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Rathaus und Kathedrale St. Pieter |
Im Endeffekt ging es um Macht. Nach der Jahrtausendwende
blühte das Handwerk auf, und die Handwerker organisierten sich sowohl im
Rheinland wie in Flandern in Zünften. Standortfaktoren fixierten die
Rahmenbedingungen für die Handwerker, Händler wurden zwischengeschaltet,
Warenflüsse entstanden. In den Wirren des Mittelalters kristallisierten sich
entlang der Handelswege nach der Jahrtausendwende, umringt von uneinnehmbaren
Mauern, höchst stabile Gebilde heraus,
das waren Städte. Sie entwickelten eine Eigendynamik, erhoben Zölle, bauten
Hallen, in denen die Stadtbeamten die Waren kontrollierten, bauten in
Sichtweite von Kirchen konkurrierende Glockentürme – oder Belfriede -,
um den Städten in Flandern eine Ordnung jenseits des christlichen Glaubens zu verleihen.
Das war die Geburtsstunde von Rathäusern. Während
sie im Rheinland im späten Mittelalter gebaut wurden – so in Köln oder
Düsseldorf – geschah dies in Flandern einige Jahrhunderte vorher. Davon steht
eines der schönsten Rathäuser in Leuven.
So wie im Rheinland, vertrieben keltische
Volksstämme die Römer genauso aus dem heutigen Belgien. Die Kirche und das
Christentum fassten um 700 in Leuven Fuß, als sich unter dem ersten Lütticher
Bischof – das war der Heilige Hubert, nach dem im Rheinland diverse
Schützenbruderschaften benannt sind - das Christentum durchsetzte. In dieser Zeit entstand in Leuven
ein Vorläufer der St. Pieters-Kathedrale, Mitte des 11. Jahrhunderts wurde die
Crypta gebaut. 1431 stand schließlich der Chor der Kathedrale, angelehnt an den
französischen Kathedralbau, mitten im Bau.
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Figuren an der Rathausfassade (oben), Wandelhalle (darunter), gotischer Saal und Gemälde "Übergabe der Gründungsurkunde der Universität" (darunter), kleiner gotischer Saal (ganz unten) |
Stadt und Kirche, beides entwickelte sich in Leuven
gleichzeitig. Die Sphären der Macht mussten gebildet werden, es musste
verhandelt werden, man musste sich einig werden, Machtverlust und Machtgewinn
sollten sich die Waage halten. In Leuven stehen sich auf Augenhöhe die
Kathedrale und das Rathaus gegenüber. Mit dem Bund der Hanse und mit dem Handel
über die Nordsee wurden die Städte in Flandern unendlich reich, indem Kaufleute
die Warenflüsse zu Geld machten, so auch in Leuven. Das Selbstbewusstsein der
Kaufleute äußerte sich in dem Rathaus, dessen Grundstein 1439 gelegt wurde.
Die Parallelwelten von Stadt und Kirche entwickelten
sich komplett anders im Rheinland. Die bohrenden Ansprüche der Macht entluden
sich 1288 auf den Schlachtfeldern von Worringen, als die Kölner Erzbischöfe
darauf pochten, eigene Zollstationen zu betreiben. Daraufhin zog die Kirche in
den Krieg und verlor diesen. Den Rhein, die schützenden Burgen, den Zoll, das
Stapelrecht sollten dennoch weitere Jahrhunderte die Erzbischöfe kontrollieren.
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Cafés auf dem Rathausplatz |
Wir haben das Rathaus von Leuven besichtigt. Einige
Figuren an der Außenfassade sind spät – erst im 19. Jahrhundert - hinzugefügt
worden. Die Grundstruktur beruht auf einem Gleichgewicht: die Figuren in den
Untergeschossen stammen aus der Bibel, manche sind Schutzheilige, die Geschosse
darüber zeigen Herrscher, Grafen und
Könige. Prunkvolle Säle schmücken das Innere, die sich zum Teil seit der
gotischen Epoche erhalten haben. In der Wandelhalle wehen Flaggen von
Patriziergeschlechtern, in der sich die Kaufleute zusammen getan hatten. Der gotische
Saal hat sich aus dem 15. Jahrhundert erhalten, wobei dieser auf einem Gemälde
eine herausragende Szene in der Leuvener Stadtgeschichte dokumentiert hat. 1425
wurde die Universität gegründet, und der Propst der St. Pieters-Kirche
überreicht dem Bürgermeister die Gründungsurkunde des Papstes. Auch auf der
rechtlichen Ebene werden Staat und Kirche somit als gleichrangig betrachtet.
Dieses Gleichgewicht unterstreicht ein Gemälde aus
dem 15. Jahrhundert im kleinen gotischen Saal. Die zehn Gebote und die
Rechtsprechung der Städte gehen ineinander über. Das Gemälde „Die Gerechtigkeit
des Kaisers Otto III“ befasst sich mit einer unsittlichen Annäherung eines fremden
Grafen an seine Ehefrau. Ehebruch, auch der Versuch, wird bestraft, schließlich
wird der andere Graf enthauptet.
Draußen angekommen, lassen wir uns nieder in einem
Café zwischen dem Rathaus und der St. Pieters-Kirche. Der Kaffee schmeckt, und
auf die Frage des Kellners, wer wir so sind, haben wir geantwortet, dass wir
ein multikulturelles Gemisch europäischer Nationen sind, Deutsche, Belgier,
dazu ein Stück Afrika. Die Eindrücke von Leuven saugen wir in uns auf, indem die Getränke und die Gespräche uns die
Stadt genießen lassen. Mit all den Cafés, ohne Ladenlokale und Geschäfte, ist
dieser Platz grenzenlos gesellig, wir sitzen, quasseln, schauen hier, schauen
da, beobachten Passanten, lassen es uns gut gehen. Im Rheinland wird man nach
ähnlich gemütlichen Plätzen verzweifelt suchen müssen.