16«
»Blick nach Remagen«
»Sinziger Nacht«
»Inventur«
»Latrine«
»Gefangener bei Nacht«
»Erwachendes Lager«
»Mit klappernden Zähnen am Morgen Sophie«
»Wie grau es auch regnet«
» Pfannkuchenrezept«
»Camp 16«
»Blick nach Remagen«
»Sinziger Nacht«
»Inventur«
»Latrine«
»Gefangener bei Nacht«
Alsbald überquere ich die Holzbrücke
über die Ahr. In Remagen-Kripp sehe ich die Fähre, die auf das andere Rheinufer
nach Linz fährt. An dieser Stelle würdigt eine Skulptur mit einem Schiff aus
Beton die Treidelpferde, die vor dem Zeitalter der Dampfschifffahrt Meter für
Meter Schiffe rheinauf- und abwärts
gezogen haben.
Sanft und glatt ruhen die Häuser von
Linz auf der anderen Rheinseite, Containerschiffe wälzen sich auf dem Rhein
vorwärts, ziehen beiläufig Wellen hinter sich her und wühlen die Strömung auf.
Die beiden Stümpfe der Brücke von Remagen stemmen sich dem Radweg entgegen, und
geradewegs erreiche ich die Rheinpassage in Remagen, wo ich mir am Brauhaus
eine Pause gönne und das hauseigene Braunbier meine müden Beine wieder auf Trab
bringt.